Seit Anfang Juli 2024 ist die Binger Straße in Mainz für den Verkehr in Richtung Innenstadt voll gesperrt – und seither ächzt Mainz unter einem veritablen Verkehrschaos. Besonders am Nachmittag und in den frühen Abendstunden sorgt die Sperrung regelmäßig für massive Rückstaus sogar die Saarstraße hinauf – vor allem der Einzelhandel warnte Anfang Juli bereits vor massiven Folgen für die Innenstadt. Getan hat sich derweil: nichts. „Die Innenstadt bleibt weiterhin problemlos erreichbar“, teilte nun Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) erneut mit: Die Stadt sei „nicht zu, nur anders erreichbar.“

Die Binger Straße ist eines der wichtigsten Einfallstore für die Mainzer Innenstadt, gerade für die Zufahrt zu Parkhäusern. Seit Ende Juni 2024 ist die Straße nur noch einspurig stadtauswärts befahrbar - erhebliche Staus sind die Folge. - Foto: gik
Die Binger Straße ist eines der wichtigsten Einfallstore für die Mainzer Innenstadt, gerade für die Zufahrt zu Parkhäusern. Seit Ende Juni 2024 ist die Straße nur noch einspurig stadtauswärts befahrbar – erhebliche Staus sind die Folge. – Foto: gik

Ende Juni begannen die Bauarbeiten in der Binger Straße, das kleine Teilstück zwischen der Alicenbrücke am Hauptbahnhof und dem Münsterplatz soll künftig eine eigene Straßenbahntrasse bekommen. Die gerade einmal 300 Meter lange Strecke soll eine Art Bypass zum Hauptbahnhof-Vorplatz bilden, und mit der direkten Verbindung die Fahrtzeit in die Innenstadt verkürzen und den ÖPNV-Knotenpunkt Hauptbahnhof entlasten. Das Problem dabei: Bis Ende 2025 soll die Binger Straße nur einspurig befahrbar sein, und zwar nur stadtauswärts.

In Richtung Innenstadt gilt seither eine Umleitung, deren Hauptachse über die Parcusstraße führt, und dann von der Kaiserstraße rechts in die Gärtnergasse abbiegt, wo es dann  weiter Richtung Große Bleiche oder Große Langgasse geht. Nur: Die Umleitung funktionierte von Tag eins an nicht, weil durch Tempo 30 auf der Parcusstraße sowie den beiden Ampelanlagen an der Gärtnergasse und der Großen Bleiche viel zu wenig Fahrzeuge abfließen können.

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Massive Rückstaus durch Sperrung Binger Straße stadteinwärts

Das Ergebnis: massive Rückstaus, die sich entlang der ganzen Parcusstraße ziehen, über die Alicenbrücke und in Stoßzeiten sogar die gesamte Saarstraße bis hoch zur Johannes-Gutenberg-Universität. Da gleichzeitig auch von der Alicenstraße, der B40 entlang der Uniklinik, ein wichtiger zweiter Strang an Fahrzeugen hinzukommt, die von der Pariser Straße in Richtung Innenstadt wollen, versinkt das Einfallstor zur Innenstadt regelmäßig in einem Verkehrsinfarkt – insbesondere, da die Stadt Mainz gleichzeitig auch noch die Windmühlenstraße wegen einer Baustelle sperrte.

Start der Sperrung der Binger Straße Ende Juni 2024. - Foto: gik
Start der Sperrung der Binger Straße Ende Juni 2024. – Foto: gik

Bereits Anfang Juli, wenige Tage nach dem Start der Sperrung, meldeten sich deshalb Einzelhändler und der Verein Unser Mainz in Rheinhessen zu Wort – und warnten einhellig vor den Folgen: „Seit diese Baustellensituation so da ist, habe ich gerade einmal noch vier Kunden von auswärts gehabt – das ist außergewöhnlich wenig“, berichtete Jan Sebastian, Inhaber des Juweliers Willenberg in der Schillerstraße. Seine Kunden kämen derzeit ausschließlich nur noch aus Mainz, „ich kann als Juwelier aber nicht allein von den Mainzern überleben, ich brauche das Umland – und so geht es vielen Einzelhändlern“, betonte Sebastian, der auch Präsident des Handelsverbands Rheinland-Pfalz ist.

„Die Mainzer Innenstadt ist im Wettbewerb mit Onlinehändlern, Einkaufszentren,
‚Grüne Wiese‘-Standorten, rheinhessischen und rechtsrheinischen Geschäftszentren“, warnte Sebastian. Das Problem träfe viele Einzelhändler ins Mark: Mitarbeiter stünden 1,5 Stunden im Stau, Kunden sagten Notartermine ab, mancher Einzelhändler habe bereits das Sortiment ausdünnen und Mitarbeiter entlassen müssen, weil seit Monaten Baustellen die Erreichbarkeit der Innenstadt blockierten, berichteten Händler bei der Pressekonferenz Anfang Juli.

Verkehrsinfarkt: Kundenrückgang in Mainz im zweistelligen Bereich

Seit der neuen Sperrung der Binger Straße habe es in der ersten Woche einen prozentuellen Kundenrückgang in der Innenstadt im zweistelligen Bereich gegeben, berichtete Citymanagerin Sandra Klima: „Handel ist Wandel und viele Einzelhändler können schnell auf Veränderungen reagieren, aber diese Situation stellt den Handel vor nicht alleine lösbare Probleme.“ Die Stadtverwaltung müsse „dringend schnell reagieren“, forderte Klima, Baustellen dürfen „nicht genutzt werden, um die Autos aus der Innenstadt zu halten.“ Viele Vereine und Organisationen wie auch das Citymanagement gäben sich Mühe, um die Innenstadt von Mainz mit Veranstaltungen attraktiv zu erhalten, dann müsse diese aber auch erreichbar bleiben.

Rückstau auf der Alicenbrücke wegen der Sperrung der Binger Straße: Verkehr nur noch im Schneckentempo. - Foto: gik
Rückstau auf der Alicenbrücke wegen der Sperrung der Binger Straße: Verkehr nur noch im Schneckentempo. – Foto: gik

„Das Thema Baustellen ist nicht neu“, sagte der Ko-Vorsitzende des Vereins „Unser Mainz in Rheinhessen“, Thomas A. Klann: „Neu ist aber: der Verkehr funktioniert nicht, in Mainz fließt nichts mehr.“ Der Verein widmet sich bereits seit 30 Jahren dem Thema Verkehr und Wirtschaftsförderung in Mainz, und will besonders das Zusammenspiel mit Rheinhessen voranbringen. „Wir verstehen uns als überparteiliches Sprachrohr der Bürger“, betonte Klann, der auch Mitglied der Mainzer FDP und deren baupolitischer Sprecher ist.

Und Klann klagte nun, die Mainz erfahren „einen Verkehrsinfarkt nach dem anderen“, wichtige Verkehrsadern für Handel und Tourismus in der Stadt würden systematisch abgeschnitten. „Das ist offenbar gewollt von einer grünen Politik, man will den Verkehr aus der Stadt halten“, kritisierte Klann, Baustellen seien da „immer ein adäquates Mittel zu sagen, das müsse man so machen.“

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Massive Einbußen: „Attraktivität der Stadt schmilzt dahin“

Die Folgen für die Stadt seien aber gravierend, warnten Verein und Einzelhändler: Wenn das Umland, aber auch die Mainzer selbst, die Innenstadt nicht mehr erreichen könnten, drohten massive Umsatzrückgänge – und ein Schaden für die Stadt. „Die Attraktivität der Stadt schmilzt dahin“, warnte Klann. Der Bürger suche sich andere Einkaufsmöglichkeiten in anderen Städten – einen Kunden einmal zurückzuholen aber „kostet länger als die Baustelle.“

Zeitgleich ist derzeit auch die Windmühlenstraße in Mainz stadteinwärts gesperrt - die Innenstadt ist aus Richtung Oberstadt/Rheinhessen kaum noch erreichbar. - Foto: gik
Zeitgleich ist derzeit auch die Windmühlenstraße in Mainz stadteinwärts gesperrt – die Innenstadt ist aus Richtung Oberstadt/Rheinhessen kaum noch erreichbar. – Foto: gik

Zeitweise seien durch den Verkehrstau nicht einmal mehr die Parkhäuser in der Innenstadt erreichbar gewesen, auch das sei kontraproduktiv. „Die Stadt braucht ein Verkehrsleitsystem“, forderte Klann deshalb: „Es gibt zwar ein Parkleitsystem, aber der Bürger will nicht nur parken“ – er müsse auch durch die Stadt fahren können. Denn die meisten Autofahrer könnten eben nicht frei wählen, wann sie in die Stadt führen: „Lieferanten, Kunden, Patienten haben Termine, berufliche Verpflichtungen, Arzttermine, elterliche Pflichten“ oder andere Gründe, zu bestimmten Zeiten nach Mainz oder aus Mainz fahren zu müssen, betonte der Verein, und übte scharfe Kritik an der grünen Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger.

Steinkrüger hatte im Vorfeld der Sperrung der Binger Straße behauptet, es werde „keiner merken, dass hier eine Baustelle ist“, der Verkehr sich mit der Zeit regulieren. Doch bislang ist davon nichts in Sicht: Am Donnerstagabend etwa bildete sich gegen 18.30 Uhr erneut ein langer Rückstau über die Alicenbrücke bis zum „Me and All-Hotel“, der sich nur zentimeterweise voran bewegte. „Wenn der Verkehr nicht mehr fließt, muss man nachbessern“ hatte Klann Anfang Juli schon gefordert – geschehen ist das nicht.

Steinkrüger: „Innenstadt bleibt problemlos erreichbar“

Steinkrüger hatte sich bei dem Termin Anfang Juli überrascht gezeigt, und eingeräumt, mit der Krisenkommunikation „fühle ich mich gerade allein gelassen“. Die Stadt versuche, Kreuzungsbereiche frei zu halten, dafür brauche man aber die Polizei, sagte Steinkrüger – auf Fragen, wie der Verkehr wieder fließen könne, hatte die Dezernentin keine Antwort.

Keine Einsicht, keine Nachbesserung in Sachen Verkehrssteuerung: Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne). - Foto: gik
Keine Einsicht, keine Nachbesserung in Sachen Verkehrssteuerung: Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne). – Foto: gik

Stattdessen verteidigte die Dezernentin die gleichzeitige Sperrung zweier wichtiger Einfallstangenten in die Innenstadt: „Wir bauen hier Mainz zukunftsfest, wir müssen eine bestimmte Zeit mit den Baustellen leben“, betonte sie. Warum dann aber nicht zum Beispiel die Binger Straße stadteinwärts geöffnet, und der abfließende Verkehr über die Gaustraße hinausgeleitet werden könne, darauf gab Steinkrüger keine Antwort. Man müsse wohl „mehr kommunizieren“, was die Sperrung angehe, sagte sie lediglich, die wichtige Botschaft dabei sei: „Vermeiden Sie Durchgangsverkehr durch Mainz.“

Vom Verein „Unser Mainz in Rheinhessen“ hieß es derweil, man habe schon zwei Jahre lang im Vorfeld der Baustelle das Thema Baustellen-Marketing wiederholt angesprochen, also eine bessere Kommunikation mit Autofahrern und Kunden rund um die jeweilige Baustelle. „Wir hatten das Thema 2017 schon mal auf der Agenda, hatten sogar einen Fachmann aus Gießen eingeladen, der sich speziell mit dem Thema beschäftigt“, berichtete Ulrich H. Drechsler, Ko-Vorsitzender von „Unser Mainz in Rheinhessen“, und forderte: Hier müsse die Stadt ansetzen, denn passiert sei bisher nichts. Dabei gab es das schon einmal bei der Großbaustelle Boppstraße: Damals begleitete die Eule Eduard als Marketingmaßnahme durch die Umbauzeit – mit Erfolg.

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Verein fordert besseres Baustellen-Management und -Marketing

„Wir wollen die Baustelle so begleitet wissen, dass sie für die Kunden, die nach Mainz kommen, verständlich machen“, betonte Drechsler. Dazu gehöre auch ein besseres Umleitungsmanagement: Derzeit nämlich stelle die Stadt einfach Umleitungsschilder von „U1“ bis „U7“ auf, aber kein Mensch wisse, welche Umleitung wohin führe – das sei ein richtiges Irrwegthema. „Man muss schon am Stadtrand zeigen: Fahrt am besten diese Route“, sagte Drechsler – nach dem Motto: Wer in die Innenstadt wolle, sollte am besten „die Mainzelmännchenroute“ nutzen. Eine gute Verkehrsleitplanung müsse die Besucher „eindeutig, sympathisch und frühzeitig informieren und abholen!“

Die Mainzelmännchen sind ein Markenzeichen für Mainz - sie könnten die Autofahrer auch durch den Baustellendschungel leiten, findet man beim Verein "Unser Mainz in Rheinhessen". - Foto: gik
Die Mainzelmännchen sind ein Markenzeichen für Mainz – sie könnten die Autofahrer auch durch den Baustellendschungel leiten, findet man beim Verein „Unser Mainz in Rheinhessen“. – Foto: gik

„Bei Baustellen, die sich im mehrstelligen Millionenbereich bewegen, sollte ein solches Marketing schon in der Ausschreibung drin sein“, betonte Drechsler. Die nächste Großbaustelle in der Salvatorstraße warte schon, die Stadt müsse vorausschauender agieren, „die Verkehrsplanung differenzierter ans Werk gehen“, forderte Drechsler: „Es kann nicht sein, dass man die Geschäftstätigkeit der Händler einschränkt.“

Klann forderte zudem, die Stadt müsse nachbessern und wieder für mehr Verkehrsfluss sorgen. „Was macht der Arzt bei einem Infarkt? Er legt einen Bypass“, betonte Klann: „Wir wollen helfen, dass diese Stadt lebt, dass diese Stadt fließ, dass sich Bewohner und Handel in dieser Stadt wohlfühlen“, betonte Klann: „Wenn der Organismus Stadt einmal tot ist, dann hat auch der Händler keine Lust mehr, seinen Laden aufzumachen.“

Just zum Ende der Sommerferien teilte Verkehrsdezernentin Steinkrüger nun mit: Es gebe in der Stadt „einige Großbaustellen“, die aber unerlässlich für eine verbesserte Infrastruktur seien. „Diese Maßnahmen zielen allesamt darauf ab, die Mobilität zu stärken und unser aller Lebensqualität zu verbessern“, betonte Steinkrüger dabei. Die Stadt Mainz bitte, die Umleitungsbeschilderungen zu beachten und schnellstmöglich das nächste Parkhaus anzufahren. Verbesserungen in Sachen Verkehrssteuerungen, Ampelschaltungen oder gar Änderungen an den Umleitungen nannte Steinkrüger nicht. „Die Innenstadt bleibt dabei weiterhin problemlos erreichbar“, sagte sie lediglich – Anfang Juli hatte sie betont: „Die Innenstadt ist nicht zu, sie ist eben anders erreichbar.“

Info& auf Mainz&: Mehr zum Hintergrund der Baustelle in der Binger Straße lest Ihr hier bei Mainz&.