Auch zwei Wochen nach der verheerenden Flutkatastrophe an der Ahr ist das Leben der Menschen in vielen Teilen des Tals weiter im kompletten Ausnahmezustand. Vor allem im mittleren Teil des Tals kommt die Hilfe jetzt erst so langsam an, manche Orte waren hier zum Teil zehn Tage lang von der Außenwelt abgeschnitten. Strom, fließendes Wasser, geordnete Straßen oder gar ein ansatzweise normales Leben – all das sind hier noch Fremdworte. Und genau hierhin, nach Kreuzberg und Altenahr brachte Mainz& am Mittwoch die ersten 150 von insgesamt 400 Powerbanks – es waren hochwillkommene Hilfsmittel zur Wiederherstellung wenigstens einer rudimentären Kommunikation.

Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der mittleren Ahr, zwei Wochen nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der mittleren Ahr, zwei Wochen nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

„Die Welt hat uns vergessen“, sagt eine Frau in Kreuzberg, wir stehen in einem kleinen Hinterhof eines Hauses oberhalb des Ortskerns. Zwei Wochen ist es jetzt her, dass die verheerende Flutwelle durch das Ahrtal tobte, Häuser mitriss, Autos, Menschenleben. Doch während schon kurz nach dem Tsunami in Orten wie Ahrweiler die Hilfe tatkräftig und mit schwerem Gerät anrollte, blieben Orte wie Mayschoß oder Altenahr tagelang in der Schockstarre. Die verheerende Flut hatte Schienen, Straßen und mehr als 60 Brücken im Tal mit sich gerissen, mancher Ort war tagelang von der Außenwelt abgeschlossen.

In Kreuzberg türmen sich die Trümmer entlang des Flußufers, die Straßen sind noch immer schlammbedeckt, überall liegen Trümmer und Schutt im Ort, entlang der Straßen. Auch hier schaffen Bagger emsig die Trümmer beiseite, auch hier befördern freiwillige Helfer in langen Eimerketten den stinkenden Schlamm aus Häusern und Kellern – doch es sind deutlich weniger als an der unteren Ahr. Zerstörte Gleise, aufgerissene Straßen, es sieht aus wie in einem Kriegsgebiet. Immerhin: Die Brücke über die Ahr hat hier den Fluten Stand gehalten, die Polizei regelt den Baustellenverkehr, leitete freundlich Hilfe bei der Orientierung – und Orientierung tut Not: Die Infrastruktur des Ortes ist komplett zerstört.

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Versorgungsstation in Kreuzberg. - Foto: gik
Versorgungsstation in Kreuzberg. – Foto: gik

Oberhalb des Ortszentrums, in einem engen Hinterhof, ist eine Versorgungsstation entstanden. Getränkeflaschen stapeln sich vor dem Eingang, am Grill werden Bratwürste gebrutzelt, weiter hinten gibt es Obst, Essensvorräte, Hygieneartikel in Hülle und Fülle. Doch die Idylle trügt: Über allem liegt ein ekliger Ölgeruch, ein feucht-modriger Gestank, der aus den Kellern und Häusern dringt. „Oh, Händewaschen mit echter Seife“, sagte eine Bewohnerin strahlend: „Was für ein Luxus!“

Seit 14 Tagen sind sie hier von der Zivilisation abgeschnitten, im Ort nähmen Durchfallerkrankungen zu, „die Ratten laufen uns über die Füße“, sagte eine Frau. Was draußen in der Welt passiert – sie haben keine Ahnung und eigentlich auch keine Kraft, sich darum zu kümmern. Doch als wir mit unseren Powerbanks um die Ecke biegen, ist die Freude riesig: „Oh, meine Kinder werden sich so freuen“, sagt eine Frau, ein anderer fragt höflich, ob er auch eine haben dürfe. Kontakt halten mit Verwandten, Informationen aus dem Internet abrufen, mit Versicherungen und Behörden telefonieren, all das ist jetzt so dringend nötig, all das ist so unglaublich schwer, vor allem, wenn es keinen Strom gibt.

Bewohnerin in Kreuzberg an der mittleren Ahr mit einer gespendeten Powerbank. - Foto: gik
Bewohnerin in Kreuzberg an der mittleren Ahr mit einer gespendeten Powerbank. – Foto: gik

400 Powerbanken hat die Firma Zippo aus Düsseldorf vergangene Woche auf die Reise nach Mainz geschickt, um den Menschen im Ahrtal unter die Arme greifen zu können. Am 16. Juli hatte Mainz& einen Aufruf im Internet gestartet: Unter dem Motto „Power für die Ahr“ sammelten wir Energie-Spenden, um den Menschen im Ahrtal ein bisschen unter die Arme zu greifen. 40 Powerbanks spendete prompt das Deutsche Weininstitut, noch einmal 20 Powerbanken sowie 20 Super-Energiespender kamen von der Sparkasse Mainz, dazu 40 LED-Campinglampen.

Die erste Lieferung ging bereits in der Woche darauf an Landwirte, Helfer und Bewohner in zerstörten Häusern mitten im Ahrtal, die Campinglampen kamen unter anderem in finsteren Weinkellern in Dernau zum Einsatz, wo die Flutwelle fast den ganzen Ort überflutete. Am 20. Juli dann der Anruf aus Düsseldorf: 400 Powerbanken wolle man für die Menschen an der Ahr spenden, teilte die Firma Zippo mit – ein Hammer. Die Zustellung wurde zur Odyssee: Drei Tage lang jagte Mainz& den Transport mit den Powerbanken, weil ein Subunternehmen es nicht schaffte, den Kontakt herzustellen – am Ende sorgten hoch engagierte Mitarbeiter der Logistikfirma Yusen dafür, dass die Lieferung noch rechtzeitig in Mainz eintraf – und das, ohne irgendwelche Kosten zu berechnen.

Helferin in Altenahr mit Powerbanks. - Foto: gik
Helferin in Altenahr mit Powerbanks. – Foto: gik

Am Mittwoch dann konnte wir die erste Tranche von 150 Powerbanken ins Ahrtal bringen, nach wie vor ein mühsames Unterfangen. Es gibt keine Ansprechpartner, die man einfach im Vorfeld anfragen kann, rund um das Ahrtal existieren zwar riesige Lager bis zum Rand voll mit Hilfsgütern – doch die Menschen im Ahrtal haben gar keine Chance, dorthin zu kommen. Viele haben nicht nur Haus und Habe, sondern auch ihre Autos verloren. „Aus dem Tal heraus zum Einkaufen zu fahren, das ist viel zu mühsame“, sagt Silke.

Silke ist Krankenschwester, gemeinsam mit vielen anderen tatkräftigen Helfern organisiert sie nun die Versorgung der Bewohner in Altenahr, einem der lange abgeschnittenen Orte. Die Kirche im Ort liegt etwas oberhalb am Hang und bliebt von der Flut deshalb verschont, hier ist das neue Versorgungszentrum, entstanden. In der Kirche türmen sich Kleidungsstapel so weit das Auge reicht: Kinderkleidung, Damenklamotten, Herrenhosen, Jacken, Stiefel, Windeln, alles ist fein säuberlich nach Größen sortiert – ein ganzes Kirchenschiff voll. Nebenan in einer Scheune stapeln sich Konserven und Obst, Nudeln, Tütensuppen, Zahnpasta, Shampoo – ihren Supermarkt nennen sie es hier.

Klamottenshop in der Kirche: Versorgungszentrum in Altenahr. - Foto: gik
Klamottenshop in der Kirche: Versorgungszentrum in Altenahr. – Foto: gik

Wer etwas braucht, kommt und wird bedient, das Organisationskomitee tagt nebenan in einer Garageneinfahrt, auf dem Nachbargrundstück sind fein säuberlich Gummistiefel, Arbeitshandschuhe, Schaufeln und Zubehör sortiert. Auch hier wissen sie um die wachsende Seuchengefahr, Silke, die Krankenschwester berichtet, wie sie umgehend Tetanusspritzen besorgte, sobald Altenahr wieder erreichbar war. Nebenan der Kindergarten blieb ebenfalls von der Flut verschont, die Gemeinde habe sich trotzdem geweigert, ihn wieder zu öffnen – „der Pfarrer hat es auf seine Kappe genommen“, berichtet Silke. Jetzt findet jeden Tag ein paar Stunden hier wieder Kinderbetreuung statt, damit die Eltern sich um ihre Häuser, ihr Überleben, ihre Existenzen kümmern können.

Unten an der Ahr sieht es noch immer aus, wie in einem Trümmerfeld. Das Hotel zur Post besaß einst einen stolzen Wintergarten zur Ahr, ein Hallenbad und eine wunderschöne Aussicht, jetzt gähnt hier nur noch eine zerstörte Ruine, vor der Tür riefe Krater im Boden. Gegenüber der Bahnhof Altenahr ist umgeben von einer verwüsteten Schutthalde, nebenan hängen aus dem Hotel Central Baumstämme und Trümmer. Von einem Gebäude einige Schritte weiter Ahrabwärts ist nur noch das Dach auf einem Trümmerhaufen zu sehen, gegenüber auf dem anderen Ahr-Ufer die Hotels und Restaurants – zerstörte, leere Geisterruinen. „Wir heben noch jeden Tag Betonplatten hoch, und finden darunter Leichen“, sagt Silke, sie sagt es ganz sachlich.

Zerstörtes Hotel Central in Altenahr. - Foto: gik
Zerstörtes Hotel Central in Altenahr. – Foto: gik

Ein kleiner Trupp junger Leute, bewaffnet mit Schaufeln und Schubkarren, bleibt vor einem Weinkeller stehen. „Hier war noch niemand drin“, sagt einer, und linst in den schlammverkrusteten Eingang und in die schwarze, stinkende Tiefe, die einmal ein Keller war. Aus Cochem kommen sie, von der Mosel, sie waren die ersten, sie mit den Autos im Ort standen und anpackten. Ein Sportverein seien sie, berichten die jungen Männer, und dass sie seit Tagen immer wieder zum helfen ins Ahrtal führen. Dabei standen in Cochem selbst um den 14. Juli herum die Keller unter Wasser, weil auch die Mosel über die Ufer trat. „Pfft“, sagt einer, „das war ja gar nichts. Da räumt man halt den Keller aus und macht hinterher sauber – das hier, das ist einfach eine völlig andere Dimension.“

Trümmerfeld rund um den Bahnhof Altenahr. - Foto: gik
Trümmerfeld rund um den Bahnhof Altenahr. – Foto: gik

Auf die Politik sind sie hier nicht gut zu sprechen, denn von „dem Staat“ als Helfer oder Retter haben sie nicht viel gesehen. 8000 Menschen habe bereits im Ahrtal allein Anträge auf die Soforthilfe von 1.500 bis 3.000 Euro – je nach Haushaltsgröße – gestellt. Wer die Zerstörungen hier sieht weiß: Es ist nicht einmal ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wie es hier weiter gehen soll – die meisten wissen es nicht. „Von der Politik erwarte ich gar nichts mehr“, sagt eine Frau.

Und doch kommen die Aufräumarbeiten im Ahrtal massiv voran – zu verdanken ist das vor allem den Landwirten, Bauunternehmern und Landschaftsbauern, die seit 14 Tagen mit Baggern, Traktoren und richtig schwerem Gerät vor Ort anpacken. Auch die Bundeswehr räumte mit Panzern und schweren Fahrzeugen, ihre Pionierbatallione bauten in kürzester Zeit Behelfsbrücken über die Ahr. Im berühmt gewordenen Dorf Schuld an der oberen Ahr sind die Trümmerfelder bereits zum Großteil beseitigt, der Ort ist bereits wieder über die gereinigte Straße gut erreichbar. Im Versorgungszentrum oberhalb winken sie ab – bloß keine Sachspenden mehr. „Wir waren so viel in der presse, wir haben hier alles“, sagt der zuständige Organisator.

Pioniere der Bundeswehr auf Norddeutschland mit gespendeten Powerbanks in Schuld an der Ahr. - Foto: gik
Pioniere der Bundeswehr auf Norddeutschland mit gespendeten Powerbanks in Schuld an der Ahr. – Foto: gik

Doch die Helfer vor der Tür von den Maltesern, dem Roten kreuz, dem THW, sie bekommen beim Anblick der Powerbanken große Augen. Seit Tagen helfen sie im Tal, kochen warmes Essen, sorgen für die medizinische Erstversorgung – auch sie sind froh um ein bisschen Strom, um Kontakt halten zu können. Und dann stehen zwei Bundeswehr-Pioniere auf einmal neben dem Auto und fragen sehr höflich, ob denn noch ein paar Powerbanken übrig seien. „Die Jungs“, sagt der junge Mann von der Sanitätseinheit, „würden sich wegfreuen.“

Es wird lange dauern, bis hier im Ahrtal auch nur ansatzweise so etwas wie normales leben zurückkehren kann, die Wiederherstellung des Tals noch viel länger. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sagte am Freitag, nach dem Oder-Hochwasser 2002 habe der Bund einen Wiederaufbaufonds von acht Milliarden Euro aufgelegt. „Das wird nach unserer Einschätzung jetzt nicht ausreichen“, fügte Dreyer hinzu.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Flutkatastrophe an der Ahr könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen, mehr zu unserer Spendenaktion „Power(banks) für die Ahr“ findet Ihr hier bei Mainz&.

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