Hat Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) den Stadtrat in Mainz beim Nachtragshaushalt 2024 bewusst mit “wissentlich falschen Prognosen” getäuscht – und damit auch die Bürger vor der Kommunalwahl 2024? Diesen harten Vorwurf erhebt nun die Stadtratsfraktion der Freien Wähler. Grund ist ein Schreiben der Dienstaufsicht ADD an die Stadt Mainz, in der die ADD nicht nur den Nachtragshaushalt nicht genehmigte, sondern auch schwere Vorwürfe gegen die Stadt erhob. Einer davon: Beck hatte zwar der ADD schon im April neue Prognosen für Minuseinnahmen der Stadt in den Jahren 2025 und 2026 vorgelegt – nicht aber dem Stadtrat. Das sei ein “völlig unzutreffendes Bild” der realen Haushaltslage der Stadt gewesen, rügt die ADD.
Es war am 6. Juni 2024, ganze drei Tage vor der Kommunalwahl, als der Stadtrat in Mainz den Nachtragshaushalt für das Jahr 2024 verabschiedete. Eine Sondersitzung war nötig geworden, weil das Zahlenwerk zur letzten regulären Sitzung des Stadtrats vor der Kommunalwahl nach Angaben der Verwaltung nicht fertig geworden war. Die Haushaltsplanung verhieß für die Stadt Mainz nichts Gutes: Mainz hat demnach im Jahr 2024 einen Einbruch bei den Steuereinnahmen von rund 300 Millionen Euro zu verkraften, unter dem Strich blieb ein Minus von rund 223 Millionen Euro.
Einen Teil dieses Minus konnte die Stadt durch vorhandene Rücklagen ausgleichen, doch insgesamt blieb ein Minus von rund 89 Millionen Euro, für die neue Kredite aufgenommen werden sollten – insgesamt sah der Nachtraghaushalt eine neue Kreditaufnahme von rund 110 Millionen Euro vor. Doch dem schob die Dienstaufsicht ADD Ende Juli einen Riegel vor: Sie kippte den kompletten Nachtragshaushalt, stoppte die Neukreditaufnahme – und warf der Stadt massive Verstöße gegen haushaltsrechtliche Bestimmungen vor.
ADD rügt “gravierende Rechtsverstöße” im Nachtragshaushalt 2024
Mainz& liegt inzwischen das vollständige Schreiben der ADD an die Stadt Mainz vor, adressiert an Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) – und dieses Schreiben hat es in sich. “Nach meiner Gesamtbetrachtung”, schreibt darin nämlich ADD-Präsident Thomas Linnertz, stehe die gesamte städtische Haushaltsplanung “nicht im Einklang mit den Grundsätzen einer geordneten Haushaltswirtschaft.” Schlimmer noch: Linnertz rügt eine ganze Reihe gravierender Rechtsverstöße gegen die Gemeindehaushaltsverordnung – und wirft dem Finanzdezernenten indirekt vor, den Stadtrat getäuscht zu haben.
Denn in dem Nachtragshaushalt seien bereits beschlossene überplanmäßige Aufwendungen und Auszahlungen nicht gesondert aufgeführt, das sei ein Rechtsverstoß gegen die Gemeindehaushaltsverordnung (GemHVO). Besonders drastisch aber rügt die ADD, dass die Planungsdaten für die Haushaltsjahre 2025 und 2026 völlig falsch dargestellt wurden. Denn im Nachtragshaushalt für 2024 wurden für die Jahre 2025 und 2026 noch immer als Prognose zu erwartende Einnahmen in Höhe von rund 25 beziehungsweise 15 Millionen Euro ausgewiesen – also ein Plus für die städtische Kasse.
Das aber entsprach in keinster Weise der Realität: Denn in Wirklichkeit schließe der Ergebnishaushalt der Stadt Mainz “bezüglich aller Planungsjahre mit beachtlichen Jahresfehlbeträgen ab”, schreibt die ADD in ihrem Brief vom 5. August – und zwar laut Prognose für 2025 mit einem Minus von rund 251 Millionen Euro, und für 2026 mit einem Minus von rund 159 Millionen Euro. Auch habe das Haushaltswerk “die beachtlichen Fehlbeträge”, die in den beiden kommenden Jahren zu erwarten seien, ebensowenig abgebildet, wie die Entwicklung des Eigenkapitals.
Zahlen zeichneten “völlig unzutreffendes Bild” der Haushaltslage
Alle diese Minusbeträge seien im Nachtragshaushalt für den Stadtrat nicht aufgeführt, kritisiert die ADD, und rügt explizit: “Infolge dessen zeigt die städtische Haushaltsplanung in der Gestalt der Beschlussfassung des Stadtrates über den 2. Nachtragshaushaltsplan 2023/2024 ein völlig unzutreffendes und geradezu gegensätzliches Bild von der voraussichtlichen künftigen Haushaltsentwicklung der Landeshauptstadt Mainz auf.” Im Klartext: Der Nachtragshaushalt 2024, den der Stadtrat Anfang Juni verabschiedet, zeigte ein positiv-geschöntes Bild von der Finanzlage der Stadt, und eben nicht eine drohende dramatische Negativentwicklung.
Bemerkenswert ist daran zudem: Das Finanzdezernat kannte die schlechten Prognosen für die kommende Einnahmesituation ebenso wie die Prognosen für das erhebliche Finanzloch in den beiden kommenden Jahren – und das schon spätestens seit April. Denn bereits am 18. April 2024 habe die Stadt Mainz genau diese Negativprognosen der Dienstaufsicht ADD übermittelt, schreibt Linnertz weiter- und kritisiert deutlich, dass diese Prognosen für die Jahre 2025 und 2026 keinen Einfluss in die Vorlagen für den Stadtrat fanden.
Offenbar machte das Finanzdezernat EDV-technische Gründe geltend, weswegen “die im Ergebnishaushalt und Finanzhaushalt integrierte mittelfristige Ergebnis- und Finanzplanung keine Anpassung erfahren konnte” – so schreibt es Linnertz in dem Brief der ADD. Aus Sicht der Dienstaufsicht hätte aber die Möglichkeit bestanden, die aktuellen Prognosewerte im Vorbericht zum 2. Nachtragshaushaltsplan 2023/2024 entweder händisch einzutragen, oder einen berichtigenden Hinweis “in den wenigen Übersichten zum 2. Nachtragshaushaltsplan 2023/2024 anzugeben” – dies sei aber “leider nicht geschehen.”
Stadtrat erhielt negative Finanzprognosen für 2025 und 2026 nicht
Den Stadträten sei somit “ein völlig unzutreffendes Bild” von der Finanzsituation der Stadt übermittelt worden, die Nicht-Fortschreibung der Planungsdaten mit den bereits bekannten Prognosen sei zudem “ein gravierender Rechtsverstoß”, so die ADD weiter. “Es erscheint mir zudem nicht ausgeschlossen”, schriebt Linnertz weiter, “dass der Stadtrat den 2. Nachtragshaushaltsplan 2023/2024 in der beschlossenen Form nicht zugestimmt hätte, wenn aus diesem […] auch die mir mit Schreiben vom 18. April 2024 mitgeteilten Prognosedaten in geeigneter Weise hervorgegangen wären.”
Kurz: Der Stadtrat hätte dem Nachtragshaushalt womöglich gar nicht zugestimmt, weil die Stadträte eine Menge Fragen an den Finanzdezernenten gehabt hätten – mitten in der Hochphase des Kommunalwahlkampfes hätte es mit Sicherheit massive Kritik gehagelt, wäre die Finanzlage der Stadt zum Topthema geworden – nicht zum Vorteil der Grünen. Die wurden bei der Wahl am 9. Juni erneut stärkste Kraft im Mainzer Stadtrat, wenn auch nur knapp.
Auch hätte es wohl Forderungen zu Einsparungen gehagelt, denn auch hier habe sich die Stadt nicht gerade mit Ruhm bekleckert, so die ADD weiter: Sie sei ihrer Pflicht, Fehlbeträge so gering wie möglich zu halten, nicht nachgekommen, es seien “nicht unbeachtliche Haushaltsverbesserungen” allein durch das Streichen freiwilliger Ausgaben möglich.
ADD fordert Anhebung von Gewerbesteuer und Straßenreinigung
Vor allem aber könne “von einer Ausschöpfung aller Einnahmequellen schon allein im Hinblick auf die Realsteuern nicht ansatzweise die Rede sein”, kritisiert die ADD – und fordert explizit die Wiederanhebung der Gewerbesteuer sowie sowie “eine sachgerechte und kostendeckende Gebührenerhebung im Aufgabenbereich der Straßenreinigung”, vor allem dem Winterdienst, durch den Eigenbetrieb Stadtreinigung Mainz. Man erwarte, dass für 2024 nur noch solche Auszahlungen getätigt würden, die für die Erfüllung bereits bestehender rechtlicher Verpflichtungen oder absolut unabweislicher Maßnahmen nötig seien.
Für 2025 rät die ADD “dringend an”, Zuschüsse bei den freiwilligen Leistungen deutlich zu reduzieren und Investitionen zu begrenzen. Zudem erwartet die ADD nun eine neuen Nachtragshaushalt bis spätestens Ende Oktober 2024, nach Mainz&-Informationen wird derzeit im Stadtvorstand eine drastische Streichliste für Projekte und Ausgaben erarbeitet, die bereits kommende Woche fertig werden soll. Dabei stehen alle Projekte auf dem Prüfstand, für die noch keine Bauaufträge vergeben wurden.
Die Freien Wähler werfen indes Finanzdezernent Günter Beck (Grüne) vor, den Stadtrat, aber auch die Bürger vor der Kommunalwahl bewusst getäuscht zu haben. “Das Bekanntwerden der Korrespondenz mit der ADD lässt uns sprachlos und entsetzt zurück”, teilte die Stadtratsfraktion nun mit. Selten seien “Wähler so dreist getäuscht, und der Stadtrat als Vertretung der Bürgerschaft missachtet worden”, schimpfte FW-Stadtrat Mario Müller: Dass die Mainzer Ampel-Koalition, “allen voran der grüne Finanzdezernent den Stadtrat noch im Juni 2024 einen Nachtragshaushalt verabschieden ließ, der wissentlich falsch prognostiziert war, grenzt an Betrug.”
Freie Wähler: Beck täuschte bewusste Rat und Wähler
Die Bürgerschaft frage sich doch “jetzt zurecht: Wie kann es sein, dass die ‘Mainzer Milliarde’, der Geldregen aus der BionTech-Goldgrube binnen zwei Jahren aufgebraucht ist und ein solcher Absturz erfolgt”, fragte Müller weiter – das sei “ein finanzieller Totalschaden” für die Stadt. Die Frage sei doch zudem, ob es sich hierbei um “die Geisterfahrt eines Finanzdezernenten” handele, “der mit seiner Haushaltsplanung entweder bewusst grob gesetzwidrig handelte oder komplett überfordert war?” Man erwarte nun von der Stadtspitze vollständige Aufklärung, dazu müssten auch juristische Schritte gegen Verantwortliche wegen der Rechtsverstöße geprüft werden.
Tatsächlich stellt sich die Frage, warum genau die Negativzahlen dem Stadtrat vorenthalten wurden – und ob die Fraktionen sowie der Stadtvorstand im Vorfeld davon wussten. Auch stellt sich die Frage, was Oberbürgermeister Haase von dem Zahlenwerk wusste, und warum er nicht steuernd eingriff. Die Freien Wähler fordern zudem Transparenz bei den geplanten Streichungen, denn nun drohten womöglich “harte Einschnitte für die Mainzer Bevölkerung”, warnte Müller weiter. Tatsächlich konstatiert die ADD in ihrem Brief auch: “Eine dauernde finanzielle Leistungsfähigkeit der Landeshauptstadt Mainz ist nicht mehr gegeben” – Mainz fällt zurück in die Verschuldung.
Die AfD fordert wegen des gesamten Vorgangs inzwischen den Rücktritt von Finanzdezernent Beck: Beck habe “wichtige Plandaten, die für eine sachgerechte Haushaltsentscheidung wichtig waren, dem Rat verschwiegen”, das sei “nicht entschuldbar”, kritisierte AfD-Stadtrat Arne Kuster: “Hätten alle konkreten Zahlen auf dem Tisch gelegen, wäre die Debatte über den Nachtragshaushalt vor den Kommunalwahlen anders gelaufen – und vielleicht sogar die Kommunalwahl selbst.” Beck sei deshalb als Finanzdezernent nicht mehr tragbar: “Günther Beck hat damit ausgespielt, nun muss Oberbürgermeister Haase selbst die Verantwortung für den Nachtragshaushalt und den nächsten Doppelhaushalt übernehmen”, forderte Kuster.