Die gekippter Tempo 30-Regel auf den Hauptverkehrsachsen in Mainz sorgt weiter für viel Empörung: Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) „schadet mit ihrem Handeln der ökologisch notwendigen Verkehrswende massiv“, schimpfte nun ÖDP-Chef Claudius Moseler – und spricht von „Kündigung“. Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) müsse dafür sorgen, dass die Verwaltung rechtlich sauber arbeite. Derweil informierte die Stadt, wie es mit der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Steinkrüger weiter geht. Offene Fragen zu dem Skandal gibt es weiter reihenweise.

Am 9. April hatte der Stadtrechtsausschuss die Anordnung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen Parcusstraße-Kaiserstraße sowie Rheinstraße-Rheinallee in Mainz mit sofortiger Wirkung gekippt: Der Vorsitzende erklärte das reduzierte Tempolimit für rechtswidrig und betonte, bereits seit Ende 2022 bestehe keine rechtlich wirksame Regelung mehr. Auf Hauptverkehrsachsen, insbesondere Bundesstraßen, lässt die Straßenverkehrsordnung eigentlich keine Tempo 30 zu, Tempo 50 ist hier Regelgeschwindigkeit, das soll den Verkehrsfluss auf den Hauptachsen sicher stellen.
Die Stadt Mainz hatte das reduzierte Tempo 30 zum 1. Juli 2020 als Sonderregel eingeführt, um damit einem Dieselfahrverbot zu entgehen: Das reduzierte Tempo sollte bei der Luftreinhaltung und der Einhaltung des Schadstoffgrenzwertes von 40 Mikrogramm Stickoxiden pro Kubikmeter Luft helfen. Tatsächlich ergab inzwischen ein Gutachten im Auftrag der Stadt Mainz: Die Stadt hält bereits seit Anfang 2020 den Grenzwert ein, und das inzwischen deutlich.
Tempo 30 in Mainz war rechtswidrig seit Ende 2022
Mehr noch: Laut der Prognosen der Experten gelingt die Einhaltung des NO2-Grenzwertes auch bei Tempo 50, und zwar mit deutlichem Abstand zum Grenzwert. Eine Überschreitung sei auch in den kommenden Jahren nicht zu erwarten, konstatierten die Prüfer, auch nicht, wenn wieder Tempo 50 gelte. Das Gutachten wurde Ende Februar 2025 vorgelegt, das Pikante: Damit hätte Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) die Anordnung von Tempo 30 sofort aufheben müssen, da da für jetzt keine Rechtsgrundlage mehr vorlag – doch die Dezernentin weigerte sich, was der Ausschussvorsitzende explizit rügte.

Mehr noch: Die Stadt Mainz hätte eigentlich Ende 2022 ein neues Gutachten mit Blick auf den Schadstoffausstoß in Auftrag geben müssen, da ihr eigenes Gutachten nur bis Ende 2022 ging – doch auch das geschah nicht. Damit hatte man im Verkehrsdezernat zwei Jahre lang versäumt, die Tempo 30-Regel auf eine rechtssichere Grundlage zu stellen, was die CDU – damals in der Opposition – auch 2024 schon angemahnt hatte. Stattdessen beantragte das Verkehrsdezernat im April 2025 in aller Eile eine neue Genehmigung für Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen, dieses Mal auf der Basis des Lärmaktionsplans der Stadt Mainz – eine Entscheidung des Landesbetriebs Mobilität (LBM) steht noch aus.
Derweil herrscht in Mainz großer Ärger über das Agieren der Verkehrsdezernentin: Dass Steinkrüger zum wiederholten Male Recht biegt und bricht, kritisierten bereits FDP, Linke und AfD mit scharfen Worten. Die Liberalen sprechen inzwischen von „Doppelmoral“: „Verwaltungen dürfen nicht mit zweierlei Maß messen – wer bei den Bürgern hart durchgreift, muss auch eigenes Verwaltungshandeln hinterfragen“, sagte FDP-Fraktionschefin Susanne Glahn mit Blick auf die jüngste Bußgeld-Kampagne des Verkehrsdezernats gegen parkende Autos an Stellen, wo bislang Parken geduldet worden war.
ÖDP: In der Wirtschaft würde Steinkrüger sofort gekündigt
Die Mainzer ÖDP kritisiert nun sogar, Steinkrüger schade mit ihrem Handeln der ökologisch notwendigen Verkehrswende: „Insbesondere die Kommunikation mit den Menschen unserer Stadt ist eine Katastrophe, Bürgerbeteiligungen und Vorabinformationen finden in diesem Dezernat nicht statt“, schimpfte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler: „Frau Steinkrüger verstärkt mit ihrer unprofessionellen Haltung die um sich greifende Politikverdrossenheit.“

Die Menschen seien sehr wohl zum Umstieg vom Auto auf andere Verkehrsmittel zu gewinnen, dafür brauche es aber den Ausbau des ÖPNV, die Errichtung vernünftiger Radwege und von alternativen Parkmöglichkeiten, betonte ÖDP-Stadträtin Dagmar Wolf-Rammensee: „Erst Alternativen schaffen und in den Dialog gehen, und dann kann man mit Einschränkungen in der Verkehrspolitik arbeiten.“ Aber genau das passiere in Mainz nicht, wie etwa der „inakzeptable“ Umgang mit Bürgern bei der Neuordnung des ruhenden Verkehrs in der Wallstraße oder bei der Einführung von Fahrradstraßen zeige.
Mit Blick auf die rechtlich unzulässige Anordnung von Tempo 30 in der Mainzer Innenstadt „fragen wir uns, ob die fachlichen Voraussetzungen im Dezernat überhaupt noch gegeben sind“, kritisieren Moseler und Wolf-Rammensee weiter: „In der freien Wirtschaft würde Frau Steinkrüger mit einer sofortigen Kündigung ‚belohnt‘ werden.“ Die ÖDP appelliere an OB Haase, „hier aktiv zu werden“, fordern die beiden Stadträte: „Es muss sichergestellt werden, dass Dezernat und die Dezernentin die notwendigen Maßnahmen für eine ökologische Verkehrswende auf rechtlich sauberer Grundlage entwickeln.“ Haase müsse Steinkrüger zudem „mehr Bürgerbeteiligung ins Stammbuch schreiben.“

Dienstaufsichtsbeschwerde: Entscheidung binnen drei Monaten
Mitte April hatte zudem ein Mainzer Bürger Dienstaufsichtsbeschwerde bei OB Haase gegen die Dezernentin eingereicht – wegen jahrelangen Rechtsbruchs, Verfahrensverschleppung und bewusster Missachtung der Anordnungen des LBM. Der Stopp der rechtswidrigen Tempo 30-Regelund war nämlich aufgrund der Beschwerde des Mainzer Juristen Friedemann Kobusch zustande gekommen, Kobusch hatte seinen Einspruch aber schon Ende Juni 2021 bei der Stadt Mainz eingereicht – behandelt wurde er aber erst Ende 2023, nachdem Kobusch OB Haase angeschrieben hatte.
Die Stadtverwaltung teilte nun auf Mainz&-Anfrage mit, die Dienstaufsichtsbeschwerde werde derzeit geprüft. „Natürlich erfolgt eine inhaltliche und fachliche Recherche mit anschließender Prüfung der vorgebrachten Kritikpunkte des Beschwerdeführers“, teilte die städtische Pressestelle mit. Dazu werde Dezernentin Steinkrüger auch angehört. Es gelte aber „auch für eine Dezernentin das grundlegende Prinzip des Datenschutzes und der Vertraulichkeit bei Personalangelegenheiten.“ Der Petent sei über das weitere Vorgehen informiert und erhalte binnen der vorgegebenen drei Monate Frist eine Antwort.
Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zur gekippten Tempo 30-Regelung findet Ihr hier bei Mainz&. Was genau in dem Gutachten steht, und wie der Einspruch von Friedemann Kobusch zustande kam, lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&.
