Er galt als einer der kostbarsten Domschätze des Abendlandes, er wurde geplündert, eingeschmolzen und wieder zu neuem Leben erweckt: Von Freitag an zeigt das Mainzer Dom- und Diözesanmuseum den Mainzer Domschatz in einer neu gestalteten Schatzkammer. Anderthalb Jahre nahm sich das Dommuseum Zeit für die Neugestaltung des kleinen Schatzkästchens, nun werden in der ehemaligen Nikolauskappelle auf rund 300 Quadratmetern 80 wertvolle Objekte gezeigt: Kelche, Monstranzen, wertvolle Handschriften, liturgische Gefäße – und die Bischofsinsignien mehrerer Mainzer Bischöfe. „Wir haben einen atmenden Domschatz“ sagt Museumsdirektor Winfried Wilhelmy. Der Mainzer Domschatz, er spiegelt auch die wechselvolle Geschichte des Bistums. Am Donnerstagabend ist feierliche Wiedereröffnung der Domschatzkammer, ab Freitag ist sie für die Besucher geöffnet.
Der Chormantel von Joseph Ludwig Colmar stammt wohl aus dem Jahr 1818, das kostbare Seidengewand des 1803 von Napoleon eingesetzten französischen Bischofs wurde der Legende nach aus dem Hochzeitskleid von Napoleons Gemahlin Kaiserin Joséphine geschneidert. Nach 40 Jahren wird das liturgische Gewand nun erstmals wieder in Mainz ausgestellt. „Der Chormantel ist der Grund, warum das alles hier so lange gedauert hat“, sagt Museumsdirektor Winfried Wilhelmy. Anderthalb Jahre dauerte die Restaurierung des Seidengewandes, die brüchig gewordenen Seidenbahnen mussten aufwändig wiederhergestellt werden. Bei den Untersuchungen habe sich ergeben, dass der Mantel tatsächlich die sekundäre Verwendung eines Galakleides gewesen sei, sagt Wilhelmy, auch die Herkunft von Josephine sei gesichert.
Das Mainzer Bistum gehört zu den ältesten der Katholischen Kirche in Deutschland, und es war einst das bedeutendste: Die Mainzer Erzbischöfe wählten Kaiser und Könige, krönten Herrscher und leiteten Jahrhunderte lang als Reichskanzler die Geschicke des Reiches. 1000 Jahre alt ist der Mainzer Willigis-Dom, und mehr als 1.000 Jahre Geschichte atmet auch die neue Mainzer Domschatzkammer. Über Jahrhunderte hinweg galt der Schatz als einer der kostbarsten des Abendlandes, 300 Wertgegenstände verzeichnen Inventare früherer Zeiten. Der legendäre Maiknzer Erzbischof Willigis erhielt einst für seine Unterstützung des ottonischen Kaiserhauses 600 Pfund Gold, daraus ließ er großes Altarkreuz fertigen, das allerdings im 13. Jahrhundert wieder eingeschmolzen wurde.
„Vom alten Domschatz sind nur zwei Objekte erhalten“, sagt Wilhelmy. Einen kleine runde Holzdose, ein Reliquiar aus dem 12. Jahrhundert ist darunter. „Der wichtigste Schatz waren nicht Silber und Gold, sondern die Gebeine der Heiligen“, erzählt Wilhelmy, „die zeigte man an hohen Feiertagen auf dem Altar des Doms.“ Vor allem unter Erzbischof Albrecht von Brandenburg wuchs der Schatz im 16. Jahrhundert stark an. „Albrecht war einer der größten Kunstmäzene seiner Zeit“, sagt Wilhelmy, so stiftete der Kirchenmann 142 Tafelbilder aus der Werkstatt des berühmten Malers Lukas Cranach dem Älteren für die Hallesche Stiftskirche. Als Albrecht 1541 nach Mainz floh, nahm er seine Kunstwerke mit – so kann die Domschatzkammer heute das Cranach-Gemälde „Der Schmerzensmann“ vom alten Hochaltar aus der Zeit um 1520 im Dommuseum präsentieren.
Tod, Taufe, Ehe und Beichte – der Hauptraum der neuen Domschatzkammer in der ehemaligen Nikolaikapppelle ist heute nicht länger nach kunsthistorischen Gesichtspunkten geordnet. Die neue Mainzer Domschatz ist nun thematisch nach den sieben Sakramenten geordnet. Die Idee sei den Mitarbeitern des Dommuseums gekommen, als sich eine 16 Jahre alte Besucherin bei der Langen Nacht der Heiligen über „die tolle Spiegelausstellung freute“, berichtet Wilhelmy. Dass es sich bei den Spiegeln um Monstranzen handelte, habe die junge Dame nicht gewusst. „Das Wissen um die liturgischen Objekte geht verloren“, sagt Wilhelmy, daraus entstand die Idee für das neue Konzept.
Nun zeigt die neue Mainzer Domschatzkammer ihre Preziosen geordnet nach den Sakramenten der Taufe, der Beichte oder der Ehe. „Man kann von Sakrament zu Sakrament schreiten oder sich einfach von den Objekten fesseln lassen“, sagt Wilhelmy. Da gibt es etwa einen Kelch aus dem Grab des Erzbischofs Adalbert I. von Saarbrücken aus dem Jahr 1137, einen Messkelch der spanischen Adelsfamilie Medinaceli aus dem 16. Jahrhundert oder eine Strahlenmonstranz von 1768. Auch sechs kostbare alte Handschriften sind zu sehen, ein Punkstück ist die Messgarnitur des Bischofs Colmar aus dem 18. Jahrhundert, ein weiteres Geschenk Napoleons.
Das wohl gruseligste Stück aber ist ein „Tödlein“, ein kleines Wachsskelett, bedeckt von Würmern, in einem Sarg. „Das ist ein Memento Mori, ein Objekt, das aufgestellt wurde, um an die Vergänglichkeit des Lebens zu gemahnen“, sagt Wilhelmy – das skurrile Objekt gehört zum Sakrament des Sterbens. Das Objekt aber, das vielleicht am meisten irritieren wird, ist eine modern geformte Schale, die wie aus einem Operationssaal entsprungen aussieht. Man habe drei Künstler gebeten, moderne Interpretationen liturgischer Objekte zu gestalten, sagt Wilhelmy. Der Darmstädter Künstler Peter Pelikan entwarf die Hostienschale. „Darf man das, etwas Heiliges in so etwas Profanem präsentieren“, fragt Wilhelmy, und gibt die Antwort gleich selbst: „Warum nicht, muss denn Schatz immer schön sein?“ Das Museum wolle damit auch Diskussionen anstoßen, „wir wollen mit den Besuchern ins Gespräch kommen“, sagt Wilhelmy.
Das älteste Stück der Ausstellung ist aber die Willigiskasel, ein liturgisches Gewand aus Seide aus dem Jahr 1000. Der Legende nach wurde die Kasel im 14. Jahrhundert dem Grab des legendären Mainzer Bischofs und Domerbauers Willigis entnommen, Experten glauben aber eher, dass das kostbare Gewand sorgfältig aufbewahrt und gepflegt wurde – sein Erhaltungszustand ist hervorragend. Der kostbare Stoff könnte ein Geschenk der Kaiserin Theophanu sein – da atmet die Domschatzkammer wieder große Geschichte.
„Andere Domschatzkammern haben wertvollere Stücke“, sagt Wilhelmy trotzdem bescheiden, denn der Mainzer Domschatz hatte eine wahrhaft beraubende Geschichte. Der Schatz wurde mehrfach geplündert, vor allem durch die Schweden im 30-jährigen Krieg. 1631 bis 1635 besetzten die Truppen der protestantischen Schweden Mainz, der Domschatz war für sie willkommene Beute. Vor allem das „Halle’sche Heiltum“, der Schatz von Albrecht von Brandenburg, wurde nach Schweden gebracht und sei bis heute im Stockholmer Nationalmuseum zu sehen, sagt Wilhelmy: „In Stockholm gibt es mehr vom Mainzer Domschatz als bei uns.“
Der Mainzer Domschatz wurde danach mühsam wieder aufgebaut, doch 1803 erfuhr er seinen endgültigen Schlag: Napoleon eroberte die linksrheinischen Lande, bereits 1792 standen die Franzosen vor Mainz. Der Mainzer Erzbischof Karl-Theodor von Dalberg floh Hals über Kopf nach Regensburg – den Domschatz nahm er mit. Napoleon formte indes 1803 ein neues, französisches Bistum Mainz unter dem Joseph Colmar – und der forderte den Domschatz von Dalberg zurück. Doch der dachte gar nicht daran – und ließ den Domschart lieber einschmelzen, um die ebenfalls vor den Franzosen geflohenen Mainzer Domherren auszahlen zu können.
200 Jahre dauerte der Neuaufbau des neuen Mainzer Domschatzes, die „neuen“ Wertsachen stammen aus Grabfunden im Mainzer Dom, aus Pfarreien des Bistums und aus Privatbesitz. „Der Domschatz wächst wieder“, sagt Wilhelmy, das beste Beispiel dafür seien die Insignien der verstorbenen Mainzer Bischöfe. Gleich am Eingang der Kapelle begrüßen drei Bischofsstäbe die Besucher – es sind die Krümmen der Altbischöfe Karl Lehmann, Hermann Volk und Albert Stohr. Am Ende des Rundgangs stehen die Bischofsinsignien des früheren Mainzer Bischofs Ketteler, so schließt sich der Kreis. „Wir haben“, sagt Wilhelmy, „einen atmenden Domschatz, der vergeht und wächst.“
Info& auf Mainz&: Die Eröffnung der neuen Mainzer Domschatzkammer findet am Donnerstag, den 9. August 2018 um 17.00 Uhr statt. Ab Freitag ist die Domschatzkammer Dienstags von 10.00 – 17.00 Uhr, Samstags und Sonntags von 11.00 – 18.00 Uhr geöffnet. Der Eintritt kostet 5,- Euro, ermäßigt 3,- Euro, es gibt Familienkarten. Alle Infos dazu und zum Mainzer Dommuseum hier im Internet.