Acht Jahre, 300 Montagsdemos, ungezählte Aktionen – der Protest gegen Fluglärm und den ungebremsten Ausbau des Frankfurter Flughafens ist längst zu einem Phänomen geworden. Der Bau der Nordwestlandebahn am Frankfurter Flughafen 2011 löste eine bislang beispiellose Protestbewegung in der Bundesrepublik aus: Aus der ganzen Region treffen sich seither jeden Montag Protestierende im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens. Die Gesichter sind älter geworden, die Plakate professioneller – doch die Themen sind nicht weniger, sondern mehr geworden: Neben dem Lärm aus der Luft geht es längst auch um Gesundheit und Klima. Am Montag startete von hier die Aktion „Deutschland fliegt nicht“, die Wellen bis zum Times Square in New York schlagen wird. Unsere Reportage von der 300. Montagsdemo.
Sie sind laut, sie sind wütend, und sie sind immer noch hier: Rund 1.500 Fluglärmgegner stehen im Terminal 1 des Frankfurter Flughafens, sie schwingen Rasseln und Trommeln, sie lassen Trillerpfeifen gellen, und sie schwenken Schilder. Seit 2011 stehen sie praktisch jeden Montag hier, es ist die 300. Montagsdemo gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens. „Dass wir nach acht Jahren noch hier stehen, hätten wir nicht erwartet“, sagt Thomas Scheffler, Sprecher des Bündnisses der Bürgerinitiativen, „aber wir müssen hier sein – damit das Bewusstsein über die Schädlichkeit des Flugverkehrs im Bewusstsein bleibt.“
Es war der 14. November 2011, als erstmals Hunderte empörter Anwohner aus der Region zum Protest an den Frankfurter Flughafen kamen, Auslöser damals: Der Bau der neuen Nordwestlandebahn. „Heute vor genau 2.368 Tagen haben wir begonnen, keiner hat geglaubt, wir würden so lange durchhalten“, ruft Wolfgang Heubner vom Bündnis der Bürgerinitiativen den Demonstranten im Terminal zu: „Fraport hat schon lange gehofft, dass wir in der Versenkung verschwinden, den Gefallen tun wir ihnen nicht.“
Joachim Stenger kommt aus Offenbach, der Pensionär hält ein Schild hoch, auf dem groß und rot die 300 prangt, unübersehbares Zeichen für acht Jahre Protest. Er sei Lehrer an einem Offenbacher Gymnasium gewesen, „direkt unter der Einflugschneise“, sagt er, da sei es „richtig laut“ gewesen. Wollte er ein Wort verstehen von seinem eigenen Unterricht, gab es auch bei größter Hitze nur eins: „Die Fenster mussten zu bleiben, da ging nix“, sagt Stenger, und schimpft: „Die 30 Millionen Umsteiger hier am Flughafen, die brauchen wir doch gar nicht.“
Von Anfang an wandten sich die Demonstranten nie gegen den Flughafen selbst, doch mit seinem immer weiter ungebremsten Wachstum, damit wollten sie sich nicht einfach abfinden. 50, 60, ja bis zu 70 Dezibel Lärm über den Köpfen, und das in Gegenden, wo Fluglärm früher ein Fremdwort war. Hannelore Feicht kommt aus dem rheinhessischen Ober-Olm, 29 Kilometer Luftlinie ist sie vom Frankfurter Flughafen entfernt. „Seit 2011 haben wir die Fluglärmhölle“, sagt Feicht, „bei Ostwind ist draußen alles Tabu, ich gehe nicht mehr in den Garten, ich frühstücke draußen nicht mehr.“
Vier Flugrouten führten seit dem Bau der Nordwestlandebahn über ihre Köpfe, erzählt sie, zwei bei Ostwind, bei Westwind die Südumfliegung und die Nachtroute. „Es ist so laut, dass man morgens aus dem Schlaf gerissen wird, man zittert am ganzen Körper, man, kennt sich selbst nicht mehr“, erzählt sie: „Nacht dem Grundgesetz steht uns Ruhe zu, uns wird ständig Unrecht angetan.“ Über ihrem Kopf schwebt ein Pappmaché-Flugzeug mit dem Schild darunter: „Ich bin das klimaschädlichste Verkehrsmittel“. „Meine Enkel haben das für mich gebastelt“ erzählt Feicht stolz, auch die 73-Jährige gehört zu den Urgesteinen der Protestbewegung.
„300.000 Menschen in der Region leben unter einem Lärmteppich“, sagt auch Thomas Will (SPD), Landrat des Kreises Groß-Gerau, „die Region wird unbewohnbar, und dagegen müssen wir uns wehren.“ Will ist einer jener Politiker, die sich dem Kampf gegen den Lärm von oben verschrieben, als sie merkten: Der Fluglärm schränkt Gemeinden in ihrer Planungshoheit ein, er vertreibt Unternehmen und er treibt die Menschen in den Wahnsinn. Also kämpfen sie weiter für ein echtes Nachtflugverbot zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr morgens, für weniger Flüge und für weniger Schadstoffe in der Luft über ihren Köpfen.
„Wir haben viele Themen platziert“, sagt Jochen Schraut von der Mainzer BI gegen Fluglärm, „wären wir nicht hier, der Ausbau wäre längst maßlos vorangetrieben worden.“ Der mühsame Kampf, die lange Dauer, das mache auch mürbe, sagt der Familienvater, der zu den Gründern der Mainzer BI gehörte: „Ich wusste ja nicht, dass es acht Jahre werden, ich hätte schon gedacht, dass es schneller geht.“
„Diese 300. Montagsdemo ist ein Armutszeugnis für die Politik, die Fraport und die Luftfahrt“, schimpft auch Heubner, denn längst gehe es doch nicht mehr darum, Menschen und Länder miteinander zu verbinden. Längst stünden rein wirtschaftliche Interessen des Flughafenbetreibers Fraport im Vordergrund, sagt Heubner, und verweist auf die neue Billigfliegerstrategie: „Fraport hat die Prognosen nicht erreicht, deshalb hat man 21.000 überflüssige Flugbewegungen von Billigfliegern nach Frankfurt gelotst“, kritisiert er.
Der Protest habe sich verändert in den acht Jahren, sagt auch Thomas Scheffler, Sprecher des BI-Bündnisses: „Vor acht Jahren waren wir die Fluglärmgegner“, sagt Scheffler, „jetzt geht es auch um Gesundheit und Ultrafeinstaub, und um die gravierenden Auswirkungen auf das Klima.“ Längst hat sich der Kampf ausgedehnt auf die Folgen von Fluglärm und Luftverkehr, so änderte die Mainzer Initiative gegen Fluglärm im Juni ihren Namen in „Initiative Klima-, Umwelt- und Lärmschutz im Luftverkehr“. Das Thema Fliegen werde ja immer brisanter, sagt Vorsitzender Schraut: Ultrafeinstaub, die hohen Emissionen bei Starts und Landungen, diese Themen würden immer wichtiger. „Wir werden so lange weiter machen, wie das Thema brisant ist“, verspricht er.
Die neueste Kampagne legt deshalb nun auch den Fokus auf die Vermeidung von Kurzstreckenflügen: Seit Montag rufen die vereinten Bürgerinitiativen nun dazu auf, unnötige Flüge zu vermeiden. Im Februar 2020 soll gar ganz Deutschland am Boden bleiben und das Fliegen für eine Woche einstellen. Der Aufruf, für sieben Tage Flugabstinenz zu üben, geht auch an Unternehmen, Verbände, Institutionen und die Politik. „Wir wollen mit dem Motto zum Nachdenken anregen, freiwillig aufs Fliegen zu verzichten“, sagt Initiator Rolf Fritsch von der BI Gegenwind 2011.
Ein überdimensionales Nixtun-Sofa haben die Initiatoren bauen lassen, weil man von einem Sofa aus eben am besten nichts tue, sagt Fritsch: „Wir wollen vom Sofa aus die Welt verbessern.“ Das Fliegen sei nun einmal die umweltschädlichste aller Formen der Fortbewegung, deshalb helfe in diesem Fall Nichtstun am besten. In dem viele Menschen mitmachten und nicht flögen, könne effektiv mehr erreicht werden, als auf Verbote, Verordnungen und Gesetze zu warten. „Nachhaltig fliegen, heißt nicht fliegen“, betonte auch der Ko-Initiator, der Philosoph und Autor Hans-Peter Huppert schon im Vorfeld: Schon seit Konfuzius sei „Gemeinsam-Nix-Tun ein starkes, überparteiliches und erprobtes Instrument.“
D
as Sofa allerdings wird nun dreieinhalb Monate auf Tour gehen durch Deutschland, fest gebuchte Stationen sind bereits in zwei Wochen ein Stopp an der Mainzer Uniklinik, die zu einer der am meisten unter Fluglärm leidenden Orte in Mainz gehört, sowie ein Rockkonzert in Mainz. Auch beim Turnfest in Cottbus und in Berlin vor dem Reichstag soll das Nixtun-Sofa für die Kampagne werben – und am New Yorker Times Square: Dort werden in wenigen Tagen Fotos vom Start der Aktion am Montag über die riesigen Bildschirme flimmern. „Wir senden heute ein Foto in die Welt“, rief Fritsch seinen Mitprotestierenden zu: „Deutschland fliegt nicht!“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Aktion „Deutschland fliegt nicht“ lest Ihr hier bei Mainz&, die genauen Infos und Termine der Sofa-Tour sollten auf der Internetseite der Aktion hier zu finden sein. Die flugfreie Aktionswoche soll vom Montag, den 10. Februar 2020, bis Sonntag, den 16. Februar 2020, reichen und möglichst viele Menschen bewegen, auf ihre privaten und geschäftlichen Inlands-/Kurzstreckenflüge verzichten.