Es war Mitte Juli, als die Mainzer Universitätsmedizin mit einem Paukenschlag aufwartete: Man strebe nun doch eine Zwei-Campus-Lösung in Sachen Neubau der Uniklinik an und wolle ein neues Zentralklinikum bauen – und zwar auf dem Mainzer Lerchenberg, oberhalb der Draiser Senke. Der Aufschrei in Mainz war groß, der BUND zeigte sich fassungslos, Teile der Politik verteidigten den Plan. Aber was ist das überhaupt für eine Gelände, die Draiser Senke? Mainz& war mit dem Jäger Bernd Lingner unterwegs, und der zeigt sich von den Bauplänen fassungslos: Ein Bauvorhaben auch nur in einem Teil des Gebietes würde massive Schäden verursachen. Die Freien Wähler fordern derweil, als Alternative Felder oberhalb von Marienborn zu prüfen. Ein Ortsbesuch.

Jäger Bernd Lingner im "Paradies": Dem Naherholungsgebiet rund um die Draiser Senke. - Foto: gik
Jäger Bernd Lingner im „Paradies“: Dem Naherholungsgebiet rund um die Draiser Senke. – Foto: gik

„Das hier“, sagt Bernd Lingner, und atmet tief durch, „das hier ist ein Paradies.“ Wir stehen auf einer Wildwiese direkt unterhalb des ZDF-Geländes auf dem Lerchenberg bei Mainz, der Blick schweift von hier weit über die Stadt und bis zum Taunus. Die Wiese ist umgeben von niedrigen Gehölzen, Büschen und Bäumen. Ungepflasterte Wege ziehen sich entlang von Gehölzreihen und neben Böschungen. Links des Wegs taucht auf einmal ein kleiner Weiher auf, jenseits der Böschung weitete sich plötzlich der Blick in ein kleines Tal mit Obstbäumen und Wiesen.

Wir sind unterwegs in der „Draiser Senke“, einem der letzten verwunschenen Naherholungsgebiete in Mainz, einem Tal zwischen den beiden Stadtteilen Drais und Lerchenberg, unterhalb und neben dem Gelände des großen Fernsehsenders ZDF gelegen. Es ist ein weitläufiges Tal, das neben den verwunschenen Wiesen, den Obsthainen und manch vergessenem Teichbecken auch Felder umfasst, Felder, die unmittelbar an das Sendezentrum des ZDF angrenzen. Und genau hier soll nach den neuesten Plänen der Mainzer Universitätsmedizin und des Landes Rheinland-Pfalz ein neues Zentralkrankenhaus entstehen.

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Neubau Mainzer Unimedizin: jetzt plötzlich doch Zwei-Campus-Lösung

Mitte Juli ließ die Mainzer Universitätsmedizin auf einmal eine veritable „Bombe“ platzen: In der Pressemitteilung zum Jahresbericht 2024 hieß es, bei der Sitzung der Trägerversammlung der Universitätsmedizin Mainz sei auch über den Baumasterplan der Unimedizin gesprochen worden – und zwar über „Überlegungen für eine Zwei-Standort-Variante“. Diese Überlegungen seien erstmals Ende 2024 aufgekommen, es gebe jetzt „eine vielversprechende und realistische Alternative zur Erneuerung innerhalb des Campus“ in der Mainzer Oberstadt: Auf dem Lerchenberg könne ein neues Zentralkrankenhaus entstehen, in den Blick nehme man eine Teilfläche des B146 Medienpark.

So sah der Entwurf für den geplanten Zentralbau der Mainzer Unimedizin auf dem Campus in der Oberstadt aus, der Ende 2023 präsentiert wurde. – Grafik: Universitätsmedizin 2023
So sah der Entwurf für den geplanten Zentralbau der Mainzer Unimedizin auf dem Campus in der Oberstadt aus, der Ende 2023 präsentiert wurde. – Grafik: Universitätsmedizin 2023

Das widersprach allen bisherigen öffentlichen Ankündigungen, nach denen ein neuer Zentralbau auf dem Campus der Unimedizin in der Mainzer Oberstadt entstehen sollte – so noch Ende 2023 groß von Seiten des Landes, der Unimedizin und der Stadt Mainz mit einem „Memorandum of Understanding“ angekündigt.

Nun die Kehrtwende: Ausgerechnet auf dem Gelände des vor rund 30 Jahren vom ZDF geplanten „Medienparks“ wolle man ein neues Zentralkrankenhaus bauen – das ZDF-Vorhaben scheiterte damals am Widerstand der Mainzer, an den hohen Kosten und an gravierenden Umweltbedenken. Der damals aufgestellte Bebauungsplan indes wurde nie zurückgenommen, wahrscheinlich macht genau das das Gelände so interessant.

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Uhu und Wiedehopf: Senke ist Heimat bedrohter Tierarten

Bernd Lingner fährt seinen kleinen Jeep mit Vollgas durch die Unterführung unter der Autobahn A 60 und anschließend in Richtung Lerchenberg-Hang. An einem Gebüsch in einer Kurve stoppt er plötzlich: „Hier drin gibt’s alles“, sagt Lingner, und zeigt auf die Hecke: „Rehwild, Fuchs, Dachs, Marder – und den Uhu.“ Genau an dieser Ecke des Gehölzes habe er den großen Nachtvogel gesichtet, „das ist etwas ganz besonderes“, schwärmt er: „Uhus sind eine ganz besonders geschützt Art, die gibt es nicht so oft, und das hier ist ein Paar, die brüten hier irgendwo.“

Diese Felder liegen genau auf dem Gelände, für den es einen Bebauungsplan gibt - für den vor 20 Jahren geplanten ZDF-Medienpark. - Foto: gik
Diese Felder liegen genau auf dem Gelände, für den es einen Bebauungsplan gibt – für den vor 20 Jahren geplanten ZDF-Medienpark. – Foto: gik

Bernd Lingner ist seit mehr als 15 Jahren als Jäger und Jagdpächter genau für das Gebiet der Draiser Senke sowie für die Felder rund um Bretzenheim, den Lerchenberg, Marienborn und Hechtsheim zuständig. Seine Aufgabe: „Die Jäger sind dafür da, die Wildbestände in einem bestimmtem Maß zu halten“, erklärt er, „also nicht zu viel Wild, dass Schäden entstehen, aber auch nicht zu wenig, damit die Art fortbesteht.“ Viele Mainzer wissen gar nicht, dass die Felder in Mainz auch ein Jagdpachtgebiet sind, und von Jägern beobachtet und gehegt werden, die aber erfüllen eine wichtige Funktion.

„Würde man das nicht tun, würde sich das Rehwild immer mehr vermehren, sich Futter suchen – etwa in Weinbergen und Obstplantagen“, erklärt Lingner weiter. Auch einen Sicherheitsaspekt gebe es dabei, wenn nämlich Rehwild auf die angrenzende Autobahn des Mainzer Rings laufe, dort mit Autos kollidiere und schwere Unfälle verursache. Auch dafür sind die Jäger dann zuständig, an diesem Abend werden sie noch einen Storch bergen und entsorgen müssen, der von einem Auto erfasst und getötet wird.

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Einziges waldähnliches Gebiet, wichtiges Naherholungsareal

Bernd Lingner ist Jäger mit Leib und Seele, und wenn er über die Natur in „seinem“ Jagdgebiet spricht, kommt er regelrecht ins Schwärmen. „Diese Flächen da hinten, da gibt es noch viele Feldhasen“, berichtet er, während wir weiter in seinem Jeep über die Wege schwanken. Wirklich ökologisch wertvoll aber seien die Baumstücke und Heckengehölze, denn in denen könne sich das Wild verstecken, ebenso Füchse und der Dachs, Marder und Iltis. Die Bandbreite sei enorm, sagt Langner, und noch eine ganz besondere Art lebe hier: „Wir haben hier noch etwas Tolles: den Wiedehopf“, sagt der Jäger stolz.

Bernd Lingner an einem kleinen Teich auf dem Gelände des ZDF-Medienparks, der Teich wurde durch Maßnahmen des ZDFs weitgehend trocken gelegt, bedauert er - alle Appelle an den Sender blieben bislang vergeblich. - Foto: gik
Bernd Lingner an einem kleinen Teich auf dem Gelände des ZDF-Medienparks, der Teich wurde durch Maßnahmen des ZDFs weitgehend trocken gelegt, bedauert er – alle Appelle an den Sender blieben bislang vergeblich. – Foto: gik

Der Wiedehopf gehört zu den vom Aussterben bedrohten Arten, in Rheinland-Pfalz gebe es lediglich in der Westpfalz und in Rheinhessen einige „Restvorkommen“, heißt es beim Mainzer Umweltministerium. Grund sei der ständige Schwund der Lebensräume für den Vogle mit dem lustigen Kopfputz. Seine Beute sucht er sich am Boden unter Insekten und Eidechsen, 2022 war der extravagante Exot „Vogel des Jahres“, um auf seine Gefährdung aufmerksam zu machen.

Dass es nun Überlegungen geben soll, ausgerechnet das kleine Naturparadies bei der Draiser Senke zu bebauen, macht Lingner fassungslos: Mainz habe ja im Stadtgebiet keinen Wald, „das einzige, was waldähnlich ist, ist das Gebiet hier – und ausgerechnet das wollen sie bebauen“, sagt er traurig. Für die Naherholung sei das „nicht zu ersetzen“, für die Tierwelt schon gar nicht. „Was bebaut ist, ist bebaut, das ist unwiderruflich weg“, sagt er mit Naschdruck, da würden auch keine sogenannten „Ausgleichsflächen“ helfen. „Das ist Quatsch“, sagt Langner, entrüstet: Wenn Sie etwas zubetonieren, ist es weg.“

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Freie Wähler: Alternativstandorte prüfen wie Felder bei Marienborn

Das befürchtet auch Christian Weiskopf, Chef der Freien Wähler in Mainz und selbst Jäger und Teil der Jagdpächter-Gemeinschaft für die Draiser Senke. „Das hier ist die grüne Lunge von Mainz“, sagt Weiskopf, und die dürfe schlicht nicht gefährdet werden. „Die Mainzer Universitätsmedizin muss sich erneuern, das ist ganz klar“, betont Weiskopf. Aber das Medienpark-Gelände samt angrenzendem Tal sei ökologisch viel zu wertvoll, die Bebauung mit dem Medienpark „aus gutem Grund gestoppt worden“, auch weil hier mit die wichtigste Frischluftschneise für die Mainzer Innenstadt liege.

Christian Weiskopf, Chef der Freien Wähler in Mainz, auf den Fldern entlang der L426 oberhalb von Marienborn. - Foto: gik
Christian Weiskopf, Chef der Freien Wähler in Mainz, auf den Fldern entlang der L426 oberhalb von Marienborn. – Foto: gik

Zumal es doch Gebiete in Mainz geben, die bereits erschlossen und wesentlich geeigneter seien: „Man muss Alternativen prüfen, in Hechtsheim oder in Marienborn“, fordert Weiskopf – und schlägt auch direkt ein Areal vor: Was sei denn mit den Feldern entlang der L426 oberhalb von Marienborn, neben dem Medienpark? Dort sei die Erschließung wesentlich leichter, die Straßenbahn halte direkt nebenan, und auch Zufahrten seien einfacher – schließlich müssten ja auch die Patienten das neue Zentralklinikum erreichen können. „Mainz braucht einen durchdachten Plan“, forderte Weiskopf.

Tatsächlich findet sich hier, oberhalb von Marienborn, eine weitgehend monotone und offene Felderlandschaft. „Wenn Sie diese Landschaft hier sehen“, sagt Lingner, „das ist eine Wüste.“ Hier gebe es praktisch keine Bäume oder grüne Randgehölze, erklärt Lingner, „ökologisch gesehen ist das totes Land.“ Noch schlimmer wird es, als wir in Richtung Hechtsheim fahren: Entlang der Felder in Richtung Messegelände und Möbel Martin gibt es nun gar keine Abwechslung mehr, weder Baum noch Strauch, lediglich rund ein Dutzend Windräder stehen hier.

Lingner und Weiskopf sind sich einig: Hier draußen würde ein Zentralklinikum aus ihrer Sicht deutlich mehr Sinn machen –  und deutlich weniger Schaden anrichten. Die Draiser Senke zu bebauen hingegen, „wäre ein Verbrechen an der Umwelt und der Natur“, kritisiert Weiskopf. Am Donnerstagnachmittag will sich der Bauausschuss der Stadt Mainz mit dem Thema Neubau Zentralklinikum und Draiser Senke befassen, dann sollen der Stadtpolitik erstmals öffentlich genauere Pläne zu dem Vorhaben vorgestellt werden.

Info& auf Mainz&: Mehr zu der Kehrtwende der Mainzer Universitätsmedizin und dem Neubauvorhaben Zentralklinik lest Ihr hier bei Mainz&. Und aus gegebenem Anlass haben wir eine kleine Fotogalerie zum Thema Draiser Senke für Euch: