Hat die ehemalige ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann vor dem Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal nicht nur ihren Urlaub in Kalifornien zunächst verschwiegen, sondern auch über die Dauer ihrer Anwesenheit im Ahrtal gelogen? AfD-Obmann Michael Frisch hat nun genau deswegen Strafanzeige wegen des Verdachts auf uneidliche Falschaussage gegen Hermann gestellt. ADD-Präsident Thomas Linnertz genehmigte den Urlaub mitten im Chaos nach der Flut – das Reiseziel seiner Vize-Präsidentin kannte er. Die Freien Wähler sprechen von einem „Skandal im Skandal“ – der trifft zudem eine Vertraute von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD): Hermann sollte einen Aufbauverein im Ahrtal leiten.

Begoña Hermann am 20. Januar 2023 vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal. - Foto: gik
Begoña Hermann am 20. Januar 2023 vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Flutkatastrophe im Ahrtal. – Foto: gik

Es war am 20. Januar 2023, als Begoña Hermann vor dem Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags über ihren Einsatz bei der Flutkatastrophe im Ahrtal nach dem 14. Juli 2021 Auskunft geben sollte. Die damalige Vizepräsidentin der Dienstaufsichtsbehörde ADD war für die Leitung des Katastrophenschutzes zuständig, doch Hermann weilte am 14. Juli noch im Urlaub in Mecklenburg-Vorpommern. Am 17. Juli übernahm die ADD das Krisenmanagement im Ahrtal, auf Bitten des damaligen Landrats Jürgen Pföhler (CDU) hin.

Hermann berichtete ausführlich, wie sie mit dem Helfershuttle konferierte und sich um die Notversorgung gekümmert habe, um Kampfmittelräumung und Schuttbeseitigung. Am 17. Juli sei sie aus ihrem Urlaub zurückgekommen, am 23. Juli habe sie erstmals die Einsatzleitung im Ahrtal übernommen, so berichtete es Hermann dem Untersuchungsausschuss. Was die damalige ADD-Vize aber nicht sagte, sondern erst auf Nachfrage der CDU einräumte: Am 30. Juli beendete Hermann schon wieder ihren Einsatz im Ahrtal – weil sie am 31. Juli 2021 nach Kalifornien in den Urlaub flog.

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Hermann: Familienurlaub genehmigt, Dienstreise vorgeschoben

Mit ihren Kollegen in der ADD hielt Hermann dabei fleißig Kontakt: „Ich bin auf dem Weg zum Flughafen“, schrieb sie am 31. Juli 2021, und am 6. August vermeldete sie in einer weiteren Email: „Es ist sehr schön hier mit meiner Familie, aber ich denke natürlich auch viel an das Ahrtal und unsere Arbeit dort.“ Auf Nachfrage musste Hermann dann im U-Ausschuss einräumen: „Ich war in meinem geplanten Urlaub mit meiner Familie in Sacramento.“

Innenminister Michael Ebling (SPD): Disziplinarverfahren gegen Hermann eingeleitet., - Foto: gik
Innenminister Michael Ebling (SPD): Disziplinarverfahren gegen Hermann eingeleitet. – Foto: gik

Hermann gab also an, einen Privaturlaub gemacht zu haben – doch gegenüber den US-Behörden hatte sie anderes behauptet: Vergangene Woche musste das Mainzer Innenministerium bekannt geben, man habe ein Disziplinarverfahren gegen Hermann eingeleitet. „Der Verdacht steht im Raum, dass die politische Beamtin im Ruhestand im Juli 2021 einen dienstlichen Anlass konstruiert haben könnte, um für eine private Reise in die USA eine Einreisegenehmigung von den US-Behörden zu erhalten“, sagte Innenminister Michael Ebling (SPD).

Hermann hatte als Grund für ihre Reise einen Austausch mit einer US-amerikanischen Universität zum Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe und der Vorsorge für die Zukunft angegeben – im Juli 2021 gab es für Privatreisen in die USA wegen der Corona-Pandemie weiter keine Visaerlaubnis. Für eine rein private Reise hätte Hermann also wohl keine Einreiseerlaubnis erhalten. „Es wäre ein Skandal, wenn sich ADD-Vizepräsidentin Begoña Hermann ihren USA-Urlaub wirklich unter falschen Angaben erschlichen hat“, schimpfte nun Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler im U-Ausschuss.

Wefelscheid: Spitzenbeamtin nutzte Amt aus – „Skandal“

Es müsse „aufgeklärt werden, wie es sein konnte, dass Begoña Hermann eine Einreisegenehmigung erhalten hat“, forderte Wefelscheid weiter: Wenn Hermann wirklich die Flutkatastrophe als Begründung eines dienstlichen Anlasses herangezogen habe, „dann haben wir einen Skandal im Skandal“, betonte er: „Eine Spitzenbeamtin des Landes Rheinland-Pfalz scheint ihr Amt ausgenutzt zu haben, um sich ein paar schöne Tage in den USA zu machen, derweil die Hausspitze der ADD im Ahrtal versagte. Hier skizziert die ADD ein chaotisches Sittengemälde.“

Was genau wusste ADD-Präsident Thomas Linnertz über den Urlaub seiner Stellvertreterin? - Foto: gik
Was genau wusste ADD-Präsident Thomas Linnertz über den Urlaub seiner Stellvertreterin? – Foto: gik

Wie die Rhein-Zeitung berichtet, hatte ADD-Präsident Thomas Linnertz den Kalifornien-Urlaub seiner Stellvertreterin genehmigt, und zwar bereits im Frühjahr 2021 als privaten Erholungsurlaub – auch da galten aber die strengen Einreisebestimmungen, die eine Privatreise in die USA untersagten. Ebling hatte vergangene Woche im Innenausschuss betont, Linnertz sei „in den Vorgang nicht eingebunden“ gewesen, Hermann habe den Urlaub zudem ausschließlich selbst finanziert.

Doch Linnertz hatte den Urlaub auch „unter Abwägung der Situation aufrechterhalten“, wie das Ministerium mitteilte – man sprach also über den Urlaub mitten in der größten Krise des Landes seit dem Zweiten Weltkrieg, ausgerechnet von der Leiterin der Abteilung Katastrophenschutz. Dass die ADD-Kollegen von Hermanns Reiseziel und Reiseanlass wussten, belegen die im U-Ausschuss vorgelegten Emails – stellte der ADD-Präsident wirklich keine Frage dazu, wie Hermann ein Visum in die USA bekommen wollte? Zudem muss Hermann ihr USA-Visum nach dem 14. Juli beantragt haben, da sie den vorgeschobenen dienstlichen Anlass mit der Flutkatastrophe begründete.

Log Hermann im U-Ausschuss zu ihrer Anwesenheit im Ahrtal?

Im Ausschuss hatte Hermann zunächst behauptet, sie könne den Zeitrahmen ihres Urlaubs nicht genau angeben, sie habe „ihren Kalender nicht dabei“. Das Innenministerium bestätigte indes auf Mainz&-Anfrage: Hermann weilte bis einschließlich 13. August, also für volle zwei Wochen im Urlaub. Im Ausschuss hatte die Opposition zudem wissen wollen: Wie lange sei sie denn vor Ort im Ahrtal gewesen, und wie oft habe sie dabei ADD-Präsident Linnertz vertreten? „Ich meine, es waren ein, zwei Tage, dass wir beide da waren“, antwortete Hermann, und fügte wörtlich hinzu: „Wenn ich in meinem Buch nachschaue…. bis zum 30.7. war ich auf jeden Fall dort – eine Woche.“

Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr Ende Juli 2021. - Foto: gik
Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr Ende Juli 2021. – Foto: gik

Doch das stimmte wohl nicht: Hermann sei vom 23. Juli bis 26. Juli 2021 in der bei der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz angesiedelte Technischen Einsatzleitung (TEL) der ADD gewesen, teilte nun das Mainzer Innenministerium auf eine Anfrage der AfD mit. Damit wäre Hermann lediglich von Freitag bis Montag im Ahrtal zur Leitung des Krisenstabes gewesen – den Rest der Woche aber nicht. Das wiederum würde zu ihrer Aussage passen, sie und Linnertz seien „ein, zwei Tage“ gemeinsam vor Ort gewesen – Linnertz ließ sich am Wochenende von Hermann vertreten, wie er vor dem Ausschuss aussagte. Was tat Hermann dann den Rest der Woche?

Seltsam daran ist zudem eine weitere Antwort aus dem Innenministerium: Darin heißt es nämlich, Linnertz habe vom 17. Juli bis zum 6. August „das Ahrtal nicht verlassen“ – „eine Vertretung war nicht erforderlich“, Linnertz sei bei Bedarf jederzeit erreichbar gewesen. Im Ausschuss hatte der ADD-Präsident tatsächlich angegeben, er habe de facto in der Bundesakademie gewohnt – was aber machte der ADD-Präsident dann an den Wochenenden? Der ADD-Präsident sei am 24. und 25. Juli sowie am 31. Juli und 1. August 2021 in der TEL nicht anwesend gewesen, teilte das Innenministerium weiter mit.

Strafanzeige gegen Hermann wegen uneidlicher Falschaussage

Für Hermann haben ihre Aussagen vor dem Ausschuss nun Konsequenzen: AfD-Obmann Frisch teilte mit, er habe vergangenen Donnerstag Strafanzeige wegen des Verdachts auf uneidliche Falschaussage vor dem Untersuchungsausschuss gegen Hermann gestellt. Eine solche Falschaussage ist strafbar, auch wenn Hermann nicht vereidigt wurde, und kann eine Freiheitsstrafe zwischen drei Monaten und fünf Jahren nach sich ziehen.

AfD-Obmann Michael Frisch (links) mit einem Mitarbeiter im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. - Foto: gik
AfD-Obmann Michael Frisch (links) mit einem Mitarbeiter im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags. – Foto: gik

Hermann habe „den Ausschuss über ihre Anwesenheit in der Einsatzleitung in Ahrweiler offensichtlich belogen“, betonte Frisch, und kritisierte auch Linnertz deutlich: Er habe den Urlaub seiner Stellvertreterin genehmigt, und trage „auch die politische Verantwortung dafür, dass seine eigene Stellvertreterin in solche Machenschaften verstrickt ist. Ich fordere ihn erneut auf, die Konsequenzen daraus zu ziehen und zurückzutreten.“

Das Vorgehen zeige „das Versagen der SPD-geführten Landesregierung im Rahmen der Flutkatastrophe“, schimpfte Frisch weiter: „Man schaute weg, schob Verantwortung ab und nahm es notfalls mit der Wahrheit nicht genau, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Das sind die Blüten, die auf 30 Jahre altem roten Filz gedeihen.“

Wefelscheid fordert Rücktritt Linnertz: „Fisch stinkt vom Kopf!“

Auch FW-Obmann Wefelscheid zeigte sich entsetzt und forderte erneut den Rücktritt von Linnertz: „Wenn nicht jetzt, wann dann muss Thomas Linnertz seinen Hut nehmen?“ Linnertz habe „das Vertrauen der Menschen im Ahrtal verloren, seine Autorität innerhalb der ADD hat gelitten, im politischen Mainz halten nur noch Michael Ebling und Malu Dreyer ihm die Stange“, schimpfte Wefelscheid.

FW-Obmann Stephan Wefelscheid fordert den Rücktritt von ADD-Präsident Thomas Linnertz. - Foto: Freie Wähler
FW-Obmann Stephan Wefelscheid fordert den Rücktritt von ADD-Präsident Thomas Linnertz. – Foto: Freie Wähler

Linnertz habe bereits bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss „den Eindruck der Überforderung“ vermittelt, sagte Wefelscheid weiter: „Wenn er nun auch noch in den Wirren der Flutkatastrophe einen Urlaub genehmigt, der dann unter Angabe falscher Tatsachen durchgeführt wurde, dann bringt dies das Fass zum Überlaufen!“ Es müsse dringend geklärt werden, wie es überhaupt zur Urlaubs-Genehmigung kommen konnte, und wie die Visavergabe an Hermann gelaufen sei.

„Wer sich an die Corona-Zeit erinnert und die strengen Auflagen hierzulande wie auch in den USA, den beschleicht das Gefühl des Klüngels und der Kumpanei im Kurfürstlichen Palais in Trier“, schimpfte Wefelscheid mit Blick auf den Dienstsitz der ADD. Dass Linnertz den die Urlaubsgenehmigung für seine Vize mitten in den Wirren der Flutkatastrophe aufrecht erhielt, sei „ein eklatantes Führungsversagen beim noch amtierenden ADD-Präsidenten – der Fisch stinkt vom Kopf!“

Erheblicher Unmut über „Zukunftsregion Ahr“ und Personalie Hermann

Pikant ist daran auch: Hermann hatte nach ihrer Pensionierung als ADD-Vizepräsidentin Geschäftsführerin des neuen Vereins „Zukunftsregion Ahr“ werden sollen. Der Verein geht auf eine Initiative von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zurück, Hermann gilt als Vertraute der Ministerpräsidentin, im März 2021 warb sie öffentlich in einem „Testimonial“ für die Wiederwahl der Ministerpräsidentin. Der Verein soll „maßgebliche Akteure“ von öffentlichen Institutionen, Unternehmen, Politik und Zivilgesellschaft für den Wiederaufbau vernetzten – im Ahrtal stieß der Verein Ende 2022 jedoch auf erhebliche Skepsis

Begona Hermann (ganz rechts) und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD, 3. von rechts) bei einem gemeinsamen Termin im Ahrtal im April 2022. - Foto: rlp.de
Begona Hermann (ganz rechts) und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD, 3. von rechts) bei einem gemeinsamen Termin im Ahrtal im April 2022. – Foto: rlp.de

Es habe „erheblichen Unmut hinsichtlich der im Satzungsentwurf vorgesehenen übermächtigen Stellung des Landes“ gegeben, sagte Michael Korden, CDU-Fraktionschef im Kreistag Ahrweiler. Dies habe das Stimmverhältnis bei Beschlussfassungen betroffen, aber auch „die bereits vorab, ohne Beteiligung der zum Beitritt aufgeforderten Mitgliederkommunen im Kreis Ahrweiler, quasi bereits feststehende Besetzung der Geschäftsführung des Vereins mit Begona Herrmann.“

Der Kreistag hatte deshalb bei seiner Beschlussfassung Satzungsänderungen vor dem Start des Vereins gefordert., „die eine Zusammenarbeit der Flutregion mit dem Land auf Augenhöhe und im Konsens ermöglichen“ – sowie ein offenes Auswahlverfahren um den Geschäftsführerposten. Nach Bekanntwerden der Kalifornien-Reise Hermanns schimpfte Korden, „die vom Land bislang vorgesehene Besetzung“ der Position mit Hermann „dürfte den Menschen in der Region jedenfalls nicht mehr vermittelbar sein.“

Hermann teilte kurz danach gegenüber der Landesregierung mit, sie stehe für die Geschäftsführung des Vereins „Zukunftsregion Ahr“ nicht zur Verfügung, wie das Mainzer Innenministerium auf Mainz&-Anfrage bestätigte. Der Wiederaufbau des Ahrtals sei ihr „ein Herzensanliegen“, der Verein könne einen wichtigen Beitrag für eine erfolgreiche Entwicklung der Region leisten. „Ich wünsche mir, dass der Verein den Wiederaufbau maßgeblich unterstützen kann, stehe aber für die Geschäftsleitung nicht zur Verfügung“, sagte Hermann.

Hermann war Ende November 2022 in den Ruhestand gegangen, sie war seit Mai 2016 Vizepräsidentin der ADD gewesen. Ministerpräsidentin Dreyer dankte Hermann bei ihrem Ausscheiden, sie habe „die Behörde in den letzten Jahren in herausragender Art und Weise geprägt.“

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