Normalerweise gibt es die Zeugnisse ja am Ende eines Schuljahres, doch dieses Jahr gibt es die Bewertung schon vor dem Start ins neue Schuljahr: „Das Bildungsniveau in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert“, urteilt nun der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft. Rheinland-Pfalz verbessert sich im Ranking der Bundesländer zwar leicht, schneidet aber mit Platz 10 höchstens mittelmäßig ab – Kritikpunkte sind vor allem Mangel an Ganztags, schlechte Bildungschancen für Kinder aus bildungsfernen Haushalten, sowie zu schlechte Förderung von Kindern mit mangelhaften Deutschkenntnissen. Die Landesschülervertretung spricht nun von einem „Weckruf“ – und fordert deutliche Nachbesserungen.
Der Bildungsmonitor der wirtschaftsnahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) untersucht bereits seit 20 Jahren den Stand der Bildung in Deutschland – und kommt nun zu einem ausgesprochen düsteren Fazit: „Das Bildungsniveau in Deutschland hat sich in den vergangenen zehn Jahren dramatisch verschlechtert“, bilanzieren die Forscher des Bildungsmonitors. Vor allem in den Bereichen Schulqualität, Integration und Bildungsarmut gebe es negative Entwicklungen, heißt es weiter.
Tatsächlich haben sich im Vergleich zum Jahr 2013 in der Punktewertung des Bildungmonitors 11 von 16 Bundesländern verschlechtert, nur Bayern, Hamburg, das Saarland, Niedersachsen und Schleswig-Holstein verbesserten sich, zumeist aber nur leicht. Das Nachbarland Hessen, in dem am 8. Oktober 2023 ein neuer Landtag gewählt wird, verschlechterte sich in der Zehn-Jahres-Bilanz leicht, liegt aber immer noch auf Platz 8 im Ländervergleich.
Rheinland-Pfalz im Länderranking nur auf Platz 10, Hessen auf 8
Rheinland-Pfalz hingegen verbesserte sich im Bildungsmonitor 2023 um zwei Plätze, liegt aber immer noch nur auf Platz 10 des Länderrankings – und damit ebenfalls schlechter als noch vor zehn Jahren. Auf den ersten drei Plätzen des Ländervergleichs finden sich nach wie vor Sachsen, Bayern und Thüringen, gefolgt von Hamburg auf Platz 4 und Baden-Württemberg – das Grün-Schwarz regierte Bundesland war allerdings 2023 mit -9,6 Punkten der größte Verlierer im Vergleich zu vor zehn Jahren. Schlusslichter sind weiter Brandenburg, Berlin und Bremen.
„Die Kitas und Schulen haben noch keine gute Antwort darauf gefunden, dass die Schülerschaft in den vergangenen Jahren deutlich heterogener wurde, ein steigender Anteil zu Hause nicht Deutsch spricht oder nur wenige Bücher im Haushalt besitzt“, rügt IW-Studienautor Professor Axel Plünnecke denn auch laut Pressemitteilung. Die Folge sei, dass die Ergebnisse von Kindern aus Haushalten mit Migrationshintergrund oder von bildungsfernen Haushalten besonders stark gesunken seien.
„Leichte Verbesserungen bei der Ganztagsinfrastruktur und den Betreuungsrelationen konnten diese Verschlechterungen der Bildungsergebnisse nicht umkehren“, bilanziert Plünnecke. Es fehle an Qualität beim Ganztag und an gezielter Förderung. „Internationale Vergleiche zeigen, dass es anderen Ländern besser als Deutschland gelingt, den
Bildungserfolg von der familiären Herkunft zu entkoppeln“, kritisiert der Studienautor. Es brauche daher unter anderem einen Ausbau der frühkindlichen Bildung, mehr
Schulautonomie, jährliche Vergleichsarbeiten in allen Klassenstufen, gezielte Förderung und
bessere Verwaltungsstrukturen. Auch würden mehr hochwertige Ganztagsangebote gebraucht.
Kritik an Ganztags, Integration, Einfluss der sozialen Herkunft
Die Kritik trifft auch und gerade Rheinland-Pfalz, positiv vermerken die Forscher nämlich nur zwei Elemente in Sachen Bildung in Rheinland-Pfalz: Das Land habe einen Spitzenplatz beim Fremdsprachenunterricht an Grundschulen und habe einen hohen Anteil an erfolgreichen Absolventen an Berufsfachschulen oder Fachoberschulen. Doch gleichzeitig rügen die Forscher, Rheinland-Pfalz investiere deutlich zu wenig Geld in seine Allgemeinbildenden Schulen sowie in die Hochschulen – bei der „Inputineffizienz“ liege Rheinland-Pfalz auf dem 14. Platz.
Zudem zeige sich, dass der Einfluss des sozialen Hintergrunds der Eltern auf die Lesekompetenzen im Vergleich zu den anderen Bundesländern unterdurchschnittlich ausfalle, so die Forscher weiter. Dabei hatte gerade die SPD in Rheinland-Pfalz stets ausdrücklich versprochen, der soziale Hintergrund eines Kindes dürfe nicht länger den Schulerfolg bestimmen – genau dafür trete man an, dies zu entkoppeln. Erfolgreich war das aber offenbar ebenso wenig wie bei der Integration von ausländischen Schülern: 19 Prozent der ausländischen Schulabsolventen hätten 2021 – dem Zeitpunkt der letzten Erhebung im INSM – keinen Schulabschluss gehabt. Rheinland-Pfalz lag damit deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 15,7 Prozent.
Kritik gibt es auch in Sachen Ganztags: Zwar liege der Anteil von Grundschülern mit Ganztagsbetreuung in Rheinland-Pfalz mit 48 Prozent ganz leicht über dem Bundesschnitt von 47,5 Prozent, doch bei den Ganztagsangeboten in der Sekundarstufe I habe Rheinland-Pfalz 2021 mit 23,6 Prozent den drittschlechtesten Wert aller Bundesländer aufgewiesen – und war weit vom Bundesschnitt von 48,4 Prozent entfernt.
Kritik: Immer mehr Grundschulkinder mit schlechtem Deutsch
Die Befunde passen auch zu den Hilferufen, die in den vergangenen Wochen von Grundschulen in Rheinland-Pfalz kamen: Man komme mit der Förderung nicht mehr hinterher, mangelnde Deutschkenntnisse vieler Schüler bei gleichzeitiger Überlastung der Lehrkräfte seien nicht mehr aufzufangen. Das Land tue zu wenig für die Chancengleichheit an den Schulen, klagten Grundschulleiterinnen – in Ludwigshafen schafften bis zu ein Viertel der Schüler einer Grundschule die erste Klasse nicht.
Hessen schneidet in Sachen Integration und Förderung hingegen deutlich besser ab: Mit 11,8 Prozent weise Hessen beim Anteil ausländischer Schulabgänger ohne Abschluss den zweitbesten Wert aller Bundesländer auf, lobt die INSM (Bundesdurchschnitt: 15,7 Prozent). Weit überdurchschnittlich sei auch der Anteil von Ganztagsschülern in der Sekundarstufe I mit 74,6 Prozent – der Bundesdurchschnitt liegt nur bei 48,4 Prozent. Bei den Grundschülern liegt Hessen hingegen leicht unter dem Bundesschnitt.
INSM-Geschäftsführer Thorsten Alsleben kritisierte explizit, es sei höchst kritisch, dass immer mehr Kinder in der Grundschule nicht ausreichend Deutsch sprächen: „Die Herausforderungen durch massive Zuwanderung haben leider auch viele Schulen überfordert“, betonte Alsleben. Die Länder müssten umsteuern und viel mehr in frühkindliche Bildung investieren. „Wir brauchen eine Vorschulpflicht für alle, die nicht oder schlecht Deutsch sprechen“, forderte Alsleben. Schulen mit einem hohem Anteil von
Schülern mit Sprachdefiziten müssten viel besser ausgestattet und die betroffenen Lehrkräfte mehr unterstützt werden.
LSV RLP: Lauter Weckruf für alle Politiker
Die Landesschülervertretung Rheinland-Pfalz spricht denn auch von „alarmierenden Ergebnissen“ des Bildungsmonitors und forderte „dringende Schritte“ für eine verbesserte Bildung nach den Sommerferien. Es brauche die entschlossene Umsetzung von Maßnahmen, um das stark gesunkene Bildungsniveau an den deutschen Schulen zu verbessern. „Ein Bildungssystem ohne angemessene Werkzeuge ist nur ein leeres Versprechen“, kritisierte LSV-Sprecher Pascal Groothuis: „Zum Schulstart fordern wir daher eine umfassende Bildungsoffensive!“
Die Lehrkräfte seien „ausgebrannt und personell unterbesetzt, die Klassenzimmer platzen aus allen Nähten, und individuelle Betreuung ist ein Fremdwort geworden“, schilderte Groothuis die Lage in den Schulen. Mehr Lehrer würden die persönliche Unterstützung und individuelle Förderung ermöglichen, mehr Digitalisierung sei nötig, um die Schüler fit für eine moderne Welt zu machen.
Die Ergebnisse des Bildungsmonitors müssten „ein lauter Weckruf an alle Politiker“ sein, betonte auch LSV-Sprecherin Jule Kresin: „Es ist inakzeptabel, dass unser Bildungssystem verfällt, während veraltete Lehrmaterialien und überlastete Lehrkräfte zur Normalität geworden sind.“ Die politischen Entscheidungsträger müssten dringend handeln, um Veränderungen herbeizuführen und Schülern bessere Perspektiven zu eröffnen.
Auch INSM-Geschäftsführer Alsleben forderte eine „Zeitenwende in der Bildungspolitik“: Deutschland verliere in vielen Bereichen den Anschluss an die Weltspitze, seit einigen Jahren auch in der Bildungspolitik, kritisierte Alsleben: „Bildung ist der Schlüssel, um Deutschland aus der Abwärtsspirale zu holen. Wann handeln Bund und Länder endlich?“
In die jährlich erscheinende Vergleichsstudie werden 98 Indikatoren einbezogen, darunter Indikatoren zur Beschreibung der Infrastruktur wie der Verfügbarkeit von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuungsmöglichkeiten sowie die Betreuungsrelationen an Schulen. Weitere Indikatoren wie Schulabbrecherquoten und der Anteil der Schüler, die von Bildungsarmut betroffen sind, werden ebenso einbezogen wie die Qualität der schulischen Leistung und den Zugang zu höheren Bildungsabschlüssen. „Damit messen die Indikatoren sowohl Aspekte der Bildungsgerechtigkeit, als auch Impulse des Bildungssystems zur Stärkung der Qualifikationsbasis der Volkswirtschaft“, so die INSM auf ihrer Internetseite.
Info& auf Mainz&: Den ganzen INSM-Bildungsmonitor mit allen Daten, Ergebnissen und Einschätzungen findet Ihr hier im Internet.