Es ist eine Naturkatastrophe, wie sie Rheinland-Pfalz noch nicht erlebt hat: Die Starkregenfälle der vergangenen Tage haben vor allem im Norden des Landes verheerende Schäden angerichtet und Menschenleben gekostet. „In Teilen von Rheinland-Pfalz spielt sich gerade eine absolute Katastrophe ab“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) am Donnerstagmorgen im Mainzer Landtag. Rund 280 Orte in vier Landkreisen sind von Überflutungen und Zerstörungen betroffen, Häuser stürzten ein, 19 Tote wurden bislang  bestätigt, mindestens 70 Menschen werden vermisst. Aus allen Teilen des Landes sind Hilfskräfte im Katastrophengebiet im Einsatz – auch aus Mainz und Rheinhessen.

Der überflutete Ort Schuld an der Ahr. - Foto: Screenshot via SWR aktuell
Der überflutete Ort Schuld an der Ahr. – Foto: Screenshot via SWR aktuell

Schon am Mittwoch hatten sich die bangen Blicke der Parlamentarier in Mainz auf den Norden des Landes gerichtet: In Mainz tagte der Landtag, und noch während der Plenumssitzung bekamen die Abgeordneten die ersten Katastrophenberichte auf ihre Handys. Im Norden des Landes, vor allem an Ahr, Sauer, Kyll und Nette konnten Böden und Flüsse die herabstürzenden Regenfluten nicht mehr aufnehmen, selbst kleine Bäche wurden binnen Stunden zu reißenden Fluten.

Über Nacht verschärfte sich die Lage dann noch einmal erheblich: „Der Blick nach Schuld, Ahrweiler und viele andere Orte ist erschütternd“, sagte Landtagspräsident Hendrik Hering am Donnerstagmorgen zu Beginn der Landtagssitzung: „Heute holt uns die Realität vollends ein.“ Menschen seien ertrunken, Häuser eingestürzt, viele Menschen noch vermisst. „Die Rettungskräfte riskieren in diesen Momenten ihr Leben“, sagte Hering weiter, „wir sind in Gedanken bei allen, die von dieser Katastrophe betroffen sind.“ Es sei zudem angesichts dieser dramatischen Bilder „unverantwortlich, an dem Menschen gemachten Klimawandel zu zweifeln“, fügte der Landtagspräsident hinzu.

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Verwüstungen in Schuld im Kreis Ahrweiler durch das verheerende Hochwasser. - Screenshot: SWR aktuell
Verwüstungen in Schuld im Kreis Ahrweiler durch das verheerende Hochwasser. – Screenshot: SWR aktuell

Der Landtag brach seine eigentlich geplante Landtagssitzung ab, nachdem die Ministerpräsidentin eine Stellungnahme zur Lage abgegeben hatte und sich die Abgeordneten zu einer Schweigerminute im Gedenken an die Opfer erhoben hatten. Alle Fraktionen dankten zudem den Einsatzkräften und zeigten sich geschockt und betroffen über das Ausmaß der Katastrophe. „So eine Katastrophe haben wir noch nicht gesehen, es ist wirklich verheerend“, sagte Dreyer in ihrem Lagebericht. Betroffen seien rund 280 Orte in den Kreisen Ahrweiler, Bitburg-Prüm, Mayen-Koblenz, Trier-Saarburg und Bernkastel-Wittlich „Die Lage verändert sich minütlich, die Menschen sitzen auf Bäumen, auf ihren Häusern“, sagte Dreyer. In der Verbandsgemeinde Adenau seien mehrere Häuser eingestürzt, „ganze Ortschaften sind überflutet, Häuser schwimmen einfach so weg“, berichtete die Ministerpräsidentin.

In allen betroffenen Landkreisen gebe es überflutete Straßen, vollgelaufene Keller, es werde mit Stromausfällen gekämpft, die Trinkwasserversorgung sei in mehreren Orten ausgefallen, weil Pumpstationen keinen Strom mehr hätten. Die Folgen der Stromausfälle reichten am Nachmittag sogar bis nach Remagen an den Rhein, dort fielen die Pumpwerke des Wasserwerks aus, die Wasserversorgung war zeitweise unterbrochen. In Maxweiler seien fünf Personen in ihrem Haus eingeschlossen, in Prüm müssten 40 Personen aus einem Gemeindehaus evakuiert werden, weil es volllaufe, berichtete Dreyer weiter.

Ein Wohnwagen wurde von den Fluten der Ahr mitgerissen und zerschellte an der historischen Nepomukbrücke in Rech im Landkreis Ahrweiler. - Handyvideo via Twitter
Ein Wohnwagen wurde von den Fluten der Ahr mitgerissen und zerschellte an der historischen Nepomukbrücke in Rech im Landkreis Ahrweiler. – Handyvideo via Twitter

„Wir haben sehr viele Vermisste, wir wissen nicht genau, was mit diesen Menschen ist“, sagte die Ministerpräsidentin weiter: „Wir können nicht genau sagen, wie viele in Gefahr sind, und wie viele nicht.“ Am Mittag war von 70 vermissten Personen die Rede, ob diese einfach woanders untergekommen seien, könne man nicht sagen – auch das Mobilfunknetz brach in den betroffenen Regionen immer wieder zusammen. Besonders betroffen ist der kleine Ort Schuld im Kreis Ahrweiler, dort war am Nachmittag allein von 19 Toten die Rede. Aber auch in Mayen stand die Innenstadt unter Wasser, in Pellenz und in Bernkastel-Wittlich mussten Altenheime evakuiert werden, auch in Bernkastel an der Mosel stand die Innenstadt zwei Meter unter Wasser, heiße es am Morgen. Am Nachmittag spitzte sich die Lage an der Mosel weiter zu, Teile des Trierer Stadtteils Ehrang mussten evakuiert werden.

Betroffen ist auch die Autobahn 61, die in Höhe der Ausfahrt Ahrweiler voll gesperrt werden musste, die Fahrbahn sei von den Wassermassen unterspült worden, sagte Dreyer weiter. Betroffen sind auch Stauseen, die überzulaufen drohen – am Nachmittag begann die Feuerwehr in Rheinbach mit der Evakuierung mehrerer Stadteile, weil der Damm der Steinbachtalsperre zu bersten drohte. Die Talsperre versorgt unter anderem auch den Raum Bonn mit Trinkwasser.

„Es ist schrecklich, ich bange mit den Menschen vor Ort“, sagte Dreyer, „wir versuchen, die Lage in den Griff zu bekommen.“ Sämtliche Rettungskräfte der Region seien im Einsatz, Polizeihubschrauber retteten Menschen von Bäumen und Häuserdächern. „Die Einsatzkräfte rackern ohne Unterlass vor Ort, riskieren ihr eigenes Leben“, betonte die Regierungschefin. Über 200 Soldaten der Bundeswehr seien zudem vor Ort im Einsatz, über 1.000 freiwillige Einsatzkräfte würden mit anpacken, es würden „unermüdlich“ Sandsäcke gefüllt. „Aus allen Landesteilen sind Rettungskräfte auf dem Weg in die Region“, sagte Dreyer weiter, „der Innenminister und ich, wir stehen seit heute Nacht in unentwegtem Austausch miteinander.“

Auch aus Mainz und Rheinhessen eilten Polizei und Rettungskräfte der Mainzer Feuerwehr den Menschen im Katastrophengebiet zu Hilfe. - Foto: Feuerwehr Mainz
Auch aus Mainz und Rheinhessen eilten Polizei und Rettungskräfte der Mainzer Feuerwehr den Menschen im Katastrophengebiet zu Hilfe. – Foto: Feuerwehr Mainz

Auch aus Mainz und Rheinhessen machten sich Einsatzkräfte von Polizei, Rettungsdiensten und Katastrophenhilfe auf den Weg in den Norden. Es sei alles im Einsatz, was nicht im aktuellen Dienst gebraucht werde, hieß es bei der Mainzer Polizei. „Aus Mainz sind mehrere Hundertschaften Bereitschaftspolizei nach Koblenz gefahren, alles was geht“, sagte Polizeisprecher Roberto Rinaldo auf Mainz&-Anfrage. Man habe lange vorgeplante Kontrollmaßnahmen abgesagt, die Kräfte seien in den Norden geschickt worden. Die Kräfte unterstützten die Einsatzkräfte vor Ort in den Bereichen Rettung und Schutz, unterstützten bei der Evakuierung und führten Kontrollen in den evakuierten Bereichen durch.

„Deutsches Rotes Kreuz, DLRG, alle Rettungskräfte, die eingesetzt werden können, sind unterwegs“, sagte Roberto. Das THW Wörrstadt sei mit Trinkwasseraufbereitungsanlagen  unterwegs, die Bereitschaftspolizei habe vier leichte Streckenboote nach Ahrweiler geschickt, alle verfügbaren Hubschrauber seien im Einsatz. „Wir kriegen Unterstützung aus Hessen, Baden-Württemberg und von der Bundespolizei“, sagte Roberto weiter, mehrere Hubschrauber seien noch unterwegs nach Rheinland-Pfalz. Die Feuerwehr Mainz teilte am Nachmittag mit, man habe bereits am Mittwochabend beim Transport von Sandsäcken nach Koblenz geholfen, am  Morgen eine technische Einsatzleitung der Feuerwehr Mainz in den Landkreis Trier-Saarburg entsandt, am Vormittag hätten sich dann weitere Kräfte der Berufs- und Freiwilligen Feuerwehr Mainz auf den Weg ins Katastrophengebiet gemacht.

Im Trierer Stadtteil Ehrang mussten eingeschlossene Anwohner aus ihren Häusern gerettet werden. - Foto: Stadt Trier auf Twitter
Im Trierer Stadtteil Ehrang mussten eingeschlossene Anwohner aus ihren Häusern gerettet werden. – Foto: Stadt Trier auf Twitter

Die Polizei aus Mainz und Rheinhessen stelle auch ganz viel Unterstützung mit technischen Hilfsmitteln, dazu gehörten Funkgeräte, aber auch Transportmöglichkeiten, Beleuchtung oder geländegängige Fahrzeuge, sagte Roberto weiter. Eine Lücke für den Schutz der Menschen in Mainz reiße das aber nicht: „Der Regelschichtdienst in Mainz ist aber weiter zu 100 Prozent gewährleistet“, betonte Roberto. Auch die von Landesseite eingerichtete Personenauskunftstelle werde von Mainz aus betrieben.

Ministerpräsidentin Dreyer hatte schon am Morgen im Landtag allen Betroffenen die Unterstützung des Landes zugesagt, das Kabinett traf sich im Anschluss an die verkürzte Landtagssitzung zu einer Sondersitzung. „Ich werde mir heute zusammen mit dem Innenminister einen eigenen Eindruck von der Lage vor Ort verschaffen“, sagte Dreyer am Morgen weiter. Sie hoffe, dass die derzeitigen Vorhersagen einträfen und sich die Wetterlage beruhige. „Ich danke allen Einsatzkräften für ihren Einsatz und bitte die Menschen, Ruhe zu bewahren und in Ihren Häusern zu bleiben“, sagte Dreyer: „Wir sind mit dem Herzen bei all den Menschen, die in großer, großer Not sind und werden alles tun, um die Katastrophe in den Griff zu bekommen.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) meldete sich aus den USA zu Wort. - Screenshot: gik
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) meldete sich aus den USA zu Wort. – Screenshot: gik

„Ich trauere um die, die ihr Leben gelassen haben“, sagte am Nachmittag auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die eigentlich gerade auf Staatsbesuch in den USA ist: „Meine Gedanken sind auch von hier aus bei den Menschen in den Hochwassergebieten in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.“ Merkel sprach von einer „Tragödie“ und sicherte Hilfe des Bundes zu. „Es sind so viele, um die wir noch bangen müssen“, sagte Merkel, es werde „alles getan, um die Vermissten noch zu finden.“

Sie stehe in Kontakt mit den Regierungschefs von Rheinland-Pfalz und dem ebenfalls stark betroffenen Nordrhein-Westfalen sowie mit Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD), der sich gerade auf Wahlkampfreise in Rheinland-Pfalz befindet. „Dies sind für die Menschen in den Überschwemmungsgebieten entsetzliche Tage“, sagte eine sichtlich erschütterte Merkel, und versicherte: „Sie können darauf vertrauen“, dass alles getan werde, „um Menschenleben zu retten, wo immer das möglich ist.“

Info& auf Mainz&: In einigen Landesteilen von Rheinland-Pfalz ist der Mobilfunk ausgefallen, deswegen hat die Landesregierung eine Hotline für psychosoziale Unterstützung unter der Nummer 0800 001 0218 ab sofort freigeschaltet, die zwischen 9.00 Uhr und 17.00 Uhr erreichbar ist. Zudem bietet das Polizeipräsidium Koblenz eine Personenauskunftsstelle, an die sich besorgte Angehörige wenden können, die jemanden vermissen. Diese ist erreichbar unter der Telefon­nummer 0800 6565651. Hinweise können zudem im Internet unter rlp.hinweisportal.de hochgeladen werden. Mehr zur Hochwasserlage in Mainz lest Ihr hier bei Mainz&. Über die aktuelle Hochwasserlage an den Flüssen könnt Ihr Euch bei der aktuellen Hochwasservorhersage des Landes unter www.hochwasser-rlp.de informieren.

 

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