Beethovens Ode an die Freude, weit mehr als 1.000 Gegendemonstranten, friedliche Blockade – so hat Mainz am Samstagabend eine Demonstration der Alternative für Deutschland (AfD) beantwortet. „Freude schöner Götterfunken“ schallte es lautstark vom Balkon des Staatstheaters, während sich unten auf dem Gutenbergplatz trotzig 200 bis 300 AfD-Demonstranten mühten, ihre Parolen unters Volk zu bringen. „Pfui!, „Buh!“ und „Haut ab!“ schallte es ihnen aus mehr als 1.000 Kehlen entgegen. Der Gutenbergplatz – umzingelt von Gegendemonstranten, und zwar absolut friedlich.
Bis zu 1.000 Demonstranten hatte die AfD großspurig für eine Demonstration in Mainz am Samstagabend angemeldet. Gekommen waren nach Schätzungen der Mainzer Polizei 200 bis 300 Menschen. Wer zur AfD wollte, musste sich durch einen dichten Ring an Gegenprotestlern kämpfen: An der Ludwigsstraße, der Alten Uni, vom Höfchen aus und sogar vom Theater aus – überall stand eine dichte Mauer an Menschen, die der AfD keinen Meter Raum geben mochten.
AfD bedient sich „egozentrischer und rassistischer Muster“
Schon um 17.00 Uhr hatten sich bei einer Gegenkundgebung auf dem Schillerplatz Gegner der AfD Luft gemacht. Ein enorm breites Bündnis aus Gewerkschaften, Kirchen, Parteien und gesellschaftlichen Gruppierungen hatte unter dem Motto „AfD-Hetze stoppen“ zu dem Protest gegen die AfD aufgerufen. Einige Hundert Menschen versammelten sich zur Kundgebung auf dem Schillerplatz – der Hauptteil stand da schon den Barrieren, um die eintreffenden AfD-ler abzufangen.
„Diese Partei verleiht Stammtischparolen Anerkennung und bedient sich egozentrischer und rassistischer Muster“, kritisierte Franz Hamburger vom Mainzer Arbeitskreis Integration. „Ängste und Sorgen ernst zu nehmen, ist richtig – aber auch trivial“, sagte Hamburger. Wer als Antwort auf die Flüchtlingsfrage den Aufenthalt auf ein Jahr begrenze und den Familiennachzug stoppe wie die CSU, treibe nur „Menschen in die Arme der Rattenfänger wie der AfD“.
„Das ist Wahlkampf auf Kosten von Menschenleben“
„Ich dachte am Anfang, der AfD geht es um wirtschaftliche Kompetenz, um wirtschaftliche Sorgen und um Griechenland“, sagte Tarek Badawia, der für die Flüchtlinge ein Statement abgab. Bei genauerem Hinsehen aber zeige sich die AfD als „rechtspopulistisch, es wird der rechte Rand bedient.“ Flüchtlinge aber seien „keine Schmarotzer, wir haben ein Recht auf Leben“, betonte der Professor für islamische Religionspädagogik.
„Wenn wir die Flüchtlinge jetzt ausgrenzen, setzen wir den Frieden in unserem Land aufs Spiel“, warnte Samy El Hagrasy, Vorsitzender des Arbeitskreises Mainzer Muslime. Wer Grenzen schließe, setze das Leben von Menschen aufs Spiel, „das ist Wahlkampf auf Kosten von Menschenleben“, kritisierte er. „Wir Muslime sind heute hier, um mit Ihnen für ein friedliches Zusammenleben und für eine friedliche Gesellschaft zu demonstrieren“, rief El Hagrasy den Menschen zu, und betonte: „Wir sind keine Terroristen! Der Islam ist eine Religion des Friedens und der Menschlichkeit!“
„Mainz ist nicht Dresden, Frau Petry!“
Und an die AfD gerichtet fügte El Hagrasy hinzu: „Wir brauchen keine Brandstifter, wir brauchen keine Alternative, weder für Mainz noch für Deutschland!“ Und AfD-Bundeschefin Frauke Petry habe sich ganz offensichtlich in der Ausfahrt geirrt, lästerte El Hagrasy: „Mainz ist nicht Dresden, Frau Petry!“
Wie recht der Vertreter der Muslime hatte, zeigte sich kurz danach auf dem Gutenbergplatz: Dichte Menschenreihen an den Barrikaden blockierten den Zugang zu dem Platz, wer zur AfD-Demo wollte, musste sich mühsam durch die Menge schlängeln. Die Polizei war mit einem Großaufgebot gekommen, die Beamten mussten den Zugang zum Platz sicher stellen – auch für AfDler gilt die Versammlungsfreiheit. Doch die Beamten waren ausnahmslos entschieden, aber freundlich, wer einen Presseausweis hatte, durfte problemlos passieren.
Am Karstadthaus kam es kurz zu einem Gerangel zwischen Polizeibeamten und Gegendemonstranten, als die Polizei eine Blockade aufhob. Ansonsten verlief der Abend aus Sicht der Polizei „recht unkompliziert und ziemlich entspannt“, wie Polizeisprecherin Heidi Nägel am Abend Mainz& sagte.
Beethovens Freiheitsode an die Freude übertönt AfD
Um kurz vor 19.00 Uhr dann, dem anvisierten Beginn der AfD-Demo, schallte es auf einmal laut aus dem Staatstheater: „Freude, schöner Götterfunken!“ Beethovens Ode an die Freude schallte über den Platz, lautstark und wiederholt. Die AfD, die zu dem Zeitpunkt getragen klassische Musik spielte, war nicht mehr zu hören.
„Das ist eine Probe“, sagte Staatstheater-Sprecherin Sylvia Fritzinger im Foyer des Theaters. Man probe Beethovens 9., die „Ode an die Freude“,“das müssen wir hier im Foyer tun, der Akustik wegen.“ Und weil so viele Leute gekommen seien, „mussten wir die Fenster öffnen“, sagte die Sprecherin ganz unschuldig.
EU-Hymne „Alle Menschen werden Brüder“ gegen rechte Parolen
Dass gleichzeitig auf dem Fenster Demonstranten mit Plakaten gegen die AfD standen, war sicher ebenso ein Zufall wie die Tatsache, dass Beethovens 9. auch die offizielle Hymne der EU ist – des Gebildes, das für offene Grenzen und für die Werte von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit steht 😉 Der Chor im Theater war jedenfalls so lautstark, dass sich die Polizei bemüßigt fühlte einzugreifen: „Hören Sie auf, die Versammlungsfreiheit zu verletzen!“ hieß es per Lautsprecherdurchsage der Polizei. Die Antwort aus dem Theater: ein lautstarkes „Alle Menschen werden Brüder!“ Ganz stark.
AfD-Landeschef Uwe Junge betonte derweil in seiner Ansprache, die AfDler seien „Bürgerlich-Konservative mit Disziplin und Anstand“. Es sei doch „keine Ausländerfeindlichkeit zu sagen, dass 70 Prozent der Flüchtlinge Muslime sind und 80 Prozent junge Männer“ ohne Familien – wobei er gleichzeitig auch noch gegen jeden Familiennachzug wetterte. „Der Islam steht gegen alles, was unsere freiheitliche Grundordnung ausmacht“, behauptete Junge ferner, „der Islam gehört nicht zu Deutschland.“
AfD wettert gegen Islam und Merkel und fordert Grenzen schließen
So ging es weiter, garniert mit Aussagen vom „kollektiven Staatsversagen“ in Deutschland, einem nötigen grundlegenden Wechsel und dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) weg müsse. Ferner forderte Junge, die Grenzen zu schließen und „ausnahmslose Abschiebung“ abgelehnter Asylbewerber. Junge begrüßte unter den maximal 300 Teilnehmern der AfD-Demo übrigens Kollegen aus dem Saarland, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen – offenbar hatte die AfD tatsächlich großflächig Teilnehmer nach Mainz gekarrt.
AfD-Bundeschefin Frauke Petry setzte dann noch einen drauf: Der Staat sei „nicht in der Lage“, seine Grenzen zu schützen oder sein Volk, „uns wird eine Pseudorealität vorgespielt“, behauptete Petry. Die Mittelschicht werde die Asylpolitik „mit Steuern und Angaben ausbaden müssen“, behauptete Petry, die Flüchtlingspolitik „bedroht unser demokratisches System und unseren Wohlstand.“ Da war die AfD-Frau dann ganz nah dran an Thesen aus dem rechten Lager, auch wenn sie von „Nationalstaat“ und der „Liebe zu Deutschland“ sprach.
Eder: Mainz zeigt Flagge in allen Farben
Viel Gehör hatte sie nicht. Jede Äußerung wurde mit lautstarken „Buhs!“, Pfiffen und „Haut ab!“-Rufen aus Tausend Kehlen beantwortet. Der Mainzer Dom war eigens für den Abend dunkel geblieben, seine Glocken hatten um 18.00 Uhr lautstark Protest geläutet. „Das ist so toll, wie diese Stadt reagiert, sobald Rechtspopulisten versuchen, einen Fuß an den Boden zu bekommen“, freute sich Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne). „Mainz zeigt Flagge in allen Farben und von allen gesellschaftlichen Gruppen“, sagte die Dezernentin: „Das macht stolz, Teil dieser Stadt zu sein.“ Uns auch!
Um 19.10 Uhr war dann der Spuk schon wieder vorbei, den eigentlich noch geplanten Zug durch die Stadt zum Neubrunnenplatz sagte die AfD entnervt ab – es war einfach kein Durchkommen. Und so schlichen die AfD-ler duch die Seitengassen von Mainz nach Hause, begleitet von lautstarken Rufen friedlicher linker Blockierer: „Ihr seid so lächerlich“, riefen die, und: „Es gibt kein Recht auf Naziparolen.“