In der Alternative für Deutschland (AfD) rollt eine beispiellose Austrittswelle. Am Dienstagabend verkündeten mehr als ein Dutzend Parteimitglieder mit Führungsfunktionen in der Partei ihren Austritt aus der AfD. Darunter: Landeschef Uwe Zimmermann, Beisitzer und diverse Kreisvorstände. Insgesamt verließen seit Sonntag mehr als 100 AfD-Mitglieder die Partei – und das sind nur die, die schon bekannt sind. In Mainz hingegen mochte sich Stadtrat Claus Bendroth nicht festlegen: Er distanzierte sich am Abend von beiden Seiten.
Am Wochenende war ja der Machtkampf in der Alternative für Deutschland (AfD) zugunsten der national-konservativen Frauke Petry ausgegangen, Ex-Parteichef Bernd Lucke erlitt eine empfindliche Niederlage. Nun folgt als Konsequenz die Parteispaltung – die AfD löste sich quasi im Minutentakt auf.
„Schwenk in Richtung Pegida-Partei“
„Wenn man sieht, was da auf dem Parteitag in Essen geschehen ist, stellt sich eher die Frage: wie kann man nicht austreten“, sagte Zimmermann Mainz&. Die Partei habe einen Schwenk in Richtung Pegida-Partei gemacht, „ich bin aber nicht in eine Pegida-Partei eingetreten“, sagte Zimmermann, und schimpfte über die „hohlen Phrasen“ der Petry-Anhänger.
Besonders angewidert äußerten sich die AfD-ler über den Umgang miteinander und mit dem politischen Gegner. Die Leute hätten „krakeelt“ und den Gegner „mit übelsten Beschimpfungen“ bedacht, „das war Pöbel hoch drei“, kritisierte Zimmermann. Als AfD-ler werde man aber „in Sippenhaft“ genommen. „Ich will mit solchen Leuten nichts zu tun haben“, bekräftigte Zimmermann. Auch habe ihm gefehlt, dass sich die neue Parteispitze um Petry einmische und sage: „So benimmt sich keine bürgerliche Partei“, das sei aber nicht geschehen.
„In Mainz gibt es keinen Rechtsruck“, betonte der Mainzer Kreischef Uwe Volkmer gegenüber Mainz&, hier habe man sich „stets gegen Rechts abgegrenzt.“ Sein Problem: „Ich kann nicht garantieren, dass das auch so bleibt“, sagte Volkmer, denn die Zusammensetzung der Partei ändere sich auch durch die Austritte ja gerade „schlagartig“ – die „ordentlichen Mitglieder brechen gerade weg.“
Nun gebe es eine „Verschiebung in Richtung einer systemkritischen Protest- und Pegida-Partei“, das sie aber keine konstruktiuve Auseinandersetzung mit der Gesellschaft mehr. Volkmer sagte weiter, ersei „grundsätzlich offen für eine Parteineugründung“, allerdings brauche eine solche Neugründung „ein aktuelles, brennendes Thema und einen günstigen Augenblick.“
Landesvize: „Da wollen einige die Partei spalten“
Tatsächlich hat sich in der Partei seit Sonntag ein tiefer Graben aufgetan, der übrige Landesvorstand von Rheinland-Pfalz war von der Austritts-Veranstaltung gar nicht informiert worden, wie Landesvize Uwe Junge Mainz& sagte. Seit Sonntag herrsche Funkstille zwischen Zimmermann und ihm, sagte Junge Mainz&, er bedauere das sehr.
„Da wollen einige die AfD spalten“, sagte Junge weiter, er glaube, dass dies auf die Gründung einer neuen Partei hinauslaufe. Er bedauere es sehr, wenn Zimmermann tatsächlich austreten solle, er habe mit ihm immer gerne zusammengearbeitet. Die AfD werde deshalb aber „nicht zusammenbrechen“, es gebe weitere fähige Leute im Landesverband, fügte Junge hinzu. Allerdings sollen unter den Austretenden auch weitere Leistungsträger der Partei sein.
Ex-AfD-Chef Bernd Lucke hatte sich am Dienstagabend noch nicht entschieden, ob er aus der AfD austritt, die Zeichen deuten aber darauf hin. Lucke startete am Dienstag eine Umfrage in dem von ihm gegründeten parteiinternen Verein „Weckruf 2015“ zum Thema Austritt und Neugründung einer zweiten Partei.
Vorstandsmitglied: bin für eine Parteineugründung
„Die Befragung läuft“, bestätigte Oliver Sieh vom Landesvorstand Mainz&. Gefragt werde, ob man austreten wolle und das war’s oder ob man eine Parteineugründung befürworte, ferner ob man einer neuen Partei beitreten und ob man sie aktiv unterstützen würde. „Ich würde eine Neugründung vorziehen“, sagte Sieh Mainz&. Von den Zielen, für die er sich seit zweieinhalb Jahren engagiert habe, „davon ist ja nicht allzu viel erreicht worden“, sagte er weiter. Es gebe noch Entwicklungen in Deutschland zu korrigieren.
„Ich habe noch genug Schwung“, betonte Sieh. Er bedauere aber auch die vergangenen zweieinhalb Jahre nicht, „es war eine gute Zeit“, fügte er hinzu. Er erwarte auch, dass AfD-Mitglieder, die in den vergangenen Wochen wegen des Rechtsrucks der Partei ausgetreten seien, sich bei einer neuen Partei wieder einfinden würden.
„Die AfD zerlegt sich in einem atemberaubenden Tempo selbst“, kommentierte der Generalsekretär der SPD in Rheinland-Pfalz, Jens Guth, die Entwicklung. Die SPD habe bereits mehrfach vor den „Nazis im Schafspelz“ gewarnt, in einem weltoffenen und toleranten Rheinland-Pfalz sei „kein Platz für eine zutiefst rechtspopulistische Partei.“ Er hoffe, „dass die AfD keine Zukunft hat“, fügte Guth hinzu,
AfD in Mainz: Berndroth distanziert sich von allen
Was die AfD in Mainz angeht, ist die Situation ziemlich unklar. AfD-Stadtrat Claus Berndroth gab in einer Erklärung am Abend bekannt, er sei „zum jetzigen Zeitpunkt noch Mitglied“ der AfD. Die Entwicklung der Partei bereite ihm „große Sorgen in beide Richtungen“, sagte Berndroth: „Sowohl vom befürchteten Rechts-Ruck als auch von der Weckruf-Bewegung distanziere ich mich entschieden.“ Aha…
Bisher seien der Kreisverband Mainz und der AfD-Landesverband Rheinland-Pfalz „sehr gut aufgestellte, stabile und liberal-konservative Gruppierungen gewesen“, sagte der Mainzer weiter. Ober in der AfD bleibe, müsse nun die weitere Entwicklung zeigen. Er wolle aber seine Anliegen und die Anliegen seiner Wähler im Stadtrat durchzusetzen, betonte er. Berndroth bildet mit dem Freien Wähler Kurt Mehler eine Kleinstfraktion im Mainzer Stadtrat und könnte auch als Parteiloser sein Mandat behalten.
SPD-Fraktionschef Martin Kinzelbach forderte nun von Berndroth eine Klarstellung, ob er hinter dem von Frauke Petry eingeleiteten rechtsnationalen Kurs der AfD stehe. „Von der AfD kann man sich eigentlich nur noch abgrenzen, da sie jetzt vollkommen in der rechten, hetzerischen Ecke angekommen ist“, sagte Kinzelbach.
Der zweite AfD-Stadtrat Jürgen von Stuhr, der wiederum eine Fraktionsgemeinschaft mit der rechtspopulistischen Pro Mainz hat, soll aus der AfD ausgetreten sein. Wenn Stuhr ein Problem mit Rechtspopulisten habe, dann müsse er konsequenterweise auch die Zusammenarbeit mit Pro Mainz beenden, forderten die Grünen. Ansonsten erhärte sich der Verdacht, dass „der einzige Grund für diese Zusammenarbeit der ist, Fraktionsmittel zu erhalten.“