Immobilienbesitzer in Mainz erhalten in diesen Tagen ihre neuen Grundsteuerbescheide – und auf die meisten wartet dann ein gehöriger Schock: Die neuen Messbeträge in den bescheiden liegen um ein vielfaches höher als bislang. Hausbesitzer berichten gegenüber Mainz& von sechsfach oder auch bis zu 17-fach gestiegenen Messbeträgen – den Hausbesitzern drohen horrend gestiegene Kosten, denn bislang hat Mainz seine Hebesätze nicht angepasst. Das trifft im Übrigen auch Mieter: Die Grundsteuer darf auf die Miete umgelegt werden. Der Bund der Steuerzahler fordert nun die Stadt Mainz, aber auch das Land Rheinland-Pfalz auf, Hebesätze und Berechnungsgrundlagen schnell zu ändern.
Es war im April 2018, als das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil die bisherige Berechnung der Grundsteuer in Deutschland für grundgesetzwidrig erklärte: Die jahrzehntealten Berechnungswerte seien veraltet, Wertverzerrungen führten zu Ungleichbehandlungen – die Richter sahen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt, und gaben dem Gesetzgeber auf, Abhilfe zu schaffen: Die Grundsteuer sollte gerechter werden.
Doch seither kämpfen Bund, Länder und Kommunen mit dem Mammutprojekt: Bundesweit müssen Millionen von Immobilien und Grundstücken neu berechnet werden, alle Immobilien- und Grundstückbesitzer waren deshalb aufgefordert, bis Ende Januar 2023 eine Grundsteuererklärung abzugeben, doch noch immer sind die Erklärungen nicht vollständig: Zum 1. Februar 2023 waren erst 78,1 Prozent aller Erklärungen abgegeben. Mitte Februar monierten die Freien Wähler: Das Land Rheinland-Pfalz selbst habe erst für 40 Prozent seiner eigenen Einheiten eine Erklärung abgegeben.
Schock bei Hausbesitzern: Messwert versechsfacht – oder mehr
Derweil treffen nun bei den Haus- und Wohnungsbesitzern die ersten Bescheide ein – und mit ihnen echte Schockwellen: Denn die neuen Messbeträge auf den Bescheiden machen ein Vielfaches der alten Beträge aus. „Mein Messbetrag hat sich knapp versechsfacht“, berichtet etwa Mainz&-Leser Hans Peter Czyrka geschockt – Czyrka besitzt ein kleines, 65 Jahre altes Einfamilienhaus und Grundstück in Mainz-Laubenheim.
An seinem Haus oder Grundstück habe sich im Vergleich zu vorher nichts verändert, versichert er, dennoch müsste er in Zukunft statt bisher knapp 150 Euro Grundsteuer im Jahr rund 860 Euro zahlen. „Das ist doch wahnsinnig“, findet er: „Sechsmal mehr – das ist einfach unglaublich.“ Czyrka ist beileibe nicht der einzige: In ganz Mainz starren derzeit Immobilienbesitzer ungläubig auf die neuen Bescheide, immer mit deutlich gestiegenen Messbeträgen. Seinem Nachbar sei gar eine 17-fache Anhebung in Aussicht gestellt worden, berichtet Czyrka. Besitzer von Eigentumswohnungen berichten zudem: Bei gleicher Lage, Größe und gleicher Ausstattung würden völlig unterschiedliche Bescheide verschickt.
Die Explosion der Steuerbeträge fußt auf zwei Bausteinen, erklärt Frank Senger, Leiter der Abteilung Haushalt und Finanzen beim Bund der Steuerzahler (BdSt) Rheinland-Pfalz. Zum einen sind da die neuen Messbeträge: Diese stiegen so deutlich, weil seit der letzten Berechnung die Bodenrichtwerte in Mainz so stark gestiegen seien, erklärt Senger. Der Bodenrichtwert ist ein Grundstücks-Bewertungspreis, der für jeden Stadtteil oder jedes Baugebiet in einem Stadtteil auf der Grundlage seiner Attraktivität festgelegt wird, und zwar von einem Gutachterausschuss alle zwei Jahre.
Bodenrichtwerte vervielfacht, Hebesätze anhaltend hoch
„Der Bodenrichtwert soll anzeigen, was ein Quadratmeter Grund und Boden durchschnittlich wert ist, wenn er unbebaut wäre“, erklärt Senger. Bodenrichtwerte werden in der Regel aus Verkaufspreisen von Immobilien abgeleitet – je mehr die Preise in einem Gebiet also explodieren, desto mehr steigt der Bodenrichtwert. In Mainz aber sind gerade in den vergangenen fünf bis zehn Jahren die Immobilienpreise in astronomische Höhen gestiegen, dementsprechend wurden auch die Bodenrichtwerte angepasst: Lag zum Beispiel der Bodenrichtwert in Mainz-Bretzenheim 2014 noch bei 460, so liegt er in manchen Lagen heute bei über 1100 Punkten, wie Unterlagen zeigen.
Der Messbetrag für ein Grundstück errechnet sich maßgeblich aus dem Bodenrichtwert, zur Berechnung der Grundsteuer wird er dann aber noch mit dem Hebesatz multipliziert – und der ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. In Mainz liegt der Hebesatz derzeit bei 480 Prozent, die Landeshauptstadt sei damit die neuntteuerste Stadt in Rheinland-Pfalz, sagte Senger. Die Senkung des Steuer-Hebesatzes war auch Thema in den Haushaltsberatungen Ende 2022, doch Stadtspitze und Stadtratsmehrheit hätten sich „beharrlich geweigert“, den Hebesatz zu senken, kritisiert der Bund der Steuerzahler.
Würde der Hebesatz gleich bleiben, die Immobilienbesitzer in Mainz müssten sich auf erhebliche Steuerexplosionen gefasst machen, Mieter auf weiter steigende Mieten – doch genau das solle nicht geschehen, hatte die Politik versprochen: Die Reform werde für die Bürger „aufkommensneutral sein“, versprachen etwa Landes-Finanzministerin Doris Ahnen (SPD) ebenso wie der damalige Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD): Der Bürger solle nicht mehr zahlen müssen, der Staat werde sich keine goldene Nase verdienen.
Steuerzahlerbund: Hebesätze senken, Versprechen einhalten
Beim BdSt hat man angesichts der neuen Steuerbescheide erhebliche Bedenken, wie das gehen soll: „Wir fordern, den Hebesatz so stark zu senken, dass die Grundsteuer tatsächlich aufkommensneutral wird“, betont Senger, und auch BdSt-Geschäftsführer René Quante argwöhnt: „Man darf gespannt sein, ob in Mainz wenigstens das politische Versprechen der Aufkommensneutralität erfüllt, oder ob die Grundsteuerreform als neue Abzocke missbraucht wird.“
Mainz könne sich Dank der neuerdings sprudelnden Steuereinnahmen eine Senkung der Grundsteuer „schon heute problemlos leisten“, doch genau das hätten Stadtspitze und Ratsmehrheit 2022 verweigert, kritisiert Quante, und fragt „Aber warum?“ Für 2023 und 2024 werde mit einem positiven Jahresergebnis von jeweils geschätzten 150 Millionen Euro gerechnet, die geschätzten Einnahmen aus der Grundsteuer B lägen hingegen „nur“ bei jeweils gut 42 Millionen Euro.
„Selbst im illusorischen Fall eines kompletten Verzichts auf die Grundsteuer B wäre Mainz dick im Plus“, rechnet Quante vor: „Wie groß muss der Überschuss also ausfallen, bis die Politik meint, den Hebesatz senken zu können? Oder soll die städtische Vermögensverwaltung künftig Warren Buffet Konkurrenz machen?“
Land erhöhte 2022 Nivellierungssatz um 100 Punkte
Tatsächlich sind Zweifel an einer erheblichen Senkung der Hebesätze angebracht, denn das Land Rheinland-Pfalz hat im September 2022 eine andere Kennzahl schnell noch erhöht: Der sogenannte Nivellierungssatz wurde bei der Grundsteuer B – also der Steuer für Grundbesitz – um satte 100 Prozentpunkte angehoben, also von 365 Prozent auf 465 Prozent. Der Nivellierungssatz aber markiert den Standardhebesatz im Landesausgleichsgesetz, an dem sich die Verrechnung des Kommunalen Finanzausgleichs zwischen den Kommunen orientiert.
Liege nun der Hebesatz einer Gemeinde unter diesem Richtwert, so verliere die Gemeinde Geld, weil sie mehr an den Finanzausgleich abführen müsse. Umgekehrt erhalte eine Gemeinde mit höherem Hebesatz Geld aus dem Ausgleich, das Ergebnis: „Die Kommunen werden sich gezwungen sehen, noch in diesem Jahr die Grundsteuer anzuheben“, fürchtet Senger. Im Falle von Mainz wiederum hieße das: Senkt die Stadt den Hebesatz so deutlich, dass die neue Grundsteuer „aufkommensneutral“ wird – dann verliert sie massiv Geld an den Finanzausgleich.
Der Steuerzahlerbund hatte die Anhebung der Nivellierungssätze bereits 2022 scharf kritisiert: Die Reform drohe dadurch „für viele Bürger und Betriebe sehr teuer zu werden „, kritisierte damals BdSt-Präsident Rainer Brüderle. Und auch der Vorsitzender des Hausbesitzerverbandes „Haus & Grund Rheinland-Pfalz“, Christoph Schöll, warnte, es sei „ein Unding, dass nun speziell die Immobilieneigentümer“ bluten sollten – mit den gestiegenen Hebesätzen werde das Land „wortbrüchig“ werden, warnte er. Das Land hatte hingegen die Anhebung der Nivellierungssätze als „sachgerecht“ verteidigt, nun aber stellt sich die Frage: Wie soll die Neutralität des Steueraufkommens erreicht werden?
Versprechen: Grundsteuerreform sollte „aufkommensneutral“ sein
„Das Land wird noch deutlich mehr tun müssen, um das Versprechen der aufkommensneutralen Steuer einzuhalten“, sagt auch Senger – unter anderem müsse Rheinland-Pfalz ab 2025 die Nivellierungssätze wieder senken. Und egal, ob eine Kommune defizitär sei oder nicht, das Land müsse die Kommunalaufsicht dann auch anweisen, „einen aufkommensneutralen Hebesatz auf Dauer zuzulassen“, fordert Senger – sonst nämlich kann die Kommunalaufsicht einer defizitären Kommune einen höheren Hebesatz schlicht zur Vorgabe machen, so wie es in Mainz viele Jahre der Fall war.
In Mainz hatte zuletzt die SPD-Stadtratsfraktion das Versprechen bekräftigt, dass die Grundsteuerreform in Mainz aufkommensneutral umgesetzt werde, sagte Fraktionschefin Jana Schmöller Ende Januar: „Das heißt: Die Stadt wird NACH der Reform nicht mehr und nicht weniger als VOR der Reform einnehmen.“ Anlass waren da bereits die ersten eintreffenden Steuerbescheide. SPD-Finanzexperte Andreas Behringer erklärte dazu: „Auch wenn der Messbetrag für eine Wohnung oder ein Haus steigt, heißt es nicht zwangsläufig, dass ab Start der Reform im Jahr 2025 hierfür mehr Grundsteuern fällig werden.“
Denn die neuen Bescheide gelten erst ab dem 1. Januar 2025 – bis dahin zahlen Eigentümer die alten Steuersätze. „Sobald ausreichend Daten für Mainz vorliegen, werden wir die Stadtverwaltung beauftragen zu analysieren, wie sich die Messbeträge durch die Reform in der Stadt insgesamt verändert haben“, kündigte Behringer nun an: „Danach ist es, spätestens 2024, Aufgabe des Stadtrats, den Mainzer Hebesatz entsprechend anzupassen.“
Sollten Immobilienbesitzer Einspruch erheben?
Sollten die Messbeträge in Mainz insgesamt steigen, werde sich die SPD-Fraktion für eine Senkung des Mainzer Hebesatzes stark machen, versprachen die beiden Politiker, und erinnerten daran: Das Versprechen der „aufkommensneutralen Reform“ sei sogar im Koalitionsvertrag der Mainzer Ampel aus dem Jahr 2020 verankert worden.
Nur stellt sich angesichts der aktuellen Bescheide aber die Frage, ob die Rechnung überhaupt aufgehen kann: Im Fall von Hausbesitzer Czyrka etwa stieg allein schon der Messbetrag von rund 30 Euro auf 179 Euro an. Zahlte er bisher im ganzen Jahr eine Grundsteuer von rund 146 Euro, so liegt nach dem neuen Bescheid allein schon der Messbetrag über der alten Gesamtsteuer – der neue Hebesatz müsste de facto dann sogar ins Minus rutschen, damit die Grundsteuer für den Laubenheimer Hausbesitzer eben nicht, wie versprochen, ansteigt. „So tief kann der noch anzuwendende Hebesatz ab 2025 ja gar nicht fallen, um hier wieder auf einen erträglich bezahlbaren Wert zu kommen“, fürchtet Czyrka denn auch.
Sollten Immobilienbesitzer also nun Einspruch gegen die Bescheide erheben? Aussicht auf Erfolg habe ein solcher Einspruch nur, wenn darin echte Fehler etwa bei der individuellen Berechnung festgestellt würden, sagt der Experte – oder man sich beim Ausfüllen vertan habe. Ansonsten könnten Grundbesitzer auch die kommenden Klagen abwarten: „Unser Musterverfahren vom BdSt gemeinsam mit Haus und Grund wird voraussichtlich noch im März bei einem Gericht in Rheinland-Pfalz anhängig sein“, verriet Senger gegenüber Mainz&.
Rheinland-Pfalz hatte sich bei der Grundsteuerreform an dem Bundesmodell orientiert, andere Länder wie Baden-Württemberg, Hessen oder Bayern hatten hingegen eigene Modelle entwickelt – hier wird zum Teil bereits geklagt. Die beim Bundesmodell zugrunde gelegten Werte halte man für verfassungswidrig, betont Senger: „Sollte das Bundesmodell verfassungswidrig sein, gilt das für alle Bescheide.“
Info& auf Mainz&: Wer bereits ein Schreiben vom Finanzamt erhalten hat, sollte dieses sorgfältig auf Fehler prüfen – und in einem solchen Fall Einspruch einlegen, Das muss allerdings binnen eines Monats geschehen, Musterschreiben gibt es unter anderem hier beim Bund der Steuerzahler im Internet.