Der Spargel sprießt, die Erdbeeren reifen – doch wer wird demnächst die Früchte der Felder ernten? Vergangenen Mittwoch schockte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Landwirte mit einem kompletten Einreisestopp für Erntehelfer aus Ländern wie Bulgarien und Rumänien – doch ausgerechnet von dort kommt inzwischen ein Großteil der Erntehelfern auf unseren Feldern. Nun bangen Spargelbauern und Winzer um Ernte und Weinbergspflege – doch Hilfe ist in Sicht: Die Landwirte werden von Bewerbungen geradezu überschwemmt. Ob das wirklich den Ausfall der Fachkräfte kompensieren kann, ist indes unklar.

Wer sticht in den nächsten Wochen unseren Spargel? - Die Landwirte suchen Erntehelfer in der Coronakrise. - Foto: gik
Wer sticht in den nächsten Wochen unseren Spargel? – Die Landwirte suchen Erntehelfer in der Coronakrise. – Foto: gik

„Bitte senden Sie uns keine Bewerbung mehr zu, wir haben ausreichend Arbeitskräfte gefunden“, fleht der Anrufbeantworter beim Spargelhof Stauder in Mainz. „Seit das Problem in der Presse stand, flattern uns täglich 10 bis 15 Bewerbungen ins Haus, einfach so, per Email“, erzählt Chefin Sandra Stauder am Telefon. 20 Bewerber hat sie bereits ausgewählt, es seien Studenten und Schüler, Leute die ihren Job verloren haben, Kurzarbeiter, Gastronome und freigestellte Azubis. Es ist eine Situation vor der gerade viele Landwirte stehen: Es herrscht Alarm auf den Äckern, denn wer demnächst die Früchte auf den Feldern erntet, ist völlig unklar.

„Normalerweise haben wir so um die 70 Saisonarbeitskräfte da, momentan haben wir drei“, berichtet Spargelbauer Torsten Simmet aus dem rheinhessischen Oberflörsheim: „Ich bin richtig in einer Notlage.“ Am Mittwoch schockte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) die Branche mit einem Einreisestopp für Erntehelfer aus Osteuropa, die Regelung gilt für Einreisen aus Drittstaaten, aus Großbritannien sowie aus EU-Staaten, „die den Schengen-Besitzstand nicht voll anwenden“, wie es auf der Homepage des Ministeriums heißt – dazu gehören unter anderem Bulgarien und Rumänien, aber auch solche Staaten, zu denen Binnengrenzkontrollen vorübergehend wiedereingeführt wurden. „Im Moment trifft es am meisten die Spargelbauern in der Vorderpfalz“, berichtet Andreas Köhr vom Bauern- und Winzerverband Rheinland-Pfalz Süd, „aber auch alle Gemüsebetriebe, die jetzt mit dem Pflanzen beginnen wollen.“

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Salate, Kohlrabi und Zucchini müssten jetzt auf den Feldern gepflanzt werden, in der Vorderpfalz sprießt der Spargel, ab Ende Mai geht es mit der Erdbeerernte los. Knapp 43.000 Saisonarbeitskräfte werden in Rheinland-Pfalz in einem Jahr benötigt, sagt Köhr. Nach aktuellem Stand seien von den jetzt gerade benötigten Personen aber „nur ein Bruchteil da – deutlich weniger als die Hälfte“, schätzt er. Der Einreisestopp für Saisonarbeitskräfte sei „nicht nachvollziehbar“, schimpfte deshalb Bauernpräsident Eberhard Hartelt vergangene Woche: Gerade erst habe die Bundesregierung die Landwirtschaft als „systemrelevante Infrastruktur“ anerkannt, einen Tag später würden den Betrieben die notwendigen Arbeitskräfte verweigert. Die Betriebe rechneten mit massiven Umsatzeinbrüchen, auch könne es Probleme bei der Versorgung mit Obst und Gemüse geben.

Wer bindet die Reben in den Weinbergen in diesem Frühjahr? Auch diese Erntehelfer fehlen zurzeit. Hier Andreas Schumann vom Weingut Odinsthal in der Pfalz. - Foto: gik
Wer bindet die Reben in den Weinbergen in diesem Frühjahr? Auch diese Erntehelfer fehlen zurzeit. Hier Andreas Schumann vom Weingut Odinsthal in der Pfalz. – Foto: gik

Bei den Winzern herrscht momentan noch relative Ruhe in den Weinbergen, doch auch hier wächst die Sorge: „Mitte Mai geht’s bei uns mit dem Heften und Binden los“, sagt der Mainzer Winzer Stefan Fleischer, „es gibt Betriebe, denen die Leute komplett weggelaufen sind.“ Auch von seinen derzeit sechs Arbeitern seien zwei nachhause nach Polen gefahren, ob die zurückkommen – Fleischer weiß es nicht.

„Ab Ostern droht eine Lücke“, warnt auch Herbert Netter vom Bauern- und Winzerverband Nord: „Im April bräuchten wir 2.400 Arbeitskräfte, im Mai werden 6.000 benötigt – da geht die Erdbeerernte los und die Pflege der Weinberge.“ Die polnische Grenze sei zwar noch offen, doch Polen machten nur etwa die Hälfte der Arbeitskräfte im Norden des Landes aus. Von den 22.000 benötigten Kräften seien 9.500 Rumänen – und genau da hakt es derzeit.

„Ich wollte vorgestern einige meiner Rumänen mit dem Flieger herholen, das wurde von der Polizei gestoppt“, berichtet Spargelbauer Simmet gegenüber Mainz&: „Die lassen in Rumänien schon gar keinen mehr auf den Flughafen.“ Nicht ganz zu Unrecht, weiß Simmet: Die meisten Arbeitskräfte in Rumänien hätten vorher in Italien gearbeitet, ob sie mit dem Coronavirus infiziert seien, wisse niemand.

Auf den Feldern auch rund um Mainz wächst bereits der Spargel - hier ein älteres Bild der Felder bei Bretzenheim. - Foto: gik
Auf den Feldern auch rund um Mainz wächst bereits der Spargel – hier ein älteres Bild der Felder bei Bretzenheim. – Foto: gik

300.000 Saisonarbeitskräfte werden in ganz Deutschland für die Arbeit auf den Feldern benötigt, sagt das Bundeslandwirtschaftsministerium – und startete zur Unterstützung die Plattform „Das Land hilft.“ Arbeitswillige können hier ihre Hilfe anbieten, mehr als 35.000 Inserate zählt die Plattform bereits – und es ist nicht das einzige Portal. Tatsächlich werden die Landwirte geradezu von einer Welle an Hilfsbereitschaft überrollt: „Wir haben sehr viele Angebote von Leuten aus der Region, die haben einfach von sich aus angerufen“, berichtet Spargelbauer Simmet. „Die Bereitschaft zu helfen ist sehr, sehr groß, wir freuen uns sehr über die Solidarität“, sagt auch Köhr, doch ob die vielen willigen Helfer den Ausfall der eingeübten Arbeitskräfte kompensieren könnten, das sei völlig offen. „Das sind viele Neue, die mit Landwirtschaft noch nie was zu tun hatten“, sagt Köhr, „die Leistungsfähigkeit der Aushilfen ist ja nicht so groß.“

„Die Deutschen, die sich jetzt bewerben, haben ihre eigenen Vorstellungen“, sagt auch Stauder – manche wollten nur zwei Tage die Woche, andere nur alle vierzehn Tage kommen. „Ich hab‘ heute morgen zwei Neue eingearbeitet, das hat mich zwei Stunden gekostet“, berichtet auch Simmet. Auch sei ja noch die Frage, ob die Beschäftigung vieler unterschiedlicher Menschen aus dem Umkreis nicht vielleicht sogar schlechter für die Ansteckungsgefahr sei als Saisonarbeitskräfte, die in einem Betrieb und in einer Unterkunft vom Anfang bis Ende blieben, gibt Köhr zu bedenken.

„Mir bleibt gar nichts anderes übrig, als den Weg zu geben, ich probier‘ das jetzt aus“, sagt derweil Simmet: „Ob das funktioniert – weiß ich nicht. Ob die die Saison durchhalten – weiß ich nicht.“ Wie es am Ende finanziell aussieht – auch das weiß er nicht. „Wir stürzen hier ins kalte Wasser, aber ich bin bereit, das zu gehen“, sagt Simmet: „Es ist unsere Chance als Gesellschaft, uns gegenseitig zu helfen.“

Info& auf Mainz&: Die Plattform des Bundeslandwirtschaftsministeriums „Das Land hilft“ findet Ihr hier im Netz, dort können sowohl Landwirte Hilfegesuche, als auch Arbeitssuchende ihre Angebot einstellen. Die Bestimmung des Bundesinnenministeriums könnt Ihr hier nachlesen. Vermittlungsplattformen für Helfer in der Landwirtschaft gibt es aber auch regional – zum Beispiel hier unter Saisonarbeit in Deutschland.

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