Es war ein stilles Gedenken bei horrend schlechtem Wetter: Rund 200 Personen haben am späten Montagnachmittag auf dem Gutenbergplatz in Mainz der getöteten 14-jährigen Schülerin Susanna gedacht. Trotz strömenden Regens versammelten sich zahlreiche Prominente aber auch viele „normale“ Bürger am Gutenberg-Denkmal und stellten Kerzen auf. Gleichzeitig versammelten sich 20 rechte Protestierer des Bündnisses „Kandel ist überall“ auf dem Marktplatz. Nach Mainz&-Recherchen war darunter kein einziger Mainzer. Die Kundgebung war weiträumig von der Polizei abgesperrt und wurde von rund einhundert Gegendemonstranten aus dem linken Spektrum mit Pfiffen und „Haut ab“-Rufen begleitet. Die Polizei sprach von einem störungsfreien Ablauf.
Kurz vor 18.00 Uhr ging eine wahre Sintflut in Mainz nieder, eine Gewitterfront schüttete heftige Regenfälle über der Mainzer Innenstadt aus. Es war, als würde der Himmel selbst weinen über den gewaltsamen Tod der 14-jährigen Susanna. Die Schülerin vom Mainzer Lerchenberg war in der Nacht vom 22. auf den 23. Mai gewaltsam in Wiesbaden-Erbenheim getötet worden, der mutmaßliche Täter, der Iraker Ali Bashar, sitzt inzwischen in Frankfurt in Haft. Für Montag, 18.00 Uhr hatte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zu einem stillen Gedenken auf dem Gutenbergplatz aufgerufen. „Heute ist ein Tag der Trauer“, sagte DGB-Landeschef Dietmar Muscheid gegenüber Mainz&: „Es geht darum, dieser schrecklichen Tat und des Schicksals des Mädchens zu gedenken.“
Zugleich warnte Muscheid davor, die Tat zu instrumentalisieren für Hass und Hetze gegen Ausländer und Flüchtlinge. In Deutschland gebe es viele schreckliche Taten, rechte Hetzer aber interessierten sich nur für solche, die von Ausländern begangen würden, kritisierte er. Die Strafverfolgungsbehörden müssten nun ihren Job machen, betonte Muscheid: „Mord ist Mord, das ist keine Frage der Nationalität.“
„Wir sind hier, um uns an Mord nicht zu gewöhnen“, sagte der evangelische Dekan Andreas Klodt im Gespräch mit Mainz&. Das Geschehen sei „so traurig und so schrecklich, da fehlen einem die Worte“, sagte Klodt: „Und es gibt Situationen, da dürfen sie auch fehlen.“ Es brauche Raum für Trauer, „wir wollen aber auch bewusst als Stadt gemeinsam zusammenstehen.“ Es gelte zu zeigen, „dass unsere freiheitliche Demokratie und unsere Zivilgesellschaft die Kraft hat, so einem schrecklichen Sterben etwas entgegen zu setzen“, fügte Klodt hinzu.
„Auch schwere Zeiten können uns nicht auseinander dividieren“
Unter Regenschirmen versammelte sich schließlich eine kleine Menge rund um das Gutenberg-Denkmal. Die Polizei sprach am Abend von rund 150 Menschen, der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) von rund 200 Personen. „Wir sind traurig, sehr traurig“, sagte Ebling, eine junge Mainzerin sei „auf brutalste Weise aus dem Leben gerissen worden, das erfüllt uns mit Schmerz.“ Die Trauerkundgebung sei „ein Zeichen der Mitmenschlichkeit“ und ein Zeichen „dass uns auch schwere Zeiten uns nicht auseinander dividieren können.“ Man denke an die Familie und an die Freunde, die mitlitten. „Wir vergessen auch nicht, dass die Umstände der Tat noch viele Fragen aufwerfen, die auch unser Rechtsstaat beantworten muss“, betonte Ebling weiter. Die Tat sei „so brutal und unmenschlich, dass uns der Atem stockt“, es gelte nun aber, nicht „der Versuchung zu erliegen, mit vordergründiger Argumentation gegen die Offenheit unserer Gesellschaft zu argumentieren, den Rechtsstaat in Frage zu stellen oder das zum Anlass nehmen, unsere demokratischen Strukturen erschüttern zu wollen.“
Gekommen war auch der Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD). „Der schreckliche Mord hat uns in Wiesbaden schwer getroffen, nicht nur mich persönlich, sondern viele Teile der Stadtgesellschaft“, sagte Gerich Mainz&. Mainz und Wiesbaden feierten gemeinsam, und man trauere auch gemeinsam. In Wiesbaden seien viele Menschen geschockt, „es gibt Verstörung und auch Fragen, die gestellt werden, völlig zu Recht gestellt werden“, betonte auch Gerich. Er sei aber überzeugt, dass die Teile der Stadtgesellschaft stärker seien, „die weiter für eine tolerante offene Gesellschaft eintreten und weiter bereit sind, den Menschen, die hierhin gekommen sind, eine echte Chance zu geben.“ Dabei vergesse man nicht auch zu sagen „dass die Menschen, die unsere Werte und Grundordnung ablehnen und auch noch kriminell werden, keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“, fügte er hinzu.
„Mir begegnet keine Wut, nur Trauer und Anteilnahme“, sagte die Lerchenberger Ortsvorsteherin Sissi Westrich Mainz&. Viele hätten Susanna aus der Grundschule oder vom Einkaufszentrum gekannt, viele folgten nun dem Aufruf des Hotels Lerchenberger Hof und spendeten für Trauerfeier und Begräbnis. „Lerchenberg trauert“, sagte Westrich. „Die Mainzer sind total geschockt und traurig“, sagte auch der Grünen-Politiker Daniel Köbler, es gelte auch den Angehörigen von Susanna zu zeigen, „dass sie nicht alleine sind in dieser schrecklichen Stunde.“ Dass die rechten Demonstrationen nur wenige Teilnehmer hatten, überrasche ihn nicht, sagte Köbler weiter: „Die Mainzer sind nicht bereit, sich von den rechten Rattenfängern instrumentalisieren zu lassen“, sagte Köbler.
Rechtes Bündnis „Kandel ist überall“ nur mit 20 Personen vertreten
Tatsächlich standen nur wenige Meter weiter, mitten auf dem Markt, gerade einmal 20 Menschen rund um das Transparent „Kandel ist überall“. Die rechte Gruppierung hatte zu der Demonstration aufgerufen, unter den Teilnehmern war jedoch nach Mainz&-Recherchen kein einziger Mainzer. „Wir sind hier, weil es Parallelen gibt zwischen den beiden Fällen Susanna und Mia, und weil wir wollen, dass die Menschen das zur Kenntnis nehmen“, sagte Mit-Initiatorin Christiane Christen. Die Schülerin Mia war Ende 2017 von einem jungen afghanischen Asylbewerber, ihrem Ex-Freund, ermordet worden, der Fall erregte bundesweite Aufmerksamkeit. „Wir können doch nicht zuschauen, wie Frauen und Mädchen Opfer werden“, sagte Christen.
Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) seit die Kanzlerin die Grenze geöffnet habe, kämen „Hunderttausende hier rein, von denen wir nicht wissen, wer sie sind“, sagte Christen weiter. Das führe dazu, „dass eine bestimmte Anzahl Kriminellen unter den Flüchtlingen dieses Land betreten“, sagte sie. Die Grenzen müssten geschlossen werden, alle Illegale sofort das Land verlassen – und illegal seien praktisch alle Flüchtlinge. Alternativ müssten die Flüchtlinge „in kulturverwandte Schutzzonen“ gebracht werden, „dann hätten wir mögliche Gefährder nicht in unserer Nachbarschaft.“
Übertönt wurde die Kundgebung des rechten Bündnisses allerdings durch lautstarke Pfiffe und Sprechchöre von rund 120 Demonstranten aus dem linken Spektrum. „Wir wollen nicht, weil wir nicht wollen, dass die Rechten den Tod des Mädchens für ihre Hetze missbrauchen“, sagte eine Teilnehmerin von der Linken Jugend. Man wolle auch den wachsenden Versuchen dieser rechten Gruppen, sich mit sogenannten Montags-Demonstrationen in weiteren Städten zu etablieren, etwas entgegen setzen, fügte eine zweite Teilnehmerin hinzu – derweil sangen weitere Teilnehmer lautstark die „Internationale“.
Resolution der Mainzer SPD: Lassen Mainz nicht von Rassisten vereinnahmen
„Wir lassen es nicht zu, dass Mainz von Rechtsextremen jeglicher Couleur und Rassisten vereinnahmt wird, die versuchen den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu zerstören“, heißt es zudem in einer Resolution, die die Mainzer SPD am Samstag auf ihrem Parteitag verabschiedet. Das Motiv der rechten Demonstranten sei, „das Ende des demokratischen Rechtsstaates“ und fordern und sich „gegen jede Form einer vielfältigen und offenen Gesellschaft“ zu wenden. Das werde man nicht zulassen: „Wir wehren uns gegen jedwede Form von Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Diskriminierung und Gewalt. Unsere Stadt steht in der Bundesrepublik für einen toleranten und respektvollen Umgang miteinander. Das friedliche Zusammenleben in unserer wundervollen Stadt liegt uns am Herzen. Dabei lassen wir uns weder durch Bedrohungen, noch durch Gewalt einschüchtern.“
„Es sind Menschen, nicht Flüchtlinge, die Menschen töten“, hieß es zudem am Montag in einer von den Flüchtlingsräten von Hessen und Rheinland-Pfalz gemeinsam mit den Flüchtlingsräten von Mainz und Wiesbaden veröffentlichten Erklärung: „Wir alle, die wir uns für Menschen einsetzen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, verurteilen das grausame Verbrechen, dem Susanna zum Opfer gefallen ist. Das Leid, das ihr zugefügt wurde und den Schmerz ihrer Familie und Freunde können wir nur erahnen. Wir fühlen mit!“ Man hoffe und vertraue darauf, dass sich der Mensch, der Susanna so brutal das Leben genommen habe, vor Gericht verantworten müsse und bestraft werde, das hoffe man „auch im Namen der geflüchteten Menschen, die wir beraten, begleiten und unterstützen.“
Bashar gesteht Tötung, nicht aber Vergewaltigung
Susanna hatte sich am 22. Mai den bisherigen Ermittlungen zufolge mit Ali Bashar getroffen, der Iraker lebte zusammen mit seiner insgesamt achtköpfigen Familie in einem Flüchtlingsheim in Wiesbaden-Erbenheim. Bashar war im Zuge der großen Flüchtlingszustroms Ende 2015 nach Deutschland gekommen, sein Asylantrag war Ende 2016 abgelehnt worden. Bashar hatte dagegen geklagt, das Verfahren war noch nicht abgeschlossen – der gebürtige Iraker hielt sich demnach legal in Deutschland auf. Gemeinsam mit seinem Bruder bestand offenbar schon länger Kontakt zu Susanna, an dem fraglichen Abend sollen Ali und Susanna gemeinsam Alkohol und möglicherweise auch Drogen konsumiert haben. Es sei zum Streit gekommen in dessen Verlauf Susanna gedroht habe, sie werde Bashar bei der Polizei anzeigen. Aus Angst davor soll er sie dann erwürgt haben.
Bashar war am Freitagfrüh in seiner Heimatstadt im Norden des Irak von kurdischen Peschmerga-Einheiten festgenommen und bereits am Samstagabend nach Frankfurt ausgeflogen worden. In Wiesbaden wurde er noch am gleichen Abend über Stunden hinweg verhört. Bashar habe dabei gestanden, Susanna getötet zu haben, eine Vergewaltigung aber bestritten, teilte die Wiesbadener Polizei mit: Als Motiv habe er angegeben, Susanna habe Verletzungen im Gesicht gehabt, die durch einen Sturz entstanden seien, deshalb habe er befürchtet, dass das Mädchen die Polizei informieren werde. Eine Amtsrichterin ordnete daraufhin am Sonntag Untersuchungshaft an, Bashar wurde am Sonntagabend mit einem Polizeihubschrauber nach Frankfurt geflogen und dort in eine Justizvollzugsanstalt eingeliefert. Die Wiesbadener Polizei hatte in einer Pressekonferenz vergangene Woche mitgeteilt, sie gehe von einer Vergewaltigung sowie von Tod durch Strangulation aus.
Info& auf Mainz&: Mehr zu dem Fall Susanna und der Festnahme von Ali Bashar findet Ihr hier bei Mainz&, Details aus der Pressekonferenz der Wiesbadener Polizei vergangenen Donnerstag in diesem Mainz&-Artikel. Die Zahl der rechten Demonstranten haben wir persönlich gezählt – es waren ja nicht so viele.