Im Dezember 2021 legte er sein Erinnerungsbuch „Es war doch nur Regen?!“ vor – und sprach Tausenden Menschen im Ahrtal aus der Seele mit seiner Schilderung der Flutnacht am 14. und 15. Juli 2021. Das Buch wurde zum Überraschungserfolg und Bestseller, nun legt Neumann nach: Zum Jahrestag der Flutkatastrophe erscheint eine „Denkschrift“ mit dem Namen „Vergiss mal nicht!“, darin widmet sich Neumann dem Thema Katastrophenschutz. Und er fordert: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sollte sich bei den Menschen im Tal entschuldigen – für miserables Katastrophenmanagement.

Andy Neumann am Samstag in der SWR-Sendung. - Foto: gik
Andy Neumann am Samstag in der SWR-Sendung. – Foto: gik

Es war vergangenen Samstag auf dem Marktplatz in Ahrweiler, der SWR hatte eine Livesendung zum Thema Helfer im Ahrtal aufgeboten, da wurde Andy Neumann auf der Bühne nach seinem Wunsch fürs Ahrtal gefragt. Neumann ist inzwischen eines der bekannten Gesichter im Ahrtal, der Grund: Ein 150 Seiten dünnes Büchlein mit dem Titel „Es war doch nur Regen!?“ In dem Buch verarbeitet Neumann seine Erlebnisse der Flutnacht im Ahrtal, er beschreibt wie sein Haus – 200, 300 Meter von der Ahr entfernt – erst langsam, dann mit gewaltiger Wucht von den braunen Fluten der Ahr vereinnahmt wird.

Es ist die Nacht, in der Neumann das erste Mal ins einem Leben Todesangst hat, und das ist er nicht gewöhnt: Neumann arbeitet für das Bundeskriminalamt (BKA) in Meckenheim bei Bonn, und er kennt sich aus mit Krisen und Katastrophen – Neumann ist in einer Führungsfunktion für die Terrorbekämpfung im BKA zuständig. Was er erlebt in jener Nacht und in den Tagen und Wochen danach, das beschreibt er persönlich, ironisch und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen in seinem Buch – und spricht damit den Menschen im Ahrtal aus der Seele.

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„Es war doch nur Regen?“ wird zum Bestseller, nun legt Neumann eine Art Fortsetzung vor: „Vergiss mal nicht“ erscheint genau zum Jahrestag der Flutkatastrophe am 14. Juli – eine echte Fortsetzung des ersten Buches will es aber nicht sein. Denn Neumann bricht mit der Erzählweise des ersten Bandes, wer die Fortsetzung der persönlichen Geschichte der Familie Neumann erwartet, wird enttäuscht. Dabei waren es gerade die subjektiven Erinnerungen und Erlebnisse der Flutnacht, das Ringen um die Beseitigung von Schlamm und Feuchtigkeit in den Tagen danach, das die Leser so faszinierte und die Erlebnisse im Ahrtal greifbar machte.

Aus Ausbruch wurde Wut, Ernüchterung, Enttäuschung

Haus in Dernau im Juli 2022 - ein Jahr nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Haus in Dernau im Juli 2022 – ein Jahr nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Doch Neumann entscheidet sich anders: Hatte sein erstes Buch noch mit einem positiven Unterton geendet, so ist ein Jahr danach nur noch wenig davon übrig. Aus dem Aufbruch, dem „Wir schaffen das“ im Ahrtal, der Hoffnung auf eine schnelle Wiederauferstehung ist Ernüchterung, ja vielfach auch Wut geworden. Viele Betroffenen im Ahrtal stehen ein Jahr nach der Flut mit leeren Händen da – buchstäblich: Vielleicht 10-15 Prozent der rund 9.000 beschädigten Häuser sind wiederhergestellt, etwa 90 Prozent aber weiter Ruinen mit leeren Räumen und verbretterten Fenstern.

Die Neumanns gehören zu den maximal 10 Prozent der Geschädigten wo es vergleichsweise gut lief: Eine Versicherung, die zahlte, und das auch noch schnell, Hilfe, die ankam – seit Februar wohnt die Familie bereits wieder in ihrem alten Haus. Und auch wenn vieles noch immer weit von „normal“ und „früher entfernt ist – Neumann weiß, wie viel Glück sie gehabt haben.

 

Und so konzentriert er seine „Denkschrift“ viel mehr auf den Appell: „Vergiss mal nicht!“ Er analysiert das Versagen des Katastrophenschutzes und fordert Konsequenzen daraus: Katastrophe sei in Deutschland „Kreisliga“ und werde in die Hände von Ehrenamtlern gelegt, die eine solche Großkatastrophe gar nicht managen könnten – anstatt Profis und Experten damit zu beauftragen.

Katastrophenschutz als „Kreisliga“

Das neue Buch von Andy Neumann: "Vergiss mal nicht!"
Das neue Buch von Andy Neumann: „Vergiss mal nicht!“

„Dieses Buch besteht nur zu einem kleineren Teil aus dem, was meiner Familie und mir widerfahren ist, nachdem der 14.08.2021, und damit der letzte Tag in ‚Es war doch nur Regen!?‘ vorbei war“, schreibt Neumann zu Beginn des neuen Buches. Ihm gehe es nun vor allem um die Themen, „die nicht nur mich, sondern teils auch unser Tal seither bewegt haben. Die manche oder viele hätten bewegen sollen.“

Vor einem Jahr hatte Neumann im Interview mit Mainz& dafür genau ein Wort: Staatsversagen. In dem neuen Buch breitet er nun seine Analyse zum Thema Katastrophenschutz und Warnung der Bevölkerung aus, gespeist aus seiner beruflichen Expertise, und gerichtet mit dem Blick auf das Versagen von Behörden und Katastrophenschutz in der Flutnacht im Ahrtal – und danach.

 

Doch Neumann findet eben auch Worte für die Stimmung im Ahrtal, die jetzt, ein Jahr nach der Flut, so viele umtreibt: „Richtig »gut« geht es mir nicht. (…) Richtig »gut« geht’s hier niemandem!“, schreibt Neumann: „Warten. Enttäuschung. Abstumpfen.“ Ein Großteil des Tals warte seit einem Jahr: „auf Versicherungen, auf den Staat, auf Handwerker, auf letzte Möbel, auf schöneres Wetter, auf Dinge, über die wir uns freuen können“, zählt Neumann auf. Damit einher gehe die Enttäuschung, das Abstumpfen und die große, große Müdigkeit.

Andy Neumann vergangenen Samstag in Ahrweiler beim Mainz&-Interview. - Foto: gik
Andy Neumann vergangenen Samstag in Ahrweiler beim Mainz&-Interview. – Foto: gik

Neumann beschreibt das Schwanken der Seele, die Achterbahnfahrt zwischen ersten Erfolgen und der totalen Erschöpfung nach einem Jahr Krise und Katstrophe und Ringen um den Neuanfang. „Wir alle haben Hilfe nötig, mal mehr, mal weniger, und sie ist wichtig“, schreibt Neumann: „Dieser grässlichste aller Winter darf nicht gewinnen, das steht mal fest.“ Und er beschreibt, wie die Emotionen im Ahrtal in diesem Frühjahr hochkochten, wie Worte zu Waffen wurden und plötzlich Helfer angegriffen wurden (und werden), die seit der ersten Stunde vor Ort anpackten, ja: das Tal retten halfen. Und die dennoch jetzt zur Zielscheibe werden frustrierter Emotionen.

„Die Menschen hier im Tal verdienen eine Entschuldigung“

Und die brechen sich nun an diesem Samstag, auf dem Marktplatz in Ahrweiler Bahn: „Wenn ich einen Wunsch hätte“, sagte Neumann auf die Frage der Moderatorin hin, dann sei es dieser: „Die Menschen hier im Tal verdienen seit fast einem Jahr eine Entschuldigung. Eine Entschuldigung für miserable Katastrophenvorsorge, für katastrophales Einsatzmanagement und für die mindestens mal sehr suboptimale administrative Abwicklung der Folgen der Flut für die Menschen hier im Tal. Dafür verdienen die Menschen hier eine Entschuldigung.“

Neumann bekommt für seinen Wunsch spontan rauschenden Applaus von den Menschen auf dem Marktplatz, viele rufen Bravo, auch als Neumann Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) persönlich auffordert: „Ich würde mir wünschen, dass die Ministerpräsidentin ihre Anwesenheit zum Jahrestag dafür verwenden würde, sich ein für alle mal bei den Menschen zu entschuldigen – und dann gucken wir alle nach vorne.“

Mainz&-Interview: „Dreyer müsste sagen: Ahrtal – es tut mir leid.“

Mainz& hat Neumann direkt nach seinem Auftritt zu den Gründen und zu seinem neuen Buch befragt:

Andy Neumann vor einem Jahr. - Foto: Axel Hausberg
Andy Neumann vor einem Jahr. – Foto: Axel Hausberg

Mainz&: Andy – warum der Wunsch nach einer Entschuldigung?

Neumann: Man hat es ja gemerkt: das ist genau das, was das Tal möchte. Natürlich bringt eine Entschuldigung erst einmal direkt nichts. Aber ganz ehrlich: Was wäre das für eine große Geste –wenn sich die Ministerpräsidentin einfach mal hinstellte und sagte: Ihr Menschen im Ahrtal – es stimmt. Wir haben es verbockt. Es tut mir leid. Und jetzt lasst uns zusammen nach vorne gucken.

Mainz&: Wofür sollte sich Frau Dreyer aus Eurer Sicht entschuldigen müssen?

Neumann: Für eine miserable Katastrophenvorsorge im Land Rheinland-Pfalz, die uns den Ärger in guten Teilen eingebrockt hat. Und zweitens für katastrophales Einsatzmanagement im Nachgang der Flut, denn es war katastrophal – und das hat jeder gesagt, auch im Deutschen Bundestag vergangene Woche. Und für dafür, dass die administrative Aufarbeitung so unglaublich schleppend läuft. Und das ist doch nun wirklich ein Grund für die Frau, deren Bundesland es ist, sich mal hinzustellen und zu sagen: Ahrtal – es tut mir leid.

 

Mainz&: Gibt es Bitterkeit im Tal?

Neumann: Natürlich gibt es Bitterkeit im Tal. Es gibt hier die ganze Palette von Emotionen: es gibt Leute, die fühlen sich komplett allein gelassen – und sind es auch. Die kämpfen um ihre Existenz, und haben Wut und Groll und Bitterkeit in sich, und völlig zu Recht. Und es gibt Leute wie mich, die sagen: Ich habe es geschafft. Und die jetzt versuchen, alle anderen, das Tal mit nach oben zu ziehen.

Das erste Buch von Andy Neumann wurde ein Bestseller. - Foto: gik
Das erste Buch von Andy Neumann wurde ein Bestseller. – Foto: gik

Mainz&: Womit wir bei deiner „Denkschrift“ wären… warum ein zweites Buch?

Naumann: Naja, eigentlich wollte ich es nicht schreiben, aber mich haben dann verschiedene Prozesse dazu bewegt. Ich wollte keine Fortsetzung schreiben und meine Familie wieder in den Vordergrund stellen. Also dachte ich: Ich versuche zu mischen. Die Antwort, wie es bei uns weiterging, noch mitzugeben, aber vor allem die Themen in den Vordergrund zu rücken, die nach der Flut in den Vordergrund gerückt sind – oder gerückt sein müssten. Also die Themen, aus denen wir Lehren ziehen müssten.

Mainz&: Zum Beispiel? Was läuft denn aktuell schief?

Neumann: Na, da ist zum einen die katastrophale Fehlentscheidung gewesen, die ISB zur Abwicklung der Flutentschädigungen zu nehmen, anstatt die KfW zu fragen, die 20 mal mehr Mitarbeiter gehabt hätte. Und dann: Die komplette Administration scheitert doch an den ganzen Prozessen“ Das fängt bei der Infrastruktur an, wo man zahlreiche Dinge parallel projektieren müsste, wofür aber gar nicht die Kräfte da sind. Und anstatt, dass man sie sich von irgendwoher besorgt, sie ausleiht oder abordnet aus anderen Bundesländern, dass man als Bundesland einfach mal um Hilfe bittet und sagt: Wir schaffen es nicht allein. Anstatt dass man mal Kräfte bündelt…

Mainz&: Und Deine Idee ist jetzt aufzurütteln?

Neumann: Klar: „Vergiss mal nicht!“ – der Titel ist ja Programm. Der Title handelt ja nicht primär davon, dass man das Ahrtal nicht vergessen soll. Bei mir drückt der Titel aus, dass die man diese Themen, über die ich da schreibe, nicht vergessen soll – dass man Lehren daraus ziehen soll. Politische Verantwortung, Aufarbeitung, Katastrophenschutz – dass man diese Sachen eben „mal nicht vergisst.“

Info& auf Mainz&: Das neue Buch von Andy Neumann erscheint unter dem Titel „Vergiss mal nicht!“ genau am 14. Juli 2022 im Gmeiner Verlag und kostet 10,- Euro. Bestellen könnt Ihr dann sicher auch hier beim Gmeiner Verlag im Internet. Unseren Bericht über das erste Buch, „Es ward doch nur Regen!?“, findet Ihr hier auf Mainz&:

“Es war doch nur Regen!?” – BKA-Beamter Andy Neumann schreibt Buch über die Flutkatastrophe im Ahrtal