Wenn in einem Bürgerhaus zu abendlicher Stunde gediegene Bürger in Opas Nachthemd putzmunter schunkeln und feiern, dann ist eines klar: Es ist Fassenacht in Meenz, und der KCK aus Mainz-Kastel hat zur Nachthemden Sitzung geladen. Die Traditionssause kommt mit viel Musik und gezielt-reduzierten Wortbeiträgen daher, und findet gerade deshalb ihr Zielpublikum: kurz, knackig und mit viel vergnüglichen Seitenhieben auf Politik, Gesellschaft und die Fassenacht – so feiert man heute moderne Fastnachtssitzungen.

Ein Saal voller närrischer Schlafmützen und Nachthemden - die Nachthemdensitzung des KCK. - Foto: gik
Ein Saal voller närrischer Schlafmützen und Nachthemden – die Nachthemdensitzung des KCK. – Foto: gik

Der Saal ist voll, die Stimmung großartig und schon beim zweiten Lied der Spassmacher Company steht der Saal Kopf und feiert, was das Zeug hält. Schlafmützen? Gibt’s hier nur auf den Köpfen der Besucher – ein Nachthemd ist Pflicht, und je nostalgischer umso besser. Opas Nachthemd feiert ein Revival, Omas Nachtmütze wird mit Stolz getragen, und an den Männerbeinen blitzen nackte Waden unterm gestärkten Hemd: Hier kann man beobachten, wie sich Fastnacht selbst auf die Schippe nimmt.

2017 rief der KCK das alte Format der Nachthemdensitzung aus den 1950er Jahren wieder ins Leben, das galt als Experiment. Doch die unkonventionelle Sitzung traf genau den Nerv der modernen Zeit: Kürzer als reguläre „Fremdensitzungen“, ungezwungener und mit zwei Bühnen sowie Moderator statt Komitee und Sitzungspräsident kommt die Nachthemdensause als lockere Fastnachtsparty daher und ist längst etablierter Termin im Narrenfahrplan von Mainz. “ Heute ist so ein schöner Tag“, singen, die Eisbären, und das Publikum kann gar nicht genug von ihnen bekommen.

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Neues Moderatorenduo, kurioser Kammersänger

In diesem Jahr hat Sitzungs-Moderator Daniel Vetter zudem Verstärkung bekommen: Ihm zur Seite steht nun Kathrin Dohle als neu Co-Moderatorin. Die Gesangsstarke Frontfrau des Trio Aeterna moderiert auch die Saturnalien der Initiative Römisches Mainz, und feiert in diesem Jahr auf der großen KCK-Bühne ihren Moderations-Einstand – die Fassenacht, sie wird endlich auch weiblicher.

Das Moderatorenduo Daniel Vetter (links) und Kathrin Dohle führte erstmals als Tandem durch die Sitzung. Hier mit Fastnachts-Tausendsassa Johannes Bersch. - Foto: gik
Das Moderatorenduo Daniel Vetter (links) und Kathrin Dohle führte erstmals als Tandem durch die Sitzung. Hier mit Fastnachts-Tausendsassa Johannes Bersch. – Foto: gik

Die Sitzung selbst ist ein bunter Querschnitt durch das Fastnachtsprogramm des Karnevalclubs von rechts des Rheins: Da glossiert der Seppel in Elternzeit die Nöte eines jungen Vaters und rappt zwischendurch mal schnell in ehrwürdiger Mainzer Fastnachtsmanier, dass das Mikro kracht. Da verzaubert das Ballett „Inkognito“ mit tollen mexikanischen Kostümen und Klängen, und Johannes Bersch haut das Publikum gleich mit zwei Glanznummern von den Stühlen: Wenn der „Kammersänger“ musikalisch „Koa Geländer“ („Kein Geländer“ für Nicht-Mainzer) seufzt, bleibt kein Auge trocken.

Bersch ist dem großen Fernsehpublikum vor allem als „Moguntia“ bekannt, seine Symbolfigur der Mainzer Fastnacht hat in gut zwei Stunden ihren ersten Auftritt der diesjährigen Kampagne, verrät Bersch gegenüber Mainz& am Rande der Nachthemdensitzung. Trotzdem steht der Tausendsassa der Mainzer Fastnacht zumindest nach außen hin seelenruhig hinter der Nachthemden-Bühne, bevor er schnell noch als „Kassierer eines Fastnachtsvereins“ der eigenen Branche einen höchst närrisch-subversiven Spiegel vorhält – Seitenhiebe auf die nähere Konkurrenz inbegriffen: „“Ein Fachmann ist das, was man braucht“, reimt Bersch, „nur wenn der sich nicht findet, dann täte in Bänker es auch.“ Parallelen zu real existierenden Fastnachtspräsidenten sind garantiert beabsichtigt.

Putzmuntere Polit-Attacken auf die Berliner Politik

Auch der Protokoller seufzt: „Die Bixx ist leer“ – auf Hochdeutsch: Die Kasse ist leer.  Gunther Raupach, als Gast von der Mainzer Ranzengarde rübergekommen, seziert pleitenhafte Sondervermögen im Bundehaushalt genauso wie Vetternwirtschaft im grünen Wirtschaftsministerium oder die Wendigkeit von Friedrich Merz. Der CDU-Chef dreht nach links zum Klimaschutz, wieder nach rechts zum Brandmauer-Schützen, und der Protokoller mahnt: „Denk, Friderich, dass es Dir bei dem Spagat, Deine Mitte nicht zerreißt!“ Robert Habeck wiederum „zitiert“ der Narr in typischem Duktus: „Wir haben nicht verloren, es haben uns nur wenige Menschen gewählt.“ Wer den Schaden hat, muss sich halt um den Spott nicht sorgen, schon gar nicht in der politischen Meenzer Fastnacht.

Sehr ausgeschlafenes Protokoll: Gunther Raupach von der Mainzer Ranzengarde. - Foto: gik
Sehr ausgeschlafenes Protokoll: Gunther Raupach von der Mainzer Ranzengarde. – Foto: gik

Auch die SPD bekommt ihr Fett weg: „Wer küsst mal unseren Kanzler wach?“, fragt der Protokoller – er wird nicht der einzige in dieser Kampagne sein, der Olaf Scholz für komplett abgetaucht hält. „Außer Lächeln habe ich von Olaf Scholz noch nicht viel gesehen“, moniert Raupach. Den Landwirten hält er die Stange: „Auf Umsturz und Chaos waren andere erpicht, und hatten sich feige unter die Bauern gemischt“, reimt er, Und seufzt: Die Regierung müsse bis Aschermittwoch bleiben, „sonst muss ich den ganzen Kram hier noch umschreiben!“

Es gibt aber auch genug zu kritisieren in diesem Jahr: Migration, Inflation Fachkräftemangel, Paragraphenreiter – am Ende, warnt der Narr, profitiere von alldem nur die AfD. „Lernt endlich draus!“, fordert der Narr: „Denn wenn man weiter macht solch Fehler, dann liegt die Dummheit nicht beim Wähler.“ Und auch den Anschlag der Hamas gegen Israel und die Unterstützung der palästinensischen Terrororganisation auf deutschen Straßen spart der Narrenmund nicht aus: „Wer Juden angreift und bedroht, hat in Deutschland nichts verloren“, redet Raupach Klartext und bekommt dafür donnernden Beifall aus dem Saal.

Alternative Bänkesänger mit elf bissigen Versen

Lokführer-Streik und Chrupalla-Biene, Ramstein-Skandal und ChatGPT – auch die „Alternativen Bänkelsänger“ machen sich elf schöne, hintersinnige Narrenverse auf das Politgeschehen des vergangenen Jahres, und lassen dabei auch Mainz nicht aus: „Der OB hat so viele Termine, er kommt nicht zum Regieren“, lästern die Bänkelsänger: Der „Stadthaase“ werde „zum Grüßaugust degradiert“, doch der Grüne Günter Beck „meint, das Häschen kann so unter mir gerne regieren.“

Narrenduo der Sonderklasse: Hotte und Pit. - Foto: gik
Narrenduo der Sonderklasse: Hotte und Pit. – Foto: gik

Mit dem Elften sieht man eben besser, scherzt der Moderator Daniel Vetter. Da können nur zwei noch einen draufsetzen: Horst Siegholt und Pit Karg sind das kongeniale Irrsinns-Duo „Hotte und Pit“ des KCK, und die beiden Blödel-Fachleute haben längst Kultstatus. Dieses Mal gehen Hotte und Pit fliegen, das wird natürlich ein närrischer Horrortrip, der wahre Lachsalven-Attacken aufs Publikum loslässt. „Ich bin Klimaaktivist – ich kleb‘ am Schoppe“, faselt „Hotte“: „Wein holen ist auch Bewegung!“ Da fehlt eigentlich nur noch die Kissenschlacht.

Wenigstens hat der KCK ein Bett zu später Stunde dabei, doch diese Betten sind nicht zum Wegduseln gedacht: Die Altrheinstromer mischen den Saal wie immer gehörig auf, und schmettern fröhlich „Im Weltall ist der Woi all!“ Gut, dass sich die Narren in Meenz getroffen haben. „Ganz egal, woher du kommst, ganz egal, wer du auch bist – wir sind Meenz“, singen die Kappell-Mainzer, und so geht die Party noch bis spät in die Nacht hinein munter weiter, und wer jetzt dösig wird, wird spätestens von den Guggemusikern der Wingertsgeischder wachgerüttelt: Da wackelt das ehrwürdige Kasteler Bürgerhaus in seinen Fugen. „Das“, sagt KCK-Präsident Dirk Loomans „ist die Fastnacht der Zukunft.“

Info& auf Mainz&: Mehr zur Meenzer Fastnacht findet Ihr in unserem großen Fastnachtsdossier hier auf Mainz&. Einen Rückblick auf die Nachthemdensitzung 2019 könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& lesen.