Er ist sicher der ungewöhnlichste der fünf Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl am 27. Oktober: Martin Ehrhardt tritt für die Satirepartei „Die Partei“ an, und nicht immer weiß man bei dem angehenden Studienrat genau: Meint er jetzt, was er sagt – oder ist das alles nur Satire? Politisch ist Ehrhardt ein Neuling, er saß noch nie im Stadtrat, bekleidete noch nie ein politisches Amt. Trotzdem schafft er das Kunststück, in Diskussionen Impulse zu stadtpolitischen Themen zu setzen, die seine Zuhörer nicht nur zum Schmunzeln bringen – sondern auch Aufhorchen lassen: durch einen anderen Blickwinkel auf ein Thema, einen frischen Ansatz, den gnadenlos-aufspießenden Blick von außen. Dies ist Teil 1 der Mainz&-Interviews zur OB-Wahl am 27. Oktober – alle Interviews haben wir dieses Mal vor einer Kamera geführt, die Podcasts dazu findet Ihr auf unserem Mainz&-Youtube-Kanal.
„Wir werden ein neues Rathaus bauen, und Wiesbaden soll es bezahlen“, ist so ein Satz, den Martin Ehrhardt einfach mal sagt, und nicht einmal dabei schmunzelt. Wir sitzen in der Popup-Redaktion von Mainz& in der Dependance der Mainzer Weinraumwohnung in der Jakobsbergstraße, und Ehrhardt hat auf der Gesprächsbank von Mainz& Platz genommen. Hier werden wir bis zur OB-Wahl alle fünf Kandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters empfangen, hier werden wir ihnen Fragen stellen nach Kommunalpolitik, Visionen für Mainz und warum sie dieses Amt als oberster Chef von Mainz anstreben.
Martin Ehrhardt ist 29 Jahre alt und angehender Lehrer an Gymnasien, derzeit absolviert er das Refrendariat, seine Fächer: Mathematik und Erdkunde. Geboren wurde er in Karlsruhe, aufgewachsen ist er im pfälzischen Bad Bergzabern. Nach Mainz kam er zum Studium, seit 2012 lebt er dauerhaft hier. „Ich möchte in der Politik den Diskurs verschieben“, sagt Ehrhardt auf die Frage, warum er als Oberbürgermeisterkandidat antritt, „ich könnte ja auch zu Hause auf dem Sofa sitzen.“ Lieber propagiert er allerdings eine Picknickmeile auf der Mainzer Kaiserstraße – das ist so ein Perspektivwechsel, der für Ehrhardt typisch ist. Seit 2015 ist er Mitglied der Satirepartei „Die Partei“, bekannt wurde die zuletzt vor allem, weil Satiriker Martin Sonneborn sogar den Sprung ins Europaparlament schaffte.
Bei der Europawahl im Mai wurde Sonneborn glatt wiedergewählt – und bekam mit dem Kabarettisten Nico Semsrott sogar noch einen Kollegen zur Seite gestellt. Rund 150 Mitglieder habe „die Partei“ in Mainz, erzählt Ehrhardt – viele davon Fans der Satirezeitung „Titanic“. Bei der Kommunalwahl im Mai kam „Die Partei“ immerhin auf 2,2 Prozent – 127.581 Mainzer gaben den Satirikern ihre Stimme, das waren mehr, als für die Freien Wähler stimmten. Seither ist „Die Partei“ mit Florian Siemund im Mainzer Stadtrat vertreten.
Die Picknickmeile in der Kaiserstraße breitet Ehrhardt gerne genüsslich bei allen seinen Interviews aus. Das sei ein Symbol, erklärt er nun im Mainz&-Interview: Erstens für bessere Naherholung, zweitens für ein umgekrempeltes Verkehrskonzept und drittens als Vorbereitung auf den Klimawandel. „Und so behäbig, wie die Politik leider im Moment ist, müssen wir uns auf den Klimawandel vorbereiten“, schiebt er noch nach.
Und ja, gepicknickt habe er auf der Kaiserstraße auch schon mal, das Wahlversprechen „ist also schon umgesetzt“, sagt Ehrhardt , und verzieht keine Miene. „Die krasse Utopie“ sei aber natürlich, dass auf der Kaiserstraße gar kein Verkehr mehr fließe und alles begrünt sei. „Das muss man natürlich mit den Bürgern dieser Stadt klären, wie weit die gehen wollen“, schiebt Ehrhardt auch gleich hinten drein, er selbst halte da ja eine Straßenbahntrasse für sinnvoll.
Für oder gegen eine Citybahn nach Wiesbaden, da will sich der Kandidat dann aber lieber nicht festlegen. „Erst mal müssen wir ausrangeln, welche die bessere Stadt ist“, sagt er, und kündigt gleich an, Mainz werde sich die rechtsrheinischen Stadtteile Amöneburg, Kastel und Kostheim natürlich zurückholen.
Bauen würde er die Citybahn dann aber wohl doch, über die Theodor-Heuss-Brücke: „Wir werden ja weniger Autos haben“, sagt Ehrhardt, da werde das kein Problem – und schießt eine dieser Spitzen dazwischen: „Ich glaube, Michael Ebling hat das noch nicht so ganz verstanden wie das ist mit dem Klimawandel“, sagte er mit Blick auf den amtierenden SPD-Oberbürgermeister, der im Wahlkampf verkündete, in der Mainzer Innenstadt würden in acht Jahren keine Autos mit Verbrennermotoren mehr fahren.
Und wie will er selbst die Autos in der Stadt reduzieren? „Ich möchte die Kontrolleure in den Bussen und Bahnen abschaffen“, sagt Ehrhardt: „Wir haben dann einen de facto kostenlosen ÖPNV, das geht ganz einfach.“ Spricht’s, und schiebt noch hinterher: „Schwarzfahren muss bezahlbar bleiben, das ist schon lange eine Forderung unserer Partei.“
So geht es munter weiter quer durch die stadtpolitischen Themen: Mehr Straßenbahnen auf die Schienen will Ehrhardt natürlich auch, Ideen für bessere Verkehrskonzepte würde er „in Karlsruhe klauen“ – die Stadt hat sich in den vergangenen zehn Jahren zu einer wahren Vorzeigestadt entwickelt. Wie bewegen wir uns künftig durch die Stadt? Nicht mit dem E-Scooter, sagt Ehrhardt, und findet: „Als Sozialdemokrat müsste Ebling gegen E-Scooter sein – schon aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen.“
Stadtpolitik würde er buchstäblich im Gehen machen: „Ich würde wie Jockel Fuchs zur Arbeit laufen“, sagt Ehrhardt mit Blick auf den legendären Mainzer Alt-OB: „Die Menschen kennen den Wert eines gepflegten Spaziergangs gar nicht mehr.“ Abends einen Wein zu trinken, sei doch „eine schöne Tradition“, findet er, „das machen wir Montagsabends, auch für Menschen, die sich das nicht leisten können.“
Seine Masterarbeit schrieb Ehrhardt über „die Auswirkungen des neuen Wohngebiets Mainzer Zollhafen auf die angrenzende Neustadt und die Unterschiede in der Wahrnehmung“, berichtet er, was er fand: „Es gibt einen großen Machtunterschied zwischen den alteingesessenen Menschen der Neustadt und den Investoren.“ Es gebe einen Zaun zwischen den beiden Gebieten, sagt Ehrhardt, und spricht über die alteingesessenen Bewohner, die sich außen vorgelassen fühlen – und die Investoren, die vorantreiben, was ihnen nützt, ohne Rücksicht auf das Bestehende.
„Ich glaube, dass die Politik ein bisschen zu lahmarschig ist, und gegenüber den Investoren kuscht“, sagt Ehrhardt mit Blick auf den Wohnungsbau. In Münster würden Grundstücke nur auf der Grundlage klarer Prinzipien vergeben: so viel Prozent sozialer Wohnungsbau über diesen Zeitraum, das seien gute Stellschrauben. „Ich möchte Monopoly aufs Spielfeld beschränken“, sagt Ehrhardt, und kündigt dann an: „Ich würde zwei neue Stadteile bauen, einer mehr als die anderen.“ Seine Partei besitze schließlich keine Äcker, „uns ist nahezu egal, wo das ist….“
Schon beim OB-Check der Bürgerinitiative Ludwigsstraße ließ Ehrhardt aufhorchen mit unkonventionellen Vorschlägen, die sich aber dennoch ganz genau mit dem Projekt beschäftigten. Eine Denkmalschutzzone für die gesamte Ludwigsstraße schlug Ehrhardt da mal flugs vor, und einen Moli-Tor-Gemünden-Platz, mit dem sich der Investor verewigen könne. Das Einkaufszentrum würde Ehrhardt „auf die Dachterrasse begrenzen“, auf der ebenerdigen Platzfläche „kann Nino Haase seine Bäume pflanzen, Tabea Rössner über Netzpolitik sinnieren, und Ebling eine Schorle trinken“, sagt Ehrhardt.
Eine ebenerdige Terrasse, sagt Ehrhardt noch, wäre doch ein super Treffpunkt für Mainzer und für Mainzer Kultur – so wie er auch ins Mainzer Rathaus Künstler lassen würde, damit die den Raum neu gestalteten. Dialog auf Augenhöhe eröffnen, Raum für Utopien schaffen – Martin Ehrhardt gelingt das mit einigen, wenigen Sätzen im Handumdrehen. Und hält dabei der Stadtpolitik und ihren Akteuren den Narrenspiegel vor.
„Wir brauchen keine Koalition mehr“, sagt Ehrhardt zur Politik in Rathaus und Stadtrat, „wer von Koalition spricht, hat die Inhalte schon überwunden.“ Das sehe man doch daran, „wie die SPD derzeit die Grünen vor sich hertreibt“, sagt Ehrhardt: Die seien zwar die stärkste Fraktion im Rat, stimmten aber trotzdem – wie bei der LU – „SPD-konform ab, das halte ich für schwach.“
Und so seziert der 29-Jährige genüsslich die Politik in Mainz und sorgt immer wieder für durchaus erhellende Momente im manchmal recht verbissenen OB-Wahlkampf. „Ich habe keine Ahnung von Kommunalpolitik, und bin deshalb der richtige, aufzuräumen“, empfiehlt sich der Satiriker: „Fragen Sie sich selbst, wo geht dieser Mann hin?!“
Info& auf Mainz&: Nun, wir wissen, wo Ihr bitte am 27. Oktober hingeht: Zur Wahl des Oberbürgermeisters in Mainz. Natürlich könnt Ihr auch Briefwahl machen, alle Infos dazu findet Ihr hier bei Mainz&. Das ganze Gespräch mit Martin Ehrhardt könnt Ihr Euch auch im Video ansehen – genau hier auf unserem Mainz&-Youtube-Kanal. Viel Spaß dabei! Alle Informationen, Portraits und Artikel zur Oberbürgermeisterwahl am 27. Oktober findet Ihr hier in unserem Mainz&-Sonderdossier OB-Wahl 2019. Martin Ehrhardt und „Die Partei“ findet Ihr hier im Internet und hier auf Facebook, Ehrhardt persönlich ist hier auf Facebook zu finden und unter dem Titel „Ihrneuerlokalpolitiker“ auf Instagram.