Es ist seit vielen Jahren die Gretchenfrage: Wo kann Mainz noch Wohnraum in großem Stil schaffen? Jahrelang tobte die Debatte um einen neuen Stadtteil für Mainz, das Thema kam trotz Wahlkampfgetöse nicht Recht voran – nun hat die Stadtverwaltung erstmals ein grundlegendes Konzept für die Frage vorgelegt: Wo hat Mainz noch Potenzial zur Schaffung von Wohnraum im größeren Stil? Die Antwort lautet: im Süden von Mainz-Hechtsheim und im Osten von Mainz-Ebersheim gibt es Flächen mit hohem Potenzial. Dazu greift die Stadt nun zu einem Kniff: Am Mittwoch brachte der Stadtrat eine „städtebaulichen Entwicklung“ auf den Weg – damit kann die Stadt die Grundstückspreise in den Gebieten einfrieren.

In Mainz entstand in den vergangenen Jahren viel hochpreisiger Wohnraum - wie hier im Zollhafen - und wenig bezahlbarer Wohnraum. - Foto: gik
In Mainz entstand in den vergangenen Jahren viel hochpreisiger Wohnraum – wie hier im Zollhafen – und wenig bezahlbarer Wohnraum. – Foto: gik

Mainz wächst seit Jahren in enormem Tempo, aktuell leben nach Angaben der Stadt bereits rund 226.000 Menschen im Stadtgebiet – Tendenz weiter steigend: Pro Jahr ziehen im Schnitt 2.000 Menschen mehr nach Mainz als abwandern, das aber birgt auch erhebliche Probleme. Die steigende Nachfrage nach Wohnraum führte in den vergangenen Jahren zu massiven Preissprüngen auf dem Wohnungsmarkt: Aktuell stuft das Statistische Bundesamt Mainz mit einem Mietpreis von im Schnitt 15,2 Euro pro Quadratmeter auf Rang 8 im Bundesvergleich ein – noch vor Hamburg und Düsseldorf.

Als erste hatte deshalb die Mainzer CDU schon im Mai 2017 die Idee für einen neuen Stadtteil auf den Weg gebracht: Mainz brauche bezahlbares Wohnen, kleine Häuser für junge Familien, Wohnraum für Singles und Senioren und vor allem sinkende Mieten – all das gehe nur mit einem komplett neuen Stadtteil, argumentierte damals CDU-Bauexperte Gerd Schreiner – und legte den Plan für einen neuen Stadtteil „Rheinhöhe“ auf den Äckern oberhalb von Mainz-Laubenheim vor.

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Jahrelange Debatte um neuen Stadtteil für Mainz

Die Mainzer SPD sprach umgehend von einer „Schnapsidee“, auch der damalige Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) lehnte das Ansinnen mit Verweis auf neue Bauprojekte im Mainzer Zollhafen und der Oberstadt ab – um dann 2019 selbst mit der Idee eines neuen Stadtteils in den OB-Wahlkampf zu ziehen. Ebling schlug damals einen Stadtteil parallel zur Rheinhessenstraße südlich von Mainz-Hechtsheim vor, das stieß prompt auf massive Kritik bei den Grünen: Damit würde eine wichtige Kaltluftschneise für Mainz zugebaut.

CDU-Bauexperte Gerd Schreiner 2017 mit dem Plan für einen neuen Stadtteil "Rheinhöhe" auf den Äckern oberhalb von Mainz-Laubenheim. - Foto: gik
CDU-Bauexperte Gerd Schreiner 2017 mit dem Plan für einen neuen Stadtteil „Rheinhöhe“ auf den Äckern oberhalb von Mainz-Laubenheim. – Foto: gik

Seither ruhte das Thema, nun aber stellte die Stadtverwaltung unter dem neuen Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) – selbst immer Verfechter eines neuen Stadtteils – eine umfassende Potenzialanalyse vor: „Wo kann die Stadt noch wachsen? Welche Flächen lassen sich im Außenbereich identifizieren und zukünftig langfristig für Wohnungsbau nutzen?“ Diesen Fragen war in monatelanger Arbeit das renommierte Raum- und Stadtplanungsbüro „berchtoldkrass space&options“ aus Karlsruhe nachgegangen.

In einem ersten Schritt ergab die Wohnraumanalyse in Sachen Nachverdichtung nur noch ein geringes Potenzial: Auf Baulücken, leer stehenden Grundstücken und Parkplatzflächen könnten im Innenraum des Mainzer Stadtgebiets noch ein Potenzial von rund 900 Wohneinheiten realisiert werden, fanden die Experten heraus – mehr gebe das Stadtgebiet in Sachen Nachverdichtung nicht mehr her.

Nachhaltige Entwicklung, Andocken an Stadtteil, Verkehrs-klug

Am Dienstag dann stellte die Stadtspitze Teil II der Analyse vor: Mainz werde weiter wachsen, derzeit habe die Stadt aber „nur“ noch eine Perspektive von 10.000 zusätzlichen Wohneinheiten im Stadtgebiet auf der Zeitschiene – das werde in Zukunft nicht ausreichen, betonte Haase dabei: „Wir müssen weiter denken.“ Die bereits im März 2022 vom Wirtschaftsdezernentin Manuela Matz (CDU) gestartete Studie sollte deshalb auch die Außenbereiche von Mainz zwischen den Stadtteilen unter die Lupe nehmen.

Potenzialanalyse Wohnraum in Mainz, Außenbereich. Karte: Stadt Mainz/ Berchtholdkrass
Potenzialanalyse Wohnraum in Mainz, Außenbereich. Karte: Stadt Mainz / Berchtholdkrass

„Es wurde nach Flächen in der Größenordnung eines Quartiers gesucht, so dass man Wohnen in einer nennenswerten Größenordnungen schaffen kann“, erklärte Professor Philipp Krass, Autor der Studie. Untersucht wurden dabei Flächen auf Mainzer Stadtgebiet, die noch nicht Baugebiet sind, ausgeschlossen wurden dann wichtige Umweltschutzgebiete, Landwirtschafsflächen und Naherholungsgebiete – sowie die Kaltluftschneisen von Mainz.

„Wir haben aus zwei Richtungen gesucht“, erklärte Krass weiter: Welche Flächen böten gute Rahmenbedingungen und Chancen für eine nachhaltige Stadtentwicklung, und wo seien die Restriktionen möglichst gering. „Uns war wichtig, dass wir nicht irgendwo einen Klecks finden, wo es theoretisch noch ginge“, betonte der Experte dabei, das Ziel sei vielmehr gewesen, Anschluss an bestehende Ortskerne zu haben. Auch die Aspekte Nähe zu Versorgungs- oder Stadtteilzentren, die Zugänglichkeit mit dem motorisierten Individualverkehr sowie eine Erschließung mit Straßenbahn seien dabei wichtige Aspekte gewesen.

Elf Potenzialflächen, drei zur sofortigen Entwicklung

Heraus kamen am Ende 11 Flächen, die in drei Kategorien unterteilt wurden: Potenzialflächen, deren Entwicklung nicht empfohlen wird (Rot), Potenzialflächen, die längerfristig Entwicklungschancen bieten könnten (Gelb) – und Flächen, die zur Entwicklung empfohlen werden, in der Karte mit Grün markiert. Zu den gelben Flächen gehören Gebiete Teilflächen in Marienborn, Finthen sowie das alte Medienpark-Gelände auf dem Lerchenberg, als Rot markierten die Experten hingegen eine Erweiterung von Bretzenheim in Richtung Fu0ßballarena, eine Fläche am Gonsenheimer Hemel, Finthen-Nord sowie auf dem Lerchenberg und Marienborn.

Potenzialflächen südlich von Mainz-Hechtsheim: Grün soll sofort entwickelt werden, Gelb sind langfristige Potenziale. Rechts die Kaltluftschneise. - Grafik: Stadt Mainz / Berchtholdkrass
Potenzialflächen südlich von Mainz-Hechtsheim: Grün soll sofort entwickelt werden, Gelb sind langfristige Potenziale. Rechts die Kaltluftschneise. – Grafik: Stadt Mainz / Berchtholdkrass

Am Ende blieben so zwei Flächenbereiche in Mainz-Hechtsheim und Mainz-Ebersheim übrig, die zur Entwicklung empfohlen werden – mit den bisher diskutierten Flurstücken haben sie indes nichts zu tun. Die Fläche Hechtsheim-Süd würde vielmehr südlich an die bisherige Hechtsheimer Wohnbebauung und östlich an das neue Wohngebiet „Am Weidezehnten“ anschließen. Der Planung zufolge würde die Kaltluftschneise von Hechtsheim Richtung Innenstadt davon nicht berührt.

Auf den rund fünf Hektar Fläche könnten je nach Wohnbebauungsdichte zwischen 165 und 295 Wohneinheiten entstehen, rechneten die Planer vor, und empfahlen: „Diese Teilfläche bietet ein besonderes Potenzial und sollte als erste entwickelt werden.“ Südlich davon würden sich zwei weitere Potenzialflächen in Gelb mit einmal zwei Hektar und einmal rund 6,5 Hektar Größe anschließen, die zu den längerfristigen Potenzialen gezählt werden – Hechtsheim könnte also in Zukunft noch einmal deutlich wachsen.

Zwei Potenzialflächen in Ebersheim mit rund 25 Hektar

In Mainz-Ebersheim sehen die Planer sogar zwei grüne Teilstücke als Potenzialflächen: Die Fläche „Ebersheim Nord“ würde sich nördlich und östlich rund um den Stadtteil bis zur Rheinhessenstraße ziehen und böte den Berechnungen zufolge auf rund 18 Hektar Fläche Raum für 585 bis 1055 Wohneinheiten. „Ebersheim Süd“ hingegen würde eine Ecke des Stadtteils im Südosten schließen und böte weitere rund 7,5 Hektar Fläche mit etwa 500 Wohneinheiten. Dazu sieht die Potenzialstudie weitere „gelbe“ Potenzialflächen im Nord-Westen von Ebersheim.

Potenzialflächen rund um Mainz-Ebersheim: Grün soll sofort entwickelt werden, Gelb sind langfristige Potenziale. Rechts die Rheinhessenstraße. - Grafik: Stadt Mainz / Berchtholdkrass
Potenzialflächen rund um Mainz-Ebersheim: Grün soll sofort entwickelt werden, Gelb sind langfristige Potenziale. Rechts die Rheinhessenstraße. – Grafik: Stadt Mainz / Berchtholdkrass

Auch in Ebersheim gebe es im Osten des Stadtteils „einen Kaltluftabfluss, der zur Flächenreduktion geführt hat“, betonte Krass. Man sehe hier aber gutes Potenzial zur Erschließung mit dem ÖPNV, die sich auch gut mit Hechtsheim kombinieren lasse, und für Ebersheim „eine substanzielle Verbesserung bringen“ würde – es winkt eine Straßenbahnlinie, mindestens aber eine ÖPNV-Trasse. Letztere solle unbedingt von Beginn an mitgeplant werden, empfahlen die Planer.

Insgesamt könnten auf den neuen Potenzialflächen abhängig von der Dichte der Bebauung  „zwischen knapp 1.850 und 3.300 Wohneinheiten entstehen“, betonte Oberbürgermeister Haase bei der Vorstellung – die grünen und gelben Flächen zusammengenommen. Das tatsächlich realisierbare Entwicklungspotential sei aber erst im Zuge weiterer Planungen final abschätzbar – und die werden nicht schnell gehen: Bis zur Realisierung der gebiete als Wohngebiete können bis zu zehn Jahre vergehen. Vorher werde es zahlreiche weitere Untersuchungen geben, betonte Baudezernentin Marianne Grosse (SPD).

Raum für geschätzt 3.300 Wohneinheiten und 9.000 Menschen

„Wir haben grob die Fläche von 1,5 Mal das Heiligkreuzviertel“, betonte auch Haase – das sei Raum für geschätzt rund 9.000 Menschen. In Ebersheim könne das langfristig bis zu einer Verdopplung der Einwohnerzahl führen, dessen sei man sich auch bewusst: „Wir haben bei der Abstimmung mit den Ortsvorsteherinnen von Hechtsheim und Ebersheim betont, dass dies auch mit einer Weiter-Entwicklung des Stadtteils einhergehen wird“, unterstrich Haase: „Natürlich muss man auch das Thema Infrastruktur und ÖPNV nachsorgen.“

Vergleich zwischen den bisher diskutierten Optionen: Orange war der "Stadtteil Rheinhöhe" der CDU, Rot die Lage des SPD-Vorschlags - und Grün sind nun die neuen Potenzialflächen. - Foto: gik
Vergleich zwischen den bisher diskutierten Optionen: Orange war der „Stadtteil Rheinhöhe“ der CDU, Rot die Lage des SPD-Vorschlags – und Grün sind nun die neuen Potenzialflächen. – Foto: gik

Zeit habe man jedenfalls, denn die Stadt hat nun erstmals bei diesen gebieten einen Trick angewendet: „Wir wenden erstmals das Instrument der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme an“, erläuterte Grosse – das Instrument sehe nämlich vor, dass die Gemeinde alle Grundstücke vorab mit Vorkaufsrecht erwirbt. „Das versetzt uns in die Lage, ein Instrument anzuwenden, das die Bodenpreise einfriert – so können wir dafür sorgen, dass tatsächlich bezahlbarer Wohnraum entstehen kann“, sagte Grosse weiter: „Damit gehen wir städtebaulich neue Wege, um bezahlbaren Wohnraum in Mainz zu schaffen.“

Am Mittwoch verabschiedete der Mainzer Stadtrat die Maßnahme einer „städtebaulichen Entwicklung“, mit der Verkündung im Amtsblatt der Stadt am Freitag gelten dann für das Vorkaufsrecht der Stadt genau die Bodenpreise von diesem Freitag – einer Grundstücksspekulation ist so der Riegel vorgeschoben. „Der von der Entwicklung unbeeinflusste Anfangswert wird als Verkehrswert gesichert“, erklärte Haase, „und dadurch, dass wir dort die Verkehrswerte eingefroren haben, haben wir auch die Chance, dort in Ruhe zu planen – wir greifen ein und steuern die Entwicklung.“

Stadt friert mit Trick Grundstückspreise zum Verkehrswert ein

Damit gelten die aktuellen Bodenrichtwerte für die Gebiete, die derzeit etwa auf den freien Ackerflächen südlich von Hechtsheim einen Preis von 7,50 Euro pro Quadratmeter und in Ebersheim von rund 15 Euro pro Quadratmeter vorsehen – Gebiete unmittelbar an der derzeitigen Baugrenze können auch teurer sein. Die Werte werden von einem unabhängigen Gutachterausschuss jedes Jahr neu auf der Grundlage aktueller Kaufverträge festgelegt. Für das Untersuchungsgebiet rechne die Stadt Mainz derzeit mit Bodenkosten von rund zwei Millionen Euro, sagte Grosse.

„Das Gute ist in diesem Fall: wir können klar machen, wo die Potenziale liegen, haben aber auch Zeit das städtebaulich zu entwickeln“, betonte Grosse. Man wolle sich gerade zu Beginn  der Planungsphase „ganz viel Zeit nehmen und viel Wert auf Qualität legen.“ In der Vergangenheit habe die Stadt „vielleicht zu schnell auf Höchstbieterverfahren gegangen und hat zu hohen Preisen verkauft“, sagte Haase noch: Nun hoffe die Stadt, „dass wir damit den Wohnungsmotor wieder ankurbeln können – und zwar mit bezahlbarem Wohnraum.“ Die Wertsteigerung bis zum tatsächlichen Ausbau gebe der Stadt zudem die Möglichkeit einer Refinanzierung in begrenztem Rahmen.

Info& auf Mainz&: Das komplette Gutachten kann im Ratsinformationssystem abgerufen werden, und zwar unter der Stadtratssitzung vom 6. März 2024, TOP 50.