Überraschung in der politischen Szene in Mainz: Das gerade erst gegründete „Bündnis Sahra Wagenknecht“ hat seinen ersten Landtagsabgeordneten überhaupt – und das ausgerechnet in Mainz. Der Kuseler Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels, ein Ex-Grüner, verkündete am Montag seinen Beitritt zum neuen Bündnis Sahra Wagenknecht. Hartenfels sitzt seit 2011 im Mainzer Landtag, im Oktober 2022 trat er bei den Grünen aus. Wagenknecht selbst präsentierte das neue Mitglied auf einer Pressekonferenz in Mainz. Dort hieß es, das Bündnis wolle auch bei der Kommunalwahl im Juni antreten, in ausgewählten Kommunen – womöglich auch in Mainz.
Das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ wurde nach monatelangem Hin und Her vor einer Woche in Berlin als neue Partei gegründet und ist eine Abspaltung von der Partei „Die Linke“. Die neue Partei ist noch im Aufbau, ein Parteiprogramm existiert noch nicht – Gründerin und Namensgeberin Sahra Wagenknecht nannte am Montag in Mainz vier Schwerpunkte für das neue Bündnis, das mit dem Zusatz „Vernunft und Gerechtigkeit“ wirbt: Wirtschaftliche Vernunft, soziale Gerechtigkeit, Friedenspolitik und Meinungsfreiheit seien die ersten wichtigen Richtungen des neuen Bündnisses.
Den Aufbau in Rheinland-Pfalz soll der Ex-Linke und Pfälzer Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich leiten, er berichtete, das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ habe in einem ersten Schritt 450 Mitglieder bundesweit aufgenommen, darunter 28 aus Rheinland-Pfalz. Darunter sei eine große Bandbreite von Unternehmern, Gewerkschaftern, Beamten, Studienräten sowie der Chefarzt eines Klinikums oder auch der Mainzer Drehbuchautor Stephan Falk. „Das zeigt, dass das Bündnis deutlich breiter aufgestellt ist, als das unsere bisherige Partei je war“, betonte Ulrich.
Neue Partei BSW: Angriff auf die Ampel in Berlin und Mainz
Das neue Bündnis wolle nun im ersten halben Jahr nach seiner Gründung Zug um Zug auch Landesverbände gründen, auch in Rheinland-Pfalz, kündigte Ulrich weiter an. Auf den Wahlzetteln will die neue Partei erstmals bei der Europawahl am 9. Juni stehen, wichtige Ziele sind zudem die Bundestagswahl im Herbst 2025 sowie die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im Frühjahr 2026. Programmatisch solle gemeinsam mit Experten ein Wahlprogramm erarbeitet werden, „wir wollen auch in Rheinland-Pfalz dazu Expertenräte einsetzen“, sagte Ulrich weiter.
„Wir haben mit der Ampel-Regierung in Berlin wohl die schlechteste Regierung, die Deutschland jemals hatte“, kritisierte der Ex-Linke weiter, „wenn wir ehrlich sind, ist die Ampel in Mainz aber genauso schwierig und schlecht.“ Es gebe „kein Thema, wo die Ampel spürbar Akzente setzt“, die kommunale Selbstverwaltung sei völlig ausgehöhlt worden, die Ampel in Mainz habe keine Lösungen mehr zu bieten. Immer mehr Kommunen wüssten nicht mehr, wie sie ihre Aufgabe erfüllen sollten.
„Man will die Probleme aussitzen, aber sie lassen sich nicht mehr aussitzen“, kritisierte Ulrich. Als weitere Themen für Rheinland-Pfalz nannte er die Bildungspolitik, die prekäre Lage vieler Krankenhäuser, „das massenhafte Landärzte-Sterben und den grottenschlechten ÖPNV.“ Das neue Bündnis wolle aber „nicht nur Opposition zu sein, sondern auch ganz schnell Verantwortung übernehmen“, kündigte er an: „Es gibt einen riesigen Rückenwind.“
Ex-Grüner wechselt zum BSW: Erster Landtagsabgeordneter
Tatsächlich kann das BSW einen Coup landen: Zum BSW trat nun der Landtagsabgeordnete Andreas Hartenfels über, der im Herbst 2022 bei den rheinland-pfälzischen Grünen ausgetreten war – aus Protest gegen die Russland-Politik der Grünen. Hartenfels saß seither als partei- und fraktionsloser Abgeordneter im Mainzer Landtag, er ist nach Berlin und Hamburg der dritte Mandatsträger in den alten westdeutschen Bundesländern, der zum BSW übertritt – und der erste Landtagsabgeordnete überhaupt.
„Ich bin dann künftig erst mal der parlamentarische Arm dieses Bündnisses in Rheinland-Pfalz“, sagte Hartenfels am Montag in Mainz, darüber freue er sich sehr. Er sei fast 40 Jahre Grünen-Mitglied gewesen, bringe viel kommunalpolitische sowie gut ein Jahrzehnt Erfahrung in der Landespolitik mit, sagte der gebürtige Kuseler weiter: „Ich freue mich darauf, die Botschaften des Bündnisses in den Landtag zu tragen.“
Hartenfels hatte sich bereits während der Coronazeit und wegen der Corona-Impf-Politik von seiner Partei stark entfremdet, nun kritisierte er erneut „die Ausgrenzung von Millionen Menschen“, die sich einer Corona-Impfung verweigert hatten: Diese seien regelrecht „diffamiert“ worden, er sei „nicht einverstanden, wie eine grüne Partei massenweise Menschen diskriminiert.“ In Deutschland werde man „auf Gesinnung abgeprüft“, daraus entstehe ein „autoritärer Staatsstil“, kritisierte er.
Tiefpunkt der grüne Politik sei für ihn aber der Grünen-Bundesparteitag im Oktober 2022 gewesen, weil dort die grüne Außenministerin Annalena Baerbock Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland verteidigt hatte – und dafür gefeiert worden sei. „Sie versteht unter Diplomatie Waffenlieferungen“, kritisierte Hartenfels, das gelte jetzt sogar für Saudi Arabien – und mit der Sanktionspolitik „will sie Russland ruinieren“, behauptete er. Auch das Sondervermögen für die Bundeswehr kritisierte Hartenfels als Falsch, mit dem Geld könne man jede Kommune in Deutschland mit 250 Millionen Euro unterstützen. „Ich komme aus der Friedens- und Umweltbewegung“, betonte Hartenfels, eine solche Politik könne er nicht mittragen: „Ich bin froh, dass es eine Alternative gibt.“
Attacke gegen „Kulturkampf“ und „Cancel Culture“ der Grünen
Wagenknecht wiederum kann nach prominenten Sozialdemokraten wie dem früheren Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel, nun auch einen Ex-Grünen in ihrem Bündnis begrüßen, der zudem gleich ein Landtagsmandat mitbringt. „Das Bündnis, das noch nicht einmal eine Woche alt ist, ist jetzt auch im rheinland-pfälzischen Landtag vertreten“, freute sich Wagenknecht denn auch bei der Vorstellung: „Wir haben sehr schnell gemerkt, in wie vielen Punkten wir übereinstimmen.“ Konkret nannte sie vor allem die Friedenspolitik sowie die Kritik an den Corona-Maßnahmen: Es habe „eine Kampagne gegen die Ungeimpften“ gegeben, sagte Wagenknecht und forderte eine Aufarbeitung der Corona-Zeit.
„Die Grünen haben sich zu einer Partei gewandelt, die unser Land spaltet“, kritisierte sie. Die Grünen führten „einen Kulturkampf“ der Cancel Culture und zeichneten sich gleichzeitig durch „eine enorme Heuchelei hinter moralischer Aufgeblasenheit“ aus: „Sie sind Teil einer Ampel-Regierung, die mit ihrer Überheblichkeit, Unfähigkeit und Arroganz nicht nur die Landwirte auf die Straße bringen“, schimpfte die Parteigründerin weiter. Eine „Ampel“ gebe es aber nicht nur in Berlin, sondern auch in Mainz – und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) habe sich ja gerade hinter die Sparbeschlüsse zulasten der Landwirte gestellt.
Vor allem aber greift Wagenknecht mit Vorliebe die Genderpolitik der Grünen an, Deutschland brauche „eine offene Debatte, aber keine Cancel Culture“, schimpfte sie, „Meinungen, die sich nicht im Mainstream bewegen“, würden ausgegrenzt und stark unter Druck gesetzt. „Wir haben eine bedenkliche Art, mit Protesten umzugehen“, kritisierte Wagenknecht zudem, „da wird immer unterstellt, die seien unterwandert von rechts – in Wirklichkeit wehren sich nur ganz anständige Bürger.“ Und sie bekomme „gerade auch aus ländlichen Regionen viele Rückmeldungen von denen, die sich von der Politik im Stich gelassen fühlen.“
Das neue Bündnis sieht für sich deshalb auch durchaus Chancen, auch bei Wählern in Rheinland-Pfalz: 14 Prozent hätten bei bundesweiten Umfragen bereits angegeben, sich eine Wahl des BSW vorstellen zu können, betonte Ulrich – und verwies zudem auf einen PoliTrend des SWR im Herbst 2023: Damals hatten hatten 25 Prozent der Befragten angegeben, eine neue Sahra Wagenknecht-Partei „gut“, 7 Prozent sogar „sehr gut“ zu finden – 51 Prozent fanden die Neugründung allerdings weniger gut oder sogar schlecht. „Wir glauben“, betonte Ulrich zudem, „dass ein weiteres Erstarken der AfD von uns aufgehalten werden kann.“
Ob das Neue Bündnis auch zur Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz antritt, werde sich erst in den kommenden Wochen zeigen, sagte Ulrich weiter – man wolle einen langsamen Parteiaufbau und sich vor allem Neumitglieder erst genau ansehen. In einzelnen Kommunen werde man wahrscheinlich antreten können, Überlegungen gebe es derzeit etwa in Ludwigshafen, Frankenthal, Kaiserslautern, Neuwied oder Bad Kreuznach. Ob auch die Landeshauptstadt dabei sein werde, könne er noch nicht sagen, aber. „Wir haben Mainzer, die Interesse haben.“
Info& auf Mainz&: Was die Linke in Mainz zur Gründung des Bündnis Sahra Wagenknecht sagt, lest Ihr hier bei Mainz&. Alles zum jüngsten PoliTrend aus dem November 2023 lest Ihr hier bei Mainz&.