Die Bundestagswahl am kommenden Sonntag gilt auch als entscheidende Wahl im Kampf gegen den Klimawandel, die Parteien haben sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Schon im März vereinbarten SPD, Grüne und FDP in der Mainzer-Ampel-Koalition auf Landesebene: Bis 2030 will das Land seinen Energiebedarf komplett aus Erneuerbaren Energien decken. Doch neun Jahre vor dieser Zielmarke, hat Rheinland-Pfalz gerade einmal die Hälfte geschafft – Windenergie und Photovoltaik-Leistungen müssten sich verdoppeln bis verdreifachen. Am Donnerstag verabschiedete der Mainzer Landtag ein neues Landessolargesetz, doch bereits jetzt gibt es donnernde Kritik: Der BUND erklärte ebenso wie die CDU-Opposition das Gesetz für ungenügend. Derweil steigen die Erdgaspreise – es wird ein harter Winter.

Grafik des Bundeswirtschaftsministeriums zur Stromerzeugung in Deutschland. - Foto: gik
Grafik des Bundeswirtschaftsministeriums zur Stromerzeugung in Deutschland. – Foto: gik

Deutschland wird erneuerbar, der Ausstieg aus der Kernenergie läuft, der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist eingeleitet und soll bis 2038 erfolgen – Klimaschützern geht das nicht schnell genug. Doch Tatsache ist auch: Deutschland wäre für einen sofortigen Umstieg auf Erneuerbare Energien überhaupt nicht gerüstet. Im Jahr 2019 erzeugten die Erneuerbaren Energieträger in Rheinland-Pfalz insgesamt rund 11 Milliarden Kilowattstunden Energie, sie trugen damit 51,3 Prozent zur rheinland-pfälzischen Brutto-Stromerzeugung bei. Damit konnten allerdings die Erneuerbaren nur 38,3 Prozent zur Deckung des Bruttostrombedarfs des Landes beitragen, räumte Klimaministerin Anne Spiegel (Grüne) vergangene Woche im Klimaausschuss des Mainzer Landtags ein.

Damit steht Rheinland-Pfalz vor erheblichen Herausforderungen: 2030 will das Land seinen Energiebedarf komplett aus Erneuerbaren Energien decken, doch neun Jahre vor dieser Marke ist das Ziel noch in weiter Ferne. Rheinland-Pfalz müsste seine Produktion aus Windenergie bis 2030 verdoppeln und bei der Photovoltaik sogar verdreifachen, sagte Spiegel, wolle man dieses Ziel erreichen. Jährlich sei dafür ein Zuwachs von 500 Megawatt Leistung bei der Windenergie und noch einmal von 500 Megawatt Leistung bei der Photovoltaik nötig. Dazu kommt: der Strombedarf in Deutschland wird erheblich steigen, wenn immer mehr Elektroautos auf den Straßen unterwegs sind.

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Windräder im Rheinhessischen entlang der A63. - Foto: gik
Windräder im Rheinhessischen entlang der A63. – Foto: gik

Aktuell umfasst nach Angaben der Ministerin der regenerative Kraftwerkspark in Rheinland-Pfalz rund 1.800 Windenergieanlagen mit einer elektrischen Leistung von 3.800 Megawatt. Dazu kommen rund 124.000 Photovoltaik-Anlagen mit insgesamt 2.600 Megawatt, 250 Wasserkraftanlagen mit 240 Megawatt und etwa 420 Biomasseanlagen mit insgesamt 190 Megawatt Leistung. Zwei Geothermieanlagen im Land steuern 8 Megawatt bei. Bundesweit steht Rheinland-Pfalz damit noch vergleichsweise gut da: 34,9 Prozent trugen die Erneuerbaren Energien bundesweit im März 2019 zur Stromerzeugung des Landes bei, 22,5 Prozent des Stroms aber kam aus der Braunkohle, 12,9 Prozent aus der Steinkohle. Erdgas machte 12,9 Prozent aus, und die letzten Atomkraftwerke in Deutschland steuerten gerade einmal noch 11,8 Prozent bei.

Das Problem dabei: Damit kamen gut 60 Prozent des Stroms in Deutschland noch immer aus fossilen Energieträgern oder der Atomenergie, ohne Atom müssten aber noch immer 48,3 Prozent fossile Energieträger allein ersetzt werden. Notwendig wäre dafür ein massiver Ausbau der Erneuerbaren Energien, doch genau der stockte zuletzt erheblich: Durch Reformen des Erneuerbare Energien-Gesetzes (EEG) auf Bundesebene hätten sich die Rahmenbedingungen für Investitionen in die regenerative Stromerzeugung deutlich verschlechtert, klagte Ministerin Spiegel.

 

Windräder im Süden von Mainz-Hechtsheim. - Foto: gik
Windräder im Süden von Mainz-Hechtsheim. – Foto: gik

So wurden im 1. Halbjahr 2021 in Rheinland-Pfalz nur ganze 10 neue Windkraftanlagen gebaut, gleichzeitig aber auch sieben Anlagen zurückgebaut – unter dem Strich kamen im 1. Halbjahr 2021 deshalb gerade einmal 32 Megawatt und drei neue Windkraftanlagen dazu. „Wir sind leider weit weg von einem dynamischen Ausbau“, seufzte der Grünen-Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels, „die Energiewende kommt derzeit nicht vom Fleck.“

„Leider setzt sich damit der Trend der letzten Jahre auch im ersten Halbjahr 2021 fort“, sagte Spiegel weiter, denn auch 2020 kamen netto gerade einmal 19 Windräder mit 72 Megawatt hinzu. Bei der Photovoltaik sieht es ein wenig besser aus, hier wurden im ersten Halbjahr 2021 in Rheinland-Pfalz immerhin rund 7.300 PV-Anlagen mit einer elektrischen Leistung von 105 Megawatt neu installiert. 2020 betrug der PV-Zubau im Land insgesamt 10.100 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 201 Megawatt.

 

Schwung in den Ausbau von Windenergieanlagen soll nun eine neue Zuständigkeit bringen: Die Genehmigungen für neue Windkraftanlagen will das Land künftig bei den Struktur- und Genehmigungsbehörden ansiedeln – und nicht länger bei den Kommunen vor Ort. CDU-Klimaschutzexperte Gerd Schreiner warf der Ministerin deshalb „ein Misstrauensvotum“ gegenüber den Kommunen und den Planungsgemeinschaften vor: Die hätten das doch bisher „gemeinsam gut hingekriegt“, sagte Schreiner, und argwöhnte, die Ministerin wolle die Beteiligung vor Ort entmachten. Spiegel verteidigte sich: Die Genehmigungsverfahren für Windkraftanlagen seien hochkomplex und dauerten schlicht zu lange. „Das muss einfach schneller und schlanker gehen“, betonte Spiegel.

Die Sonne soll nun die fehlende Energie für die Energiewende liefern. - Foto: gik
Die Sonne soll nun die fehlende Energie für die Energiewende liefern. – Foto: gik

Baustein zwei im Ausbau der Erneuerbaren Energien ist ein neues Landessolargesetz, das am Mittwoch im Landtag verabschiedet wurde. Schon ab dem 1. Januar 2023 werden nun Gewerbetreibende verpflichtet, auf Neubauten mit mehr als 100 Quadratmetern Nutzfläche eine Photovoltaikanlage zu installieren, das gilt ebenso für Überdachungen von neuen Parkplatzflächen ab 50 Stellplätzen. Die Landesregierung spricht von einem „Meilenstein“, doch schon vor der Verabschiedung hagelte es Kritik: Das neue Gesetz werde „so gut wie keine Wirkung für die Energiewende entfalten“, sagte der Vorsitzende des Solarverbandes, Wolfgang Müller, und forderte: Einen wesentlich größeren Effekt gäbe es, wenn auch bestehende sowie alle privaten und öffentlichen Gebäude einbezogen würden. „Andere Bundesländer sind da wesentlich ambitionierter in ihren Vorlagen“, kritisierte Müller.

Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kritisierte, das Gesetz nutze die Potenziale nicht aus, man sehe „verpasste Chancen“: „Wir können nicht nachvollziehen, warum die Solarpflicht nicht für alle Neubauten und auch größere Umbauten und Sanierungen gelten soll“, sagte BUND-Landesvorsitzende Sabine Yacoub. Tatsächlich sieht das Gesetz nur PV-Anlage auf Gewerbeneubauten vor und erlaubt auch da diverse Ausnahmen: Ausschlaggebend sei eine ausreichend große Dachfläche mit ausreichend Sonneneinstrahlung, die Pflicht entfällt auch, wenn für das Gebäude eine Nutzungsdauer unter 20 Jahren zu erwarten ist und wenn die Anlage nicht wirtschaftlich betrieben werden kann. „Unsere Regelungen sorgen dafür, dass Solardächer dort entstehen, wo es sich auch wirtschaftlich lohnt“, sagte FDP-Fraktionschef Philipp Fernis bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs Anfang Juli stolz.

Photovoltaikanlage auf einer Freifläche. - Foto: AEE/ Seecon Ingenieure GmbH
Photovoltaikanlage auf einer Freifläche. – Foto: AEE/ Seecon Ingenieure GmbH

Und ausgerechnet die CDU-Opposition griff das neue Solargesetz scharf an: „Das Landesgesetz ist nur ein sehr, sehr kleiner Schritt in die richtige Richtung“, sagte der Mainzer CDU-Abgeordnete Gerd Schreiner. Denn die Solarpflicht werde nur ganz wenige Gebäude wirklich betreffen, der wichtige Bereich der öffentlichen Gebäude wie Schulen oder Rathäuser werde aber völlig ausgeklammert. Die CDU hatte deshalb in einem eigenen Antrag gefordert, das Land selbst müsse beim Ausbau der Photovoltaik mit gutem Beispiel voran gehen. Würde statt „Gewerbegebäude“ der Terminus „Nichtwohngebäude“ verwendet, „würde das den Kreis der betroffenen Gebäude erheblich erweitern“, sagte Schreiner – schließlich würden derzeit viel mehr Schulen als Gewerbehallen neu gebaut.

 

„Es ist ja nicht einzusehen, warum eine Fahrradwerkstatt für ihre neue Gewerbehalle oben drauf Photovoltaik machen muss, aber das Landgericht oder Landtag gegenüber muss das nicht“, sagte Schreiner: „Wir orientieren uns an Baden-Württemberg“, dort habe die schwarz-grüne Landesregierung das ebenfalls so geregelt. Man begrüße die CDU-Initiative, die Regelungen zumindest auf alle Nichtwohngebäude zu übertragen sowie die öffentliche Hand generell zum Solarbau zu verpflichten, teilte der BUND explizit mit.

Solaranalage auf dem Dach der Anne-Frank-Realschule in Mainz. - Foto: gik
Solaranalage auf dem Dach der Anne-Frank-Realschule in Mainz. – Foto: gik

Die CDU schlug zudem ein Verpachtungskataster vor, in dem die Solarflächen zur Verpachtung angeboten werden können – eine solche Drittverpachtung ist in dem Gesetz ausdrücklich vorgesehen. Auch sollten die Bauherren die Möglichkeit haben, ihrer Verpflichtung statt mit einer Solaranlage mit einem Windrad nachkommen zu können, „etwa wenn jemand lieber eine begrünte Dachterrasse als Sozialraum einrichten möchte“, sagte Schreiner weiter: „Wir wollen Photovoltaik einfach machen, damit es eine hohe Akzeptanz gibt.“ Eine Solaranlage zu bauen, müsse „einfacher werden, das muss einfach Spaß machen“, sagte Schreiner, und zitierte genüsslich die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock: „Auf jedes Dach gehört eine Photovoltaik-Anlage.“

Grünen-Umweltexperte Andreas Hartenfels warf Schreiner daraufhin in der Landtagsdebatte „Scheinheiligkeit“ vor, und Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne) schäumte, es seien doch die „ins Amt gegossenen Bremsklötze“ der CDU im Bund, die den Ausbau der Erneuerbaren Energien behinderten. Doch Hartenfels räumte auch ein, Photovoltaik gehöre „natürlich auf jedes Dach, da stehe ich zu“, es brauche deshalb „viele Stellschrauben“, um die Ausbauziele zu erreichen. Die Grünen hätten am Montag noch deutliche Sympathien für den Ergänzungsantrag der CDU geäußert, unterstrich daraufhin der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Martin Brandl süffisant, und kritisierte: Dass man davon jetzt nichts mehr wissen wolle, sei offenbar der FDP geschuldet – „die Liberalen sind die Bremser in dieser Fraktion.“

Info& auf Mainz&: Windräder sind nicht unumstritten, ihr Ausbau stößt vielfach auf Widerstand – eine Reportage zur Faszination Windrad, zu ihrer Technik sowie der Kritik an ihnen aus dem Jahr 2014 lest Ihr hier bei Mainz&. Wissenschaftler warnen aber auch vor Infraschall-Emissionen der Windräder, die bei empfindlichen Menschen zu Herzstörungen führen könnten, mehr dazu hier bei Mainz&.

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