Es ist eine Premiere und eine Tradition zugleich: Am Dienstag stellte der Mainzer Carneval Verein (MCV) die politischen Motivwagen für den Mainzer Rosenmontagszug 2025 vor. Das ist eine lang gehegte Tradition, und doch war an diesem Dienstag vieles anders: Denn erstmals seit über 60 Jahren hieß der Wagenbauer nicht Dieter Wenger – sondern Stefan Hisge. Zur Premiere gab es neun politische Karikaturen, darunter Ampel-Bruchpiloten einen James-Bond-mäßigen Blofeld namens Putin mit weißer Katze auf dem Schoß und einen Bundesverteidigungsminister, der blank zieht. Und die Biotench-Träume sind endgültig geplatzt.

Der neue MCV-Wagenbauer Stefan Hisge bei der ersten Vorstellung seiner Motivwagen, mit MCV-Sprecher Michael Bonewitz (links). - Foto: gik
Der neue MCV-Wagenbauer Stefan Hisge bei der ersten Vorstellung seiner Motivwagen, mit MCV-Sprecher Michael Bonewitz (links). – Foto: gik

Vergangenen Oktober gab es beim Mainzer Carneval Verein (MCV) eine Verschiebung der Kontinente: Nach 62 Jahren bekam der MCV einen neuen Wagenbauer. Wenige Monate zuvor war Dieter Wenger mit 84 Jahren endgültig in den Ruhestand gegangen – 62 Jahre lang hatte Wenger die Motivwagen für den Mainzer Rosenmontagszug gebaut. Nun ging eine Ära zu Ende, doch der Übergang war gesichert: Der damals 51 Jahre alte Gonsenheimer Elektriker Stefan Hisge übernahm.

An diesem Dienstag nun wurde das mit Spannung erwartete Geheimnis gelüftet: Wie würden die Motivwagen unter „dem neuen“ aussehen? Die Antwort: Sehr ähnlich. Die Tradition der berühmten Mainzer politischen Karikaturen in dreidimensionaler Größe ist ungebrochen, und doch ist manches ein wenig anders: Die Wagen wirken irgendwie leerer und aufgeräumter, die üppige, detailreiche Fülle der Wengerschen Handschrift erreichen sie (noch) nicht.

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Neuer Wagenbauer Hisge, Stil der Mainzer Motivwagen bleibt

Doch die gute Nachricht ist: Der Stil der Mainzer Karikaturen bleibt erhalten, manches ist sogar feiner ziseliert als zuvor – und vor allem die Gesichter der Karikierten sind ausdrucksvoller als jemals zuvor. „Wir haben heute eine mehrfache Premiere“, sagte denn auch MCV-Präsident Hannsgeorg Schönig. Der Umbruch sei nicht leicht gefallen, „aber es ist uns tatsächlich richtig gut gelungen, das hinzubekommen.“

MCV-Wagenbauer Dieter Wenger im Jahr 2023 vor einem seiner Meisterwerke: Ostwind Putin. - Foto: gik
MCV-Wagenbauer Dieter Wenger im Jahr 2023 vor einem seiner Meisterwerke: Ostwind Putin. – Foto: gik

Das liegt natürlich nicht nur am neuen Chef, der eine unglaubliche Ruhe ausstrahlte, sondern vor allem auch am 35 Köpfe starken Wagenbauer-Team, das Hisge von Wenger übernehmen konnte. „Dieter Wenger ist immer präsent bei uns, er hat Maßstäbe gesetzt“, betonte Boris Henkel vom Kreativteam, das die Motive für die Motivwagen aussucht und entwickelt. Wenger war völlig überraschend Mitte Januar 2025 gestorben, nur wenige Wochen nach seiner Frau. „Sein Tod hat uns sehr betroffen gemacht“, saget Henkel.

Wenger war der Urheber diverser revolutionärer Neuerungen im Wagenbau, so etwa den Einsatz von Styropor statt Pappmaché oder die Erfindung der Stahlbau-Gerüste im Inneren , das machte die Figure deutlich wetterresistenter. „Früher mussten wir manchmal noch auf die Ärmel draufschreiben, wer der Kopf sein soll“, erinnerte sich Henkel schmunzelnd. Wenger habe zudem das Wagenbauer-Team geformt, „ein hervorragendes Team aus Handwerkern und Künstlerinnen“, wie Henkel betonte: „Auch wenn der große Maestro nicht mehr da war, hat das uns möglich gemacht, an die großen Leistungen anzuknüpfen.“

Ampel-Bruchpiloten, „Driller“ Trump und schwere Gewichte bei der EU

Heute sorgt eine Meisterbildnerin dafür, dass die Köpfe der karikierten Politiker eins zu eins zu erkennen sind, besonders gelungen in diesem Jahr: Ex-FDP-Mann und Verkehrsminister Volker Wissing, der als Lukas der Lokomotivführer eine sehr rostige alte Emma mit Farbe anstreicht, wodurch sie zu einem ICE werden soll – für die Narren ein vergebliches Unterfangen. Herausragend gelungen sind auch die Gesichter von SPD-Kanzler Olaf Scholz und seinem Grünen Vizekanzler Robert Habeck: Den beiden Bruchpiloten der Ampel stehen Schmerz und Pein richtiggehend ins Gesicht geschrieben.

Die Ampel-Bruchpiloten Robert Habeck und Olaf Scholz. - Foto: gik
Die Ampel-Bruchpiloten Robert Habeck und Olaf Scholz. – Foto: gik

Neun närrische Motivwagen wurden am Dienstag vorgestellt, acht davon widmen sich der hohen Politik, drei davon sogar der internationalen Weltlage. Wieder-US-Präsident Donald Trump wird da als Abrisszerstörer für Umwelt und Natur dargestellt: Unter seinem Motto „Drill, Baby drill“ versaut er die Landschaft mit seinem Bohrer, derweil das Thermometer des Klimawandels gefährlich in den roten Bereich schießt…

Auf einem weiteren Wagen muss Ursula von der Leyen sich mächtig quälen, um die schweren Gewichte der Weltpolitik zu heben. Auf denen stehen „Trump“, „Sicherheit“ oder „Wirtschaft“: „Die EU in dieser Zeit, braucht Wachstum und mehr Sicherheit“, reimen die Narren dazu: „Wer schwach ist, wird besiegt von Lumpen – Europa muss Gewichte pumpen!“ Einzig bei dieser Figur ist das Gesicht der obersten EU-Lenkerin nur schlecht zu erkennen.

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In tödlicher Mission: Blofeld Putin – Pistorius zieht blank

Ein absolutes Highlight ist dagegen der Wagen mit der Aufschrift „in tödlicher Mission“; Hier  hält ein diabolischer Wladimir Putin eine weiße Katze auf dem Schoß wie weiland Erz-Bösewicht Blofeld bei 007. Die Katze wiederum hat ein täuschend ähnliches Gesicht zum nordkoreanischen Diktator Kim Jong-Un, hinter den beiden ist eine Armada an Raketen aufgereiht – und unter dem Teppich liegt dahingemeuchelt die Friedenstaube. „Eiskalt, in tödlicher Mission“ gehe Putin „auf die Menschheit los“, konstatieren die Mainzer Narren.

"In tödlicher Mission" ist Blofeld Putin unterwegs, mit seiner Hauskatze Kim Jong-Un auf dem Schoß. - Foto: gik
„In tödlicher Mission“ ist Blofeld Putin unterwegs, mit seiner Hauskatze Kim Jong-Un auf dem Schoß. – Foto: gik

Der kalte Wind aus dem Osten aber hat noch eine andere Stelle bloßgelegt: Boris Pistorius zieht blank. Der Bundesverteidigungsminister ist hinter dem Schutzschirm der NATO nackt, seine Blöße allein verdeckt von einem Stahlhelm. „Die Bundeswehr durft‘ lang nix kosten, jetzt weht ein kalter Wind von Osten!“, reimen die Narren dazu: „Und mancher hat jetzt richtig Schiss, weil unser‘ Truppe naggisch is.“ Die Figur ist so gut getroffen, dass man genau die Kopfhaltung des Ministers erkennt – und sein blanker Hintern ein echtes Narren-Highlight. „Wir müssen uns warm anziehen, weil wir nicht wissen, wie lange uns der Nato-Schutzschirm noch schützt“, kommentiert das der MCV.

Seit 2024 sind die Motivwagen zudem mit einem QR-Code versehen, scannt man den mit seinem Handy, öffnet sich ein Filmchen zur Entstehungsgeschichte des jeweiligen Wagens – und im Fall des blanken Verteidigungsministers könnte der besonders interessant sein: „Im Filmchen wird kurz unter den Helm gefilmt“, verriet Henkel schmunzelnd. Gigantisch ragt hingegen das Bürokratiemonster auf, das den armen Antragssteller verschlingt und zu Papierschredder verarbeitet, auch hier legen die Narren den Finger tief in die Wunde.

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Ein Wagen zu Mainz: Geplatzte Biontech-Träume bei Beck

Nur ein einziger Wagen widmet sich hingegen der Mainzer Stadtpolitik, er ist – wieder einmal – den Haushaltsnöten von Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) gewidmet. Der hatte im Vorjahr im Hintern des Biontech-Goldesels vergeblich nach den verschwundenen Biontech-Milliarden gesucht und ist inzwischen so etwas wie „der Running Gag“ der Motivwagen geworden, wie MCV-Sprecher Michael Bonewitz schmunzelnd anmerkte.

Geplatzte Biontech-Träume für Günter Beck (Grüne) und die Stadt Mainz. - Foto: gik
Geplatzte Biontech-Träume für Günter Beck (Grüne) und die Stadt Mainz. – Foto: gik

In diesem Jahr aber sind die Biontech-Träume zu Luftballons geworden, und die werden von Dezernent Beck nun mit einer Stecknadel endgültig zum Platzen gebracht… Apropos Sturz und Platzen: Das trifft in diesem Jahr auch den Mainzer Kult-Trainer Jürgen Klopp: Der bekommt nämlich nach seinem millionenschweren Wechsel zu „Red Bull nun Flügel, die Fans aber finden das gar nicht komisch: Für sie stürzt das einstige Vorbild damit schlicht von seinem Podest. Die Zeichnungen stammten übrigens wie immer von Zeichner Michael Apitz.

Und was sagte nun der neue Meister der Wagenbauer zu seinen Werken? Stefan Hisge hielt sich die meiste Zeit bescheiden im Hintergrund, und bekannte, er habe „gar nicht so viel nachgedacht“, sondern sich einfach der Herausforderung gewidmet und versucht, alle Mögiichkeiten auszuschöpfen. „Was soll ich sagen? „, sagte Hisge: „Ich bin unfassbar stolz auf unser Team – denen gebührt der Applaus. Die Leistung, die sie erbracht haben, ist phänomenal.“ Im Übrigen sei ihm jeder einzelne Motivwagen „ans Herz gewachsen, ich habe tatsächlich keinen Favoriten“, bekannte er.

Ein Motivwagen noch geheim – Wo ist der Narrenhund?

Nur zwei Geheimnisse gibt es jetzt noch: Motivwagen Nummer 10 wurde am Dienstag nicht vorgestellt, er ist tatsächlich noch in Arbeit – der Wagen soll sich der aktuellen Bundestagswahl widmen und firmiert unter dem Title „Kröten schlucken“. Und ein lieb gewonnener Teilnehmer wird wohl fehlen: Der kleine bunte Narrenhund, der stets auf einem der Wagen sein Beinchen hob, wird wohl dieses Jahr nicht auftauchen. „Er ist verschwunden, wir finden ihn einfach nicht“, seufzte Hisge. Womöglich ist der Hund seinem Herrn gefolgt, wohin allerdings, ist bislang unklar.

Wird vermisst: Der Narrenhund, Liebling von Dieter Wenger, hob stets das Beinchen auf einem der Wagen. - Foto: gik
Wird vermisst: Der Narrenhund, Liebling von Dieter Wenger, hob stets das Beinchen auf einem der Wagen. – Foto: gik

An Dieter Wenger und seine Frau wird im Rosenmontagszug übrigens eigens auf einem Wagen erinnert: Der erste Eröffnungswagen des Zuges, der Harlekin der MCV, werde gerade ein wenig umgebaut, um an Dieter Wenger und seine Frau zu erinnern, sagte Bonewitz. Eine Aufschrift solle das deutlich machen – und die Figur des Bajazz wird in seiner Laterne ein ganz besonderes Erinnerungsstück tragen: den Werkzeugkasten von Dieter Wenger.

Info& auf Mainz&: Unseren Nachruf auf Dieter Wenger könnt Ihr noch einmal hier auf Mainz& lesen. Alle Motive samt dem Narrenspruch dazu findet Ihr hier in unserer Fotogalerie – und zwar in der Reihenfolge, wie sie im Rosenmontagszug rollen.