Nach dem ungewöhnlich brutalen Vorgehen der Polizei bei einer linken Demonstration in Ingelheim vergangenen Samstag, gibt es erste Konsequenzen: Derzeit werde unter Leitung der Staatsanwaltschaft Mainz gegen sechs Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt ermittelt, sagte der Mainzer Polizeivizepräsident Thomas Brühl am Mittwoch im Innenausschuss des Mainzer Landtags. Gegen einen Beamten wird wegen des nicht gerechtfertigten Einsatzes von Pfefferspray ermittelt. Von den mehr als 100 Verletzten Demonstranten will man bei der Polizei aber nichts gemerkt haben, auch über die Einkesselung in einem Tunnel am Ingelheimer Bahnhof gab es keine Aufklärung. Die Grünen forderten eine intensive Aufarbeitung, die Bilder vom Wochenende dürfen sich nicht wiederholen.

Polizisten drücken Demonstranten, die ihre Hände hoch erhoben haben, in eine Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Szene aus einem auf Twitter geteilten Video. – Screenshot: gik
Polizisten drücken Demonstranten, die ihre Hände hoch erhoben haben, in eine Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Das Foto ist ein Screenshot von Mainz& aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. – Screenshot: gik

Vergangenen Samstag hatten in Ingelheim 24 Teilnehmer einer Kundgebung „Die Rechte“ an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess an seinem Todestag erinnert, nach neuesten Zahlen der Polizei versammelten sich rund 1.200 Menschen, um gegen den Aufmarsch der Rechten zu protestieren. Die Polizei war mit 580 Kräften im Einsatz, doch über den Einsatz werden seither schwere Vorwürfe erhoben: So drängten Polizeibeamte rund 150 Personen in eine enge Unterführung, Videosequenzen zeigen, wie Polizeibeamte Pfefferspray in die Menge sprühen, im Tunnel bricht Panik aus. Vorwürfe über überzogene Brutalität gibt es auch an der Einkesselung von rund 230 Personen über 2,5 Stunden in praller Sonne am Ingelheimer Kreisel. Die Polizei sei auch brutal in die Menge gestürmt, es habe 116 Verletzte Demonstranten gegeben, berichten Augenzeugen.

Am Mittwoch setzte das Innenministerium überraschend einen Bericht zu den Vorfällen auf die Tagesordnung des Innenausschusses des Landtags. „Es ist mir in jeder Hinsicht ein besonderes Anliegen aufzuklären, ob es zu polizeilichem Fehlverhalten gekommen ist“, betonte dabei Innenminister Roger Lewentz (SPD): „Wir haben ein höchstes Interesse daran, dass dieses Ereignis lückenlos aufgeklärt wird.“ Das Versammlungsrecht sei „ein hohes demokratisches Gut“, die Polizei habe „jede nicht verbotene und friedliche Versammlung zu schützen, und ist dabei zur politischen Neutralität verpflichtet“, unterstrich der Minister.

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Innenminister Roger Lewentz (SPD) beim Interview zum Polizeieinsatz Ingelheim am Mittwoch in Mainz. - Foto: gik
Innenminister Roger Lewentz (SPD) beim Interview zum Polizeieinsatz Ingelheim am Mittwoch in Mainz. – Foto: gik

Die in sozialen Netzwerken verbreiteten Bilder und Videos gäben zu denken, „wir stehen heute aber noch vielen offenen Fragen und Vorwürfen gegenüber“, räumte Lewentz zugleich aber auch ein. Er habe um Aufklärung und rasche Vorlage der Ergebnisse gebeten, eine „Besondere Aufbauorganisation“, eine Arbeitsgruppe aus Polizei und Staatsanwalt arbeite die Vorgänge derzeit auf. Die Aufklärung wird geleitet vom Mainzer Polizeivizepräsidenten Thomas Brühl, in seinem Bericht vor dem Ausschuss verteidigte dieser die Einsatzstrategie.

Grund für das harte Vorgehen gleich zu beginn des Einsatzes am Ingelheimer Bahnhof sei gewesen, dass 150 bis 170 teilweise vermummte Störer versucht hätten, eine polizeiliche Absperrung zu überwinden, um in den Versammlungsraum der Partei „Die Rechte“ zu gelangen, sagte Brühl. Der Bundespolizei sei es „nur unter Einsatz einer Vielzahl von Polizeikräften sowie Pfefferspray und Schlagstock gelungen, dies zu verhindern.“ Teilnehmer der Kundgebung hatten hingegen berichtet, die am Bahnhof angekommenen seien eine bunt gemischte Gruppe von Bürgern gewesen, die – zumeist ortsunkundig – schlicht versucht hätten, zu ihrem Kundgebungsort auf der Südseite des Bahnhofs zu kommen, das sie aber von Anfang an von der Polizei verhindert worden.

Ein Polizist sprüht Pfefferspray auf einen Demonstranten, der einen Zettel hochhält. Szene aus einem auf Twitter verbreiteten Video. - Screenshot: gik
Ein Polizist sprüht Pfefferspray auf einen Demonstranten, der einen Zettel hochhält. Das Foto ist ein Screenshot von Mainz& aus einem auf Twitter geteilten Video, die Quelle ist im Text verlinkt. – Screenshot: gik

Kurze Zeit später sei eine Gruppe von etwa 230 Menschen durch starke Polizeikräfte zur Kundgebungsörtlichkeit in der Römerstraße begleitet worden, berichtete Brühl weiter. Erneut hätten etwa „150 bis 170 offensichtlich gewaltbereite Störer aus dieser Personengruppe wiederholt versucht, polizeiliche Absperrungen zu durchbrechen, sich vermummt und offensichtlich beabsichtigt, auch unter Anwendung von Gewalt, Blockaden der Aufzugsstrecke der Partei „Die Rechte“ herbeizuführen.“ Deshalb habe der Polizeiführer um 14.46 Uhr „die umschließende Absperrung der Personengruppe angeordnet, um diese einer sogenannten Videodurchlassstelle zuzuführen und mithin ihre Personalien festzustellen.“

„Um diese umschließende Absperrung zu verlassen“, seien danach Einzelpersonen wie auch Gruppen gewaltsam gegen die in den Polizeiketten eingesetzten Polizeibeamten vorgegangen. Dabei sei es zu Stockschlägen und Schlägen mit Regenschirmen gekommen, deshalb hätten die Beamten abermals Pfefferspray eingesetzt. Eine Person, „die einen hammerähnlichen Gegenstand und ein Messer mit sich führte“, habe bei einer Personenkontrolle Widerstand gegen die Polizeibeamten geleistet, dass der Demonstrant die Waffen auch eingesetzt hätte, sagte Brühl nicht. Ein Beamter sei als „Scheiß-Nazi“ beschimpft und ein weiterer Beamter mit einer Essensbox ins Gesicht geschlagen worden.

Auch in dieser Szene ist zu sehen, wie ein Polizist aus zweiter Riehe Pfefferspray in die eingepferchte Menge sprüht. - Screenshot: gik
Auch in dieser Szene ist zu sehen, wie ein Polizist aus zweiter Riehe Pfefferspray in die eingepferchte Menge sprüht. – Screenshot: gik

Videoaufnahmen von Teilnehmern zeigen allerdings Szenen, in denen Polizeibeamte mit großem Abstand direkt auf Demonstranten Pfefferspray sprühen, die hinter der Absperrung stehen – von einem direkten Angriff auf die Beamten ist dabei nichts zu sehen. Laut Polizeigesetz darf Pfefferspray eigentlich nur in Notwehr und bei einem direkten Einsatz auf die eigene Person eingesetzt werden. Brühl sagte dazu, gegen vier Beamte werde wegen des Verdachts auf Körperverletzung im Amt ermittelt – und gegen einen Beamten wegen des nicht gerechtfertigten Einsatzes von Pfefferspray. Der Mann sei namentlich bekannt, ergänzte Brühl – er wurde aufgrund der Fotos identifiziert, die Mainz& aus den Videos von Demonstrationsteilnehmern extrahieren konnte. Ein weiterer Beamter werde noch gesucht: Er soll eine 16-Jährige geschlagen haben.

Brühl sagte zudem, während der „umschließenden Absperrung“ habe die Polizei mehrfach mit den Personen in der Absperrung kommuniziert, man habe hilfsbedürftige Personen gebeten, sich zu erkennen zu geben, durch die Polizei seien Erfrischungsgetränke gegen eine mögliche Dehydrierung angeboten worden. Zahlreiche Demonstranten berichten hingegen, von Seiten der Polizei sei überhaupt nicht kommuniziert worden, Ansagen habe es nicht gegeben. Wasser sei überhaupt erst nach Stunden im Kessel angeboten worden.

Szene der eingepferchten Menge in der Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Es soll zu Panikattacken und zu Verletzten gekommen sein. - Screenshot: gik
Szene der eingepferchten Menge in der Unterführung am Ingelheimer Bahnhof. Es soll zu Panikattacken und zu Verletzten gekommen sein. – Screenshot: gik

„Die Kommunikation, die hat überhaupt nicht stattgefunden, zu keinem Zeitpunkt wurde gesagt, was Sache ist, warum dieser Kessel zustande gekommen ist“, berichtete eine 27 Jahre alte Soziologin gegenüber der taz-Journalistin Anett Selle. In der Tunnel-Unterführung sei es „wirklich gedrängt, panisch und chaotisch“ zugegangen, „es gab überhaupt keine Ansagen.“ Später dann in dem Polizeikessel seien die Menschen „stundenlang festgehalten worden, einfach nur, weil wir da waren“, berichtete die Doktorandin weiter: „Man kam nicht raus, es war wie eine Mauer. Alle wurden in die Absperrung gepfercht, ohne Grund. Es war friedlich. Das einzige, was es gab, waren Leute, die raus wollten.“

Das ganze Interview könnt Ihr hier im Wortlaut nachlesen, die junge Frau gibt auch an, sie habe „unglaubliche Angst gehabt, weil ich dachte: Ich bin vollkommen der Willkür der Polizei ausgeliefert.“ Weitere Augenzeugen berichten von wiederholten Angriffen von Polizisten gegen die Eingekesselten, auch ohne Anlass, auch gegen friedliche Demonstranten. Demo-Sanitäter hatten am Wochenende in einer Pressemitteilung von 116 Verwundeten berichtet, die sie im Laufe des Samstags versorgt hätten.

Der Innenausschuss des Mainzer Landtags beschäftigte sich am Mittwoch mit dem Polizeieinsatz in Ingelheim. - Foto: gik
Der Innenausschuss des Mainzer Landtags beschäftigte sich am Mittwoch mit dem Polizeieinsatz in Ingelheim. – Foto: gik

Brühl sagte dazu in seinem Bericht in dem Ausschuss lediglich, es habe sich vor Ort lediglich ein verletzter Versammlungsteilnehmer zu erkennen gegeben, dieser habe aber die Leistung erster Hilfe durch Polizeikräfte abgelehnt. Die Rettungsleitstelle habe zudem keine Einsätze im Zusammenhang mit der Versammlungslage in Ingelheim dokumentiert. Angesprochen darauf, die 116 Verletzten habe man doch von Seiten der Polizei sehen müssen, sagte Brühl gegenüber Mainz& am Rande der Sitzung: „Da haben wir ein Delta.“ Die Tunnelsituation sei „ausschließlich von Beamten der Bundespolizei bewältigt worden“, diese sei dabei, den Einsatz nachzubereiten.

Die innenpolitische Sprecherin der Grünen, Pia Schellhammer, forderte derweil Aufklärung: „Solche Bilder, wie ich sie am letzten Wochenende gesehen habe, habe ich in neun Jahren nicht erlebt“, betonte Schellhammer in der Ausschussitzung. Die Kritik an dem Vorgehen der Polizeibeamten sei „erheblich“, die Bilder dazu hätten „eine fatale Wirkung“ für die Außendarstellung der rheinland-pfälzischen Polizei. „Solche Bilder sind mir aus Rheinland-Pfalz bisher nicht bekannt“, betonte Schellhammer, das „unverhältnismäßige Vorgehen“ der Polizei müsse intensiv aufgearbeitet werden.

Schellhammer berichtete zudem, es gebe Berichte, nach denen Polizisten vor dem Einsatz ihre Kennzeichnung abgedeckt hätten. Auch hätten Frauen im Beisein von männlichen Polizeibeamten in der Öffentlichkeit ihre Toilettengang absolvieren müssen. Innenminister Lewentz betonte daraufhin, es sei „nicht zu akzeptieren, dass männliche Polizeibeamte beobachtend bei dem Toilettengang von Frauen daneben stehen“, sollten sich die Berichte bewahrheiten. „Wir haben genug Frauen in der Polizei“, fügte Lewentz hinzu.

Ein massives Polizeiaufgebot riegelt die Unterführung am Ingelheimer Bahnhof ab. Szene aus einem Video- Screenshot: gik
Ein massives Polizeiaufgebot riegelt die Unterführung am Ingelheimer Bahnhof ab. Szene aus einem Video- Screenshot: gik

Der Innenminister appellierte zudem an die Betroffenen, sich bei der Polizei zu melden und Vorfälle anzuzeigen, nur so könnten diese aufgeklärt werden. Die Polizei hat eigens dafür auch eine Hinweisplattform eingerichtet, auf der Fotos und Videos hochgeladen werden können. Brühl räumte ein, bislang sei dort erst eine Datei hochgeladen worden. Auch Schellhammer appellierte, für eine intensive Aufarbeitung müssten Hinweise, Anzeigen und Beschwerden auch eingereicht werden, nur so könne eine umfassende Aufklärung stattfinden. „Wir fordern darüber hinaus die Polizeibeauftragte auf, diesen Einsatz intensiv und kritisch nachzubereiten“, sagte sie weiter.

Am kommenden Wochenende hat „Die Rechte“ erneut eine Kundgebung in Ingelheim angemeldet, von erneuten Gegenkundgebungen ist ebenfalls auszugehen. „Wir erwarten von der Polizei im Umgang mit Gegendemonstrierenden ein deeskalierendes und kommunikatives Vorgehen“, betonte Schellhammer: „Die Bilder vom vergangenen Wochenende dürfen sich nicht wiederholen.“

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zu der Kritik gegen den Polizeieinsatz mit weiteren Details und Quellen sowie dem ausführlichen Polizeibericht lest Ihr hier auf Mainz&. Hinweise können an die Mainzer Polizei unter der Emailadresse ppmainz@polizei.rlp.de eingereicht, Fotos und Videos können auf dem Hinweisportal https://rlp.hinweisportal.de/ hochgeladen werden. Die Bürger- und Polizeibeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz findet Ihr hier im Netz mit allen Kontaktdaten.

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