Ab dem 1. Juli wird sich die Verkehrslandschaft in Mainz erheblich verändern: Auf den wichtigen Durchgangsstraßen Rheinallee, Rheinstraße und Kaiserstraße gilt dann flächendeckend Tempo 30. Die Geschwindigkeitsreduzierung sei ein lang gehegter Traum, sagte der Ortsvorsteher der Mainzer Neustadt, Christoph Hand (Grüne), am Mittwoch, und auch sein Kollege aus der Altstadt, Brian Huck (Grüne) unterstrich: „Die Regelung wird von den Anwohner sehr stark begrüßt.“ Die Hoffnung der grünen Politiker: Tempo 30 reduziert Lärm und vor allem giftige Abgase, die Gutachten von Experten sind sich da allerdings keineswegs einig. Laut einer Studie des ADAC macht Tempo 30 den ÖPNV unattraktiver – und verursacht womöglich sogar mehr Schadstoffe.
Ende Januar hatte Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) angekündigt, Tempo 30 auf der gesamten Achse Parcusstraße-Kaiserstraße, sowie auf der Rheinachse vom Zollhafen bis Holzhofstraße einzuführen. Die Geschwindigkeitsreduzierung bringe neuesten Gutachten zufolge eine deutliche Reduzierung der Stickoxidemissionen, argumentierte Eder, vergangene Woche betonte die Dezernentin erneut: Mit Tempo 30 sei es möglich, ein Dieselfahrverbot zu vermeiden, die Maßnahme bringe allein eine Reduzierung von vier Mikrogramm der giftigen Stickoxide.
„In genau einer Woche tritt die Geschwindigkeitsreduzierung in Kraft, wir wollen heute dafür sensibilisieren“, sagte der Ortsvorsteher der Mainzer Neustadt, Hand (Grüne), am Mittwoch bei einem Pressetermin in Mainz. Tempo 30 werde von den Anwohner stark begrüßt, sagte Hand, die Rheinallee sei eine der am heftigsten vom Lärm geplagten Straßen in Mainz: 65 Dezibel verursache der Verkehrslärm hier im Schnitt, durch Tempo 30 könne eine Reduzierung von 2,4 Dezibel erreicht werden. „Drei Dezibel sind eine Halbierung“, behauptete Hand.
Experten zufolge entsprechen zwar drei Dezibel dem doppelten Schalldruck, doch ob ein Unterschied von drei Dezibel vom Menschen überhaupt als merklicher Unterschied wahrgenommen wird, ist umstritten: Eine Erhöhung des Lärmpegels um zehn Dezibel wird vom Menschen als Verdoppelung wahrgenommen. Nach der Einführung vom Tempo 30 bei Nacht auf der Rheinstraße in der Mainzer Altstadt besagte eine Untersuchung des rheinland-pfälzischen Landesamtes für Umwelt zudem: Der Lärm war auf der Strecke nicht signifikant gesunken, Anwohner bestätigten, der rollende Verkehr sei gar nicht so das Problem – den störenden Lärm verursachten vielmehr rappelnde Lkw bei Schlaglöchern, hochdrehende Motoren von Autoposern und anfahrende Motorräder an Ampeln.
Man freue sich auf „die Reduzierung von Lärm und Schadstoffen“, betonte aber auch Altstadt-Ortsvorsteher Brian Huck (Grüne) am Mittwoch: „Diese Maßnahme wird von den Anwohner sehr begrüßt.“ Gerade auch aus dem dicht besiedelten Schlossviertel gebe es massive Klagen wegen Verkehrslärm und schlechter Luft, nun habe man mit dem Tempo 30 die Möglichkeit gegenzusteuern. „Wir leben mit 29.000 Menschen allein in der Mainzer Neustadt, die gilt es zu schützen“, sagte auch Kollege Hand. Gerade durch die neue, beidseitige Bebauung der Rheinallee am Zollhafen habe sich der Lärm erheblich verstärkt.
Zu mehr Staus durch die geringe Geschwindigkeit werde es aber nicht kommen, sagte Huck: „Tempo 30 verursacht keine Staus.“ Allerdings sei die Voraussetzung dafür die Anpassung der Ampelphasen auf die reduzierte Geschwindigkeit. Ob die aber auch rechtzeitig zum 1. Juli umgesetzt wird, konnte Huck auf Nachfrage nicht sagen: „Das ist eine sehr komplexe Frage, das Thema ist der Verwaltung bekannt“, sagte Huck. Gleichzeitig betonte der Grüne: „Wer diese Strecke unbedingt nehmen will, wird nicht in mehr Staus geraten als vorher, es wird nichts lahm gelegt.“
Verkehrsexperten sind da skeptischer: Eine flächendeckende Tempo 30-Regelung mache Straßen weniger leistungsfähiger, der Zeitvorteil verringere sich – gerade Hauptverkehrsstraßen verlören damit an Attraktivität. „Dadurch würde die Bündelungsfunktion der Hauptverkehrsstraßen verloren gehen“, betont der ADAC in einer Stellungnahme zum Thema. Tempo 30 habe sich in Wohngebieten gut bewährt, vor Schulen, Altenheimen und Kitas sei es wichtig, argumentiert der Verkehrsclub weiter. Auf Hauptverkehrsstraßen sei Tempo 30 als Regelgeschwindigkeit hingegen nicht sinnvoll – es drohe die Gefahr der Verlagerung auf Ausweichstrecken.
In Mainz gibt es in der Innenstadt aber praktisch keine Ausweichstrecken mehr: Die gesamte Neustadt ist bereits verkehrsberuhigt, die Boppstraße wird im Zuge ihres Umbaus gerade ebenfalls stark verkehrsreduziert werden, stellenweise wird hier sogar Tempo 20 gelten. Auch die Altstadttangente Große Langgasse – Weißliliengasse wurde auf Tempo 30 oder weniger reduziert. Als Ausweichstrecke steht in Mainz deshalb nur der Autobahnring mit A643 über die Schiersteiner Brücke oder die A60 über die Weisenauer Brücke zur Verfügung, beide Strecken bedeuten weite Umwege und sind schon jetzt in Stoßzeiten hochbelastet.
„Hauptverkehrsstraßen dienen der Bündelung des durchgehenden Verkehrs und sollen so zu einer Entlastung des untergeordneten (Wohn-)straßennetzes beitragen“, heißt es zudem auch beim Umweltbundesamt. Eine Tempo-30-Anordnung solle „diesen Grundsatz in der Regel nicht in Frage stellen, die Verkehrsfunktion der übergeordneten Straße solle auch mit Tempo 30 erhalten bleiben.“ Laut ADAC steht das aber durchaus in Frage: Die Leistungsfähigkeit einer Straße sinke, weil mit geringerer Geschwindigkeit auch weniger Fahrzeuge abgewickelt werden könnten.
Mehr noch: Laut einer Studie des ADAC aus dem April 2018 stoßen Pkw bei Tempo 30 sogar mehr Schadstoffe aus als bei Tempo 50, ein solches Tempo als Regeltempo sei deshalb auch aus Umweltgründen nicht sinnvoll, heißt es beim Verkehrsclub. Auch sei zu bedenken: Das Tempo gelte dann ja auch für städtische Busse, das mache auch den ÖPNV langsamer – und damit auch unattraktiver für die Fahrgäste. Und schließlich sei da noch das Gefühl, nicht voran zu kommen: Tempo 30 finde wenig Akzeptanz bei den Autofahrern, betont der ADAC. Bei einer repräsentativen Umfrage der ADAC Mitglieder im Januar 2018 hätten nur 23 Prozent angegeben, sie seien für die Einführung einer Regelgeschwindigkeit von 30 kmh.
Tatsächlich räumt auch das Bundesumweltamt in seinen neuesten Untersuchungen ein: Tempo 30 werde von den Autofahrern in der Realität kaum eingehalten, die real gefahrene Geschwindigkeit sinke dadurch keineswegs um 20 kmh. „Die Anordnung von Tempo 30 reduzierte die gefahrenen Geschwindigkeiten allerdings weniger, als die Differenz der Anordnungsgeschwindigkeiten vermuten ließe“, heißt es beim UBA – Untersuchungen zeigten vielmehr: Tempo 30 wird kaum eingehalten. Die Stadt hat deshalb scharfe Kontrollern angekündigt: Es werde „eine Übergangsphase“ nach Einführung von Tempo 30 geben, sagte auch Hans am Mittwoch, „aber dann wird durchgegriffen.“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Argumentation der Stadt Mainz zur Einführung von Tempo 30 sowie zur Vermeidung eines Dieselfahrverbots findet Ihr hier bei Mainz&: Was Anwohner der Rheinallee 2015 über den Lärm vor ihren Fenstern sagten, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Alle Gutachten zum Thema Tempo 30 sowie die Studie des Bundesumweltamtes zum Thema findet Ihr hier auf der Homepage der Stadt Mainz. Wir werden dem Thema natürlich noch weiter nachgehen – und auch einen intensiven Blick in die Gutachten werfen.