Gerade haben Grüne, SPD und CDU ihren Koalitionsvertrag für ein Kenia-Bündnis fertig gestellt, da hagelt es Kritik von allen Seiten. “Verpasste Chance” für Mainz, “kleinster gemeinsamer Nenner” oder “Wünsch Dir was” – die kleinen Oppositionsparteien finden wenig Gutes an dem Papier. Unambitioniert und für den Bürger teuer werde das neue Bündnis im Mainzer Stadtrat, klagt etwa die FDP. Volt moniert unter anderem, dass sich Kenia zum Ausbau der A643 ausschweigt und sieht ein drohendes “Steuer-Jojo” für Bürger und Unternehmen. Die AfD vermisste klare Ansagen zu Tempo 30 und die Freien Wähler lesen das Papier als “Drohung für Pendler”.
Am 13. November 2024 hatten CDU, Grüne und SPD nach monatelangen Sondierungen und Verhandlungen ein gemeinsames Koalitionspapier fertig gestellt, am kommenden Wochenende wollen die drei Parteien das Papier auf ihren jeweiligen Parteitagen von der Basis absegnen lassen. Am Freitagabend treffen sich dazu die Grünen, am Samstagvormittag die SPD und am Samstagnachmittag folgt die Mainzer CDU – was die jeweiligen Parteimitglieder zu den vereinbarten Zielen sagen: Man darf gespannt sein.
Denn unter dem Obertitel “Mainz hält zusammen” finden sich in dem Koalitionspapier noch viele Fragezeichen und Passagen, die einander widersprechen oder zumindest unabgestimmt erscheinen, auch die Frage der künftigen Dezernatszuordnungen und des Personals für die Aufgabenbereiche ist in dem Papier noch nicht fixiert. CDU, Grüne und SPD versprechen in der Präambel vor allem Sicherheit und Stabilität, dazu eine neue städtebauliche Vision für Mainz – aber auch die Anhebung von Steuern und Abgaben.
FDP: “Unambitioniert, teuer, enttäuschend”
Die Mainzer FDP, 15 Jahre lang Teil der bisherigen Ampel-Koalition, zeigte sich vom Ergebnis des Vertrages enttäuscht: “Wenn man den Koalitionsvertrag studiert, muss man sich fragen, wie Mainz zukunfts- und wettbewerbsfähig gemacht werden soll, wie auch wie die Menschen das bezahlen sollen”, kritisierte FDP-Fraktionschefin Susanne Glahn. Aus dem Vertrag lasse sich “kein Aufschwung für Mainz und ein Wille, mutig und innovativ die Zukunft selbst zu gestalten, erkennen.” Gerade das brauche es aber, wenn Mainz weiterhin als eine der dynamischen Städte Deutschlands attraktiv bleiben solle.
“Für Erfolg muss man arbeiten, gerade in Zeiten von schnell veränderten Märkten und Strukturen können fünf Jahre Stillstand zu erheblichen negativen Veränderungen führen”, betonte Glahn zudem, und kritisierte: Das Wort “Marktwirtschaft” komme in dem Vertrag nicht ein einziges mal vor – “weder als “soziale”, “ökologische” oder “freie Marktwirtschaft” – auch das Wort “Freiheit” sei ganze zwei Mal zu finden: als Barrierefreiheit und einmal als historische Erinnerung in Form der “Straße der Freiheit”.
Stattdessen setze die neue Koalition “auf Regulierung und im Aufbau von mehr Administration”, klagte Glahn, schließlich wolle “Kenia” zwei ehrenamtliche Dezernate für die CDU schaffen. “Das Einzige was ‘Mainz zusammenhält’ an diesem Koalitionsvertrag, sind die massiv steigenden Belastungen für alle Mainzerinnen und Mainzer”, kritisierte auch FDP-Finanzexperte und Bundestagskandidat David Dietz: “Da man wohl die Einnahmesituation nicht durch eine Stärkung der Wirtschaft verbessern möchte, konzentriert man sich lieber darauf, die Einwohner und bestehenden Gewerbetreibenden mit zusätzlichen Steuern und Gebühren zu belasten, um das letzte bisschen Kauf- und Wirtschaftskraft noch platt zu machen.”
FDP: Keine Marktwirtschaft, kein Bekenntnis zu Freiheit
Die FDP wertete die Ankündigungen in dem Koalitionsvertrag als im Bereich Wirtschaft und Finanzen als “besorgniserregend” und warnte zudem, die neue Koalition plane weiter eine drastische Anhebung der Grundsteuer B – und werde damit zum Kostentreiber im Wohnungsbereich. “Wie man in der aktuellen konjunkturellen Lage mit so viel Gleichgültigkeit dem Thema Gewerbeflächen begegnen kann, bleibt das Geheimnis der neuen Koalition”, so Susanne Glahn, Fraktionsvorsitzende der FDP-Fraktion im Stadtrat..
Auch den Gebühren im Baugenehmigungsverfahren drohe die Anhebung, dazu gehe es um Solaranlagen auf Dächern und umfangreiche Ersatzpflanzungen für Fällungen. “Das ist ein neues kostspieliges Lastenheft für jeden privaten Bauherrn und Bauträger, das sicherlich nicht dazu führen wird, dass die Wohnungen danach zum Schnäppchenpreis vermietet werden können”, kritisierte FDP-Bauexperte Thomas A. Klann: Höhere Baukosten bedeuteten immer auch höhere Mieten.
Freie Wähler: “Kleinster gemeinsamer Nenner” als Ziel von Kenia
Die Freien Wähler klagten, das Ziel der neuen Koalition sei offenbar “der kleinste gemeinsame Nenner”, der Vertrage lasse vieles offen und manches nur erahnen. “So dürften sich die Mainzer Gewerbetreibenden ebenso wie ansiedlungswillige Unternehmen fragen, was eine ‘dynamisch an die wirtschaftliche Entwicklung angepasste’ Gewerbesteuer bedeuten mag, wenn der Hebesatz gerade erst inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise angehoben wurde”, kritisierte FW-Kreischef Christian Weiskopf. Das Thema Grundsteuer werde “offenkundig lieber gleich ganz außen vorgelassen.”
Auch das Ziel, dass in Mainz schon statt wie derzeit knapp über 60 Prozent bald 80 Prozent aller Wege mit ÖPNV, Rad und zu Fuß zurückgelegt werden sollen, “liest sich angesichts leerer Kassen eher als Drohung für die Pendler, die jetzt schon mangels verlässlicher ÖPNV- Angebote und Radfahrinfrastruktur auch in die äußeren Stadtbezirke auf den PKW angewiesen sind”, betonte Weiskopf weiter.
“Dass gerade die CDU dieses ‘Weiter so’ in Mainz unterstützt, statt einen Neuanfang mit Aufklärung zu forcieren, ist unverständlich”, schimpfte der Freie Wähler-Chef zudem – die Union mache sich “zum Erfüllungsgehilfen” einer eigentlich abgewählten Ampel-Politik.
Volt: “Gute Ansätze, verpasste Chancen”
Die Beinahe-Mit-Koalitionäre von Volt hingegen erkennen in dem Koalitionsvertrag immerhin “eine Vielzahl ambitionierter Vorhaben, die unsere Stadt nachhaltiger, sozialer und zukunftsfähiger gestalten sollen.” Richtig seien etwa “die klaren Bekenntnisse zu einer nachhaltigen Verkehrspolitik, zur Förderung von Grünflächen sowie zu mehr sozialem Wohnraum”, sagte Volt-Fraktionschef Sascha Kolhey. Die geplanten Maßnahmen zur
Entsiegelung und zur Schaffung von Naherholungsflächen seien zudem “längst überfällig”, deshalb sei es “erfreulich, dass die Kenia-Koalition nun auf Entsiegelung setzt.”
Allerdings frage man sich, warum dies bei neuen Großprojekten wie dem Zollhafen, der Umgestaltung des Münsterplatzes oder dem Rheinufer in den vergangenen Jahren nicht bereits stärker berücksichtigt worden sei – “als Grüne und SPD bereits Teil der Stadtregierung waren”, kritisierte Kolhey: “Hier hätte in der Vergangenheit bereits ein ganz anderes Signal für eine nachhaltige Stadtentwicklung gesetzt werden können.”
Eine “verpasste Chance” sehe Volt Mainz vor allem auch in der geringen Berücksichtigung des Themas Europa im gesamten Koalitionsvertrag, “das Wort wird im gesamten Text nicht einmal erwähnt”, klagte die Europapartei. “Mainz ist eine europäische Stadt mit einer bedeutenden Geschichte im Herzen der EU, es ist enttäuschend, dass dieses wichtige Thema kaum Beachtung findet”, kritisierte Luca Loreen Kraft, Direktkandidatin von Volt für die Bundestagswahl in Wahlkreis Mainz.
Volt plädiert für Zero-Based-Budgeting, Enthaltung bei A643-Ausbau
Volt kritisierte zudem, dass die Koalitionäre-in-spe sich nicht zum Ausbau der A643 im
Naturschutzgebiet Mainzer Sand positioniert haben, das sei “fahrlässig”, schimpfte Kohlhey – und argwöhnte: Offenbar wolle die CDU “ein Projekt vorantreiben, das nicht nur unsere ökologischen Ziele konterkariert, sondern auch das Potenzial hat, einzigartige Naturräume dauerhaft zu zerstören.” Mans ei gespannt, wie das die grüne Basis aufnehmen werde.
Besonders kritisch sieht Volt indes das Finanzkapitel des Koalitionsvertrags: “Die Aussagen sind so allgemein gehalten, dass nahezu ein Steuer-Jojo mit ständigem Auf und Ab für Unternehmen und Bürgern droht – das können wir uns nicht leisten”, warnte Kolhey. Volt Mainz fordere weiterhin eine grundlegende Reform des städtischen Haushalts und der Finanzplanung, die Fraktion hatte am Dienstag einen Antrag im Finanzausschuss für ein Zero-Based-Budgeting eingebracht.
Bei diesem Verfahren werden alle Ausgaben im städtischen Haushalt nicht einfach fortgeschrieben, sondern müssen von Grund auf neu begründet werden. “So lässt sich nachvollziehbar und transparent ermitteln, ob die geplanten Steuererhöhungen tatsächlich erforderlich sind, oder ob Senkungen möglich wären”, argumentierte Ausschuss-Mitglied Philipp Leisner von Volt. Die Fraktion appellierte zudem an die neue Koalition, auch Vorschläge der Opposition sachlich zu prüfen und gute Ideen nicht aufgrund ihrer Herkunft abzulehnen. “Es darf nicht sein, dass neue politische Ansätze im Keim erstickt werden, nur weil sie von der ‘falschen Farbe’ kommen”, mahnte Kraft.
AfD: “Wünsch-Dir-Was”-Pamphlet mit vielen Luftschlössern
Die AfD nennt den Kenia-Koalitionsvertrag ein “Wünsch dir was“-Pamphlet ohne Festlegungen, der Vertrag werde “den Herausforderungen in Mainz nicht gerecht”, kritisierte AfD-Fraktionschef Arne Kuster. “Für einen Ausgleich des angeschlagenen Haushalts scheinen sich CDU, SPD und Grüne nicht zuständig zu fühlen – es fehlen dazu konkrete Vorschläge im Vertrag”, monierte er. Nicht akzeptabel sei zudem, dass die Kenia-Parteien “den Stadtvorstand nun durch zwei ehrenamtliche Dezernate weiter aufblähen wollen.” Das ist das genaue Gegenteil der Effizienzsteigerung, die man angeblich anstrebe.
Enttäuschend sei zudem, dass man Tempo 30 auf Hauptstraßen nicht abschaffen wolle, obwohl doch der Mainzer CDU-Chef Thomas Gerster vor den Wahlen auf die Rechtswidrigkeit der Geschwindigkeitsbeschränkungen hingewiesen habe, kritisierte Kuster weiter. Schließlich könne Mainz inzwischen alle EU-Grenzwerte auch ohne Tempo 30 einhalten, behauptete er. “Und mehr Windkraftwerke im Mainzer Stadtgebiet, obwohl wir dafür eigentlich keinen Platz haben, finde ich einfach nur schrecklich”, fügte er hinzu.
Der Koalitionsvertrag enthalte “viele Luftschlösser, wie etwa eine Seilbahn von Mainz nach Wiesbaden, aber auch die Straßenbahn nach Ebersheim, während die dringend benötigte Großsporthalle in weite Ferne rücken soll”, kritisierte zudem AfD-Fraktionsvize Stephan Stritter. Zudem tauchten die dringend notwendigen Straßensanierungen überhaupt nicht auf, “diese Prioritätensetzung versteht kein Mensch”, fügte er hinzu.
Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht, was die neue Kenia-Koalition in ihrem Koalitionsvertrag plant, lest ihr hier auf Mainz&. Ihr vermisst eine Partei in diesem Text? Ja, wir auch: Reaktionen von die Linke in diesem Text? Ja, wir auch: Von der Linken gab es leider bislang