Es ist ja eigentlich überraschend: Zum Thema Bahnlärm und Gesundheit gibt es europaweit bislang keine einzige Studie. Verblüffend, wissen doch Anwohner – vor allem im engen Mittelrheintal – wie nervtötend der Schienenlärm sein kann, 80 Dezibel sind hier keine Seltenheit. In den kommenden zehn Jahren müsse deshalb entlang der Rheintrasse mit 75.000 zusätzlichen Krankheitsfällen, und davon 30.000 Todesfällen gerechnet werden. Das sagt der Epidemiologe Eberhard Greiser, seine Prognose ist heute auch Thema auf einem Bahnlärm-Kongress in Boppard.
Greiser ist jener Bremer Gesundheitsforscher, der mit seiner Lärmstudie rund um den Köln-Bonner Flughafen für Aufsehen sorgte. Kritiker warfen ihm unsaubere Methoden und überzogene Annahmen vor, denselben Vorwurf wird sich Greiser auch mit dieser Untersuchung aussetzen: Für seine Prognose in Sachen Bahnlärm hat der Forscher nämlich nicht untersucht, sondern schlicht gerechnet.
Seine Annahme: Die Bahnstrecke von Genua nach Rotterdam, die in Deutschland entlang des Rheintals verläuft, wird durch den Ausbau in den Alpen künftig noch deutlich mehr Güterverkehr bekommen. Laut der offiziellen Lärmwerte des Eisenbahnbundesamtes seien in Deutschland entlang dieser Trasse insgesamt rund 1,9 Millionen Menschen zwischen 40 und 84 Jahren von einem Bahnlärm mit mehr als 46 Dezibel betroffen. Am schlimmsten ist der Lärm natürlich im Mittelrheintal, hier multipliziert das enge Tal den Lärm, dazu donnern hier besonderes viele und lange Güterzüge bei Nacht durch.
Von diesen Nachtzügen hätten 106 Züge einen Dauerschallpegel von knapp unter 80 Dezibel, sagt Greiser. Schlimmer noch: das Zeitfenster zwischen den Zügen betrage oft nur noch drei bis acht Minuten. Diese Dauerbelastung erhöht laut Greiser die Risiken für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenversagen und sogar für Demenzerkrankungen. Das legten auch die Ergebnisse einer Untersuchung nahe, die Greiser derzeit im Auftrag des Umweltbundesamtes in Bremen durchführt. So weit, so gut.
Dann aber greift Greiser auf seine eigene Untersuchung zu den Auswirkungen von Fluglärm um den Flughafen Köln-Bonn herum zurück – und überträgt die Risikofaktoren auf den Bahnlärm. „Schienenlärm durch die Vorbeifahrt von Güterzügen weist eine ähnliche Charakteristik auf wie Fluglärm“, behauptet Greiser. Die Dauer des Lärms sei bei Güterzügen sogar erheblich länger, die Auswirkungen deshalb zum Teil schlimmer. Hm.
Wir finden ja nicht wirklich, dass Fluglärm und Bahnlärm vergleichbar sind, bringen doch die Flugzeuge ein Heulen und Pfeifen mit sich, dass viel unerträglicher ist, als das – wenn auch laute – Rauschen der Züge. Wahr ist aber sicher der Zusammenhang zwischen der Ausschüttung von Stresshormonen durch Lärm und gestiegene Risiken für Herz, Kreislauf und – wie Greiser meint – auch auf das vegetative Nervensystem, womit wir tatsächlich bei Depressionen wären.
Greiser nimmt dann statistische Krankendaten aus dem Jahr 2012 und rechnet die hoch, so kommt er auf 29.700 Erkrankte im Jahr, von denen rund 14.600 an diesen Erkrankungen gestorben wären. Hochgerechnet auf zehn Jahre ergibt die genannten Horrorzahlen. „Was ich gemacht habe, muss mit einiger Vorsicht betrachtet werden“, sagte Greiser denn auch, die Zahlen seien keine exakte Studie, sondern nur eine Prognose.
Ob Schienenlärm die Sterblichkeit erhöhen könne, das habe schlicht noch keiner untersucht, betont Greiser. Auch gebe es als einziges Krankenregister das Krebsregister. „Geben Sie mir bessere Zahlen, dann nehme ich die“, betont Greiser, und fordert, es brauche dringend eine richtige Studie zu den Auswirkungen von Bahnlärm. Da dürfte er Recht haben.
Bei der Anti-Bahnlärm-Initiative Pro Rheintal jedenfalls zeigte man sich von den Zahlen erschüttert: „Die Zahlen hauen einen ja um“, sagt der Vorsitzende Frank Gross. Die Lärmwerte seien schließlich „keine Theorie, wir erleben das ja jeden Tag“, betont er. Auch seien die Pegel des Eisenbahnbundesamtes nur Mittelungspegel und lägen um 20 Dezibel unter dem tatsächlichen Lärm. „Die Erkrankungs- und Todeszahlen liegen wahrscheinlich noch viel höher“, meint Gross, und auch Greiser betont, die Betroffenenzahlen seien vermutlich zu niedrig angesetzt.
„Wir befinden uns mit dem Bahnlärm seit 40 Jahren im rechtsfreien Raum“, kritisiert Gross weiter, die Menschen seien dem Lärm schutzlos ausgeliefert. Die Prognose sei „ein Hilferuf an Professor Greiser“ gewesen, eben weil es keine Studien zu dem Thema gebe. Nun will die Initiative prüfen, inwiefern man mit den Zahlen juristisch agieren kann.
Um all diese Themen – Recht, Gesundheit, Lärmreduzierung – geht es auch auf einem Bahnlärm-Kongress, der heute Morgen startet und bis Samstagabend geht. In Boppard diskutieren auf Einladung von Pro Rheintal Juristen und Mediziner über das Thema Bahnlärm, sogar die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Maria Krautzberger, will kommen.
Das dürfte spannend werden, sind doch bislang solche Erkenntnisse selten zusammengetragen worden. Genau das will Pro Rheintal ändern – und will ein 120 Seiten starkes Kompendium präsentieren. Darin: der neueste Stand der Technik beim Lärmschutz, Beiträge der Kongress-Referenten und neueste Erkenntnisse zum Thema Bahnlärm.
Eines aber ist jetzt schon klar: Der Druck der Bürger auf die Politik wächst: Lärm, egal ob aus der Luft und von der Schiene, wird eines der großen Themen unserer Zeit werden. Es wird Zeit, dass die Politik aufwacht.
Info& auf Mainz&: Internationaler Bahnlärm-Kongress am 13. und 14. März 2015 in der Stadthalle Boppard. Die Teilnehmergebühren sind allerdings happig: 245,- Euro pro Person, für Mitglieder von Bürgerinitiativen 145,- Euro. Dafür gibt’s Freitagabend auch ein Gala-Diner mit Weinprobe. Informationen zum Kongress findet Ihr in diesem Programmflyer und auf dieser Internetseite, zur Internetseite von Pro Rheintal geht es hier. Zum Thema „Bahnlärm macht krank“ gibt es hier ein Kompendium von Pro Rheintal. Greiser und seine Studie findet Ihr hier.