Der Fall der mitten in der Nacht aus der Mainzer Uniklinik zur Abschiebung abgeholten Iranerin wirft hohe Wellen. Am Freitag war durch einen Offenen Brief von zwölf Flüchtlings- und Sozialorganisationen der Fall bekannt geworden, nach dem eine schwangere Iranerin trotz Diabetes-Erkrankung in der Nacht zum 18. Oktober aus der Mainzer Universitätsmedizin abgeholt und zum Abschiebeflugzeug nach Hannover gebracht wurde. Nun kommen neue Details ans Licht: Nachdem die Abschiebung scheiterte, wurde die junge Frau samt einjährigem Sohn am Bahnhof in Hannover ausgesetzt, das Geld reichte nicht einmal für die Rückreise. Die Uniklinik betont unterdessen, sie habe der Frau keine Reisefähigkeit attestiert, die Kreisverwaltung Mainz-Bingen widersprach. Am Montag lud sie zum Erklärungstermin nach Ingelheim.
Bernd Misskampf, Leiter der Ausländerbehörde Ingelheim, verteidigte am Montag das Vorgehen der Behörden: Die Iranerin sei im Mai gemeinsam mit ihrem Ehemann und dem heute anderthalb Jahre alten Sohn aus Kroatien nach Deutschland gekommen. Weil die Familie aber schon in Kroatien einen Asylantrag gestellt hatte, habe hier die Dublin-Regel gegriffen, nach der das Land des ersten Kontakts zuständig sei. Im Sommer sei deshalb ihr Asylantrag in Deutschland abgelehnt worden, ebenso zwei Eilrechtsanträge vor Gericht, der letzte am 12. Oktober 2018. Daraufhin wurde die Abschiebung angesetzt, ein erster Versuch im September sei wegen Widerstands der Familie fehlgeschlagen, berichtete Misskampf.
Die zweite Abschiebung wurde für den 18. Oktober angesetzt, das sei der Frau sogar entgegen der Gepflogenheiten zuvor angekündigt, schriftlich und mit Übersetzung, betonte Misskampf. Am 17. Oktober habe die Behörde dann aber einen Anruf der Aufnahmeeinrichtung Ingelheim bekommen: die Frau sei weg, in eine Klinik, das Kind habe sie einer Bekannten übergeben. Die Ausländerbehörde machte die Frau schnell in der Mainzer Uniklinik ausfindig: dort war sie wegen ihrer Diabeteserkrankung aufgenommen worden, die Erkrankung macht i9hre Schwangerschaft nach Aussage von Experten zu einer Risikoschwangerschaft.
„Wir hatten eine relativ hohe Blutzuckerentgleisung, die war entsprechend behandelt worden“, sagte Misskampf nun am Montag. Er habe dann telefonisch mit der behandelnden Ärztin Kontakt aufgenommen und ihr geschildert, dass eine Abschiebung anstehe und wie man die durchführen wolle. „Wir hatten Begleitung zum Flughafen mit Rettungswagen und Notarzt vorgesehen, der Notarzt war auch auf den Flug mit draufgebucht“, sagte Misskampf. Auch sei eine ordnungsgemäße Übergabe an einen Arzt in Kroatien organisiert gewesen. All das habe er der behandelnden Ärztin dargelegt, „und die Frage erörtert, ob wir von einer Reiseunfähigkeit ausgehen müssen“, sagte der Amtsleiter weiter: „Die Antwort war nicht Ja.“ Es sei nicht von einer Reiseunfähigkeit auszugehen, habe die Ärztin gesagt, versicherte Misskampf auf Nachfrage.
Im Mainzer Universitätsklinikum bestreitet man das: „Reisefähigkeit wurde weder von den Behörden erfragt, noch von der Universitätsmedizin erteilt“, betont der Leiter der Mainzer Uniklinik, Norbert Pfeiffer. Gegenüber den Behörden sei seitens der Universitätsmedizin keine Reisefähigkeit attestiert worden – denn Reisefähigkeit bedeute, dass eine Person ohne wesentliche Einschränkung reisen könne. „Dies war bei der Patientin aufgrund ihres stationären Aufenthalts aus gesundheitlichen Gründen gerade nicht der Fall“, unterstreicht Pfeiffer. Die Klinik habe deshalb „sehr deutlich darauf hingewiesen, dass die Patientin allenfalls unter der Voraussetzung fortwährender medizinischer Betreuung transportiert werden könne.“ Diese sei der Klinik von den Behörden zugesichert worden.
Der Ausländerbehörde reichte das offensichtlich: Gegen 23.30 Uhr wurde die Iranerin von zehn bis zwölf Polizisten in Begleitung von Mitarbeitern der Ausländerbehörde aus der Uniklinik abgeholt. Das sei in einem sogenannten Aufwachraum geschehen, einem separaten Zimmer, sagte Misskampf: „Sie wurde gebeten, ruhig mitzugehen, was auch erfolgte“, das Ganze sei „eine ganz normale, geordnete Übergabe gewesen.“
Für die Klinik war es das indes wohl keineswegs: „Die Universitätsmedizin Mainz erachtet die Art und Weise, wie die Abschiebung vollzogen wurde, als außerordentlich bedenklich und als eine für die betroffene Patientin, die übrigen Patienten und die Mitarbeiter sehr belastende Situation“, kritisierte Pfeiffer. Die Uniklinik habe aber „keine Handhabe, insbesondere nicht auf gesetzlicher Grundlage, eine Abschiebung durch die zuständigen Behörden zu verhindern.“ Auch könne man die Rechtmäßigkeit in keinster Weise beurteilen. Die Ärzte pochten aber offenbar auf ordentliche medizinische Versorgung der Patienten, da man diese sonst nicht entlassen könne.
Der Mainzer Flüchtlingsrat hatte bereits am Freitag die Abschiebung bei Nacht aus der Klinik als „Tabubruch“, das Vorgehen der Behörden als „völlig unverhältnismäßig“. Ein Krankenhaus solle doch schließlich ein Ort der Hilfe für kranke Menschen sein, an dem sie sich sicher fühlen sollten. Die Iranerin wurde nun in der Nacht zum 18. Oktober in ihrem Jogginganzug und mit Hausschuhen an den Füßen aus der Klinik gebracht und in einem Rollstuhl zum Wagen gefahren. „Ich habe mehrfach versucht sie zu überreden, normale Schuhe anzuziehen“, betonte Misskampf, das habe die Frau aber abgelehnt.
Die Iranerin wurde nun zunächst nach Gau-Algesheim gebracht, wo sie ihren Sohn aus einer Pflegefamilie in Empfang nahm, dann ging es zur Abschiebehaftanstalt, wo man ihren Mann in ein Auto lud. Fünf bis sechs Stunden dauerte die Fahrt nach Hannover, ein Rettungswagen habe den Konvoi begleitet, sagte Misskampf. Der Flughafen Hannover sowie die Wahl der Airline sei Sache der Bundespolizei gewesen, darauf habe man keinen Einfluss. In Hannover aber weigerte sich die Iranerin erneut, das Flugzeug zu besteigen, sie sei dann „zum Flugzeug getragen worden“, sagte Misskampf. In einem Brief ihres Anwalts – der Mainz& vorliegt – berichtet dieser, seine Mandantin sei in den Flieger getragen und dort in den Sitz gedrückt worden. Weil sich die Iranerin aber weiter lautstark wehrte, habe sich schließlich der Pilot geweigert, sie mitzunehmen – die Abschiebung war gescheitert.
Was dann geschah, klingt noch einmal unglaublich: Um zehn Uhr morgens wurde die Iranerin samt Sohn einfach am Bahnhof in Hannover ausgesetzt – immer noch im Jogginganzug und mit Hausschuhen an den Füßen. Während ihr Mann in die Ausreisehaft nach Ingelheim zurückgebracht wurde, bedeutete man ihr, sie müsse schon selbst nach Ingelheim zurückreisen – mit der Bahn.
Das sei in der Verantwortung der Bundespolizei geschehen, betonte Misskampf, eine Rückfahrt sei „eine freiwillige Leistung“ und nicht von Haftpflichtversicherungen gedeckt. „Es gibt keine Bereitschaft der Polizei, Personen nach abgebrochenen Abschiebungen wieder zurückzubringen“, sagte er, „wir sind da auch nicht besonders glücklich drüber.“ Der Iranerin war zu Beginn ihrer Abschiebung ein Handgeld von 100,- Euro für sie und ihren Sohn ausgehändigt worden, es war die einzige Barschaft, die sie dabei hatte. Das reichte nicht einmal für die Fahrkarte zurück nach Ingelheim: Ein Bahnmitarbeiter habe ihr 5,- Euro erlassen, damit sie das Ticket zurück kaufen konnte, berichtet ihr Anwalt. Ein Zuganweiser habe ihr noch Geld für Essen gegeben – ihr Gepäck reiste unterdessen mit der Polizei zurück nach Ingelheim.
„Natürlich lässt einen das nicht kalt“, sagte Landrätin Dorothea Schäfer (CDU) am Montag in Ingelheim, „über dieses Vorgehen muss man sich unterhalten.“ Die Abschiebung sei rechtlich in Ordnung gewesen, auch die Abholung bei Nacht aus der Klinik, verteidigte Schäfer das Vorgehen, es gelte aber auch „die Seite der Sensibilität zu beleuchten.“ Sie selbst habe von der Art und Weise der Abschiebung erst am Freitag durch einen Anruf von Journalisten erfahren, sagte Schäfer weiter, räumte zugleich aber auch ein, dass sie wenige Tage zuvor einen Hilferuf der Frau per Brief gegen ihre Abschiebung erhalten habe. „Ich habe den an die Fachabteilung gegeben“, sagte Schäfer.
Am Freitag habe sie sich „nur kurz informieren können“, am Montag habe man sich in der Kreisverwaltung dann zusammengesetzt und den Ablauf genau angesehen. „Wir haben uns auch die Frage gestellt, ob die Abschiebung aus der Klinik heraus richtig war“, sagte Schäfer. Eine Antwort auf die Frage gab sie indes nicht. Die Frage müsse jetzt „mit den Fraktionen besprochen werden“, sagte die Landrätin zudem – gemeint waren offenbar die Fraktionen im Kreistag Ingelheim. Weitere Antworten zur Bewertung blieb Schäfer ebenso schuldig. Zur Rückfahrt der Iranierin sagte sie nur, die Frau „hätte auch mit einem Taxi fahren können, das hätten wir ja auch bezahlt.“ Gesagt hatte man das der Iranerin indes nicht, auch die Ausländerbehörde erfuhr erst am Vormittag des 18. Oktober, dass die Bundespolizei die Frau am Hannover Bahnhof abgesetzt hatte.
Die Familie ist derzeit wieder in Ingelheim, der Mann sitzt in Abschiebehaft, die Frau in der Ausländerunterkunft. Im Moment gebe es weder eine vollziehbare Ausreise noch Gründe für eine Duldung, sagte Misskampf weiter. Man werde jetzt mit dem Mainzer Integrationsministerium den ganzen Fall beraten, auch, ob es „eine andere Sichtweise gibt.“ Eine Reiseunfähigkeit der Frau „sehe ich nach wie vor nicht gegeben“, fügte Misskampf hinzu.
Die Grünen im Kreis Mainz-Bingen zeigten sich unterdessen entsetzt von dem Vorgehen der Behörden und sprachen von einem „verstörenden und unmenschlichen Agieren der Behörden“. Man werde die Verantwortlichen kommenden Freitag im Kreistag „zur Rede stellen“, hieß es in einer Stellungnahme auf Facebook. Die SPD Mainz-Bingen forderte lückenlose Aufklärung. „Was sich in der Mainzer Uni-Klinik ereignet hat, macht uns fassungslos“, sagte Pressesprecher Rouven Winter via Facebook: „Wir können uns keine Situation vorstellen, in der es angemessen oder gar notwendig wäre, eine schwangere Frau aus ärztlicher Behandlung im Krankenhaus zu reißen, um sie abzuschieben.“ Wieso habe man nicht warten können und stattdessen ein Gesundheitsrisiko für die Frau und ihr ungeborenes Kind in Kauf genommen?, fragte Winter weiter. Recht und Gesetz müssten umgesetzt werden, aber ohne Gefahr für Leib und Leben.
Die Linke warf den Behörden vor, „so ziemlich alles falsch gemacht zu haben, was man falsch machen kann.“ Das Verhalten zeuge „von einer Empathielosigkeit, die einen erschaudern lässt“, sagte Linken-Kreischef Tupac Orellana, der Fall müsse Konsequenzen haben. „Die Erklärungen von Landrätin Schäfer und der Kreisverwaltung, dass man sich „an Recht und Gesetz“ gehalten habe, sind dünn und erbärmlich“, sagte Orellana weiter. Statt Empathie zu zeigen, habe man nur Zuständigkeiten hin und her geschoben. Eine Ausländerbehörde sei „keine Abschiebebehörde“, betonte Orellana: „Wer so wenig Empathie hat, mit den Menschen umzugehen und sich auch um ihr Wohlergehen zu sorgen, ist als Leiter einer Ausländerbehörde mit Sicherheit am falschen Platz.“
Info& auf Mainz&: Den Fall, den Offenen Brief der zwölf Organisationen sowie erste Reaktionen lest Ihr hier auf Mainz&.
Kommentar& auf Mainz&: Bürokraten ohne Empathie und Menschenverstand untergraben das Vertrauen in den Staat
Da bleibt einem die Spucke weg: Da wird eine junge Frau, schwanger und mit Diabetes, dazu mit hohen Blutzuckerwerten, mitten in der Nacht aus der Mainzer Uniklinik geholt. Sie wird ins Autoverfrachtet, mit Gewalt in einen Flieger getragen – und schließlich samt 1,5 Jahre altem Son nach durchwachter Nacht einfach am Bahnhof Hannover ausgesetzt. Mit Hausschuhen an den Füßen. Ohne ausreichend Geld, um wieder nach Hause zu kommen. Und während das Gepäck fröhlich durch die Republik zurückgondelt, kann die Frau sehen, wo sie bleibt.
In was für einer Republik leben wir eigentlich?
Wer immer das getan hat, wer immer dafür die Verantwortung trägt: Haben die eigentlich noch einen Funken menschlichen Mitgefühls?
Aber nein: Wieder einmal ziehen sich alle auf ihre „Pflichterfüllung“ zurück, bescheinigt jeder dem anderen, einen „richtigen“ Job gemacht zu haben. Auch wenn dieser Fall nach recht und Gesetz verlaufen sein sollte – richtig war das Vorgehen auf keinen Fall. Und was macht die zuständige Landrätin? Flüchtet sich in Floskeln. Weicht aus. Kein einziger klarer Satz zur Situation. Nicht einmal Entsetzen ließ sich Dorothea Schäfer auf der Pressekonferenz am Montag anmerken. Und man fragt sich: Geht’s noch? Wie kann man angesichts eine solchen Falls kein Entsetzen empfinden? Keine klaren Worte zur Durchführung einer solchen Aktion – egal, ob man sie jetzt verteidigt oder verurteilt?
Wer diese Pressekonferenz am Montag gesehen hat, dürfte sich mit Schaudern abgewendet haben. Wir sprechen den Handelnden nicht ab, Gefühle zu haben, vielleicht haben sie ja tatsächlich gerungen, vielleicht hat es sie wirklich nicht kalt gelassen. Nur: Warum zeigt man das dann nicht? So entsteht der Eindruck von wachsweichen Bürokraten, die Ausweichen, Abwiegeln – und ihr Vorgehen eigentlich völlig richtig finden. Das ist verheerend – für den Eindruck von Bürgern über ihre Politiker, für das Vertrauen in diesen Staat, für die Demokratie. Die Linke hat völlig Recht: Die Behörden haben hier alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte.
Wir brauchen dringend eine Diskussion über die Frage, wen wir abschieben wollen, und vor allem in welcher Form. Und es geht einfach nicht an, dass Konservative ständig nach mehr Abschiebungen rufen und den starken Mann markieren – und dann in Baden-Württemberg ein geltender Haftbefehl gegen eine Straftäter nicht vollstreckt wird. Der anschließend ein abscheuliches Vergewaltigungsverbrechen begeht. Aber eine kranke Schwangere bei Nacht aus einem Klinikbett holen und sie dann am Bahnhof aussetzen? Es ist etwas faul im Staate Deutschland, und langsam stinkt es zum Himmel. Wer die Bürger von der Demokratie überzeugen will – bitteschön: Hier ist ein dringendes Problem, das nach Lösung schreit. Mit Recht, Gesetz, Empathie und Menschenverstand, bitteschön.