Die Baugrube am Mainzer Landtag wird für die Archäologen immer mehr zur Schatzgrube: Am Mittwoch präsentierte die Mainzer Archäologiechefin Marion Witteyer einen reich verzierten römischen Steinquader, der aus der Grube geborgen wurde. Der 2000 Jahre alte Quader war Teil der römischen Stadtmauer – und steht womöglich für etwas viel größeres: Der Quader könnte Teil eines großen römischen Tempels gewesen sein, der den Mainzer Isis-Tempel noch weit in den Schatten stellen würde. Und der dürfte noch ganz in der Nähe im Boden liegen…
Im Sommer hatten die Archäologen unter dem Mainzer Landtag bereits die römische Stadtmauer lokalisiert, nun hoben sie einen ganz besonderen Stein aus der Mauer: Einen reich verzierten Eckquader, der unter anderem mit einer Vase, einer Zierleiste, Akanthusblättern an der Seite und einer Schlange geschmückt ist. „Ein Stein, der die Archäologen weiser macht“, nannte ihn Marco Sussmann vom Landtag – in der Tat: Der Stein öffnet eine echte Adventstür in die Mainzer Vergangenheit. Seit Herbst 2015 wird das ehrwürdige Deutschhaus, Sitz des Mainzer Landtags, umgebaut, für einen neuen Anbau in Richtung des Mainzer Schlosses mussten neue Fundamente ausgehoben werden – ein echter Glücksfall für die Archäologie. Etwa einhundert Kisten voller Funde bargen die Forscher bisher schon aus dem Erdboden.
„Hier hinten, so dachte man, war in Mainz eigentlich nicht viel los“, sagte Witteyer am Mittwoch bei der Präsentation der jüngsten Funde, „das ändert sich gerade – hier war die Hölle los.“ Denn in der Grube am Landtag lokalisierten die Archäologen unter anderem die Grundmauern der alten Kirche Sankt Gangolf, der Registratur und der Martinsburg der Mainzer Bischöfe. Schon im Sommer wurde hier eine wertvolle byzantinische Goldmünze gefunden, jetzt bargen die Forscher außerdem Keramikgefäße aus dem 10. Jahrhundert, eine Flöte, einen Läusekamm und einen Würfel aus Tierknochen aus dem Mittelalter sowie einen mit Silber verzierten Messergriff aus dem 16. oder 17. Jahrhundert. „Hier wurde gezockt“, sagte Witteyer schmunzelnd, die Vielzahl bunter Funde von der Römerzeit bis in die Neuzeit belegten zudem „eine intensive Nutzung des Geländes schon in frühfränkischer Zeit“.
Am Rheinufer in Höhe von Landtag und Schloss befand sich eine spätrömisch-fränkische Siedlung, das ist neu für die Mainzer Stadtgeschichte: Bislang hatte man die frühe fränkische Siedlung nur um den Dom herum angesiedelt, mit einer Ausbreitung bis zum heutigen Landtag hatte man nicht gerechnet. Doch schon die Ausgrabungen in der Mainzer Johanniskirche, dem Alten Dom von Mainz, machten in den vergangenen Monaten deutlich: Die frühe fränkische Siedlung war viel bedeutender, als bislang bekannt. Auch die Fundamente der heutigen Johanniskirche reichen wohl bis in 5. Jahrhundert nach Christus zurück, das würde den Dom der Merowinger zu einer der ältesten Kirchen Deutschlands machen. Mainz sei auch im Mittelalter offenbar eine sehr bedeutsame Siedlung samt Handelsplatz gewesen, sagte der Leiter der Generaldirektion Kulturelles Erbe, Thomas Metz.
Unter dem Landtagsanbau kam zudem die mittelalterliche Stadtmauer zutage, erbaut auf den Fundamenten der alten römischen Stadtmauer – das ließ die Forscher schon im Sommer staunen. Nun trat in dieser Stadtmauer auch noch ein ganz besonderes Stück zutage: Ein Eckstein aus dem 1. Jahrhundert nach Christus, geschmückt mit einem Relief von so herausragender Qualität, wie es die Archäologen in Mainz bisher nicht gefunden hatten. „Ein Stein dieser Größe setzt ein Gebäude erheblicher Größe voraus“, sagte Witteyer, „der Stein war Teil eines monumentalen Baus der Römerzeit, den man im 3. Jahrhundert abgerissen hat.“ Im dritten Jahrhundert wurde mit dem Bau einer Stadtmauer gegen die einfallenden Stämme der Völkerwanderungszeit begonnen, die Mauer schützte Mainz bis zum 30-jährigen Krieg im 17. Jahrhundert.
Für den Bau wurden Steinblöcke benachbarter Gebäude aus der Römerzeit verwendet, die entweder verfallen waren oder abgerissen wurden. Im dumpfig-matschigen Boden des Rheinufers wurden für die Stadtmauer statt der üblichen zwei Reihen Steinquader sogar vier Quader verwendet, alles wohl Steine ehemaliger Römermonumente. „Wir wissen, dass dort unten auch ein Altar verbaut ist, das können wir sehen“, sagte Witteyer. Bergen aber könne man den Altar nicht, das Herausheben mit schwerem Gerät sei an dieser Stelle für den Neubau nicht vorgesehen. Archäologie bedeute eben auch, die Funde für die Nachwelt und damit auch im Boden liegend zu erhalten, sagte Witteyer und fügte noch hinzu: Vereinbart mit dem Bauherren sei, dass man nicht weiter grabe als für das Fundament nötig.
Den verzierten Steinquader aber konnten die Archäologen mit Hilfe einer Baufirma bergen, nun rätseln die Archäologen über seine Bedeutung. Der Stein gehöre mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen sakralen Kontext, sagte Witteyer, darauf weise die Qualität des Reliefs hin, aber auch die dargestellte Vase, aus deren Seite sich eine Schlange winde. Das Tier könne Zeichen für Fruchtbarkeit und Erde sein – oder auch für eine Gottheit aus dem asiatischen Raum. So war die Schlange gemeinsam mit dem Raben Zeichen für Mithras, ein besonders bei römischen Soldaten beliebter Sonnen-Kult aus dem persischen Raum.
Weist der römische Steinquader also auf einen großen Mithrastempel hin? So weit wollte Witteyer nicht gehen, fest stehe aber: In der Umgebung des Landtags fanden Archäologen bisher jede Menge Altäre aus dem Umkreis des Militärs. „Ich gehe davon aus, dass hier in der Nähe ein großes sakrales Heiligtum steht“, sagte Witteyer. Das müsse doch sicher „stand“ heißen, fragte Mainz& nach.“Nein“, sagte Witteyer mit fester Stimme: „Steht.“ Damit sind sich die Archäologen also sicher, dass irgendwo in der Nähe ein weiterer Römertempel im Boden ruht.
Etwa 500 Meter entfernt, unter der heutigen Römerpassage, fanden Archäologen bei Bauarbeiten im Jahr 2000 einen römischen Isistempel, damals eine Sensation. Experten vermuteten damals schon eine sakrale Tempelstraße in der Umgebung. „Wir wissen, dass es weitere Tempelanlagen gibt, wir wissen nur nicht, wo die genau liegen“, sagte Witteyer. Der Steinquader nun weise auf einen monumentalen Tempelbau hin, der womöglich in einem Umkreis von einhundert Metern gestanden habe – „und der Tempel“, sagte Witteyer, sei „viel größer als Isis und etwas ganz Eigenes.“
Bis Ostern haben die Archäologen nun noch Zeit für die Erforschung des Untergrunds, weitere Funde werden erwartet. „Wir hoffen noch darauf, die Schlosspforte zu finden“, sagte Witteyer, „hier waren Mühlen, Schiffe, der Holzlagerplatz des Erzbischofs, da muss es auch eine Pforte durch die Stadtmauer gegeben haben.“
Info& auf Mainz&: Mehr zu den Funden in der Baugrube am Mainzer Landtag findet Ihr hier bei Mainz&, mehr zu dem Bauprojekt Landtag selbst genau hier.