Am 17. Dezember feierten die Römer, es war der Tag, an dem die Saturnalien begannen – jenes Fest zu Ehren des Gottes Saturn, an dem geschlemmt und über die Stränge geschlagen wurde. Diener wurden zu Herren, man verkleidete sich, und es wurden Geschenke gemacht. In Mainz fanden die Saturnalien bereits am 11.11 statt – zum zweiten mal hatte die Initiative Römisches Mainz (IRM) zum etwas anderen Fastnachtsauftakt geladen. Es wurde ein Abend ganz nach alter Narrensitte: mit Gesang, einem durchdrehenden Blinddarm, und ganz viel beißendem Narrenspott für die Oberen.
Schon zum zweiten Male Saturnalien? Das sei dann schon Tradition, meinte Peter Krawietz, Protokoller der „Saturnalien“, und in der Tat: Im zweiten Jahr ihres Bestehens fühlten sich die Saturnalien schon an, als wären sie schon immer da gewesen. 2021 hatte die Initiative Römisches Mainz (IRM) unter der Ägide ihres umtriebigen Vorsitzenden Christian Vahl das erste Mal zu Mainzer „Saturnalien“ geladen – es wurde ein vierfarbbunter Narrenabend mit viel historischem Kolorit.
Nun traf man sich erneut in den Gewölben der Kulturei zu Füßen der Mainzer Zitadelle und mit Blick aufs antike Römische Bühnentheater, und nicht nur die Gäste drängten sich – auch bei den Vortragenden hatte die IRM breite Auswahl. „Den Römern hat’s schon Spaß gemacht, die Meenzer Fassenacht – lalalei, wir sind an Fassenacht dabei“, freuten sich Paco & Paco, das Vater-Sohn-Duo des KCK alias Gerhard und Christian Carra – und begeisterten gleich mal den Saal mit einem Liebeslied auf die Fastnacht, auf die Freundschaft und den Wein.
Der „Deutsche Michel“ liest der Politik die Leviten
„Wieder Fastnacht“, freute sich auch Trio Aeterna, das immer mal wieder zwischendurch Musikalisches einwarf, und dessen Sängerin Kathrin Dohle gekonnt durch den Abend führte. An der Gitarre stand hier Christian Vahl persönlich, dessen Neptun-Figur natürlich auch nicht fehlen durfte, und als Archäologe „Herr WeißvunNix“ Sprechblasen allerorten ausgrub. „Drei Prinzipien: Finden, Öffnen, Deuten“, lautete das Motto des kuriosen Ausgräbers, der trocken konstatierte: „Wenn eine Schraube etwas locker ist, hat das Leben etwas Spiel.“
Das Leben hatte in diesem Jahr eine ganze Menge Schrauben locker: Krieg, Krisen, Energiepreisschock, dem „Deutschen Michel“ verging da fast das Lachen: „Ganz aktuell: Es ist zum Weinen“, konstatierte Bernhard Knab in seiner Paraderolle, und zog dann feste vom Leder: Merkels Abgang, Tod der Queen, Gender-Sternchen und das „Schrottwichteln“ bei der Bundestagswahl – der „Michel“ packte alles und jede in seinen bissigen Reimen an.
Den Hut zog er nur von Annalena Baerbock, der neuen Außenministerin, doch der Rest? Eine Truppe zum Fürchten wie Saskia „Darth Vader“ Esken oder der Wirtschaftsminister ohne Diplom: „Im Handwerk gibt’s ’ne Meisterpflicht, in der Politik halt nicht“, seufzte der „Michel“, und konstatierte: „Politiker vom alten Schlag, werden vermisst jeden Tag.“
„Und Schoppe-Ebling wird Minister“
Auch der Rücktritt von Innenminister Roger Lewentz (SPD) durfte nicht fehlen – „und Schoppe-Ebling wird Minister“ -, eben so wenig die WM in Katar: „Der größte Schwachsinn dieses Jahr, ist die WM in Katar“, sprach der „Michel“ Klartext mit Blick auf die ignorierten Menschenrechte – und wurde mit donnerndem Applaus belohnt.
Viel Stoff für seine Anklage fand auch der „Advokat des Volkes“: Ein Finanzminister, der Champagner auf der Hochzeit schlürft, aber dem Volk das Sparen empfiehlt, ein Millionär auf der Oppositionsbank, der Kriegsflüchtlinge mobbt, ein Kanzler-Schlumpf, der in der Gangsterwelt von „Cum Ex“ zuhause ist, und Bischöfe, unter deren Soutanen die Wolllust bebt. Mit einem aber ging Rüdiger Schlesinger besonders hart ins Gericht: Wladimir Putin. „Wie dieser Typ, Mensch wär geschmeichelt, die Welt in Atem hält, lügt und heuchelt“, wetterte der „Advokat“, und appellierte ans russische Volk: „Steht auf, ihr Russen – das wär mein Plädoyer.“
Des Volkes Stimme sein, den Oberen die Leviten lesen und den Spiegel vorhalten – es ist die vornehmste Narrenpflicht, und eine, die auch schon bei den Römern gepflegt wurde: An den Saturnalien tauschten Diener und Herren für einen Tag die Rollen. Und so spielten auch die Mainzer Saturnalien mit Oben und Unten – und mit Mann und Frau. „Wo das Narrentum regiert, wird es meist männlich dominiert“, sprach der Herr „Laudator“: „Die Frau, die sich auf die Bühne traut, wird meist fragend angeschaut.“
Altmeister René Pschierer: Ode auf den „Spiritus Moguntius“
Kaum einer setzt die närrischen Reime so gekonnt und fein ziseliert, wie Altmeister René Pschierer. Der „Bajazz“ des MCV zeigte bei den Saturnalien seine ganze Klasse – und schenkte den Fastnachtern selbst auch einiges ein: „Ja, die Fastnacht kann auch weiblich“, sprach Pschierer: „Die Ehrengästin ist fürwahr, so wie die Garde unsichtbar.“ Es wurde eine Feier der puren Lebensfreude: Des Spiritus Moguntius.
Dabei hatten die Saturnalien durchaus Weiblichkeit auf der Bühne zu bieten: „Gerade an Fastnacht ist die Unterdrückung des Mannes doch überall sichtbar“, belehrte Patricia Lowin das närrische Auditorium: Männer würden in Komitees abgegeben, müssten Büttenreden halten, „damit ihnen wenigstens ein Mal im Jahr zuhört“. Es wurde ein Stück feinster Narrenkunst, und ein echtes Saturnalia-Meisterwerkchen, stellte es doch die althergebrachte Narrenwelt so richtig auf den Kopf: „Machen Sie das Beste aus dem genetischen Material, das neben Ihnen am Frühstückstisch sitzt“, empfahl die Männerbeauftragte: „Kein Mann ist unnütz, er kann immer noch als schlechtes Beispiel dienen.“
Schlechtes Beispiel – den Bänkelsängern fiel dazu das Pflaster von Mainz ein: „Die Schlaglöcher in der Gasse werden nicht mehr repariert – und als antikes Pflaster, den Touris in Meenz präsentiert“, sangen Guido Seitz und Thomas Gerster. Charles der Rentner-König, die Biontech-Milliarden und auf der Straße klebende Umwelt-Aktivisten – im Moritatenstil kam der närrische Gesangs-Rückblick daher.
Ein OB, der „fluchtartig seine Stadt verlässt“
„Am Geist der Zeit Kritik zu üben, sei’s Zeitgeist, sei es Zeitenwende“, sprach Protokoller Krawietz – genau das sei ja der Sinn im Zeichen von Gott Jokus. Und prompt geißelte Krawietz in geschmeidigen Reimen die hohe Politik von Kanzler Olaf Scholz (SPD): „Wo Ukrainer sterben, frieren, da ist kein halbes Herz gefragt. Hier muss dem Kanzlermann man quittieren: Mein Freund, hier hast Du glatt versagt.“
Das Land, es gleiche „einem Zirkuszelt, wo jeder sich für den größten hält“, seufzte der Narr, und schrieb auch der Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) angesichts der Ahrtal-Flut ins Regierungsbuch: „Alles wegzulächeln – das hat mit Staatskunst nichts zu tun.“ Ihren neuen Innenminister bedachte Krawietz ebenfalls mit kritischen Zeilen, hatte der doch „trotz voller Kassen, fluchtartig seine Stadt verlassen: Einer, den die Bürger wählen, macht sich einfach aus dem Staub – sich Knall auf Fall davon zu stehlen, das ist nichts Dolles, wie ich glaub‘.“
„Ja, ich empfinde Tag für Tag die Fastnacht als Befreiungsschlag“, bekannte der Protokoller – es wurde ein höchst vergnüglicher: Mit roter Nase, Hut und weißen Handschuhen schlug sich Altmeister Hansi Greb durch seinen Vortrag – Kokolores auf hohem Niveau.
Ein Blinddarm, der aufs Zwerchfell schlägt: Hilde Bachmann
Doch eine konnte da noch einen draufsetzen: „Es war ein sehr hartes Jahr für mich: ich musste mich von meinem Blinddarm trennen“, seufzte Hildegard Bachmann, „wir haben so aneinander gehangen…“ Nur eine kann ihre Pointen so treuherzig-grandios setzen, wie die Grande Dame des närrischen Vortrags: Bachmann wie nur Bachmann kann – nach diesem Motto entfaltete sich die Ode vom verlorenen Blinddarm, die das Publikum fast sein Zwerchfell kostete…
Aber es wäre ja keine römische Fastnacht gewesen, wenn nicht auch Historisches zur Sprache gekommen wäre: „Wie lang ist der Rosenmontagszug? Und der wievielte ist es überhaupt?“, wollte Ulrich Drechsler von dem Saal wissen – und fächerte ein höchst vergnügliches Fastnachtsquizz auf: „Wie oft wurde der Zugweg geändert? 11 Mal, 35 Mal oder 42 Mal?“, hieß es da – wer hätte es gewusst?
„In der Kunst liegt das Vergnügen, ‚Lulu, ludite‘ – spielt das Spiel“, mahnte „Schlarafiia“ Christian Pfarr, und gab „Die Ballade von der unsichtbaren Römergarde“ zum Besten. „Weil bei der Mainzer Lebensart, der Freisinn mit Humor sich paart“, drum sei die Römergard‘ in Mainz genau am richtigen Platz, konstatierte Pfarr, und sprach: „Die unsichtbare Römergard‘, schon manchmal sich gewundert hat, dass man noch an sie denkt. Initiative Römisch Mainz, im Wesentlichen fast alleins – die hat sich reingehängt.“ Und so bleibe Mainz, das Reich Moguntia, so lange auch ein Teil von Rom – „so lange fließt der Rhein.“
Info& auf Mainz&: Ihr wollt selbst den zweiten Saturnalien nachspüren, Vorträge anhören und mit den Akteuren schunkeln? Könnt Ihr: Hier auf Youtube gibt es einen Mitschnitt der gesamten Veranstaltung. Wie die Saturnalien 2021 waren, könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Und wenn Ihr die Saturnalien im modernen Mainz begehen wollt: Just am 17. Dezember lädt die IRM in diesem Jahr zum ersten römischen Weihnachtsbasar nach dem Motto: „Schenken wie die Römer“ – mehr dazu hier. Und natürlich – unsere Fotogalerie: