Rückschlage für die Mainzer Finanzplanung: Die Dienstaufsicht ADD hat den gerade erst verabschiedeten Nachtragshaushalt der Stadt Mainz für das Jahr 2024 nicht genehmigt. Nach einem massiven Einbruch bei den Gewerbesteuern, wollte die Stadt noch in diesem Jahr rund 110 Millionen Euro neue Schulden aufnehmen, um ein neu entstandenes Finanzloch zu decken, das aber untersagte die ADD. Mainz muss nun klare Vorschläge für Einsparungen machen, zudem fordert die ADD die Wiederanhebung der Gewerbesteuer – zwischen Finanzdezernent und Oberbürgermeister werden derweil Risse sichtbar.
Es war im März 2024, als Finanzdezernent und Bürgermeister Günter Beck (Grüne) auf einmal zu einer Brandrede im Mainzer Stadtrat anhub: Die „goldenen Jahre“ der sprudelnden Finanzen in Mainz seien vorbei, die Stadt müsse den Gürtel wieder deutlich enger schnallen, warnte Beck in der Stadtratssitzung vom 6. März 2024. Vielen Ratsmitgliedern standen die Überraschung und der Schreck ins Gesicht geschrieben, war Mainz doch gerade erst 2022 und 2023 in den Genuss von sprudelnden Einnahmen gekommen.
Der Corona-Impfstoff des Mainzer Pharmaunternehmens BionTech hatte im Zuge der Pandemie Milliarden in die Mainzer Kassen gespült – und Mainz auf einen Schlag schuldenfrei gemacht. Neben Investitionen in Busse, Kitas und Schulen, Bürgerhäuser und Sportplätze, hatte Mainz aber auch flugs den Gewerbesteuersatz massiv gesenkt – von 440 Prozentpunkten auf 310 Prozentpunkten. Mainz besaß damit auf einen Schlag gemeinsam mit dem reichen Nachbarn Ingelheim den niedrigsten Gewerbesteuersatz von Rheinland-Pfalz – womöglich rächt sich das nun.
Gewinneinbruch bei BionTech, Gewerbesteuergeschenk für Firmen
Denn Anfang 2024 brachen die Gewerbesteuereinnahmen auf einen Schlag dramatisch ein – eine Überraschung war das indes eigentlich nicht: Nach dem Ende der Corona-Pandemie war bei BionTech der Absatz des Impfstoffes dramatisch zurückgegangen, und damit auch die Gewinne. Anfang Mai hatte BionTech einen Gewinneinbruch von 80 Prozent für das erste Quartal 2024 gemeldet, statt 6,4 Milliarden Euro wie 2023, standen jetzt nur noch 1,27 Milliarden Euro zu Buche.
Schlimmer noch: Der Gewinn gingen bei BionTech von 3,69 Milliarden Euro auf rund 500 Millionen Euro zurück – die Konsequenz: Die zu erwartenden Gewerbesteuereinnahmen bei der Stadt Mainz rasselten ebenfalls in den Keller. Statt rund 1,22 Milliarde Euro an Einnahmen, kann die Stadt derzeitigen Schätzungen zufolge nur noch mit rund 928.000 Euro rechnen – BionTech dürfte zudem nicht das einzige Mainzer Unternehmen sein, dass von der Gewerbesteuer-Senkung deutlich profitierte, und deutlich weniger zahlen muss.
Die Folge: Mainz stehen damit 2024 wohl rund 300 Millionen Euro weniger zur Verfügung. Im Mai brachte Finanzdezernent Beck folglich einen Nachtragshaushalt in den Mainzer Stadtrat ein, der im Juni verabschiedet wurde. Und dieser Nachtrags sah nun ein sattes Minus von rund 90 Millionen Euro vor. Zur Kompensation wollte die Stadt rund 110 Millionen Euro an neuen Krediten aufnehmen, doch dem schob die Dienstaufsicht ADD nun einen Riegel vor: Sie genehmigte den Haushalt nicht und kündigte zudem eine Globalbeanstandung der gesamten Nachtragshaushaltssatzung an.
Neue Kredite abgelehnt, alle Projekte für 2025 auf Prüfstand
Genehmigt seien demnach nur die Ansätze aus dem ursprünglichen Doppelhaushalt 2023/2024, sagte Beck am Dienstag in Mainz, nicht aber die neuen Investitionskredite. Beck betonte zudem, er habe schon im Mai vor einer solchen Situation gewarnt und „den Stadtrat eindringlich ermahnt, dass aufgrund unserer nun wieder veränderten Finanzlage, eine Kurskorrektur alternativlos ist.“ Er habe schon da prophezeit, „dass die Politik wieder priorisieren muss, da wir ansonsten keine Haushaltsgenehmigungen mehr erhalten werden“, betonte Beck.
Nun müsse „alles auf den Prüfstand“, Ausgabenreduzierungen seien „alternativlos“, sagte Beck weiter: „Wir müssen jetzt Innehalten, Luftholen und uns auf das Wesentliche konzentrieren“ – man könne jetzt „nur noch die für Mainz und für seine Bürger wichtigsten Projekte umsetzen!“ Er fordere, „dass wir wieder weg von den Einzelentscheidungen hin zu einer Gesamtschau der Einnahmen und Ausgaben im Rahmen der Haushaltsberatungen zurückkehren“, betonte Beck weiter.
Offenbar war man bei der ADD aber auch insgesamt mit dem Nachtragshaushalt für 2024 höchst unzufrieden – vor allem mit der Tatsache, dass die Stadt gar keine eigenen Einsparvorschläge gemacht hatte. Einziger Einsparversuch war die Kürzung der für die Kulturbäckerei in der Mainzer Neustadt vorgesehenen Fördergelder, das wies der Stadtrat aber in einer hitzigen Debatte mit breiter Empörung zurück – die Stadt hätte damit lange gemachte Zusagen gebrochen und das Projekt Kulturbäckerei wohl gekippt.
Steigt die Gewerbesteuer jetzt wieder auf 440 Prozent?
Die Folgen könnten nun dramatisch sein, denn damit werden auch nicht mehr Haushaltsausgabereste automatisch auf den Haushalt 2025 übertragen, machte Beck klar. Damit müssten auch bereits im aktuellen Haushalt veranschlagte Projekte für 2025 neu angemeldet werden. Dazu fordert die ADD offenbar, die Gewerbesteuer wieder anzuheben, Beck schlug daraufhin vor, der Stadtrat solle gleich im September eine Anhebung beschließen – und zwar zurück zu dem Hebesatz von vor der Corona-Pandemie, also zurück auf die 440 Prozentpunkte.
Das aber sieht man offenbar bei Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) skeptisch: „Für mich ist eine Erhöhung der Gewerbesteuer, wie sie die ADD fordert, nur ein Mittel als Ergänzung zu einer maßvollen Ausgabepolitik“, ließ Haase am Dienstag mitteilen – der OB weilt eigentlich noch im Urlaub. Haase betonte dabei auch, es zeige sich ja gerade, „wie wichtig es ist, den Wirtschaftsstandort Mainz attraktiv weiterzuentwickeln, auch um eine verlässliche Einnahmesituation zu gewährleisten.“
Stattdessen hob der OB einen anderen Punkt deutlicher hervor: „Als Oberbürgermeister setze ich mich für einen neuen Mainzer Realismus bei der Projektplanung ein, der überfällig ist, und seit Jahren zurecht von der Aufsichtsbehörde eingefordert wird“, sagte Haase. Denn Tatsache sei auch: „Über Jahre hinweg hat sich die Stadt bei Projektanmeldungen übernommen und Gelder im Haushalt unnötig gebunden“, kritisierte Haase: „Der Berg an unerledigten Projekten ist Ende letzten Jahres auf 400 Millionen Euro angewachsen. Für mich ist klar: Dies alles können wir nicht realistisch umsetzen.“
Haase: Mainz muss lernen, realistischer Projekte zu planen
Mainz werde deshalb nun „lernen müssen, realistischer zu planen“, betonte Haase. Das werde die Stadt „künftig als Kommune schlanker und leistungsfähiger aufstellen.“ Die Kritik und Auflagen der ADD werde man nun gründlich prüfen, kündigte der OB an. Den Fraktionen würden alle Informationen vorgelegt, damit der Stadtrat eine fundierte Entscheidung treffen könne.
Beck betonte hingegen, Mainz müsse „der ADD zeigen, dass wir alles zur Konsolidierung unserer Finanzen in die Wege leiten, und es unser Ziel ist, zukünftig wieder genehmigungsfähige Haushalte vorzulegen.“ Doch die aktuelle Ohrfeige der ADD ist beileibe nicht die einzige für einen Mainzer Haushalt: Erst im Juli 2021 hatte die ADD den Haushaltsplan der Stadt für 2022 gekippt – und in scharfen Worten gerügt: Die Stadt habe einen rechtswidrigen und inakzeptablen Haushalt mit massiver Neuverschuldung vorgelegt, und habe nicht einmal versucht, Einsparpotenziale oder Mehreinnahmen zu realisieren, rügte die ADD damals in ihrem Brief.
Die AfD-Opposition sprach denn auch von „einem vorhersehbaren finanzpolitischen Scherbernhaufen und schimpfte, die Ampelkoalition und der Finanzdezernent hätten „durch unverantwortliche Haushaltsbeschlüsse die in den letzten Jahren aufgebauten Überschüsse bis auf die Liquiditätsrücklage aufgebraucht.“ Auf keinen Fall dürften nun „die Bürger die Zeche zahlen“, warnte der stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende Stephan Stritter. Eine Gewerbesteuererhöhung sei wirtschafts- und Arbeitsplatzfeindlich und schade dem Standort Mainz nachhaltig.
AfD: finanzpolitischer Scherbenhaufen – CDU: Haushalt neu aufstellen
Die Grundsteuer B aber belaste bereits jetzt „Mieter und Hauseigentümer über Gebühr und auch die sonstigen Abgaben sind in Mainz bereits viel zu hoch“, schimpfte Stritter weiter: „Ausgabenreduzierung und Prioritätensetzung ist das Gebot der Stunde.“ Stritter forderte auch, „Lobbyprojekte wie die Kulturbäckerei“ zu streichen und die „explodierenden sogenannten freiwilligen Leistungen“ deutlich zu reduzieren – zu diesen Ausgaben gehören vor allem Kultur- und Sozialprojekte. Hingegen müssten die geplante Großsporthalle sowie Schul- und Straßensanierungen umgesetzt werden, forderte die AfD.
CDU-Fraktionschef Ludwig Holle forderte hingegen, es gelte nun, „das bisherige Vorgehen komplett zu überdenken, um dann zeitnah eine neue Haushaltsplanung aufzustellen.“ Stadtverwaltung und Stadtrat müssten dafür „Hand in Hand an einer tragfähigen Lösung arbeiten“, forderte Holle – seit der Kommunalwahl am 9. Juni hat Mainz keine regierende Koalition mehr, gerade erst hatten CDU, SPD und Grüne beschlossen, Verhandlungen für eine neue Koalition aufzunehmen.
„Es ist im Interesse aller Mainzerinnen und Mainzer, dass wir die finanzielle Sicherheit unserer Stadt schnellstmöglich gewährleisten können“, betonte Holle weiter – forderte zugleich aber auch das Land auf, „die Stadt bei den Aufgaben, die die Kommune für das Land übernimmt, ausreichend zu unterstützen.“ Die Stadt bekomme zunehmend mehr Aufgaben übertragen, die Unterstützung allerdings steige nicht mit, kritisierte Holle – das müsse sich ändern. Das Land müsse zudem „anerkennen, dass die Zeiten der außerordentlich hohen Gewerbesteuereinnahmen vorbei sind, und die Höhe der Zuschüsse wieder auf das Niveau der Vor-Corona-Zeit anheben.“
Der CDU-Kreisvorsitzende Thomas Gerster sprach derweil von „schwierigen Zeiten für Mainz“, und forderte eine klare Priorisierung, welche Investitionsprojekte angegangen werden sollten – und wo Einsparpotentiale zu finden seien. „Die CDU ist bereit, sich dieser Verantwortung zu stellen und eine führende Rolle bei der Suche nach geeigneten Lösungen zu übernehmen“, füge Gerster hinzu.
Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht, was die ADD schon 2021 in Sachen Haushaltsführung bei der Stadt Mainz beanstandete, lest Ihr hier bei Mainz&.