Das Verkehrschaos um die Schiersteiner Brücke ist schon fast zwei Wochen alt, da gibt es neuen Ärger um den Ausbau der Autobahn 643. Das Bundesverkehrministerium hat jetzt nämlich eine Weisung erneuert, dass die Vorlandbrücke auf Mainzer Seite gefälligst sechsspurig auszubauen ist. Man werde nun beginnen, dafür Planungsrecht zu schaffen, hieß es am Montag bei einem Termin in Mainz. Jetzt erst? Ja, jetzt erst.
Man reibt sich ja wirklich verwundert die Augen bei solchen Planungen, aber tatsächlich besteht auf Mainzer Seite nur ein Baurecht für ein kleines Verlängerungsstück zur Schiersteiner Brücke. Das „Herzstück“ genannt Teil soll dazu diesen, den Verkehr von der neuen Brücke auf die alte Vorlandbrücke zu leiten – das aber bleibt eine Baustelle, in der wohl weiter maximal 60 kmh gefahren werden darf. Wie lange? Das wird dauern, hieß es am Montag.
Die gute Nachricht: die Experten vom Landesbetrieb Mobilität gehen davon aus, dass ab April wieder Pkws über die Schiersteiner Brücke rollen können. Die alte Vorlandbrücke werde durch vier neue Pfeiler unterfüttert, berichtete LBM-Geschäftsführer Bernd Hölzgen am Montag bei einem Termin unter der Brücke. Dabei schweifte der Blick natürlich nach oben – und da sieht man in dem Beton sehr viele haarfeine Risse. Diese Risse seien wohl durch das Absinken der Brücke entstanden, sagte Hölzgen, Bedenken hatte er wegen der Risse aber nicht.
Vor knapp zwei Wochen hatte sich wegen Bauarbeiten an der Brücke in der Nacht plötzlich einer der Pfeiler schief gestellt, dadurch wurde das Rollenlager zwischen Pfeiler und Brücke herausgesprengt, die Brücke krachte nach unten – etwa 30 Zentimeter weit. Seither ist die Schiersteiner Brücke voll gesperrt. Das führte am Montag erneut zu Kilometer langen Staus in Mainz und auf dem Autobahnring – wieder stand der Verkehr 15, 16 Kilometer lang bis Heidesheim.
Und daran wird sich so schnell nichts ändern. Verkehrsminister Roger Lewentz (SPD) bedankte sich am Montag zwar ausdrücklich bei all den Pendlern, die auf die Bahn umgestiegen seien. „Das ganz große Chaos ist ausgeblieben“, sagte Lewentz. Die Verkehrssituation sei weiter „schwierig, aber sie konnte gehandelt werden.“ Gleichzeitig bekannte der Minister gegenüber Mainz& aber auch: alle Möglichkeiten gegen das Chaos seien „ausgereizt“. Tja…
Über die Ursache des Unfalls wollte Hölzgen erneut nichts sagen. „Wir vermuten einen Bauunfall„, betonte der technische Geschäftsführer, die Ursache müsse aber noch genau geklärt werden. Das habe aber nicht „oberste Priorität gehabt“, sagte Hölzgen – wichtiger war erst einmal die Stabilisierung der Brücke. Eine Beweissicherung habe man aber durchgeführt, versicherte Hölzgen. Baulastträger sei zudem der Bund.
Der schiefe Pfeiler wurde inzwischen mit Kanthölzern zur Fahrbahn oben drüber stabilisiert, auch der zweite Pfeiler nebendran musste gestützt und verstärkt werden – er trägt zurzeit das gesamte Gewicht. Bis Ende März sollen vier weitere Pfeiler die Konstruktion verstärken, die Fahrbahn um die verlorenen 30 Zentimeter wieder angehoben werden. „Die Risse werden sich dann wieder schließen“, meinte Hölzgen. Was dann noch offen sei, werde mit Betonmilch oder einem Harz verschlossen.
So weit, so gut – doch wie geht es mit der Brücke weiter? Während auf hessischer Seite ein sechsspuriger Ausbau im Anschluss an die eigentliche Rheinbrücke gebaut wird, wird auf rheinland-pfälzischer Seite nur ein kleines Teilstück gebaut: eine Verlängerung der Rheinbrücke, die dann aber abrupt endet.
Das heißt im Klartext: Eine gerade Verlängerung der Schiersteiner Brücke auf eine Vorlandbrücke gibt es noch nicht. Die Pläne dafür lägen in der Schublade, bestätigte Hölzgen, doch es besteht noch nicht einmal Baurecht. Man werde jetzt die Unterlagen für ein Planfeststellungsverfahren zusammenstellen und das Verfahren starten, sagte Hölzgen. Allein das Planfestellungsverfahren werde ein Jahr dauern – bis echtes Baurecht besteht, kann es deutlich länger dauern.
Der Grund: Das Naturschutzgebiet Großer Sand. Dieses einmalige steppenartige Gebiet gilt als besonders wertvoll, Naturschützer laufen seit Jahren Sturm gegen einen Ausbau der Autobahn, die genau durch dieses Gebiet führt. In der Stadt Mainz hatte es deshalb jahrelange Auseinandersetzungen gegeben, bis sich alle Parteien auf eine 4 plus 2-Lösung einigten.
Danach würde die Autobahn zwischen der Schiersteiner Brücke und dem Autobahndreieck Mainz nur mit vier regulären Spuren plus zwei Standstreifen ausgebaut. Die Standstreifen könnten, so die Kalkulation, in den Stoßzeiten als zusätzliche Spuren dienen. Doch von diesem Mainzer Kompromiss hält das Bundesverkehrsministerium gar nichts, der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hatte deshalb per Weisung den sechsspurigen Ausbau verfügt.
Nun habe sein Nachfolger Alexander Dobrindt (CSU) diese Weisung vor wenigen Tagen erneuert, räumte Lewentz ein. „Wir gehen jetzt weisungsgemäß in die Planfeststellung“, sagte der Mainzer Minister, doch nun habe man „ein sehr hohes Klagerisiko.“ Die 4 plus 2-Lösung hatte nämlich Klagen der Umweltverbände vorbeugen sollen, das aber ist jetzt dahin. Und wenn Klagen kommen – was ziemlich sicher ist – wird sich die Feststellung von Baurecht womöglich um Jahre verzögern.
Aber wenn das alles schon lange klar war – wieso hat man dann nicht gerade deswegen frühzeitig mit den Planungen angefangen? Sind die Rheinland-Pfälzer nicht erheblich zu spät dran? „Nö“, sagte Hölzgen, die Planungen auf Mainzer Seite seien einfach erheblich schwieriger als in Hessen. Dort verlaufe die Autobahn durch Industrie- und Gewerbegebiete, da sei die Planung „wesentlich einfacher.“
Bei dem ökologisch so wertvollem Naturschutzgebiet Großer Sand habe man erst einmal eine europäische Genehmigung einholen müssen, so etwas dauere. Hölzgen sprach außerdem von „der Ungewissheit aufgrund der Natur“ – eine Erklärung, warum bisher versäumt wurde, Planungsrecht zu schaffen, ist das nicht.
Eine Ursache ist wohl im Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen zu suchen: Dort stehe, man „lote eine 4 plus 2 Lösung aus“, sagte Lewentz am Montag, die sei mit der Weisung des Bundes aber hinfällig. Er wolle aber Dobrindt noch einmal vorschlagen, die Strecke zwischen der Abfahrt Gonsenheim und dem Autobahndreieck bei 4 plus 2 zu belassen. Also würde das so aussehen: eine sechssurige Brücke, danach zwei Kilometer sechsspuriger Ausbau – und dann noch einmal zwei Kilometer nur vierspurig plus zwei Seitenstreifen. Ah ja.
Damit aber müsste die alte Vorlandbrücke noch einige Jahre durchhalten. „Das muss halten“, sagte dazu der Abteilungsleiter im Verkehrsministerium, Lothar Kaufmann, „sonst hätten wir ein richtig großes Problem.“ Man werde aber natürlich keine Autos über eine unsichere Brücke fahren lassen, betonte er: „Wir sind ja keine Hasardeure.“ Beruhigend 😉
Und was das Verkehrschaos angeht: da müssen wir wohl erst mal bis Ende März noch durch. „Da hilft jetzt nur: Nerven behalten“, sagte Lewentz. Eine gute Nachricht: vom angedrohten Bahnstreik ist weiter nichts in Sicht. Wir vermuten mal, die Gewerkschaft deutscher Lokführer traut sich gerade nicht so recht…
Info& auf Mainz&: Informationen zur aktuellen Verkehrslage findet Ihr unter www.verkehr.rlp.de, www.lbm.rlp.de, und www.mobil.hessen.de, Infos zu Bussen und Bahnen auf www.der-takt.de oder auf den Seiten der Verkehrsunternehmen www.bahn.de, www.vlexx.de, www.mvg-mainz.de und www.rmv.de.