Eine Mann sinkt bewusstlos zu Boden, er hat einen Herzinfarkt – aber die Umstehenden sagen: Ach, lass doch, Mädchen, der atmet doch noch. Ein anderer Mann wird brutal zusammengeschlagen, gewürgt, bis er beinahe stirbt – aber eine Schlange voller Leute in einem Schnellrestaurant schaut einfach zu. Zwei Mainzer haben nicht weggeschaut: Elisa Steuler rettete im Dezember 2016 dem Mann mit dem Herzinfarkt durch Wiederbelebungsmaßnahmen das Leben. Und Martin Schwind stoppte den Angreifer im Schnellimbiss und rettete den beinahe erwürgten Mann. Beide wurden dafür am Dienstag mit dem Preis für Zivilcourage des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet.
Es war im Dezember 2016, und Elisa Steuler war auf dem Weg zum Mainzer Weihnachtsmarkt, als ihr an der Bushaltestelle am Höfchen ein Mann auffiel. Der ältere Herr war zusammengesackt, lag bereits am Boden. „Er war bläulich im Gesicht, Augen und Mund waren offen und man sah, dass er nicht mehr atmete“, erzählte Elisa Steuler. Die Psychologiestudentin zögerte nicht lange, sie begann mit Wiederbelebungsmaßnahmen, und sie hielt sie durch, obwohl Umstehende ihr ständig davon abrieten. „Es war wirklich nicht schwierig“, sagte sie bei der Preisverleihung am Dienstag im Gespräch mit Mainz& bescheiden, „in dem Moment ist man so aufgeregt, da denkt man gar nicht groß drüber nach.“
Elisa Steuler rettete dem 65 Jahre alten Mann mit ihrem beherzten Eingreifen das Leben, für „den Mut, die Gleichgültigkeit und das Nichtstun zu überwinden und zu handeln“ wurde sie am Dienstag mit dem Preis für Zivilcourage des Landes Rheinland-Pfalz ausgezeichnet. „Viele Menschen trauen sich eine so schnelle und professionelle Hilfe nicht zu“, sagte Generalstaatsanwalt Jürgen Brauer bei der Preisverleihung in Mainz, „aber in so einem Moment ist nur eines falsch: Nichtstun.“
Sieben Rheinland-Pfälzer wurden am Dienstag mit dem Preis für Zivilcourage geehrt, weil sie im entscheidenden Moment eben nicht wegsahen, sondern handelten und halfen. Da beschützten Paul Kneiffel und Uwe Schneider aus Kaiserslautern eine Frau vor ihrem Ex-Freund, der sie zusammenschlug. Till Völcker und Max Helf aus Kaiserslautern wiederum beobachteten auf dem Parkplatz einer Gaststätte, wie ein Mann beim Ausparken ein anderes Auto beschädigte. Die zwei Jugendlichen fotografierten mit einem Handy Auto und Kennzeichen des Fliehenden, so konnte der Täter ermittelt und der Unfall aufgeklärt werden.
„Unsere Jugendpreisträger sind auch in diesem Jahr wieder gute Vorbilder für viele Erwachsene“, sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD): „Ihr beide seid Helfer, die auch die nicht allein lassen, die in Not sind.“ Leider würden zu wenige Menschen aktiv, „wenn sie Zeugen einer Straftat oder eine Unglücks werden“, sagte Lewentz. Durch tatenloses Zusehen lasse man aber die Opfer nicht nur im Stich, in vielen Fällen schade man ihnen sogar.
Das erlebte auch Martin Schwind: Der Chirurg aus Mainz hatte den ganzen Tag im Operationssaal in der Uniklinik gestanden, abends um 23.00 Uhr wollte er dann noch etwas in einem Schnellrestaurant am Mainzer Hauptbahnhof essen. In dem Restaurant wurde Schwind Zeuge eines heftigen Streits zwischen zwei Männern, „sogar von Abstechen war da die Rede“, berichtete er. Vor der Tür des Restaurants dann eskalierte der Streit, der eine Mann ging zu Boden und lief blau an. Für Schwind war da eine Schwelle überschritten, „ich sagte dann so in den Raum, da muss was passieren – aber keiner sagte was“, erzählte er Mainz&. Die Szene spielte sich direkt vor der großen Glasfront ab, doch die Umstehenden schauten nur zu.
Schwind aber handelte, er rannte vor die Tür, zog den Angreifer weg, sagte „Du bringst den ja um!“ Ja, er habe „große Angst“ gehabt, der Angreifer sei sehr aggressiv gewesen, berichtete der 50-Jährige, er sei ja auch „kein Hüne“. Doch das Bedürfnis zu helfen sei einfach stärker gewesen. „Es gibt einen Punkt, da ist man selbst in der Verantwortung, dann muss man etwas tun“, sagte Schwind. Der Angreifer hatte den am Boden liegenden Mann mit dessen Schal und Krawatte beinahe stranguliert, nur mit Mühe gelang es Schwind, den Knoten zu lösen – als der Angreifer zurück kam. Zwei Männer, die in dem Moment auftauchten, holte sich der Arzt zu Hilfe, die hielten den Täter fest – „und dann kam schon die Polizei“, erzählte Schwind erleichtert. Es kam zum Prozess, am Ende wurde der mehrfach vorbestrafte Mann zu einer Haftstrafe verurteilt.
Zivilcourage zeigen, Eingreifen, selbst wenn die Situation für einen selbst bedrohlich ist – Experten raten, sich in solchen Fällen Hilfe von Umstehenden zu holen. Schwind machte alles richtig, aktivierte weitere Passanten, seine Lebensgefährtin half, sich um den Verletzten zu kümmern. „Ich habe instinktiv reagiert und gar nicht so viel gedacht“, erzählte auch Elisa Steuler, das Schwierigste sei gewesen, die Umstehenden mit ihren Bemerkungen zu ignorieren. Von irgendwoher holte jemand einen Defibrillator, Steuler setzte auch den ein. „Das Gerät redet mit einem und sagt genau, was man machen muss“, erklärte sie, „da kann man gar nicht so viel falsch machen.“ Knapp einen Monat vorher hatte sie noch einmal einen Erste-Hilfe-Kurs gemacht, „ich habe mich einfach an die Schemata gehalten“, sagte die 23-Jährige. Herzmassage, Mund-zu-Mund-Beatmung, sie tat es einfach und rettete so ein Leben.
„Wir alle gestalten mit unserem Verhalten das Leben in unserer Gesellschaft“, sagte Lewentz: „Wir sollten aufeinander achtgeben und uns darauf verlassen können, Hilfe zu bekommen, wenn wir sie benötigen.“ Das hatte vor allem einer der Preisträger beherzigt: Klaus Becker aus Pirmasens rettete an einem Tag nicht nur einem Menschen, sondern gleich dreien das Leben. Im Sommer 2016 fuhr Becker gemeinsam mit einem Kollegen eine Papiertonne aus, als sie in einem Pirmasenser Vorort eine Frau um Hilfe rufen hörten: Ihre beiden zweijährigen Kinder hatten die Frau aus Versehen im Badezimmer eingeschlossen. Klaus Becker und sein Kollege brachen die Wohnungstür auf, befreiten die Frau und konnten Schlimmeres verhindern, denn in der Wohnung stand das Essen auf dem Herd und durch den angeschalteten Herd bestand akute Brandgefahr.
Doch das war noch nicht alles: Zuhause angekommen entdeckte Becker seinen 74-jährigen Nachbarn bewusstlos in dessen Auto. Sofort alarmierte er den Notarzt – und rettete dem Nachbarn so das Leben. Als er am gleichen Nachmittag mit seinem Hund spazieren ging, sah er auf einmal hinter einem Gebüsch zwei Beine heraus ragen – sie gehörten einer am Boden liegenden, blutüberströmten Frau, die sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Becker gelang es, die Blutung zu stillen, dann benachrichtigte er den Rettungsdienst. An einem Tag drei Leben zu retten, „das ist dreimal dem Schicksal begegnen, ich ziehe meinen Hut vor Ihnen“, würdigte Lewentz den Sonderpreisträger: „Es ist eine Ehre, das Sie heute hier sind.“
Info& auf Mainz&: Zivilcourage kann man übrigens lernen, wer mehr dazu wissen will, wird bei der Kampagne der rheinland-pfälzischen Polizei „Wer nichts tut, macht mit“ fündig. Und wie sagte Elisa Steuler so schön: „Vielleicht macht der eine oder andere jetzt einfach mal wieder einen Erste-Hilfe-Kurs.“