Der Tag der Bundestagswahl ist da, und so quälend langsam der Wahlkampf am Anfang begann, umso spannender wurde er auf den letzten Metern: Am Abend des 26. September 2021 könnte die Republik quasi mit zwei Kanzlern dastehen. Olaf Scholz (SPD) oder Armin Laschet (CDU) lautet das große Duell am Wahlsonntag, die Umfragen sehen die beiden Kandidaten nahezu gleichauf, und so könnte am Wahlabend noch lange nicht feststehen, wer diese Republik in die Zeit nach Angela Merkel (CDU) führt. Und so rufen Politiker wie Parteien und Verbände auf: Geht wählen! In dem Kopf-an-Kopf-Rennen könnte jeder einzelne Stimme am Ende den Ausschlag geben.

Olaf Scholz (SPD) oder Armin Laschet (CDU) - wer wird der nächste Bundeskanzler? - Collage: gik
Olaf Scholz (SPD) oder Armin Laschet (CDU) – wer wird der nächste Bundeskanzler? – Collage: gik

Rund 148.450 Wähler sind an diesem Sonntag in Mainz zur Stimmabgabe bei der Bundestagswahl aufgerufen, dazu kommen noch einmal rund 100.000 Wahlberechtige des Teilkreises Mainz-Bingen – der Mainzer Wahlkreis 205 wurde erstmals deutlich ausgedehnt und umfasst nun eine Strecke von Bacharach bis nach Mainz. Tatsächlich aber haben viele Wähler ihre Stimme längst eingetütet, sozusagen: Auf knapp 50 Prozent bezifferte der Landeswahlleiter von Rheinland-Pfalz im Vorfeld der Wahl den Anteil der Briefwähler. Das sind zwar weniger als bei der Landtagswahl im März, doch für eine Bundestagswahl bedeutete das weiter einen Rekordanteil der Briefwahlstimmen.

Das besondere dabei dieses Mal: die Briefwähler haben einen großen Teil des spannenden Wahlkampfes auf den letzten Metern verpasst und ihre Stimmen teilweise in einem völlig anderen Umfeld abgegeben. Als am 16. August mit dem Versand der Briefwahlunterlagen begonnen wurde, lag die Union in den Umfragen noch deutlich vorne – bis zu sieben Prozentpunkte lagen CDU und CSU vor der SPD, Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) schien quasi „im Schlafwagen“ ins Kanzleramt rollen zu wollen.

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CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet auf einer Wahlkampfveranstaltung. - Foto: CDU
CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet auf einer Wahlkampfveranstaltung. – Foto: CDU

Doch dann kehrte die Republik aus den Sommerferien zurück, und das Entsetzen über die Fehler des CDU-Kandidaten nahm zu anstatt ab: Laschets Lachen im Katastrophengebiet nach dem Hochwasser in NRW, seine inhaltliche Leere, seine Patzer in Fernsehshows – Ende August kippte der CDU-Wahlkampf endgültig. Am 27. August vermerkte die Forschungsgruppe Wahlen im Auftrag des ZDF erstmals Gleichstand, die SPD hatte auf einmal mit 22 Prozentpunkten mit der CDU gleichgezogen. Olaf Scholz tourte geduldig über die Märkte der Republik und schaffte das Kunststück, gleich alle drei „Trielle“ der Fernsehsender – der Runde der drei Kanzlerkandidaten – mit Ruhe und präzisen Ansagen für sich zu entscheiden.

Das Ergebnis: Anfang September lag die SPD auf einmal deutlich vor der Union – ein Schock im rechten Lagre, das fortan hauptsächlich auf eine „Rote Socken“-Kampagne mit der Warnung vor einem rot-rot-grünen Bündnis setzte. Die meisten Wähler nahmen den Rückgriff auf Kampagnen der 108ßer und 1990er-Jahre eher mit Kopfschütteln zur Kenntnis, positiv wirkte sich hingegen aus, dass Laschet endlich in einen Angriffsmodus zurückfand, und vor allem im letzten Triell deutlich stärker wahrgenommen wurde. Kurz vor dem Wahltag legte die CDU daraufhin noch einmal wieder leicht zu – die letzten Umfragen vor dem Wahltag sehen nun die SPD bei 23 Prozent, die CDU aber immerhin wieder bei 22 Prozent.

Sonntagsfrage des Instituts Allensbach zwei tage vor der Bundestagswahl. - Screenshot: gik
Sonntagsfrage des Instituts Allensbach zwei tage vor der Bundestagswahl. – Screenshot: gik

Damit droht Deutschland am Wahlabend des 26. September ein Herzschlagfinale – oder sogar ein Patt. „Wir werden einen Abend haben mit mehreren Kanzlermöglichkeiten – nicht nur mit einem“, sagte der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte vor knapp zwei Wochen gegenüber der Rhein-Zeitung. Er traue der CDU eine Schlussspurt zu, sagte Korte, allerdings habe die Union nach 16 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel mit einem „Countdown des Machtverfalls“ zu kämpfen. „Man kann den Verfall überwinden durch zwei Punkte: Durch eine personelle Erneuerung, und zwar grundsätzlicher Art, also durch ein ganz anderes Personal, das uns neugierig macht“, sagte Korte weiter. Oder die Partei präsentiere „eine Agenda, die für die Zukunft so passt, dass man eben sagt: nur wir können die Zukunftsprobleme, die anstehen, lösen.“

Doch Laschet tat nichts dergleichen, sein „Zukunftsteam“ – vorgestellt gerade einmal drei Wochen vor der Wahl – wirkte wie eine kurzfristig zusammengestellte Verlegenheitslösung, strahlte aber weder Aufbruch noch Erneuerung aus. Auch die Agenda des CDU-Kandidaten blieb bis zum Schluss unklar – im Gegensatz dazu platzierte Konkurrent Scholz bei jedem Auftritt klare Botschaften wie 12 Euro Mindestlohn, zukunftsfähiger Umbau der Rente sowie Sofortmaßnahmen in Richtung Klimawandel, egal ob in Wahlarenen oder auf Marktplätzen. Scholz sei „monumental unbeirrt immer er selbst geblieben“, sagte Korte – und habe es so geschafft, Kompetenz auszustrahlen sowie „das merkeligste Sicherheitsgefühl.“

Das "merkeligste Sicherheitsgefühl": SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei einem Auftritt in Worms. - Foto: gik
Das „merkeligste Sicherheitsgefühl“: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bei einem Auftritt in Worms. – Foto: gik

„Sicherheits-Deutsche wählen gerne Sicherheit“, betonte der Politikbeobachter: „Und Bekanntheit, Sicherheit, Stabilität, dass verkörpert Scholz offenbar mehr für die Deutschen als das Annalena Baerbock und Armin Laschet tun.“ Die grüne Kanzlerkandidatin Baerbock wiederum spielte auf den letzten Metern des Wahlkampfes keine Rolle mehr, ihre Umfragewerte sanken seit Ende August beständig – derzeit liegen die Grünen in den Umfragen nur noch bei 15 bis 16 Prozent.

Ein Eingreifen in das Kanzlerrennen traut den Grünen niemand mehr zu – durch gleich eine ganze Serie selbstverschuldeter Fehler der Kandidatin, aber auch durch schwammige Aussagen und oft auch mangelnde Präsenz bei inhaltlichen Debatten verspielten Baerbock und ihr Team die historische Chance, um die Kanzlerschaft mitzuringen. Denn trotz Flutkatastrophe und Wetterturbulenzen, trotz Warnungen von Weltklimarat und Fridays for Future-Demonstration zwei Tage vor der Wahl – die grüne Kandidatin war bei den inhaltlichen Debatten zum Klimawandel seltsam blass und oft sogar abwesend: Zur Flutkatastrophe im Ahrtal äußerte sich Baerbock auf großer Bühne nicht ein einziges Mal, ein klare Programmatik in Richtung Wandel ließ die Kandidatin bis zum Schluss vermissen – offenbar war die Angst bei den Grünen davor, Wähler zu verschrecken, zu groß.

Königsmacher FDP? Wacht Deutschland mit Jamaika auf - oder mit der Ampel? - Foto: gik
Königsmacher FDP? Wacht Deutschland mit Jamaika auf – oder mit der Ampel? – Foto: gik

So wurde das Wahl-Rennen auf den letzten Metern von einem Triell zu einem Duell: Scholz oder Laschet – wer vorne liegt, wird daraus den Auftrag ableiten, eine Regierungskoalition zu bilden. Doch weil Deutschland seine Kanzler nicht direkt wählt, sondern Parteien, zieht am Ende der ins Kanzleramt ein, der eine Regierungsmehrheit bilden kann. „Dies wird eine historische Wahl sein, bei der es am Wahlabend zwei Kanzler geben kann“, sagte Korte denn auch: „Wer wird Sondierungssieger? Auch der Zweite kann am Ende Sieger sein, wenn er Mehrheiten gestalten kann.“

Wahrscheinlich ist dabei nach derzeitigem Stand, dass eine Zweierkonstellation nicht ausreicht, sondern dass drei Parteien zur Mehrheitsbildung benötigt werden – die Liberalen sehen sich deshalb jetzt schon in der Rolle des Königsmachers. Tatsächlich könnte es so kommen: „Jamaika“ oder „Ampel“ – das scheinen die derzeit wahrscheinlichsten Optionen zu sein. Die Grünen haben bereits angekündigt, am liebsten mit der SPD regieren zu wollen, doch auch ein Bündnis mit der CDU ist alles andere als ausgeschlossen. Die FDP wäre dann das Zünglein an der Regierungswaage.

Rot-Grüner Flirt im Fernsehstudio: Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) beim Triell im ZDF. - Screenshot: gik
Rot-Grüner Flirt im Fernsehstudio: Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) beim Triell im ZDF. – Screenshot: gik

Und während FDP-Chef Christian Lindner nach außen hin verbal die Union umgarnt – auch, um die klassische FDP-Wählerklientel nicht zu verschrecken – wird im Hintergrund längst eine Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP vorbereitet. Garant dafür ist der Mann, der die erste Ampel-Konstellation auf Landesebene installierte: der rheinland-pfälzische FDP-Landeschef und FDP-Generalsekretär Volker Wissing. Eine rot-rot-grüne Konstellation wiederum gilt auch dann als höchst unwahrscheinlich, wenn sie rechnerisch möglich wäre – Scholz hat bereits wiederholt betont, ein Koalitionspartner müsse uneingeschränkt Ja zur Nato sagen, was aber für die Line nicht in Frage kommt.

Und so werden im politischen Berlin bereits Wetten abgeschlossen, ob Kanzlerin Merkel nicht doch noch an Weihnachten im Amt sein und die Weihnachtsansprache halten wird: Solange, bis der Bundestag einen neuen Bundeskanzler gewählt hat, bleibt die Alt-Kanzlerin kommissarisch als Regierungschefin im Amt. In dem knappen Schlussrennen jedoch kommt es unversehens nun für beide große Parteien auf jede Stimme an: In einem Kopf-an-Kopf-Rennen können am Ende wenige Hundert Stimmen den Ausschlag geben, wer am Ende die Kanzlerschaft antreten kann.

Wahlarena "Mensch.Wähl.Mich" des DGB in Mainz. - Foto: gik
Wahlarena „Mensch.Wähl.Mich“ des DGB in Mainz. – Foto: gik

In Mainz haben die Wähler die Auswahl aus 20 Parteien, um ihre Erststimme buhlen gleich 15 Direktkandidaten – 12 davon hat Mainz& einen Fragebogen geschickt unter dem Motto „12 Fragen an…“, die Antworten von Mietendeckel über Bürgerversicherung bis hin zu kostenlosem ÖPNV könnt Ihr hier auf dieser Mainz&-Sonderseite zur Bundestagswahl nachlesen. Die Frage, wer das Direktmandat im Wahlkreis Mainz holt, ist übrigens ebenso spannend wie das Ringen auf Bundesebene: Der parteilose Direktkandidat der Linken, der bekannte und beliebte Arzt und Sozialmediziner Gerhard Trabert, erfuhr in seinem Wahlkampf eine so breite Unterstützung aus allen Richtungen des Parteienspektrums, dass Trabert sogar das Direktmandat holen könnte – es wäre eine Sensation.

Grund genug also, am Sonntag seine Stimme abzugeben, denn auch hier könnte jede einzelne Stimme den Unterschied machen. Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) rief denn auch dazu auf, von seinem Wahlrecht Gebrauch zu machen: „Die Grundlage allen gesellschaftlichen Engagements ist und bleibt die Teilnahme an den Wahlen“, betonte Ebling: „Es gilt weiterhin der alte Leitsatz: Wer nicht selbst entscheidet, über den wird entschieden.“ Die Wahlbeteiligung lag bei der Bundestagswahl 2017 in Mainz bei 80,8 Prozent, mit dem vorläufigen Endergebnis zumindest für die Stadt Mainz rechnet man hier bereits gegen 20.30 Uhr.

Info& auf Mainz&: Wer am, Wahlsonntag wählen geht, tut dies in dem auf der Wahlbenachrichtigung vermerkten Wahllokal, Ihr braucht dafür nur die Wahlbenachrichtigung und einen Personalausweis – das war’s. Aber auch, wer seine Briefwahl noch nicht abgegeben oder zurückgeschickt hat, ist nicht raus: Die Briefwahlunterlagen können noch bis 18.00 Uhr am Wahlsonntag bei der Stadt Mainz eingeworfen werden – und zwar direkt im Briefwahlbüro am Stadthaus in der Großen Bleiche. Also: Geht wählen! Alle Informationen der Stadt Mainz zur Bundestagswahl findet ihr hier im Internet, die Ergebnisse könnt Ihr ab 18.00 Uhr live im Internet verfolgen, und zwar genau hier in der digitalen Wahlapp. Die Mainz&-Fragebögen der Mainzer Direktkandidaten sowie weitere Bericht findet Ihr hier bei Mainz&.

 

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