Einen echten verbesserten Schutz vor Fluglärm wird es auch künftig durch die Bundesregierung nicht geben: Der Bund verschiebt schärfere Regelungen gegen Fluglärm auf das Jahr 2021 und delegiert die Verantwortung dafür an den Bundestag. Am Mittwoch hatte das Bundeskabinett über den Evaluationsbericht für das Fluglärmschutzgesetz des Bundes beraten, beschlossen wurden am Ende nur 13 Empfehlungen. Nicht einmal auf eine Absenkung der Dezibelwerte, wie von Experten empfohlen, wollte sich das Kabinett festlegen: Man wolle erst einmal die Entwicklung lärmärmerer Flugzeuge abwarten. Scharfe Kritik kam von Fluglärmgegnern. Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rössner (Grüne) sprach von einer vagen Novelle, die „am Kern der Sache vorbei“ gehe. Derweil erreichen die Flugzahlen am Himmel über Deutschland Rekordwerte: 2018 waren im deutschen Luftraum rund 3,34 Millionen Flüge unterwegs – so viele wie nie zuvor.
Eigentlich hätte das aus dem Jahr 2007 stammende Fluglärmgesetz bereits 2017 evaluiert werden müssen. In dem Bericht, den Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) nun vorlegte, blieb von konkreten Maßnahmen zum Schutz von Flughafenanwohnern wenig übrig. Konkretestes Vorhaben: Schulen, Kindergärten und Krankenhäuser sollen künftig schneller passiven Lärmschutz erhalten können, der Anspruch auf Kostenerstattung soll ausgeweitet werden.
Auch soll die bisherige Wartefrist von fünf Jahren für Schallschutzmaßnahmen an Wohngebäuden abgeschafft werden, eine langjährige Forderung von Fluglärmgegnern. Betroffene sollen zudem flexibler entscheiden können, welche Schallschutzmaßnahmen sie wollen. Doch weitere konkrete Maßnahmen zur Eindämmung des Fluglärms fehlen völlig. Der Bericht betont zwar die Bedeutung von leiseren Triebwerken oder auch lärmärmeren An- und Abflugverfahren für den Schutz der Bürger, Maßnahmen in diese Richtung sieht er aber nicht vor.
Wichtige Aussagen zum aktiven Schallschutz seien aus dem Bericht „ersatzlos gestrichen worden“, klagte denn auch der Vorsitzende der Fluglärmkommission in Frankfurt, Thomas Jühe: Mit den aktuellen Vorhaben werde es „kein relevantes Vorankommen beim Schutz vor Fluglärm“ geben. „Enttäuschend“ nannte auch der Präsident der Bundesvereinigung gegen Fluglärm (BVF), Helmut Breidenbach, das Papier: Die vorgeschlagenen Änderungen seien „viel zu dürftig, um dem von der Lärmmedizin erkannten Bedarf eines verbesserten Fluglärmschutzes gerecht zu werden.“
Der Bericht falle zudem deutlich hinter die Empfehlungen des Umweltbundesamtes zurück, das ein übergeordnetes Konzept zum Schutz vor Fluglärm unter Betonung des aktiven Lärmschutzes gefordert hatte. Besonders ärgert die Fluglärmgegner, dass eine eigentlich geplante Absenkung der Lärmwerte noch einmal bis 2021 verschoben wurde. Experten hatten eigentlich eine Absenkung um ein bis drei Dezibel gefordert, der Bericht der Bundesregierung schloss sich dem nicht an.
Stattdessen soll das Bundesumweltamt nun erst einmal zwei Forschungsvorhaben dazu durchführen. Das Ziel sei, die jetzigen Lärmschutzbereiche zu erhalten und nicht zu verkleinern, auch wenn in Zukunft die Flugzeuge leiser würden, sagte ein Sprecher des Umweltbundesministeriums Mainz&. Das Bundesumweltamt solle deshalb nun erst einmal die Lärmwerte der neuen Flugzeuge ermitteln. Derzeit kämen neue, leisere Flugzeugkategorien in den Umlauf, sagte der Sprecher weiter: „Wir wollen jetzt nicht schnell die Grenzwerte verschieben, wir wollen erst schauen, wie verändert sich der Lärm wirklich.“
Aus Sicht der Bundesregierung hat sich der Fluglärm in den vergangenen Jahren übrigens keineswegs vermehrt, der Fluglärm habe sich seit 2007 im Mittel vielmehr an vielen Standorten verringert, heißt es im Evaluationsbericht. Daten zum Nachtflugbetrieb zeigten zwar in den vergangenen zwei bis drei Jahren eine Zunahme, ansonsten hätten sich die Flugbewegungszahlen in den vergangenen Jahren an vielen Standorten aber eher vermindert. Zudem seien die Lärmemissionen der Verkehrsflugzeuge zurückgegangen. Anwohner im Umkreis des Frankfurter Flughafens werden diese Aussagen eher mit Verwunderung zur Kenntnis nehmen. Das Ministerium räumt auch ein: „Bei gleichem oder vermindertem Fluglärm fühlen sich heute deutlich mehr Menschen durch Fluglärm belästigt als vor zehn Jahren.“
Derweil meldet die Deutsche Flugsicherung (DFS) in Offenbach bei Frankfurt Rekordwerte im Flugverkehr: 2018 zählte die Luftsicherung mehr als 130.000 Flüge im deutschen Luftraum mehr als im Jahr zuvor, eine Steigerung um 4,2 Prozent. 3.346.448 Millionen Flüge wurden nach Instrumentenflugregeln registriert, das waren so viele wie nie zuvor. Damit stiegen die Flugzahlen im fünften Jahr im Folge, die 3-Millionen-Marke wurde erstmals 2015 übertroffen. Deutschland steuere nun auf 3,5 Millionen Flüge pro Jahr zu, teilte die DFS weiter mit.
Der verkehrsreichste Tag 2018 sei der 7. September gewesen, als 11.024 kontrollierte Flüge registriert wurden. Auch das sei ein neuer Rekord, so die DFS: Der Spitzenwert des Vorjahres, 10.667 Flugbewegungen an einem einzigen Tag, wurde damit um 3,5 Prozent übertroffen. Im Übrigen stieg nicht nur die Zahl der Überflüge in Deutschland um 4,6 Prozent, auch die Zahl der Starts und Landungen an deutschen Flughäfen nahm stark zu: 2018 habe man insgesamt 2.297.425 Starts und Landungen registriert, so die DFS weiter, das waren vier Prozent mehr als im Vorjahr. An den 16 internationalen Flughäfen wurden demnach 2.129.744 Starts und Landungen gezählt (plus 4 Prozent), an den 21 regionalen Flughäfen waren es 167.681 (plus 4,1 Prozent).
Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rössner (Grüne) kritisiert denn auch, die vergangenen Jahre machten deutlich, „wie egal der Bundesregierung der Lärmschutz ist.“ Wieder einmal habe sich die SPD in der Großen Koalition nicht durchsetzen können: „Die Lobbyminister der Union stellen schlicht die Interessen der Luftverkehrsindustrie über die Gesundheit der Bürger“, schimpfte Rössner. Der Bund müsse nachlegen und auch das Luftverkehrsgesetz in Angriff zu nehmen. Nur mit einer Lärmreduzierung an der Quelle, also den Flugzeugen, sei eine wirksame Lärmreduzierung möglich – „zwingend erforderlich“ für einen annähernd ausreichenden Schutz vor Fluglärm sei sie sowieso.
Das Umweltministerium teilte mit, der Evaluationsbericht werde nun an den Bundestag weiter geleitet, über Verbesserungsvorschläge werde dort entschieden. Wolle der Bundestag die Grenzwerte vor 2021 verschärfen, könne er das entscheiden, fügte der Sprecher hinzu.
Kommentar& auf Mainz&: Bund beschließt einfach, es gibt keinen Fluglärm – Glückwunsch
Man fragt sich wirklich, in welcher Welt die Damen und Herren der Bundesregierung da in Berlin so leben: „Keine voreiligen Schlüsse“ will man beim Bund also ziehen, voreilig, ja? Seit zehn Jahren (und mehr) werden Menschen rund um Flughäfen gerade im Rhein-Mainz-Gebiet von heftigem Fluglärm überzogen. Der Lärmteppich nervt, macht krank und macht stellenweise ein entspanntes Leben im Freien komplett unmöglich. Der Fluglärm steigt, die Medizin ist gerade dabei, zweifelsfrei nachzuweisen, dass Fluglärm Gefäße schädigt, zu massivem Stress im Körper führt, zu Herzinfarkten, Kreislaufproblemen und Kollapsen.
All das muss man ja in Berlin nicht ernst nehmen, wieso denn. Warnungen von Medizinern, wissenschaftliche Studien, fundierte Berichte von Bürgerinitiativen – alles egal. Der Fluglärm sinkt, hat die Bundesregierung beschlossen, Problem gelöst. Nur die dummen Menschen fühlen sich seltsamerweise „von Fluglärm mehr belästigt.“ Wer so formuliert, lädt die Verantwortung für den Schaden – bei den einzelnen Menschen ab. Die sind offenbar selbst schuld, dass sie sich so „belästigt“ fühlen – gehen Sie doch mal zum Arzt, nicht wahr.
Das grenzt schon stark an Zynismus und Menschenverachtung: Der Staat hat die Aufgabe, seine Bürger vor Gefahren zu schützen, doch statt das zu tun, delegiert er die Verantwortung an den Bürger selbst und schreibt ihm ins Stammbuch, doch bitte nicht so empfindlich zu sein. „Selbst Schuld“ oder „Ätschi“ heißt diese Haltung. Die Bundesregierung, allen voran die Parteien von CDU und CSU, weigern sich weiter vehement, der Flugindustrie auch nur eine winzig kleine Hausaufgabe zu geben.
Es waren nämlich CDU und CSU die weiter gehende Maßnahmen im Fluglärmschutzgesetz blockierten und dafür sorgten, dass die Passagen aus dem Hause der SPD-Ministerin Svenja Schulze wieder gestrichen wurden. Ersatzlos. Frau Schulze darf jetzt wieder den Kopf hinhalten und alle Kritik ausbaden – die eigentlichen Verantwortlichen sind praktischerweise abgetaucht. Man fragt sich indes: Warum hält Schulze immer wieder den Kopf dazu hin? Und was will die SPD eigentlich mit einer Ministerin erreichen, die Schlappe um Schlappe einsteckt und sich ganz offensichtlich in keinster Weise durchsetzen kann?
Das Schlimmste aber: Der Verursacher des schädlichen Lärms bleibt ungeschoren, den Schaden darf allein der Bürger ausbaden. Das ist erbärmlich, und das ist reine Klientelpolitik – man kann es auch Staatsversagen nennen. Ein Politikversagen ist es sowieso.
Info& auf Mainz&: Mehr zur Forschung von Mainzer Medizinern zu den Gesundheitsfolgen von Fluglärm findet Ihr hier bei Mainz&. Mainz& dokumentiert zudem nachfolgend die 13 Empfehlungen, auf die sich das Bundeskabinett gerade noch in Sachen Fluglärm einigen konnte, im Wortlaut. Dann könnt Ihr selbst beurteilen, was Ihr davon haltet:
1. Derzeit werden schalltechnische Daten neuer ziviler Verkehrs- und militärischer Transportflugzeuge zusammengetragen. Sobald die neuen Daten vorliegen, soll eine Überprüfung der Lärmwerte des Gesetzes (§ 2 Absatz 2 FluLärmG) erfolgen. Die Daten werden bis 2021 verfügbar sein. Diese neuen technischen Grundlagen speisen die Vorschrift, mit der neue Lärmschutzbereiche errechnet werden. Ziel der künftigen Anpassung der Werte des Fluglärmgesetzes ist es, den Umfang der heutigen Lärmschutzbereiche zu sichern und zu erhalten.
2. Seit der Gesetzesnovelle 2007 gibt es verschiedene Kriterien, um in der Nähe von Flughäfen sogenannte Nacht-Schutzzonen festzulegen. Dort gelten bestimmte Schallschutzanforderungen für Schlafräume. Die Kriterien, vor alle das neue Maximalpegelkriterium, haben sich bewährt. Es bedarf keiner weiteren Kriterien zur Abgrenzung der Nacht-Schutzzonen.
3. Behörden sollen mehr Spielräume erhalten, um bei einer kleineren Veränderung des Fluglärms keine neuen Lärmschutzbereiche festlegen zu müssen. Damit wird der Vollzugsaufwand vermindert und die Planungssicherheit in den von Fluglärm betroffenen Gemeinden erhöht.
4. Das FluLärmG sieht vor, dass Schallschutzmaßnahmen an Wohngebäuden und schutzbedürftigen Einrichtungen zum Teil erst fünf Jahre nach der Festlegung der Lärmschutzbereiche umgesetzt werden (sogenannte zeitliche Staffelung). Mit Ausnahme von Berlin Tegel soll diese zeitliche Aufteilung entfallen. Damit werden bauliche Schallschutzmaßnahmen schneller umgesetzt.
5. Der bauliche Schallschutz für Kindertageseinrichtungen, Grundschulen und Krankenhäuser soll verbessert werden. Der Anspruch auf eine Kostenerstattung für Schallschutzmaßnahmen soll bei diesen Einrichtungen ausgeweitet werden.
6. Damit in der Vergangenheit durchgeführte passive Schallschutzmaßnahmen in bestehenden Wohnungen und schutzbedürftigen Einrichtungen ggf. auf Kosten des Flughafenbetreibers nachgebessert werden können, soll die sogenannte Toleranzmarge überprüft und mit Übergangsfristen abgebaut werden. Nach dieser dürfen bereits früher erfolgte Schallschutzmaßnahmen 5 Dezibel schlechter sein, als aktuelle Schallschutzmaßnahmen, die an Gebäuden in der Tag-Schutzzone 1 und in der Nacht-Schutzzone neu durchgeführt werden.
7. Innovative Schallschutzmaßnahmen, z.B. zeitgesteuerte Fensterschließeinrichtungen, sollen zugelassen werden. Das schafft Entlastung vor allem für Bürgerinnen und Bürger, die vom Lärm in der Nähe von Flugplätzen mit regelmäßigem Flugbetrieb in den Randstunden der Nacht betroffen sind.
8. Die Anforderungen an den baulichen Schallschutz sollen stärker flexibilisiert werden. Das erhöht die Akzeptanz bei den Anspruchsberechtigten. Betroffene können sich ggf. für Schallschutzmaßnahmen entscheiden, die besser auf die jeweiligen Wohn- und Lebensverhältnisse zugeschnitten sind.
9. Aktiver Schallschutz reduziert den Lärm durch Maßnahmen, die direkt an der Lärmquelle ansetzen. Dazu zählen leisere Triebwerke oder auch lärmärmere An- und Abflugverfahren. Neue Potentiale des im Luftverkehrsgesetz geregelten aktiven Lärmschutzes sollen erschlossen werden.
10. Die Forschung zur technischen Lärmminderung und die Lärmwirkungsforschung soll intensiviert werden.
11. Die Bau- und Planungsbeschränkungen sollen durch ergänzende Regelungen auf Länderebene gestärkt werden. Damit soll im Interesse des Lärmschutzes die Siedlungsentwicklung im Umland von Flugplätzen besser gesteuert werden.
12. Das FluLärmG regelt detailliert, wie die Lärmentwicklung im Umland der Flughäfen erhoben und prognostiziert werden kann. Die Berechnungsgrundlagen haben sich bewährt. Allerdings sollen die schalltechnischen Daten neuer Luftfahrzeuge in die zukünftige Datenerhebung und Berechnung mit aufgenommen werden. Das garantiert, dass die Berechnung des Fluglärms nach dem neuesten Stand der Technik erfolgen.
13. Im FluLärmG gibt es einheitliche Regelungen zur Außenwohnbereichsentschädigung beim Neu- und Ausbau von Flugplätzen. Der Flughafen muss eine Entschädigung dafür zahlen, dass Terrassen, Balkone oder Gärten wegen des Fluglärms nur noch eingeschränkt nutzbar sind. Diese Regelungen haben sich bewährt. Eine Anpassung ist nicht erforderlich