Mit einem eindringlichen Appell um Unterstützung des Ahrtals hat sich Bundespräsident Frank Walter Steinmeier am Sonntag an die Menschen in Deutschland gewandt: „Kommt zurück hierher an die Ahr“, sagte Steinmeier bei einem Besuch im Ahrtal. Der Bundespräsident ließ sogar sein Sommerinterview mit dem ZDF im Ahrtal stattfinden. Und er würdigte ausdrücklich den Einsatz der freiwilligen Helfer nach der Flutkatastrophe – und setzte sogar sein Autogramm auf eine Bank „Zusammenheld“. Der Frage nach einer Entschuldigung der Politik wich er indes aus – ebenso wie Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zuletzt in Interviews.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei seinem Besuch im Ahrtal kurz vor dem zweiten Jahrestag der Flutkatastrophe. - Screenshot: gik
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier bei seinem Besuch im Ahrtal kurz vor dem zweiten Jahrestag der Flutkatastrophe. – Screenshot: gik

Kommenden Freitag jährt sich die verheerende Flutkatastrophe im Ahrtal zum zweiten Mal, Bundespräsident Frank Walter Steinmeier war genau deshalb am Sonntag ins Ahrtal gereist. Es war der insgesamt vierte Besuch des Bundespräsidenten in der schwer gebeutelten Region, auch vor einem Jahr, genau am ersten Jahrestag der Flutkatastrophe, hatte der Bundespräsident das Tal besucht. Und immer wieder hatte Steinmeier den Menschen dort versprochen: „Wir vergessen Euch nicht.“ Das löste Steinmeier am Sonntag erneut ein: Der Bundespräsident wanderte trotz drückender Hitze über den Rotweinwanderweg oberhalb der Ahr, und er traf Vertreter von Kommunen ebenso wie Betroffene aus dem Ahrtal zum Gespräch.

„Ich finde, seit meinem letzten Besuch hier vor einem Jahr hat sich unheimlich viel getan“, sagte Steinmeier am Nachmittag in einem offiziellen Pressestatement, das wir hier nach einem Bericht des SWR zitieren. Inzwischen sei vieles wiederhergestellt worden an Wohnhäusern, Gastwirtschaften hätten wieder eröffnet und zum Teil auch Hotels. Steinmeier räumte auch ein, einige Hotels seien noch in der Wiederaufbau- und Renovierungsphase, „ich verstehe die Erschöpfung vieler“, betonte er ausdrücklich.

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Steinmeier: „Kommt wieder hierher an die Ahr!“

Dennoch sei er auch „beeindruckt von dem, was innerhalb dieser zwei Jahre wieder aufgebaut worden ist“, betonte Steinmeier – und zwar zu Beginn seines offiziellen Sommerinterviews mit dem ZDF. Steinmeier hatte ausdrücklich dieses renommierte Interview im Ahrtal stattfinden lassen – auch dies ein besonderes Zeichen des Bundespräsidenten. „Wir haben die Bilder und Nachrichten aus jener Nacht der Flut nicht vergessen, die vielen Toten, die zerstörten Häuser, das Maß der Zerstörung in jenen Tagen“, betonte Steinmeier denn auch direkt zu Beginn seines Interviews mit ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mit ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten im Sommerinterview, im Hintergrund die Reste der Winzergenossenschaft Mayschoß. - Screenshot: gik
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier mit ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten im Sommerinterview, im Hintergrund die Reste der Winzergenossenschaft Mayschoß. – Screenshot: gik

Schausten konfrontierte Steinmeier auch damit, dass es zwei Jahre nach der Flutkatastrophe auch viel Wut und Enttäuschung im Tal gebe, weil vieles eben doch sehr schleppend und langsam laufe. „Es war eine Jahrhundertflut, und deshalb darf nicht erstaunen, dass zwei Jahre nach der Flut Spuren noch sichtbar sind“, entgegnete Steinmeier – der direkt im Anschluss explizit den zahlreichen Helfern aus ganz Deutschland dankte, die so tatkräftig beim Beseitigen der Folgen der Flutkatastrophe geholfen hatten.

„Wir fahren hier durch Orte, in denen Dankeszeichen für Helfer aus allen Regionen unseres Landes aufgehängt sind“, betonte Steinmeier, und ergänzte, er könne diese Dankbarkeit nur teilen. „“Mut und Zuversicht sind gerechtfertigt“, unterstrich der Bundespräsident, und appellierte: „Deshalb ist meine Botschaft an alle außerhalb der Ahr: Kommt wieder hierher an die Ahr! Geht wandern an der Ahr, genießt den Wein und das gute Essen – damit helft Ihr den Menschen an der Ahr, und nicht nur der Gastronomie, dass die Dinge sich langsam weiter verbessern.“

Steinmeier weicht Frage nach einer Entschuldigung der Politik aus

Das Interview fand am Genuss-Bahnhof in Mayschoß statt, an einem Ort, der vor zwei Jahren von den Fluten der Ahr weitgehend zerstört worden war. Gerade in Mayschoß sind die Spuren der Katastrophe bis heute deutlich sichtbar, der „Genussbahnhof“ selbst wird erst in etwa einem Monat seine Wiedereröffnung feiern können. Gegenüber, auf der anderen Ahrseite, musste die Winzergenossenschaft Ahrweiler ihr traditionsreiches Haupthaus nach der Flutkatastrophe abreißen – die noch existierenden Teile der Winzergenossenschaft sind hinter Steinmeier und Schausten in der Ferne zu sehen.

Die zerstörte Winzergenossenschaft in Mayschoß mit ihrem historischen Haupthaus im Juli 2022. - Foto: gik
Die zerstörte Winzergenossenschaft in Mayschoß mit ihrem historischen Haupthaus im Juli 2022. – Foto: gik

Schausten wollte denn auch von Steinmeier wissen, ob es denn nicht wenigsten jetzt, zwei Jahren nach der Flut, endlich Zeit für eine Entschuldigung von Seiten der Politik wegen der Versäumnisse in der Flutnacht sei? Der Bundespräsident wich indes aus: „Ich weiß gar nicht, ob es dafür jetzt an der Zeit ist“, antwortete Steinmeier, der selbst SPD-Mitglied ist.

Er habe „selten so viel Empathie von Politikern der kommunalen wie der Landesebene erlebt, die ihre Trauer, ihre Betroffenheit geäußert haben, ihre Empathie – aber auch den, Willen, und darauf kommt es jetzt an, zu Lernen aus dieser Flutkatastrophe“, betonte er. Das Entscheidende sei doch jetzt, „der Kampf gegen den Klimawandel ist notwendig, wir schützen am Ende nicht nur das Klima, sondern uns selbst – und diese Botschaft ist hoffentlich verstanden“, sagte Steinmeier abschließend auf Schaustens Frage.

Meterhohe Flutwelle wälzte sich sechs Stunden lang durch das Ahrtal

Damit aber gibt es auch zwei Jahre nach der Flutkatastrophe noch immer keine Entschuldigung von offizieller Seite für das katastrophale Versagen der staatlichen Stellen in der Flutnacht – insbesondere beim Thema Warnung der Bevölkerung. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 zerstörten die Fluten auf 40 Kilometer Länge rund 9.000 Gebäude, mehrere Dutzend wurden komplett weggerissen – manche Häuser werden erst jetzt, zwei Jahre nach der Flut, abgerissen.

Die völlig zerstörte Umgebung rund um den Bahnhof von Mayschoß-Altenahr Ende Juli 2021. - Foto: gik
Die völlig zerstörte Umgebung rund um den Bahnhof von Mayschoß-Altenahr Ende Juli 2021. – Foto: gik

Schlimmer noch: Die Fluten rissen auch 136 Menschen mit sich in den Tod, erst vor wenigen Wochen war ein vermisster junger Mann von einem Gericht für tot erklärt worden, damit stieg die offizielle Zahl der Toten durch die Fluten im Ahrtal auf 135. Eine Person gilt weiter als vermisst – die gigantische Flutwelle forderte damit wohl 136 Opfer allein im Ahrtal. Das Problem dabei: Obwohl die sich aufbauende Flutwelle Stunden brauchte, um das gesamte Ahrtal zu durchströmen, gab es von offizieller Seite keine Warnungen an die unterhalb liegenden Gemeinden.

Bereits ab 19.00 Uhr hatte eine mehrere Meter hohe Flutwelle den Ort Schuld an der oberen Ahr verwüstet und binnen einer Stunde sechs Häuser komplett mitgerissen. Erst gegen 23.30 Uhr erreichte dieselbe Flutwelle dann aber Bad Neuenahr-Ahrweiler – allein hier starben 73 Menschen, viele davon im Schlaf, weil Warnungen und Evakuierungsaufforderungen viel zu spät und viel zu halbherzig kamen. Gegen 2.00 Uhr morgens starben noch 12 Menschen in einem Behindertenwohnheim in Sinzig, weil Informationen über die Höhe und Dynamik der Flutwelle hier nicht ankamen.

Dreyer: Kann nicht Verantwortung für Flutkatastrophe übernehmen“

Doch bis heute hat sich niemand von Seiten der Landesregierung für dieses Versagen entschuldigt, trotz nachdrücklicher Forderungen, gerade der Menschen aus dem Ahrtal. Innenminister Roger Lewentz (SPD) trat zwar im Oktober 2022 nach massivem Druck wegen seiner Aussagen zu den Flutnacht-Videos aus einem Polizeihubschrauber zurück – eine Entschuldigung hatte er für die Menschen im Ahrtal dabei aber nicht. Auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) lehnte in Interviews, die sie in den vergangenen Tagen zum zweiten Jahrestag der Katastrophe gab, eine Entschuldigung weiter ab.

Hotel in Altenahr sechs Tage nach der Flutkatastrophe im Juli 2021. - Foto: gik
Hotel in Altenahr sechs Tage nach der Flutkatastrophe im Juli 2021. – Foto: gik

„Es tut mir in der Seele weh, dass unser schönes Bundesland so hart getroffen wurde“, sagte Dreyer im Interview mit der Rhein-Zeitung, aber sie könne „das Leid nicht kleiner machen.“ Sie könne als Ministerpräsidentin für vieles Verantwortung übernehmen, „für eine Flutkatastrophe kann ich das nicht“, wehrte Dreyer ab. Die Flut im Ahrtal sei „eine wahnsinnig schlimme, eine extreme Zäsur in der Geschichte unseres Bundeslandes“ gewesen, „ich fühle mit den Menschen, es tut mir wahnsinnig leid“, sagte Dreyer. Eine Entschuldigung für die Versäumnisse der Landesregierung und das Handeln von Ministern sowie von untergeordneten Behörden verweigerte die Ministerpräsidentin damit erneut.

Sie könne den Menschen im Ahrtal „nur immer wieder versichern, wie sehr ich mit ihnen fühle, und dass ich zusammen mit meiner Regierung alles dafür tue, dass wir für künftige Naturkatastrophen besser geschützt sind, und dass wir zusammen mit ihnen das wundervolle Ahrtal nachhaltig wiederaufbauen: sicher, modern und lebenswert“, sagte Dreyer der Zeitung weiter. Zugleich betonte sie, was das Land „wirklich total verändern muss“, das sei die Kommunikation aller beteiligten Akteure in einer solchen Krise.

Bundespräsident Steinmeier signiert Bank „Zusammenheld“

Deshalb sei das geplante neue Landesamt für Katastrophenschutz so wichtig, das ein eigenes Lagezentrum bekommen soll, das rund um die Uhr und an allen Tagen besetzt ist, und einen Gesamtüberblick über die jeweils aktuelle Lage hat. Bereits jetzt habe das Innenministerium das polizeiliche Lagezentrum so ausgebaut, dass bei besonderen Lagen auch Bevölkerungsschützer und Expertinnen und Experten hinzugezogen würden, betonte Dreyer weiter. Im Moment liefen für das neue Landesamt die Stellenausschreibungen, das neue Amt solle im Januar 2025 in Koblenz startbereit sein.

Bundespräsident Frank Walter Steinmeier traf bei seiner Tour durchs Ahrtal am Sonntag auch Fluthelfer und Betroffene. - Foto: Hartmann
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier traf bei seiner Tour durchs Ahrtal am Sonntag auch Fluthelfer und Betroffene. – Foto: Hartmann

Der Bundespräsident traf indes im Ahrtal nicht nur Betroffene – sondern auch Helfer: Bei einem kurzen Stopp setzte Steinmeier sogar seine Signatur auf eine „Zusammenheld“-Bank. „Es war ein tolles Wiedersehen“, sagte Fluthelfer Wilhelm Hartmann danach gegenüber der Internetzeitung Mainz& – Hartmann und sein Kollege Markus Wipperfürth hatten Steinmeier im Oktober 2021 im Ahrtal getroffen, als es um Entschädigungszahlungen für Fluthelfer ging.

Die „Zusammenheld“-Bänke seien im Spätsommer 2021 entstanden, nach einer Idee des Schreiner Roman Käss, berichtete Hartmann weiter – die erste Bank sei damals für 3.000 Euro versteigert worden, der Erlös Flutbetroffenen zugute gekommen. Inzwischen ständen etwa zehn solcher Bänke im ganzen Ahrtal an verschiedenen Stellen. Die Aufschrift stamme von Wipperfürth, der mit dem Begriff „Zusammenheld“ die unzähligen freiwilligen Helfer getauft hatte, die aus allen Teilen Deutschlands ins Ahrtal strömten.

Bank "Zusammenheld" mit Unterschrift von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. - Foto: Hartmann
Bank „Zusammenheld“ mit Unterschrift von Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. – Foto: Hartmann

Auch die jetzt von Steinmeier signierte Bank werde zugunsten von Projekten im Ahrtal versteigert, versicherte Hartmann weiter – der Bundespräsident sei sofort von der Idee begeistert gewesen. „Er hat gesagt, das sei ein tolles Symbol“, berichtete Hartmann weiter, „die passt so gut ins Ahrtal.“ Und auch eine weitere Besucherin nahm auf der Bank gemeinsam mit Helfern Platz: Ministerpräsidentin Dreyer. Was die Ministerpräsidentin dabei sagte, ist leider nicht überliefert.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Besuch des Bundespräsidenten vor einem Jahr im Ahrtal, im Juli 2022, könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen. Mehr zum Thema „Entschuldigung fürs Ahrtal“ gibt es hier.