Der Mainzer Stadtrat soll heute das neue Bebauungskonzept des Investors Dirk Gemünden für das Einkaufszentrum an der Ludwigsstraße beschließen, doch in der politischen Landschaft rumort es weiter: Stadträte von Grünen und ÖDP kritisierten vergangenen Donnerstag beim Forum der BI Ludwigsstraße scharf den Zeitdruck der Verabschiedung und warfen Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) vor, das Paket „durchpeitschen“ zu wollen. Kritik gab es zudem an einem angedachten Flächentausch zwischen Gemünden und der Stadt. Eblings Herausforderer bei der OB-Wahl kritisierten zudem scharf das Nicht-Einbinden der Bürger, die Herausgabe öffentlicher Flächen und den mangelnden Gestaltungswillen der derzeitigen Stadtspitze. Und auch ein paar humoristische Vorschläge gab es.

Der Ingelheimer Unternehmer Dirk Gemünden will an der Ludwigsstraße ein Einkaufszentrum mit Dachterrasse, offenem Foyer und mit rund 15.000 Quadratmeter Einkaufsfläche schaffen. Das alte Karstadt-Kaufhaus soll weitgehend erhalten und saniert werden, die Pavillons davor aber verschwinden und durch höhere und moderne Neubauten ersetzt werden. Die Bürgerinitiative Ludwigsstraße kritisiert das scharf: „In den Leitlinien zur Bebauung der Ludwigsstraße war völlig klar, dass keine Flächen verkauft werden und dass kleinteilig gebaut wird“, sagte BI-Sprecher Hartwig Daniels beim OB-Forum der Bürgerinitiative Ludwigsstraße: „Jetzt hat die Stadt nicht einmal den Mut, die bestehende Kleinteiligkeit zu schützen.“

Die BI kritisierte zudem erneut scharf die „Bürgerbeteiligung“, die die Stadt Ende Juni veranstaltet hatte. Die jetzt vorliegenden Ausschreibungen zu den städtebaulichen Gestaltungswettbewerben fußten doch vollständig auf den Ideen der Investoren, „wo wollen sie denn da noch Ideen unterbringen?“, kritisierte Daniels: „Spielräume sind da doch gar nicht vorhanden.“ Die Bürgerbeteiligung sei „eine reine Showveranstaltung, eine Verkaufsveranstaltung“ gewesen.

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In dieselbe Kerbe schlug aber auch die grüne OB-Kandidatin Tabea Rößner: „Ich war mit der Bürgerbeteiligung auch nicht glücklich“, sagte sie, „es ging nicht darum, die Menschen zu beteiligen, sondern abzufragen, welche Geschäfte gewünscht sind.“ Diesen Fokus auf Konsum habe sie „schwierig gefunden“, eine Bürgerbeteiligung hätte zu Beginn des Verfahrens stattfinden müssen. Rößner machte aber auch deutlich, dass sie froh sei, dass nicht die Firma ECE ihre Shoppingmall umsetze. „Ich hätte mir auch eine Kleinteiligkeit gewünscht, Inhaber geführte Läden, weil es das ist, was eine Stadt ausmacht“, sagte Rößner. Auch glaube sie, es sei besser, den bestand zu nutzen, die Pavillons hätten für sich genommen durchaus Charme. Doch die Flächen dazwischen seien „keine attraktiven Flächen“, die auch von der Stadt nicht gestaltet worden seien.

Die Plätze zwischen den Pavillons an der Ludwigsstraße sind alles andere als attraktiv, Gemünden will hier völlig neu bauen., - Foto: gik
Die Plätze zwischen den Pavillons an der Ludwigsstraße sind alles andere als attraktiv, Gemünden will hier völlig neu bauen., – Foto: gik

„Ich hätte mir da Wohnen gewünscht, vielleicht eine Kita, aber kein Hotel“, sagte Rößner mit Blick auf die Pläne Gemündens weiter. Auch müsse der klimatischen Entwicklung und der Aufheizung der Innenstadt mehr Beachtung geschenkt werden. Rößner machte aber auch klar: Sollte sie am 27. Oktober – beziehungsweise in der Stichwahl zwei Wochen später – zur Oberbürgermeisterin gewählt werden, seien die Entscheidungen im Stadtrat längst gefallen. „Einen Bürgerentscheid sehe ich dann nicht mehr“, sagte sie. Sie wolle sich aber dafür einsetzen, „dass wir als Stadt wieder mehr in die eigene Gestaltung kommen.“

Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) verteidigte hingegen erwartungsgemäß die Beschlüsse für das Gemünden-Konzept. Die Ludwigsstraße sei „immer ein Ort gewesen, der es geschafft hat, Menschen anzuziehen“, sagte Ebling: „Man mag es Konsum nennen, es ist aber auch Wertschöpfung und ein nicht unerheblicher Teil unseres Wohlstandes.“ Er wolle eine attraktive Innenstadt, „die dem digitalen Handel die Stirn bieten kann“, betonte der OB, „ich möchte mich nicht kampflos ergeben.“ Die rund 600.000 Menschen im Einzugsbereich des rheinhessischen Umlands suchten so etwas, jetzt bestehe die Chance, es zu schaffen.

Investor Gemünden will auf dem Dach von Karstadt eine öffentliche Dachterrasse einrichten. - Foto: gik
Investor Gemünden will auf dem Dach von Karstadt eine öffentliche Dachterrasse einrichten. – Foto: gik

Das Konzept von Gemünden beweise Flexibilität, gebe Karstadt eine Perspektive und stoße städtebauliche Veränderungen an, betonte Ebling, dazu sei die Entwicklung nachhaltig, weil nicht neu gebaut werden solle. „Schlimmer als das, was da steht, kann es nicht kommen“, sagte Ebling, „ich sehe: in Mainz atmet man auf, dass hier endlich was in Gang kommt.“ Offen sei für ihn allerdings noch die Frage, wie viel öffentlicher Raum für das Bauvorhanden „angeknabbert“ werde. „Wir sollten nicht öffentliche Fläche verschwinden lassen, sondern durch Tausch auf 100 Prozent fahren“, sagte Ebling, „auch um dem Vorwurf zu entgehen, wir würden hier leichtfertig öffentliche Flächen verschwenden.“

Die neueste Idee dazu: Ein Flächentausch, bei dem die Stadt die öffentlichen Flächen zwischen den Pavillons tauscht gegen eine Fläche zwischen dem früheren Foto Oehling und dem Ballplatz – derzeit ist auf diesem Platz ein kleiner Parkplatz untergebracht. „Diese Fläche kann man für die öffentliche Nutzung aufwerten“, sagte Ebling, „das prüfen wir jetzt.“ Die BI kritisierte hingegen, bei der diskutierten Ausgleichsfläche handele es sich „um eine Art Hinterhof, im Schatten des Gebäudes an der LU“, sagte Daniels, „das ist nicht vergleichbar mit den Flächen an der LU, die die Stadt seit Jahrzehnten hat verkommen lassen.“

Blick vom Schillerplatz in die Ludwigsstraße im März 1965. - Foto: Hans Armster
Blick vom Schillerplatz in die Ludwigsstraße im März 1965. – Foto: Hans Armster

„Öffentlicher Grund und Boden darf nicht verkauft werden“, betonte auch der OB-Kandidat der Linken, Martin Malcherek. Die Weichen für das Bauvorhaben seien von vorne herein falsch gestellt worden, die Stadt habe nie eine Grundkonzeption entwickelt, was sie eigentlich selbst an der LU umsetzen wolle. „Ich habe nichts gegen Investoren, einige meiner besten Freunde sind Investoren“, betonte Malcherek, „aber wir sind doch nicht hier, um die Gewinne der Investoren zu sichern, sondern die Interessen der Stadt zu vertreten.“ Den Grünen warf er vor, dem Flächentausch zustimmen zu wollen.

Rößner räumte ein, dass die Grünen-Fraktion das beschlossen habe: „Meine Fraktion hat es sich bei der Entscheidung nicht leicht gemacht“, sagte sie – was im Saal gar nicht gut ankam. Der Flächentausch sei für sie „eine Grundvoraussetzung“ für die Zustimmung zum Konzept, sagte Rößner weiter, das müsse „so gestaltet werden, dass es eine Verbesserung der Lebensqualität gibt.“ Die Fläche hinter Foto Oehling sei zudem größer als die zu bebauende Fläche an der LU, deshalb habe sich die grüne Fraktion darauf eingelassen,. Auch werde es an der LU wahrscheinlich Raum für eine zweite Reihe Bäume geben. Rößner schlug zudem vor, den Pavillon am Schillerplatz und den am Gutenbergplatz zu erhalten, um die alte Architektur zu erhalten.

Die Plätze zwischen den Pavillons sind öffentliches Gelände, um sie kämpft die BI Ludwigsstraße. - Foto: gik
Die Plätze zwischen den Pavillons sind öffentliches Gelände, um sie kämpft die BI Ludwigsstraße. – Foto: gik

„Wenn sie gegen die Pläne sind, sollten sie dem Flächentausch nicht zustimmen“, sagte der OB-Kandidat der Satirepartei „Die Partei“, Martin Erhardt, und fügte süffisant hinzu: „Eine inhaltsleere Partei kann grüner sein als die Grünen – ich werde immer optimistischer für meine Wahl.“ Erhardt schlug vor, das Bauprojekt auf die Dachterrasse zu beschränken und die Plätze zu erhalten. „Man kann hier Bäume pflanzen, über Netzpolitik sinnieren, Herr Ebling, Sie können hier eine Schorle genießen“, sagte er, „und meinetwegen kann der Platz Gemünden-Platz heißen.“

Doch Erhardt hatte nicht nur Satirisches zu bieten: Er verwies auf die französische Baugeschichte des Gutenbergplatzes und erinnerte daran, dass die Planer die Pavillons eigens so niedrig setzten, dass der Blick auf den Dom von Schillerplatz und LU zum markanten Element wurde. „Das bringt mich dazu, einen Denkmalschutz für die Ludwigsstraße ins Spiel zu bringen“, sagte Erhardt, „Dom, Domgerüst und Pavillons werden zu einem Ensemble besonderer Ausstrahlung.“

Das alte Karstadthaus mit einem der Pavillons an der Fuststraße. - Foto: gik
Das alte Karstadthaus mit einem der Pavillons an der Fuststraße. – Foto: gik

Ebling verteidigte das Vorgehen der Stadt indes mit Verweis darauf, dass die Grundstücke an der LU im Besitz des privaten Investors seien – und der habe eine Dispositionsbefugnis über sein Eigentum. Die städtebaulichen Wettbewerbe seien regelkonform, „das ist keine Lex Gemünden, sondern eine mit der Architektenkammer abgestimmtes Werk“, betonte Ebling. Stadt und Investor nähmen jeweils zur Hälfte Einfluss. „Die Entwicklung, wir retten die Pavillons, ist nicht mehr mit dem kompatibel, wo wir heute stehen“, betonte der OB, im Wettbewerb würden zudem klare Vorgaben an die Textur der Fassade und die Begrünung formuliert. Ebling wies zudem den Vorwurf zurück, es habe erheblichen Zeitdruck gegeben auf die Stadträte: Die Vorlage liege seit April vor und sei gerade auf Wunsch der Grünen noch einmal verschoben worden.

„Die Auslobung für die Wettbewerbe liegt den Mitgliedern erst seit dem 1. September vor“, widersprach Grünen-Stadtrat Brian Huck, und auch die grüne Kommunalpolitikerin Renate Amman widersprach vehement: Die Fraktionsmitglieder hätten erst seit wenigen Tagen die vollständigen Unterlagen, „Sie setzen die Fraktionen unter einen Zeitdruck, der in keiner Weise nachvollziehbar ist“, warf sie Ebling vor: „Sie zwingen in der Vorlage die Stadtratsmitglieder zuzustimmen, ohne dass wir irgendetwas in der Hand haben.“

Auch von der ÖDP-Fraktion kam gleichlautende Kritik: Die Stadträte hätten gerade einmal sechs Tage Zeit mehrere hundert Seiten Unterlagen durchzuarbeiten, dass sei gerade für neue Ratsmitglieder beim komplexen Thema Ludwigsstraße nicht zu schaffen. „Es ist ein unglaublicher Zeitdruck“, sagte Stadträtin Dagmar Wolf-Rammensee (ÖDP), „wenn der Stadtrat das so abstimmt, werden große Fehler gemacht werden.“

„Wenn sich der Stadtrat unter Druck gefühlt hätte, hätte der Stadtrat die Möglichkeit, den Druck heraus zu nehmen“, und eine Verschiebung zu beantragen, sagte Ebling dazu. Es gehe um eine Zustimmung zum Grundkonzept, darum, „die Maschine in Gang zu setzen.“ Der Zeitplan erschließe sich ihr nicht, sagte aber auch Rößner, der hohe Zeitdruck  sei „der Sache nicht angemessen.“ Es sei doch „völlig egal, ob wir den Wettbewerb im September oder im November beschließen“, sagte sie, und fügte an Ebling gewandt hinzu: „Dass sich die neuen Stadtratsmitglieder überfahren fühlen, solltest Du ernster nehmen.“

Info& auf Mainz&: Eine Verschiebung des Stadtratsbeschlusses zur Ludwigsstraße wird es nicht geben, der Beschluss steht weiter auf der Tagesordnung des Stadtrats. Was der Investor Dirk Gemünden an der Ludwigsstraße genau plant, lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&. Wahrscheinlich habt Ihr jetzt in dem Text hier eine Person vermisst: Der unabhängige OB-Kandidat Nino Haase (CDU/ÖDP/FW) konnte an dem Podium der BI Ludwigsstraße leider nicht teilnehmen – Haase hatte just an dem Tag von einem plötzlichen Todesfall im engsten Freundeskreis erfahren. Wir reichen seine Positionen zur Ludwigsstraße demnächst in einem Interview nach. Alles zur OB-Wahl in Mainz findet Ihr im Übrigen in unserer Sonderrubrik OB-Wahl 2019 hier bei Mainz&.

 

 

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