Sein Markenzeichen war das weiße Bajazz-Kostüm, vor allem aber seine unverwechselbare Jahrhundert-Stimme: Otto Schlesinger galt als „der tiefste Bass“ Deutschlands. 48 Jahre lang stand Schlesinger mit den Mainzer Hofsängern auf der Bühne, wenn er ans Mikrofon trat, und seine abgrundtiefen Basstöne zum Besten gab, dann bescherte er eines ums andere Mal seinen Zuhörern eine Gänsehaut. Vor einer Woche starb Otto Schlesinger mit 88 Jahren – an den Folgen einer Corona-Infektion. Zwei Monate lang wartete Schlesinger auf einen Impftermin – das Schreiben traf am Tag nach seinem Tod ein.
Es war Anfang Februar, als sich Otto Schlesinger mit dem Coronavirus infizierte, berichtet seine Tochter Ilona Schlesinger-Jakoby im Gespräch mit Mainz&. Drei Wochen lang habe ihr Vater auf der Intensivstation der Mainzer Universitätsmedizin um sein Leben gekämpft, doch die Viruserkrankung Covid-19 zeigte sich bei dem 88-Jährigen von ihrer tückischsten Seite: Es kam zu einer Thrombose und einer Lungenembolie, es folgten eine Lungenentzündung, ein Schlaganfall und schließlich verhärtete sich die Lunge – in der Nacht zum 13. März erlag Otto Schlesinger dem multiplen Organversagen.
Zwei Monate lang habe ihr Vater auf seine Impfung gehofft, zwei Monate lang auf den Termin gewartet, berichtet seine Tochter: „Er war angemeldet, aber der Termin kam nicht.“ Ihr Vater sei bis zum Schluss „topfit und super selbstständig gewesen“, berichtet sie. Er habe den Haushalt für sich und seine Frau geschmissen, sei mit seinem geliebten Hund unterwegs gewesen, sei immer aktiv gewesen – Vorerkrankungen habe er keine gehabt.
„Mein Vater hat bis zum Schluss gesungen, vor wenigen Wochen noch hat er Lieder aus den 50er Jahren geträllert, die hatte er alle noch im Kopf“, berichtet Schlesinger-Jakoby – unter dem Probenverbot für Chöre habe er sehr gelitten. „Er hat noch bis etwa 2015 Kirchenkonzerte gegeben“, berichtet Schlesinger-Jakoby, „sein tiefer Bass, der war bis zum Schluss da.“
Es war genau diese abgrundtiefe Stimme, die Otto Schlesinger weit über die Grenzen von Mainz hinaus berühmt machte. 1932 in Mainz geboren, lernte Schlesinger Maurer und wurde später IT-Operator beim Computerhersteller IBM in Mainz. Ab 1955 sammelte er mit der Hechtsheimer Gesangsgruppe „Martinos“ Bühnenerfahrung in der Fastnacht, dann entdeckte ihn der spätere Sitzungspräsident Karl Müller für die Mainzer Hofsänger. Von 1959 an war Schlesinger fester Bestandteil des berühmten Chores, absolvierte nebenberuflich von 1962 bis 1968 eine professionelle Gesangsausbildung an der Frankfurter Musikhochschule.
Zum „tiefsten Bass Deutschlands“ kürte ihn 1969 Moderator Otto Höpfner in der ZDF-Sendung „Stelldichein beim Wein“. Jahrzehntelang war es ein Highlight der Hofsänger-Auftritte, wenn der große, hagere Mann ans Mikrofon trat, und seine abgrundtiefen Bass-Klänge zum Besten gab. „Das war eine Jahrhundertstimme“, sagt seine Tochter, und verrät: „Die hatte er von seiner Oma geerbt, die hatte auch so eine Wahnsinnsstimme.“
Erst 2007 verabschiedete sich Schlesinger von den Mainzer Hofsängern und der großen Fastnachtsbühne, als Ausnahmesänger war er weit über das eigentliche Pensionsalter hinaus aktiver Sänger geblieben. „Die Nachricht von Ottos Tod hat uns alle sehr betroffen gemacht“, sagt der heutige Kapitän der Mainzer Hofsänger, Christoph Clemens gegenüber Mainz&: „Er war eine wirklich tragende Säule.“ Auch er selbst habe Schlesinger viel zu verdanken, zehn Jahre lang seien sie gemeinsam zu den Proben gefahren, und dabei habe Schlesinger so manche Anekdote erzählt, berichtet Clemens: „Das war für mich immer eine Lehrstunde.“
Schlesinger erlebte hautnah mit, wie die Hofsänger weltberühmt wurden, sein Humor und sein Charme waren legendär. „Einmal, 1968, sind wir als Frauen aufgetreten“, erinnerte sich Otto Schlesinger einmal im Interview mit der Autorin dieser Zeilen vergnügt, „da hatte ich den Arm in Gips und sah aus wie Twiggy.“ Schlesinger erlebte die Tourneen in die USA mit und war auch bei den späteren Kreuzfahrten mit an Bord, sang mit den Hofsängern im Opernhaus in Kairo. „Er hat Sachen erlebt, die andere niemals erleben durften“, sagt Clemens, „der schlanke Bass mit dem weißen Bajazz, den kannte jeder – das war schon ein Stück Geschichte der Mainzer Hofsänger.“
Angesteckt habe sich ihr Vater wohl über die Familie, das Virus sei womöglich aus der Arbeitswelt hereingebracht worden, vermutet seine Tochter Ilona – genau lasse sich das nicht mehr nachvollziehen. Ihre Mutter leide noch immer unter den Folgen der Krankheit, auch sie selbst sei infiziert gewesen, erzählt sie. Das Tragische dabei: „Am Samstag hat mein Vater seinen Impftermin zugeschickt bekommen“, berichtet Schlesinger-Jakoby – genau am Tag nach seinem Tod. „Das ist ein echt großer Verlust für uns“, fügt sie noch hinzu.
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