Jetzt wird es ernst: Die Bundesregierung hat die 2. Stufe des Notfallplans Gas ausgerufen. „Gas ist von nun an ein knappes Gut“, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Hintergrund ist die Gaspolitik des russischen Präsidenten Wladimir Putin: Russland hat bereits vor Tagen die Gaszufuhr nach Deutschland gedrosselt, die Mainzer Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt (FDP) sprach deshalb von einem „Angriff Putins“ auf die deutsche Gesellschaft. Nun gibt es Aufrufe zum Gas-Sparen – und die große Angst vor explodierenden Gaspreisen im Herbst.

Gasspeicher im Energiepark Mainz. - Foto: gik
Gasspeicher im Energiepark Mainz. – Foto: gik

„Ich appelliere heute an alle Hessinnen und Hessen: Wir alle müssen sparen – wo das möglich ist, das können Sie am besten selbst beurteilen.“ Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) richtete am Donnerstag einen eindringlichen Appell an die Menschen: Er bitte alle Privathaushalte, alle Unternehmen, aber auch die öffentliche Verwaltung „zu prüfen, wo Einsparpotenzial liegt, was zumutbar und angemessen ist“, sagte Al-Wazir – der Grund ist ein aktueller: Seit Donnerstag befindet sich Deutschland in der zweiten Stufe des Notfallplans Gas.

Der Warnstufenplan des Bundes hat drei Stufen, die erste Stufe war bereits vor Wochen ausgerufen worden, die dritte Stufe ist die akute Notfallstufe. Die hat Deutschland zwar noch nicht erreicht, doch die Lage ist bereits jetzt angespannt. „Die Lage ist ernst, und der Winter wird kommen“, warnet Habeck am Donnerstag in Berlin: „Wir dürfen uns nichts vormachen: Die Drosselung der Gaslieferungen ist ein ökonomischer Angriff Putins auf uns.“

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Am 14. Juni hatte Russlands Präsident Wladimir Putin wahrgemacht, was die Politik in Deutschland jahrelang nicht hören wollte: Russland setzt Gas als Waffe nicht nur gegenüber Europa, sondern auch gegenüber Deutschland ein. Am 14. Juni hatte Russland die Gaslieferungen durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 massiv gekürzt, derzeit kommen hier nur noch 40 Prozent der eigentlichen Liefermengen an. Und Experten wie Politik gehen von einer weiter Verschärfung aus.

Gasmangel-Prognosen für Deutschland, Berechnung und Grafik: Bundesnetzagentur
Gasmangel-Prognosen für Deutschland, Berechnung und Grafik: Bundesnetzagentur

Anfang Juli wird Nord Stream 1 komplett lahmgelegt – es ist der reguläre Termin zu jährlichen Wartungsarbeiten. Das Problem dabei: Die meisten Experten rechnen damit, dass Russland die Gaslieferung nicht wie vorgesehen nach zwei Wochen wieder hochfahren wird. Schon jetzt machte Putin angebliche Reparaturarbeiten und den Ausfall einer Turbine geltend, Experten bezweifeln, dass dies die richtigen Gründe für die Gasdrosselung sind, und warnen: Putin dürfte Deutschland ab Mitte Juli komplett den Hahn zudrehen.

Auch Habeck sieht das wohl so: „Es ist offenkundig Putins Strategie, Unsicherheit zu schüren, die Preise zu treiben und uns als Gesellschaft zu spalten, dagegen wehren wir uns“, unterstriche der Minister. Damit ist genau der Super-Gau eingetreten, vor dem auch SPD-Politiker wie die frühere rheinland-pfälzische Umweltministerin Margit Conrad schon vor zwanzig Jahren warnten: Deutschland müsse seine Abhängigkeit von Russland und dessen Gas lösen, hatte Conrad stets gepredigt – ihre Partei, die SPD, tat im Einklang mit der CDU in der Großen Koalition genau das Gegenteil.

 

Nun steht Deutschland vor einer massiven Gasknappheit im Winter, denn gleichzeitig hatte die Bundesregierung es noch im vergangenen Jahr zugelassen, dass die Gasspeicher in Deutschland nahezu leer liefen und auf nur noch wenige Prozent sanken. Dazu ignorierte Deutschland die Aufforderung der EU, Flüssiggasterminals zu schaffen wie andere Länder das taten – alles das rächt sich nun: Deutschland steht vor einer massiven Gaskrise.

Rief am Donnerstag Alarmstufe 2 beim Gasnotfallplan aus: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). - Screenshot: gik
Rief am Donnerstag Alarmstufe 2 beim Gasnotfallplan aus: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). – Screenshot: gik

Habeck stimmte die Republik denn auch am Donnerstag auf einen „steinigen Weg“ ein: „Auch wenn man es noch nicht so spürt: Wir sind in einer Gaskrise“, betonte der Minister. Die Preise seien jetzt schon hoch, man müsse sich auf einen weiteren Anstieg gefasst machen. „Das wird sich auf die industrielle Produktion auswirken und für viele Verbraucherinnen und Verbraucher eine große Last werden – es ist ein externer Schock“, betonte Habeck.

Zugleich versicherte der Minister aber auch: „Aktuell ist die Versorgungssicherheit gewährleistet.“ Stand heute sind nach Angaben der Bundesnetzagentur die Gasspeicher in Deutschland zu rund 60 Prozent gefüllt, Dank der intensiven Einkaufstour, auf die sich gerade Habeck in den vergangenen Wochen begeben hatte. Mit der Gasdrosselung aus Russland derzeit sei aber „ein Speicherstand von 90 Prozent bis November kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar“, sagte Habeck weiter.

 

Im besten Fall würde Deutschland, so zeigen es errechnete Szenarien der Bundesnetzagentur, gut durch den nächsten Winter kommen, die Gasspeicher gerade einmal auf rund 25 Prozent sinken oder kurz über Null verharren. Im Schlimmsten Fall aber ginge Deutschland Ende Januar das Gas aus. „Die Befüllung der Gasspeicher hat jetzt oberste Priorität“, sagte Habeck denn auch, und versicherte: „Wir kümmern uns um alternative Gas-Lieferungen und bauen mit Hochdruck die nötige Infrastruktur.“

Prognosen zur Entwicklung des Füllstand der Gasspeicher in Deutschland von heute an bis Sommer 2023. - Grafik:; Bundesnetzagentur
Prognosen zur Entwicklung des Füllstand der Gasspeicher in Deutschland von heute an bis Sommer 2023. – Grafik:; Bundesnetzagentur

Bereits Anfang der Woche hatte Habeck zudem angekündigt, erst einmal wieder mehr Kohle für die Stromerzeugung nutzen zu wollen, um so das bisher dafür verwendete Gas einsparen zu können. Zudem werde die Bundesregierung den Ausbau der Erneuerbaren Energien „in nicht gekannter Weise beschleunigen“, versicherte der Minister weiter. Noch im Sommer solle zudem ein Gasauktionsmodell an den Start gehen, das industrielle  Gasverbraucher anreize, Gas einzusparen.

Doch die oberste Botschaft der Politik am Donnerstag lautet nun: Gas sparen. „Energie einzusparen, ist das Gebot der nächsten Monate“, betonte Habeck. Alle Verbraucher – und das gelte sowohl für die Industrie, die öffentlichen Einrichtungen sowie die Privathaushalte – seien nun aufgerufen, „den Gasverbrauch möglichst weiter zu reduzieren, damit wir über den Winter kommen.“ Schon jetzt berichteten Unternehmen von erfolgreichen Maßnahmen, um den Gasverbrauch zu senken, dafür wolle er sich ausdrücklich bedanken, fügte Habeck hinzu, und mahnte: Nur mit gemeinsamer Solidarität werde es gelingen, die Gaskrise zu gewältigen.

 

Die CDU-Opposition kritisierte derweil, die Maßnahmen Habecks kämen viel zu spät, gerade was das Thema Gas-Sparen angehe. Die wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU im Bundestag, Julie Klöckner mahnte zudem, die Deckelung der Biomasse aufzuheben und forderte, die Verlängerung der Kernkraft müsse „ergebnisoffen geprüft werden.“ Auch die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz fordern eine Verlängerung der Laufzeit der noch verbliebenen drei Atomkraftwerke in Deutschland.

Windräder im Energiepark Mainz: Die Erneuerbaren müssen es künftig richten. - Foto: gik
Windräder im Energiepark Mainz: Die Erneuerbaren müssen es künftig richten. – Foto: gik

„Fakt ist: Der Ausbau der erneuerbaren Energien und der Energiespeicher geht viel zu langsam“, sagte Landesvorsitzender Stephan Wefelscheid. Angesichts der aktuellen Gas-Notlage bleibe deshalb nur eine echte Option: Die Laufzeit der Atomkraftwerke müsse verlängert werden, die Bundesregierung ernsthaft prüfen, welche Möglichkeiten bestünden, die Atomkraftwerke länger am Netz zu lassen.

Die noch nicht abgeschalteten drei Atomkraftwerke in Deutschland machen aktuell etwa sechs Prozent der Stromversorgung aus, Ende des Jahres sollten sie eigentlich ebenfalls vom Netz gehen – die Betreiber melden, für eine Verlängerung bräuchte es neue Brennstäbe, die aber nicht vor Ende 2023 zu beschaffen seien. Wefelscheid bezweifelte das: „Die ganze Welt baut und betreibt Atomkraftwerke“, sagte er: „Da wird es für Deutschland als führende Wirtschaftsnation Europas jawohl möglich sein, auf dem Weltmarkt bei befreundeten Nationen irgendwo Brennstäbe aufzutreiben.“

 

Andere Experten wie die Professorin für Energiewirtschaft, Claudia Kemfert, fordern hingegen, stattdessen die Erneuerbaren Energien massiv auszubauen. Die am schnellsten wirksamste Maßnahme aber dürfte das Einsparen von Energie sein: „Auch wenn wir aktuell unsere Heizungen ausgestellt haben, und bei der Hitze mehr kaltes als warmes Wasser benutzen: Wir alle müssen jetzt für den Winter vorsorgen“, mahnte der hessische Wirtschaftsminister Al-Wazir: „Wenn wir uns heute an einigen Stellen einschränken, können wir gemeinsam verhindern, dass im Winter nicht mehr genug Gas für alle da ist.“

Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir 2014 im Autowerk Rüsselsheim. - Foto: gik
Der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir 2014 im Autowerk Rüsselsheim. – Foto: gik

Sollte das Auffüllen der Speicher bis zum Beginn des Winters nicht gelingen, müsste der Staat entscheiden, wer noch mit Gas versorgt wird. „Diese Situation können und müssen wir verhindern“, fordert Al-Wazir. Das Bundeswirtschaftsministerium gibt deshalb schon jetzt konkrete Tipps, wie Verbraucher Gas einsparen können – darunter etwa durch wassersparende Duschköpfe oder indem man die Wassertemperatur in der Dusche senkt. Auch eine richtige Wartung der Heizungsanlage könne helfen, bis zu 15 Prozent Energiekosten einzusparen, heißt es beim Ministerium.

Für Verbraucher können diese Tipps richtig wertvoll werden: Im Winter droht wegen der Knappheit eine Explosion der Gaspreise. Derzeit ist einem Preisanstieg durch die Gasversorger aber noch ein Riegel vorgeschoben: Man werde von dem sogenannten „Preisanpassungsmechanismus“, der im Paragraph 24 des Energiesicherungsgesetzes vorgesehen sei, „vorerst noch nicht Gebrauch machen“, sagte Habeck weiter. Dieser Mechanismus erlaubt den Gasanbietern, die massiv steigenden Preise an ihre Kunden weiter zu geben, um einen Kollaps der Energieversorger selbst durch die steigenden Einkaufspreise zu verhindern.

 

Der Wiesbadener Energieversorger ESWE Versorgung versicherte deshalb auch am Donnerstag, seine Kunden müssten „zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht mit automatischen Preiserhöhungen rechnen.“ ESWE-Kunden profitierten nach wie vor von günstigen Konditionen bei der Gasbeschaffung aus der Vergangenheit“, betonte die ESWE, und warnte zugleich: Eine Preisanpassung werde „auch bei ESWE Versorgung spätestens zum Herbst erforderlich.“ Das Unternehmen rät deshalb Privathaushalten, den monatlichen Abschlag zu erhöhen, um erhebliche Nachzahlung bei der Jahresabrechnung zu vermeiden.

Strommix in Deutschland im ersten Halbjahr 2022. - Grafik: Strom-Report
Strommix in Deutschland im ersten Halbjahr 2022. – Grafik: Strom-Report

Aus Mainz war am Donnerstag so gut wie nichts zu hören, zum Thema Verbraucherpreise oder Gasknappheit meldete sich kein Mitglied der Landesregierung zu Wort. Lediglich Wirtschaftsministerin Schmitt schickte ein Statement zur Lage der Wirtschaft, und das auch nur auf Anfrage. „Wir suchen den täglichen Austausch mit Vertretern von Unternehmen, Kammern und Verbänden“, sagte Schmitt, man beobachte die Gasversorgung genau und setze „alles daran, Strukturbrüche zu vermeiden.“

Schmitt betonte, es sei richtig, dass die Bundesregierung ein Unterstützungspaket für Unternehmen auf den Weg gebracht habe. „Ich habe frühzeitig eingefordert, dass wir die Effekte der Energiepreissteigerungen abfedern müssen“, betonte sie. Der Industrie sei es „bisher gelungen, die Produktion trotz hoher Energiepreise konkurrenzfähig zu halten“, die energieintensiven Branchen unternähmen „große Anstrengungen, mit weniger Strom oder Gas zu arbeiten.“ Die Betriebe gingen dabei „bis an die Grenzen des technisch und physikalisch Machbaren“, fügte Schmitt hinzu.

Info& auf Mainz&: Das ganze Statement von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zur Ausrufung der Alarmstufe 2 könnt Ihr hier im Internet nachlesen. Tipps zum Einsparen von Gas für Privathaushalte findet Ihr hier im Internet. Mehr Informationen zum Strommix in Deutschland samt der oben stehenden Grafik findet Ihr hier beim Strom-Report im Internet.