Wie gut kommen die Menschen durch die Corona-Pandemie? Wen trifft sie schwer, wer leidet besonders unter Einbußen, und welche gesellschaftlichen Auswirkungen haben wochenlange Lockdowns? Diesen Fragen geht seit Oktober 2020 die Gutenberg Covid-19-Studie der Mainzer Unimedizin nach, ein Sonderableger der Gutenberg Gesundheitsstudie. Am Freitag veröffentlichten die Mediziner erste Ergebnisse, auf einem eigens gestarteten Dashboard kann man im Internet die Untersuchungen selbst nachverfolgen.

Achtung, Korrektur: Die Corona-Pandemie habe deutlich negative Auswirkungen auf die Menschen, 85 Prozent hätten bei den Befragungen zur Gutenberg Covid-19-Studie angegeben, in einer schlechteren körperlichen oder seelischen Verfassung zu sein – so berichteten es die Forscher bei der Präsentation der ersten Ergebnisse vergangene Woche. Doch das stimmt gar nicht: Wie die Universitätsmedizin nun mitteilte, unterlief den Experten ein peinlicher Fehler. Man habe Kategorien falsch zugeordnet, entschuldigte sich die Klinik nun – in Wahrheit sei es genau anders herum: Von den 5.448 Befragten werde die eigene körperliche Gesamtverfassung von insgesamt rund 86 Prozent als gut oder sogar als sehr gut angegeben. Die eigene seelische Verfassung schätzten knapp 84 Prozent als mindestens gut ein.

Vorstellung der ersten Zwischenergebnisse aus der Gutenberg Covid-19 Studie. - Foto: gik
Vorstellung der ersten Zwischenergebnisse aus der Gutenberg Covid-19 Studie. – Foto: gik

Seit 2007 untersucht die Mainzer Universitätsmedizin in einer breit angelegten Studie den Gesundheitszustand der Bevölkerung im Rhein-Main-Gebiet, die Gutenberg Gesundheitsstudie umfasst dabei Daten und Untersuchungen von rund 15.000 Teilnehmern. Im Sommer 2020 konzipierte dann ein interdisziplinäres Forscherteam auf der Grundlage des Datenpools eine Unterstudie: Gutenberg Covid-19. „Im Juli sagte mancher: naja, die Studie kommt ein bisschen spät“, sagte der Chef der Mainzer Universitätsmedizin Norbert Pfeiffer am Freitag in Mainz mit einem leichten Schmunzeln: „So kann man sich irren…“

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Pünktlich zu Beginn der zweiten Corona-Welle starteten die Forscher aus Disziplinen wie Kardiologie, Psychologie, Psychosomatik, Epidemiologie und Informatik mit der Untersuchung von rund 10.000 Probanden aus der Gutenberg Gesundheitsstudie, nur dieses Mal zum Thema Covid-19. „Wir wollten wissen, wen diese Erkrankung trifft, wen sie sehr schwer trifft und wann sie auftritt“, sagte der Koordinator der Studie, der Epidemiologieprofessor Philipp Wild am Freitag in Mainz: „Wir schaffen hier eine Grundlage für sehr große Datensätze“, die Studie dauert noch mindestens bis zum Sommer.

So erfolgte die Datenerhebung zur Gutenberg Covid-19 Studie. - Foto: gik
So erfolgte die Datenerhebung zur Gutenberg Covid-19 Studie. – Foto: gik

Die Wissenschaftler befragten die Teilnehmer per Fragebogen, Interviews und mittels einer eigens entwickelten App, dazu kamen medizinische Untersuchungen: Zwei Visiten pro Person, 120-130 Untersuchungen pro Tag, berichtete Wild: „Ende Juni werden wir 10.000 Personen zweimalig untersucht haben.“ Nun präsentierten die Forscher erste Zwischenergebnisse auf der Grundlage von Daten von rund 5.400 Personen, gefragt wurde neben dem Gesundheitszustand auch nach Risikoverhalten und Mobilität, Impfbereitschaft und Infektionsgeschehen. Ziel sei aber auch, die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesellschaft zu erforschen, sagte Wild. So fragte die Covid-19-Studie auch nach Einkommen, Homeoffice und Einstellungen zur Pandemie.

Und da zeigte sich: Ganze 4,1 Prozent der Befragten zeigten „eine starke Zustimmung zu Verschwörungsgedanken“, wie Wild ausführte. Im Gegenzug hielten gut 90 Prozent Schutzmaßnahmen wie Abstand und Maskentragen für „ziemlich wirksam“ (35 Prozent) oder sogar für „sehr wirksam“ (55 Prozent). Gleichzeitig aber gaben 50 Prozent der Teilnehmer an, die AHA-Regeln nur „häufig“ einzuhalten – „immer“ antworteten nur 47,5 Prozent. Allerdings gaben auch nur 1,5 Prozent an, die Regeln nur „gelegentlich“ einzuhalten, 0,7 Prozent sprachen von „selten“.

Der Mainzer Epidemiologe Philipp Wild präsentierte die ersten Ergebnisse der Gutenberg Covid-19 Studie. - Foto: gik
Der Mainzer Epidemiologe Philipp Wild präsentierte die ersten Ergebnisse der Gutenberg Covid-19 Studie. – Foto: gik

Wild betonte, die Zahlen zeigten dennoch ein gewisses Optimierungspotenzial, hier sei mehr Schutz möglich. Gleichzeitig aber haben zumindest die Menschen in Rheinland-Pfalz ihre Mobilität stark reduziert: Reisten im Oktober noch gut 30 Prozent der Studienteilnehmer eine längere Strecke, waren es im verschärften Lockdown nur noch 9 Prozent – ins Ausland reisten zuletzt gar nur noch weniger als 1 Prozent. Über Weihnachten hatte derweil noch jeder Vierte an einer Feier teilgenommen, gut 44 Prozent davon waren auf einer Feier von 1-5 Personen, bei 46,8 Prozent waren es 6 bis 10 Personen. Nur ein Bruchteil von 4,7 Prozent des Viertels feierte mit 12 bis 30 Personen, 4,1 Prozent besuchten gar eine Versammlung von mehr als 30 Personen.

Trotz der gesunkenen Mobilität arbeiten aber auch nur 16,3 Prozent der befragten Erwerbstätigen ausschließlich im Homeoffice, bei 14,6 Prozent ist es die Hälfte der Zeit, 21 Prozent arbeiten gelegentlich im Homeoffice – und 48,1 Prozent nie. Ganz repräsentativ sind diese Zahlen nicht: Die Zahl der befragten Erwerbstätigen lag bei 514 Personen. Das liegt auch an der Zusammensetzung der Gutenberg Gesundheitsstudie: In ihr sind generell nur Personen im Alter zwischen 44 und 88 Jahren eingeschlossen, jüngere Menschen werden nicht untersucht – komplett repräsentativ ist das nicht. Das soll sich aber ändern: Ab Februar werde eine Untersuchung der „Young Adult“-Gruppe der 25- bis 44-Jährigen starten, sagte Wild.

Geschlossene Geschäfte, leere Innenstadt: Viele Geschäftsleute, Künstler, Gastronome und Selbstständige haben massive Einbußen durch den Lockdown. - Foto: gik
Geschlossene Geschäfte, leere Innenstadt: Viele Geschäftsleute, Künstler, Gastronome und Selbstständige haben massive Einbußen durch den Lockdown. – Foto: gik

Der höhere Altersschnitt der Studienteilnehmer wirkte sich denn auch bei manchen Fragen sehr deutlich aus: So gaben 83,8 Prozent der Studienteilnehmer an, sie hätten durch die Pandemie keinerlei Veränderung in ihrem Nettoeinkommen gehabt – nur 9,7 Prozent meldeten Verluste. Wissenschaftsminister Konrad Wolf (SPD) wollte daraus gleich ableiten: Das zeige, dass die Unterstützungsmaßnahmen des Staates griffen, freute sich der Minister. Doch auf Nachfrage mussten die Experten einräumen: Es gebe „Verzerrungen“ durch die Personenauswahl, sagte Wild – so ist der Anteil der Rentner in der Studie überproportional hoch, während jüngere Arbeitnehmer, Berufsanfänger oder Studierende komplett fehlen. Auch nähmen Menschen mit niedrigerer Bildung oder auch Menschen, die alleine lebten, an der Studie weniger Teil.

Menschen ab 44 Jahre sind zudem für gewöhnlich beruflich weitgehend gesettled, Rentner hatten etwa finanziell in der Pandemie gar keine Einbußen – in der gesellschaftlichen Gesamtbevölkerung dürften deutlich mehr als zehn Prozent Einbußen beim Nettoeinkommen haben. So ist wohl auch der hohe Wert derer zu erklären, die sich durch die Pandemie gar nicht oder wenig beeinträchtigt fühlen: Von den 5.448 Befragten gaben rund 86 Prozent an, die eigene körperliche Gesamtverfassung sei „gut“ oder sogar „sehr gut“. Die eigene seelische Verfassung schätzten knapp 84 Prozent als mindestens gut ein.

Deutlich gesunkene Mobilität, deutlich verringertes Wohlbefinden: Die Corona-Pandemie hinterlässt Spuren. - Foto: gik
Deutlich gesunkene Mobilität, deutlich verringertes Wohlbefinden: Die Corona-Pandemie hinterlässt Spuren. – Foto: gik

In der Pressekonferenz hatte Wild noch genau das Gegenteil referiert, und das ausführlich mit Zahlen unterlegt, sein Fazit vergangene Woche: „Da ist schon eine Belastung in der Bevölkerung.“ Nun musste sich die Universitätsmedizin korrigieren (siehe oben). Dazu passt nun auch eher, dass die Werte von Ängstlichkeit oder Traurigkeit im Verlauf der Wochen bei den Teilnehmern nur sehr moderat anstiegen, wie Wild berichtete: „Wir sehen eine Steigerung, aber ausgeprägt ist das nicht.“ Auf Nachfrage, ob denn nicht andere Parameter untersucht worden seien, sagte Manfred Beutel, Direktor der Mainzer Klinik für Psychosomatik: Ja, man habe auch den Parameter der Einsamkeit untersucht, die Daten seien aber noch nicht vollständig ausgewertet: „Einsamkeit hat verschiedene Dimensionen, das wollen wir genau auswerten“, sagte Beutel.

Sorgen macht den Medizinern aber auch, dass ein Viertel der Befragten angab, wegen der Pandemie Untersuchungs- oder Behandlungstermine bei Ärzten verschoben oder abgesagt zu haben – offenbar aus Angst vor Ansteckungen. „Langfristig lässt das negative Folgen für die Gesundheit der Bevölkerung erwarten“, warnte Wild. Die Gefahr sei, dass Menschen Vorsorgeuntersuchungen etwa im Bereich von Herzkrankheiten nicht wahrnähmen, „die Leute sterben dann nicht in der Klink, sondern zuhause“, sagte auch der Mainzer Kardiologe Thomas Münzel: „Wir haben im Januar 30 Prozent weniger Herzkatheter-Untersuchungen gehabt, man fragt sich: wo sind die 30 Prozent geblieben?“

Einen Coronatest hat erst nur gut ein Drittel der Studienteilnehmer seit Beginn der Pandemie schon mal gemacht. - Foto: gik
Einen Coronatest hat nur gut ein Drittel der Studienteilnehmer seit Beginn der Pandemie schon mal gemacht. – Foto: gik

Untersucht wurde aber auch, wie viele Teilnehmer bereits an Covid-19 erkrankt sind: „Wir gehen davon aus, dass etwa 2 bis 2,5 Prozent Antikörper entwickelt haben gegen das Virus“, sagte der Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Professor Karl Lackner: „Wir gehen davon aus, die haben die Infektion gehabt, oft zu Beginn der Pandemie.“ Inzwischen hätten auch 36,7 Prozent, also mehr als jeder Dritte, schon mal einen Coronatest gemacht, berichtete Wild weiter – im Oktober 2020 habe dieser Wert noch bei nur 18,6 Prozent gelegen.

Dabei seien Testungen von großer Bedeutung, betonte der Epidemiologe: Im aktuellen Winter seien Grippesymptome nämlich weit verbreitet, gut 50 Prozent berichteten von entsprechenden Symptomen – von Corona-Symptomen im engeren Sinne hätten aber nur 20 Prozent der Teilnehmer berichtet. Ein Großteil sei aber gar nicht mit dem Coronavirus infiziert, berichtete Wild weiter, das zeige, wie wichtig Coronatests seien. 48,8 Prozent der Teilnehmer nutzen übrigens die Corona Warn-App, doch auch hier zeigte sich wieder einmal: viel genützt hat das offenbar nicht. Lediglich 4,6 Prozent hatten schon einmal eine Warnmeldung über die App, 95,4 Prozent aber noch nie eine Meldung zu einer Risikobegegnung.

Die Studie wird nun fortgesetzt, im Februar beginnen die zweiten Untersuchungen. Ein Thema werde dabei auch sein, was eine Covid-19-Infektion langfristig mit den Menschen mache, sagte Wild: Etwa 35 Prozent der an Covid-19 Erkrankten entwickele das sogenannte „Long Covid Syndrom“ – diverse durch das Virus ausgelöste Langzeitschäden, etwa an Lunge, Herz oder Nervensystem.

Info& auf Mainz&: Die Studienergebnisse zur Gutenberg Covid-19 Studie sowie den Fortschritt der Forschungsarbeit könnt Ihr Euch hier selbst im Internet ansehen: auf dem Dashboard zur Gutenberg Covid-19-Studie. Mehr zur Studie selbst lest Ihr auf dieser Homepage der Mainzer Universitätsmedizin. Alle Informationen und Berichte zum Coronavirus auf Mainz& findet Ihr in unserem ausführlichen Dossier zur Corona-Pandemie genau hier.

 

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