„Wieder Fastnacht“, singt das Trio Aeterna, und der Saal schunkelt begeistert mit. Ja, es ist Fastnacht, und in den Sälen haben nun auch die klassischen Sitzungen ihre Hochzeit: Der Karneval Club Kastel (KCK) hatte zu seiner ersten „Fremdensitzung“ geladen. „Die Narrenschell‘ klingt hell und klar, aus Mainz-Kastel im Jubeljahr“, lautet das diesjährige Motto. In seinem 77. Jubiläumsjahr ringt der Fastnachtsclub von rechts des Rheins mit dem Spagat zwischen moderner Fastnacht und „alten Eisen“ – Letztere kommen beim Publikum deutlich schlechter an. Merke: Bei altbackenen Witzen gibt’s Buhrufe, für moderne Nummern und spitze Polit-Kritik stehende Ovationen.

Daniel Vetter führte als Sitzungspräsident schwungvoll und gekonnt durch die KCK-Fremdensitzung 2024. - Foto: gik
Daniel Vetter führte als Sitzungspräsident schwungvoll und gekonnt durch die KCK-Fremdensitzung 2024. – Foto: gik

Auch der Karneval Club Kastel (KCK) hat mit Krankheit und Fachkräftemangel zu kämpfen: Der Sitzungspräsident liegt krank im Bett, damit fehlt auch gleich das traditionsreiche „Frosch“-Protokoll. Die erste Lücke füllt Daniel Vetter, Sitzungspräsident der Nachthemden-Sitzung des KCK, und Vetter tut es mit einer schwungvollen und zuweilen gereimten Moderationen – Chapeau: Vetter hatte für seine Vorbereitung gerade einmal drei Tage Zeit.

Schon vergangenes Jahr war Vetter bei der Fenstersitzung des KCK für Bardo Frosch eingesprungen, die Närrische Online-Weinprobe des KCK moderierte er sowieso schon, jetzt führte er mit Pepp und Selbstironie gekonnt durch die „große“ Sitzung – da macht sich ein Nachwuchsmann auf, die Schelle dauerhaft zu erobern.

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Scharfe Narrenkritik: „Wer küsst mal unser’n Kanzler wach?“

Die Lücke des Protokolls füllte indes Gunther Raupach, der Ranzengardist hat in diesem Jahr einen schwungvollen und und höchst spritzigen Rückblick auf das Polit-Geschehen im Gepäck, das schon zur Nachthemdensitzung des KCK das Publikum verzückte. „Grün war die Hoffnung, jetzt hoffen die Grünen, nicht noch mehr Wahlen zu verlieren“, konstatiert der Mann mit der Lizenz zur politischen Spitze, und fragt: „Wer küsst mal unser’n Kanzler wach?“ Ob SPD, FDP oder Grünen, CDU oder Fifa-Boss Infantino: Keiner ist vor dem kritischen Blick des Narren sicher – gut so!

Spritziger Jahresrückblick mit vielen politischen Seitenhieben: Gunther Raupach von der Mainzer Ranzengarde. -Foto: gik
Spritziger Jahresrückblick mit vielen politischen Seitenhieben: Gunther Raupach von der Mainzer Ranzengarde. -Foto: gik

Besonders eindringlich aber wird der Protokoller, wenn er den Überfall der Hamas auf Israel geißelt, oder die braunen Umtriebe neuer Faschisten: „Lernt endlich draus!“, fordert der Narr von der hohen Politik: Wer hohe Inflation und Firmenpleiten, Fachkräftemangel und die vielen anderen Probleme im Land weiter ignoriere, der müsse sich nicht wundern, wenn rechte Populisten Zulauf bekämen: „Denn wenn man weiter macht solch‘ Fehler, dann liegt die Dummheit nicht beim Wähler.“ Der Saal feierte den Politik-Chronisten mit minutenlangen stehenden Ovationen.

Vom Fachkräftemangel kann auch der „Praktikant“ einiges erzählen: Marcel Jakobi, eigentlich schon kein Nachwuchsmann mehr, erprobt sein Talent auf dem Bau, bei der Polizei und beim Friseur, und spielt das alles schwungvoll und mit großer Mimik. Grandios sein Ritt durch eine Fastnachts-Sitzung im Altenheim, das ist toller Narren-Kokolores. Ja, in der Fastnacht herrscht wahrlich inzwischen kein Nachwuchsmangel mehr. Noch vor wenigen Jahren kursierte in den Vereinen die bange Frage: Wo kriegen wir neue Redner junge Akteure her?

Figuren aus der „alten“ Fastnacht: Polizist und Hobbes

Inzwischen hat sich durch kluge Förderung vieler Vereine eine wahre Fundgrube an neuen Rednern aufgetan. Umso erstaunlicher ist es da, dass just der KCK noch einmal zu alten Eisen greift: Da erzählt Alexander Leber zum wiederholten Male aus dem Leben eines Polizisten, und auch wenn seine Geschichten durchaus aktuell sind – die Figur an sich hat das Update in die Neuzeit irgendwie verpasst: Die Polizei von heute agiert längst deutlich moderner.

Klassischer "Schreivortrag": Hansi Greb als "Hobbes". - Foto: gik
Klassischer „Schreivortrag“: Hansi Greb als „Hobbes“. – Foto: gik

Hansi Greb darf dann als „Hobbes“ zu späterer Stunde noch einmal seine typischen Ehebeobachtung in den Saal feuern – und muss erleben, wie ihm Buhrufe und Pfiffe aus dem Saal entgegen schallen. Aber wieso muss man sich auch im Jahre 2024 noch längliche Verse anhören, wie sich die Ehefrau die Haare macht? Und Klimakleber mit verbrannter Gans zu stopfen – das dürfte so mancher schlicht als unpassend empfunden haben. Der „geschrieene“ Vortrag ist alte Mainzer Fastnachtstradition, doch muss man Anno 2024 wirklich noch sein Publikum derart anbrüllen?

Der Generationswechsel rollt längst unaufhaltsam, und er hat jede Menge neue närrische Topleute auf die Bühnen gespült – wie einen Johannis Bersch. Es war schließlich der KCK selbst, der dieses Ausnahmetalent auf die Mainzer Bühne brachte – hier beim KCK entwickelte Bersch auch seine „Moguntia“, die heute zum Besten gehört, was die politische-literarische Mainzer Fastnacht zu bieten hat.

„Moguntia“ und „Deutscher Michel“ in absoluter Hochform

In diesem Jahr läuft die „Moguntia“ noch einmal zu einer neuen Hochform auf: spitz wie nie und hintersinnig-verschmitzt hält Bersch der politischen Riege des Landes den Narrenspiegel vor. Da sitzt jede Pointe, ist jeder Satz ein Treffer – ja: der „Bote vom Bundestag“ hat seinen würdigen Nachfolger gefunden.

In absoluter Hochform und top-modern auf den Punkt: Der "Deutsche Michael" alias Bernhard Knab. - Foto: gik
In absoluter Hochform und top-modern auf den Punkt: Der „Deutsche Michael“ alias Bernhard Knab. – Foto: gik

Grandios in Hochform ist auch der Deutsche Michel: Bernhard Knab zeigt, wie man eine Traditionsfigur in die Moderne katapultiert. „Dem Volk aufs Maul schauen“, ist gute alte Mainzer Fastnachtstradition, Knab aber steht nicht nur cool neben der Bütt, sondern feuert auch seine Pointen in einer Geschwindigkeit raus, dass man kaum hinterher kommt – und das alles in freier Rede. Dabei ist der „Michel“ bissig und kritisch auf den Punkt, geißelt Altersarmut und Arzneimittelmangel, Genderwahn und grüne Cannabis-Träume: „Nur in den grünen Köpfen steht: Wunsch = richtig, falsch = Realität.“

In bester Narrentradition wird der „Michel“ zum Sprachrohr des von Volkes‘ Mund, nie platt, dafür aber durchaus auch mal moralisch: „Entscheidungen werden durchgequält, des Volkes Meinung nicht mehr zählt“, kritisiert Knab, und warnt: „Dank Eurer Ampelpolitik, schwebt jetzt die AfD im Glück.“ Und auch das Gegenrezept liefert der „Michel“ gleich mit: „Denkt nicht nur an die eigene Tasche, entfernt die ungelernten Flasche, macht für den Bürger Politik, dann kehren Tausende zurück.“

Eisbären mit Überlänge, Publikum mit weniger Stehvermögen

Und wenn der Knab dann zum Schluss noch die LED-Brille aufsetzt und seinen Schlussvers rappt, dann ist von altbacken nun wirklich keine Spur mehr – der Saal feiert den furiosen Vortrag mit donnernden Ovationen. Schade, dass das Fernsehen seit Jahren einen Bogen um diese ausdrucksstarke Polit-Figur macht: der Michel würde sicher vielen Deutschen in den Wohnstuben aus tiefstem Herzen sprechen. „Als Deutscher Michel das ist wahr, gehörst du hier zum Inventar“, würdigt ihn Daniel Vetter: „Glossierst, wo and’re nur ’nen Bogen machen, Legst den Finger in die Wunde, wie es des Michaels Pflicht. Ein Dank für Dich vom ganzen Haus, en dankbar donnernden Applaus!“

Die Eisbären als Bademeister und mit Überlänge. - Foto: gik
Die Eisbären als Bademeister und mit Überlänge. – Foto: gik

Musik kann man natürlich auch beim KCK, hier sind die „Eisbären“ zu Hause, die Gesangstruppe kommt in diesem Jahr als Bademeister daher und weiß das mit pfiffigen Gags zwischendurch zu garnieren – Stichwort Beckenrand. Aber weniger ist manchmal mehr: die eigentlich schwungvolle Nummer zieht sich, das senkt die Stimmung im Saal, und so mancher Zuschauer dürfte wehmütig an die Nachthemden Sitzung zurück denken, bei der mit Tempo und Schwung Redner auf Musik folgte und das Ganze ein kurzweiliges Kaleidoskop wurde.

Die alten Vortragslängen von 20 Minuten und mehr sind einfach passé, das Publikum hat sich entwöhnt, und so verwundert es nicht, wenn zu später Stunde die Augen im Saale glasig und die Glieder schwer werden. Da hat es selbst ein gestandenes Komiker-Duo wie „Hotte und Pit“ schwer, den Saal noch einmal auf die Füße zu bekommen. Mit ihrer grandiosen Flugnummer und Bauchfell-erschütterndem Kokolores würden die beiden eigentlich mühelos jeden Saal zum Kochen bringen – und haben es doch an diesem Samstagabend im Gutenberg Saal der Rheingoldhalle unvermutet schwer.

Traumhafte Unterwasserwelten und famoser Flashback

Natürlich bleibt am Ende doch kein Auge trocken, aber wenn selbst beim großen Finale, das Publikum auf den Stühlen bleibt, dann muss das Fazit lauten: kürzer macht glücklicher. 5,5 Stunden Sitzung müssen einfach nicht mehr sein – Formate wie die „Fastnight“ beweisen es. Was fetzt, ist gerockte Fastnacht, wie sie etwa Thorsten Ranzenberger mit seinem Kompagnon Christopher Ludwig („Kappell Mainzer“) zu bieten hat: „Die Gläser hoch“, singen die beiden, „auf die Freundschaft, auf das Jetzt, und was immer da noch kommt heut‘ Nacht!“ So geht Fastnacht heute, da darf dann auch gerne der ewige „Schwellkoppträger“ als Zugabe her.

Mitreißend-fetzige Danceperformance zum Abschied: "Fit for Dance" sagen nach 30 Jahren Servus. - Foto: gik
Mitreißend-fetzige Danceperformance zum Abschied: „Fit for Dance“ sagen nach 30 Jahren Servus. – Foto: gik

Zur modernen Fastnacht gehört auch, dass zu den heimlichen Stars der Sitzungen die Tanznummern geworden sind: Die „Magic Elements“ erzählen ein ganzes Märchen, das von Arielle, der Meerjungfrau, und zaubern unfassbar schöne Unterwasserwelten auf die Bühne – das ist ein Fest für die Augen. Emotional wird es schließlich gegen Ende, als „Fit for Dance“ ihren eigenen Abschied zum Thema machen: Die Tanztruppe sagt nach 30 Jahren Servus und hinterlässt noch schnell Tänze „für die Ewigkeit“ – was für ein Auftritt. Von den Balletts früherer Jahre – eine Reihe Mädels, die die Beine hoch schwingen – ist das Dimensionen weit entfernt.

Apropos Dimensionen: Einen wahren Zeitsprung vollbringt der KCK, wenn die „Tramps aus der Palz“ die Bühne betreten. Reinhard Schwarz und KCK-Präsident Dirk Loomans ließen vor einigen Jahren das legendäre Duo von Willi Görsch und Egon Häuser wieder auferstehen, und erzählen erneut mit Leichenbittermiene köstlichen Blödsinn – das ist gelebte Nostalgie, die im Saal begeistert mitgesungen wird. Denn auch Tradition kann sich neu erfinden – die „Altrheinstromer“ beweisen das jedes Jahr aufs Neue.

Flashback in die Vergangenheit: Die "Trumps aus der Palz" sind wieder da! Dirk Loomans und Reinhard Schwarz beleben die Kultfiguren wieder. - Foto: gik
Flashback in die Vergangenheit: Die „Trumps aus der Palz“ sind wieder da! Dirk Loomans und Reinhard Schwarz beleben die Kultfiguren wieder. – Foto: gik

Seit über 30 Jahren steht das Musiktrio, dessen Markenzeichen auffallende Kostüme sind, schon auf der KCK Bühne, „das ist echte Meenzer Fastnacht, wie sie in keinem Buche steht“, lobt der Sitzungspräsident. „So e Käs, so e Käs“, singen die „Stromer“, vernaschen die kommende Fußball-WM, und der Saal feiert gut gelaunt mit. Tradition und Moderne – so gelingt er, der Spagat in der Meenzer Fastnacht. „Wir schunkeln die Fastnacht ins Lot“, singt das „Trio Aeterna“ – so geht’s natürlich auch.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Nachthemdensitzung des KCK könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen. Ein Video vom Auftritt des Trio Aeterna könnt Ihr hier auf unserer Mainz&-Facebookseite sehen: „Wir schunkeln die Fastnacht ins Lot!“ Und natürlich darf unsere Fotogalerie zur KCK Fremdensitzung 2024 nicht fehlen: