Wer in Mainz eine Grube gräbt, findet bekanntlich Historisches, aber nicht immer ist es so bedeutend, wie in diesem Fall: Ausgerechnet unter dem Mainzer Landtag haben die Mainzer Archäologen – passenderweise – richtig spannende Dinge aus der Mainzer Stadtgeschichte zutage gefördert. „Wir haben die römische Stadtmauer gefunden“, sagt Landesarchäologin Marion Witteyer stolz. Und noch etwas gruben die Archäologen aus dem schwarzen Schlick im Untergrund: Eine Goldmünze aus der Byzantinerzeit, vergleichbar einem 1000-Euro-Schein. Da wurden die mittelalterlichen Keller und die Fundamente der Kirche St. Gangolf fast zur Nebensache.
Seit Herbst 2015 wird der ehrwürdige alte Landtag an der Großen Bleiche nun schon umgebaut. Das alte Deutschhaus, ein altes Palais aus dem 18. Jahrhundert, war in die Jahre gekommen: Marode Technik, zu wenig Büros, mangelhafte Barrierefreiheit – seit dem Wiederaufbau Anfang der 1950er Jahre war hier nicht mehr saniert worden. So gab der Landtag eine grundlegende Umgestaltung in Auftrag, das Plenarrund zog mit Tischen und Stühlen in die Steinhalle des Landesmuseums um.
Inzwischen ist von dem alten Deutschhaus nur noch die Hülle übrig: Bis auf die rohen Wände hinunter wurde das Gebäude inzwischen entkernt, die einstige Pracht ist verschwunden, der Plenarsaal eine traurige Baustelle. Das Jahr 2017 ist nun noch für weitere Rohbauarbeiten reserviert. 2018 sollen dann die Wiederaufbau-Arbeiten beginnen, zunächst an Gebäudehülle und Dach, dann die Grobinstallation der Haustechnik, schließlich der Innenausbau. Der Innenausbau samt Feintuning wird dann noch das ganze Jahr 2019 in Anspruch nehmen, erst 2020 wird der neue Landtag fertig zum Einzug werden.
Damit wird der Landtag übrigens zwei Jahre später fertig als ursprünglich geplant – und er wird deutlich teurer: Ursprünglich war von 49 Millionen Euro die Rede, jetzt bezifferte Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) die Kosten auf 58 bis 60 Millionen Euro. In der ursprünglichen Kostenschätzung sei die Inneneinrichtung mit gut 4,3 Millionen Euro noch nicht enthalten gewesen, sagte Hering jetzt, ebensowenig die Kostensteigerung von 2 bis 2,5 Prozent. Zudem habe man noch Baurisiken neu eingepreist. Und Baurisiken gebe es bei so einem alten Prachtbau reichlich.
Doch des einen Leid ist bekanntlich des anderen Freud: Ein halbes Jahr dürfen die Archäologen den Untergrund vor und neben dem Landtag erkunden. Hier wurde etwa das alte Landtagsrestaurant abgerissen, dazu eine größere Baugrube rund um den neu entstehenden Anbau ausgehoben, die sich auch rund um die Frontfassade erstreckt. Und dabei machten die Archäologen reiche Funde: Vor dem alten Deutschhaus legten sie mittelalterliche Kelleranlagen frei, in denen sich die Lager für riesige Fässer fanden, die wohl mit Kalk gefüllt waren – wofür, ist noch unklar.
Neben dem Deutschhaus standen die Ausgräber dann auf einmal auf einem Mosaik alter Fundamente und Mauern. Was hier einmal stand, zeigt etwa eine Stadtansicht von Mainz von 1633, angefertigt von Kupferstecher Caspar Merian, der auch den gleichnamigen Frankfurter Verlag führte. Darauf zu sehen: Die alte Martinsburg der Mainzer Erzbischöfe an der Stelle, wo heute das Kurfürstliche Schloss steht sowie die Mainzer Stadtmauer links daneben. Jüngere Stadtansichten aus dem 18. Jahrhundert zeigen an Stelle der Stadtmauer die Deutschordenskommende sowie eine Kirche – St. Gangolf.
Nun legten die Archäologen in der Baugrube vor dem Landtag die Fundamente des Turms von St. Gangolf wieder frei, auch die alte Krypta wurde gefunden – hier wurden einst Herz und Organe der verstorbenen Mainzer Erzbischöfe in Urnen bestattet. Dass von den Urnen noch etwas übrig sein könnte, hält Witteyer für unwahrscheinlich, vor dem Abriss von St. Gangolf sei die Krypta sicher geräumt worden, glaubt sie. Dennoch sind die Archäologen gespannt, ob sich nicht doch noch irgendwelche Überbleibsel in den Überresten der frühmittelalterlichen Kirche im Boden finden.
St. Gangolf wurde im 17. Jahrhundert stark durch ein Hochwasser beschädigt, berichtete Witteyer. 1730 fiel sie wohl auch deshalb dem Neubau des Deutschhauses zum Opfer. „Wir haben eine ganze Reihe neuer Erkenntnisse, vor allem in Bezug auf die Deutschhauskommende“, sagt Witteyer denn auch. Die Ritter vom Deutschen Orden hatten ihre Niederlassung – die Kommende – in Mainz bereits 1193 gegründet, das herrschaftliche Deutschhaus war als Residenz für den Hochmeister des Ordens gedacht – das war nämlich niemand anderes als der damalige Mainzer Erzbischof Franz Ludwig von der Pfalz. In den alten Kellern legten die Archäologen nun das Ursprungsgewölbe frei, alte Sandsteinpfeiler inklusive.
Draußen vor der Tür aber mussten die Archäologen Mauer-Puzzle spielen: Die Fundamente der mittelalterlichen Stadtmauer fanden sich, ihre Linie verläuft genau unter der Frontfassade des Deutschhauses. Aber wo war die Stadtmauer aus der Mitte des 3. Jahrhunderts?
Die Archäologen hatten gemutmaßt, sie könne näher zum Rhein liegen, berichtet Witteyer – doch da war sie nicht. Ebensowenig vor der Deutschhausfassade – nanu? Des Rätsels Lösung brachte schließlich ein alter Abwasserkanal: Der mit einem Tonnengewölbe nach oben abgedichtete Kanal von fast zwei Meter Höhe verläuft parallel zur Großen Bleiche in Richtung Rhein. Der vielleicht auch 1730 angelegte Kanal diente wohl einmal dazu, das Bleichenviertel zu entwässern – „hier ist vielleicht einmal die Umbach gefasst worden“, sagt Witteyer.
Als die Archäologen dann ein Stück weit in den Kanal hinein krabbelten, stießen sie plötzlich auf sehr große, sehr ordentlich zugehauene Steinquader – das war’s! Die Quader sind eindeutig römischen Ursprungs und liegen genau unter der mittelalterlichen Stadtmauer. „Die römische Stadtmauer liegt unter der mittelalterlichen“, ist sich Witteyer sicher, doch wie genau sie vom Deutschhaus aus verlief, das ist weiter unklar. Das halbe Dutzend Blidenkugeln, das die Archäologen vor der mittelalterlichen Stadtmauer ausgruben, wurde da schon fast zur Nebensache – die perfekt runden Steinkugeln dienten einmal als Geschosse von Schleudermaschinen (Blide) und wurden wahrscheinlich in späterer Zeit als Dekoration verwendet. Ganz ähnliche Steinkugeln wurden vor kurzem auch bei den Ausgrabungen neben dem Römerschiffmuseum gefunden.
Doch alle Funde verblassen im wahrsten Sinne des Wortes vor dem gefundenen Schmuckstück der Grube: Eine kleine Münze in glänzendem Gold gruben die Forscher aus dem schwarzen Schlamm im Untergrund. Geprägt wurde sie vom byzantinischen Kaiser Heraklios im Jahr 610, auf ihrer Vorderseite zeigt sie eben diesen Kaiser samt seinem Sohn, auf der Rückseite die Siegesgöttin Augusta. „Byzantinische Münzen sind sehr selten“, sagt Witteyer strahlend, nicht einmal eine Handvoll gebe es.
Und diese Münze könnte noch eine besonders seltene sein: Der Prägeort gibt nämlich Rätsel auf. Üblicherweise nämlich wurden solche Münzen in Konstantinopel geprägt, sagt Witteyer, doch statt dem üblichen Kürzel für Konstantinopel steht auf der Mainzer Münze die Prägung BOXX. „Ich habe nur eine einzige Münze gefunden, auf der dasselbe Kürzel steht“, sagt Witteyer – welcher Ort damit bezeichnet wurde, sei noch unklar.
Klar ist jedenfalls: Die Goldmünze besaß einen hohen Wert, einen sehr hohen sogar, zumal die Münze wenig abgegriffen und deshalb noch sehr neu gewesen sein muss. „Mehrere Pferdchen“ habe man dafür bekommen, sagt Witteyer. Ein normales Zahlungsmittel sei das nicht gewesen, „hier muss etwas Großes gehandelt worden sein“, sagt die Archäologin. Und dabei fiel einem der Handelnden offenbar die Münze in den Uferschlamm und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Muss der geflucht haben…. „Wir laufen ja auch nicht mit einem 1000-Euro-Schein durch die Gegend“, sagt Witteyer: Die Goldmünze belege jedenfalls, dass Mainz auch in der Spätantike „nicht irgendein kleines Dorf“ gewesen sei – sondern eine große Handelsmetropole am Rhein.
Info& auf Mainz&: Mehr zur Geschichte des Deutschhauses, zum Umbau des Mainzer Landtags und wie es im Deutschhaus einmal aussehen soll, lest Ihr hier bei Mainz&. Und weil es so viel Spannendes im und um das Deutschhaus herum gab – hier unsere Bildergalerie zu den Funden!