Am heutigen Mittwoch trifft sich die Stadt Mainz wieder einmal mit der Deutschen Umwelthilfe (DUH) vor Gericht – dieses Mal vor dem Oberverwaltungsgericht Koblenz. Und immer noch geht es um ein Dieselfahrverbot in der Mainzer Innenstadt, denn die DUH hält an ihrer Forderung nach einem Dieselfahrverbot in der Mainzer Innenstadt fest. Dabei hatte Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne) eigens zum 1. Juli Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen eingeführt – mit der Begründung: Damit könne Mainz ein Dieselfahrverbot verhindern. Danach sieht es aber nun nicht mehr aus – denn auch die Bilanz nach drei Monaten Tempo 30 fällt eher dürftig aus: Die Stickoxidwerte vor allem entlang der Rheinachse sind nicht gesunken, sondern gestiegen, eine Grüne Welle gibt es bis heute nicht – und der Handel fürchtet ebenfalls Nachteile.
Zum 1. Juli hatte die Stadt Mainz ein Tempolimit von 30 km/h auf der Parcusstraße, der Kaiserstraße, sowie auf 3,5 Kilometern Länge entlang Rheinallee und Rheinstraße vom Zollhafen bis zum, Fort Malakoff eingeführt – damit wurde praktische die gesamte Innenstadt auf Tempo 30 reduziert. Mainz ist damit die erste Stadt in Rheinland-Pfalz und eine der ersten bundesweit, die Tempo 30 nicht nur in Wohngebieten und Nebenstraßen, sondern auch auf wichtigen Hauptverkehrsstraßen und wesentlichen Durchfahrtsstraßen eingeführt hat.
Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne) argumentierte, Tempo 30 sei wichtig, um die Schadstoffe in der Innenstadt zu senken, insbesondere der Stickoxidausstoß könne so verringert werden, Mainz dadurch den EU-Grenzwert einhalten – und ein Dieselfahrverbot vermeiden. Seit mehr als zehn Jahren reißt Mainz den EU-weit vorgeschriebenen Grenzwert von 40 Mikrogramm NOX, die Deutsche Umwelthilfe verklagte Mainz deshalb im Jahr 2011 – und bekam im Oktober 2018 vor dem Mainzer Verwaltungsgericht Recht: Das Gericht verurteilte die Stadt Mainz, zum 1. September 2019 ein Dieselfahrverbot einzuführen, sofern nicht die Stickoxidwerte 2019 deutlich gesenkt würden – Mainz habe zu spät reagiert, die bisher getroffenen Maßnahmen reichten nicht aus, befand das Gericht.
Für die Stadt war das eine herbe Niederlage, zumal die Nachbarstadt Wiesbaden nur wenige Monate später ein Dieselfahrverbot verhinderte, obwohl die Stickoxidwerte in der hessischen Landeshauptstadt ähnlich hoch lagen. Wiesbaden hatte sich jedoch mit der DUH auf einen umfassenden Plan verständigt, der Umweltverband lobte die Kooperationsbereitschaft der Wiesbadener, die mit einem umfassenden Konzept überzeugt hätten. Mainz warf die DUH hingegen immer wieder eine höchst unkooperative Haltung vor: Hier werde blockiert und getrickst und auf Zeit gespielt, wie man das bundesweit noch nie erlebt habe, klagte DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch im Februar 2020 im Mainz&-Interview.
Mainz hatte da inzwischen doch ein Dieselfahrverbot für den 1. Juli 2020 auf der Rheinachse verkündet, obwohl Oberbürgermeister Michael Ebling SPD) im Oktober 2018 noch verkündet habe, ein Dieselfahrverbot sei „in weite Ferne gerückt“. Ende Januar 2020 hatte Eder ein Fahrverbot angekündigt, das neben der Rheinachse auch die Theodor-Heuss-Brücke für Dieselfahrzeuge der Klasse 4 und 5 gesperrt hätte, es hagelte Kritik von Bürgern, Opposition und der Wirtschaft. Dann kam die Coronakrise und im März der Lockdown – und die Luftschadstoffwerte sanken, wenn auch nicht so stark wie eigentlich erhofft. Doch der Rückgang reichte, dass Eder im Juni verkünden konnte: Mainz werden 2020 den Grenzwert einhalten können, ein Dieselfahrverbot sei damit unverhältnismäßig und werde nicht umgesetzt – stattdessen komme nun Tempo 30.
Vor allem die Grünen verbanden damit große Hoffnungen: Tempo 30 werde für weniger Lärm und mehr Verkehrssicherheit in der Innenstadt sorgen, Mainz attraktiver machen – und auch die Luftschadstoffe senken, schwärmten etwa die grünen Ortsvorsteher von Altstadt und Neustadt. Experten hingegen hatten gewarnt: Das reine Absenken der Geschwindigkeit reiche nicht aus, die Stadt müsse unbedingt die Ampelschaltungen so anpassen, dass der Verkehr durchfließe – ohne eine Grüne Welle bleibe der gewünschte Effekt aus, warnte sogar der Gutachter der Stadt Mainz.
Fast vier Monate nach Einführung von Tempo 30 zeigt sich: Eine durchschlagende Wirkung auf die Stickoxide in der Luft hatte die Maßnahme bisher nicht, im Gegenteil – die Stickoxidwerte stiegen sogar an. Nach Angaben des Landesumweltamtes stieg der Stickoxidwert an der Messstation in der Mainzer Parcusstraße von 31 Mikrogramm im Juli auf 38 Mikrogramm im August, die Werte sind vorläufige Monatsmittelwerte. In der Mainzer Rheinallee kletterte der NO2-Wert sogar von 23 Mikrogramm im Juli auf 35 Mikrogramm im August – trotz Sommerferien.
Noch gravierender wird der Unterschied, wenn man sich die exakten Daten der offiziellen Messstellen in der Parcusstraße beim Bundesumweltamt ansieht: Dort wird über den gesamten August ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Juli verzeichnet, Mitte September wurde gar ein Spitzenwert von 140 Mikrogramm in einer Stunde gemessen.
Noch schlimmer sieht es in der Rheinallee aus: Auch hier steigen die Stickoxide Mitte Juli leicht an, im August aber verzeichnet die Messstation einen deutlichen Anstieg, und das über ganze Wochen – im August wurde hier gar ein Höchstwert von 175 Mikrogramm in der Stunde gemessen. Auch Mitte September explodierten die Stickoxide in der Rheinallee nach oben., zwischen dem 13. und dem 16. September, und dem 19. und dem 22. September wurden erneut Höchstwerte von bis zu 175 Mikrogramm in der Stunde gemessen.
Beim Landesumweltamt sieht man bisher vor allem meteorologische Einflüsse, Inversionswetterlagen hätten im August zu steigenden NO2-Konzentrationen geführt, sagte ein Sprecher auf Mainz&-Anfrage. Seltsam nur: Der Anstieg der NO2-Konzentration erfolgte regelmäßig in den vergangenen Monaten in den Abendstunden – pünktlich ab 19.00 Uhr kletterten die Werte in die Höhe und erreichten ihren Höchst wert gegen 22.00 oder 23.00 Uhr. Wie die Luft-App des Bundesumweltamtes dokumentiert, bleiben die Werte dann oft auf Höchststand bis 2.00 Uhr morgens und sinken dann wieder ab – also genau dann, wenn kein Verkehr in Mainz fließt.
Tatsache ist denn auch: Andere Quellen für Luftschadstoffeinträge insbesondere bei Stickoxiden wurden offenbar nie geprüft – in Frage kämen etwa Luftschadstoffe aus Industrieanlagen entlang der Rheinschiene, etwa aus Mainz-Kostheim oder Mainz-Amöneburg. Dafür würde auch sprechen, dass die Werte an der Rheinallee regelmäßig höher liegen als in der Parcusstraße, in der Luft-App kann man regelrecht in Echtzeit beobachten, wie zuerst die Messstation an der Rheinallee in den roten Bereich dreht, und kurze Zeit später die Parcusstraße folgt. Auch waren die Stickoxide während des Corona-Shutdowns keineswegs dauerhaft in einem Maße gesunken, wie zu erwarten gewesen wäre – auch dazu hatte das Landesumweltamt als Erklärung lediglich das Wetter anzubieten.
Gleichzeitig kritisiert die CDU-Opposition in Mainz, das neue Tempo 30 bringe lediglich mehr Stau und mehr Luftschadstoffe: „Frau Eder hat versprochen, mit der Einführung von Tempo 30 eine Grüne Welle einzuführen, das kann aber als gescheitert angesehen werden“, sagte CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster auf Mainz&-Anfrage: „Stand gestern musste ich auf dem Weg vom Aliceplatz bis zum Rathaus an sage und schreibe sechs Ampeln halten“, berichtete Gerster vor zwei Tagen. Eigene Beobachtungen bestätigen das: Wer die Kaiserstraße mit Tempo 30 entlang fährt, steht auf jeden Fall an den Einmündungen von Boppstraße und Hindenburgstraße, eine durchgängige, fließende Fahrt wie noch zu Tempo 50 ist nicht mehr möglich.
Das Ergebnis: Selbst um 22.00 Uhr am Abend bilden sich vor den roten Ampeln größere Auto-Pulks von zehn bis zwölf Fahrzeugen also zu einer Zeit, zu der ansonsten sehr wenig Verkehr in der Innenstadt herrscht. Dazu können ältere Fahrzeuge Tempo 30 nur im zweiten Gang absolvieren, das Ergebnis ist eine ruckelnde Fahrt in deutlich höherem Drehzahlbereich – der ADAC hatte bereits im Vorfeld gewarnt, dass dabei mehr Schadstoffe ausgestoßen würden anstatt weniger. „Jeder Ingenieur kann Ihnen sagen, dass ein Motor unterhalb von 50 Stundenkilometern nur unvollständig verbrennt, die Schadstoffbelastung am Auspuff ist bei Tempo 30 also definitiv höher als bei Tempo 50“, sagte nun auch Gerster. Durch die langsame Fahrweise in häufig niedrigeren Gängen werde zudem mehr Sprit verbraucht, so dass auch die CO2-Bilanz schlechter ausfalle.
Dazu äußern sich seit der Einführung von Tempo 30 viele Mainzer zunehmend genervt: Ein zügiges Vorwärtskommen sei schier unmöglich geworden, „bei Tempo 30 hoppelt man von Ampel zu Ampel“, berichtete ein Mainz&-Leser im September – fast drei Monate nach der Einführung von Tempo 30. Wege dauerten doppelt so lange, Mainz sei als Einkaufsstadt nun vollends unattraktiv geworden, berichteten andere, und das sind keine Einzelfälle: „Noch ein Grund mehr, online oder auf der grünen Wiese einzukaufen“, kommentierte etwa ein Mainz&-Leser, so werde der Kundenverkehr weiter abnehmen, mehr Geschäfte würden schließen müssen.
Das befürchtet auch der Einzelhandelsverband: „Tempo 30 ist wieder ein Mosaiksteinchen mehr, das die Mainzer Innenstadt unattraktiv macht“, sagt der Vorsitzende des Einzelhandelsverband Rheinhessen-Mittelrhein, Jan Sebastian, gegenüber Mainz&. Tatsächlich kämen weniger Kunden nach Mainz, und das nicht nur wegen der Corona-Pandemie: Die hohen Parkgebühren, das nicht vorhandene Parkleitsystem, der teure ÖPNV und nicht zuletzt die Dauerbaustellen, all das mache Mainz als Einkaufsstadt zunehmend unattraktiv. „Ich merke, dass die Konsequenz der Maßnahmen die Leute aus dem Umland, vor allem aus dem Rheinhessischen fernhalten“, sagt Sebastian, Inhaber des traditionsreichen Juweliergeschäfts Willenberg: „Jetzt fährt man eben drei Mal nach Ingelheim und zweimal nach Nieder-Olm – aber nur noch einmal nach Mainz.“
Selbst bei der DUH heißt es, man halte zwar Tempo 30 für absolut sinnvoll, weil es für weniger Lärm und mehr Verkehrssicherheit sorge, aber in Sachen Luftqualität sehe man nur „leichte“ Effekte. „In Bezug auf die Luftqualität lassen sich leichte Verbesserungen erwarten, wenn es gelingt, den Verkehrsfluss beizubehalten oder zu verbessern“, teilte die DUH auf Mainz&-Anfrage mit, die Konsequenz: „Nur Tempo 30 reicht noch nicht“, betont die DUH, es brauche „eine klare Bevorzugung von Fahrrad- und Fußverkehr sowie von Bus- und Bahn.“ Hier mache Mainz zwar Fortschritte, doch gebe es noch viel aufzuholen: „Nach wie vor ist Mainz Auto-Stadt“, kritisiert die DUH.
Und so trifft man sich am Mittwoch erneut vor Gericht, dieses Mal dem Oberverwaltungsgericht Koblenz, um erneut über ein Dieselfahrverbot zu verhandeln – die DUH pocht weiter darauf. Man erwarte weiter, dass Mainz ein Konzept vorlege, das die Grenzwerteinhaltung im gesamten Stadtgebiet sicherstelle, so die DUH – und das auch 2021 ohne Lockdown und mit wieder gestiegenen Belastungen im Jahr 2021.
Info& auf Mainz&: Die gesamte Geschichte zum Dieselfahrverbot und Tempo 30 könnt Ihr ausführlich in Dutzenden Artikel auf Mainz& nachlesen, einfach die Suchmaske nutzen, zentrale Artikel haben wir oben im Text verlinkt. das Interview mit Jürgen Resch von Anfang des Jahres könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Wie sich die Coronakrise auf die Luftschadstoffe ausgewirkt hat, haben wir im April schon einmal hier aufgeschrieben. Die aktuellen Messdaten des Umweltbundesamtes zu den Luftschadstoffen in Mainz findet Ihr hier im Internet.