Vor genau einem Monat lehnten die Mainzer den geplanten Bibelturm am Gutenberg Museum mit überwältigender Mehrheit ab – nun sprechen sich alle Fraktionen im Mainzer Stadtrat für einen Neustart der Projektentwicklung aus. War vor der Bürgerentscheid noch die Rede davon gewesen, ohne den Turm werde es zu Stillstand, ja quasi zu Rückschritt kommen, war am 9. Mai im Stadtrat davon keine Rede mehr: der Stadtrat beschloss die Einrichtung einer „Arbeitswerkstatt“, die „Möglichkeiten und Empfehlungen für die Zukunft des Gutenberg-Museums ausloten“ soll. Die Ideen gehen indes längst weiter: Vertreter aller Richtung fordern nun eine wirklich große Lösung für ein echtes Weltmuseum der Druckkunst. Derweil lädt kommenden Freitag der Rheinische Verein für Denkmalpflege zu einer baugeschichtlichen Spurensuche für das Museumsquartier als Anknüpfungspunkte für einen Neustart.
Die 77,3 Prozent, mit denen die Mainzer gegen den Bibelturm gestimmt haben, haben für ein Umdenken bei der Politik gesorgt: In der Stadtratssitzung am 9. Mai stimmten die Fraktionen vor allem nachdenkliche, ja selbstkritische Töne an. „Die große Mehrheit des Rates hat sich etwas anderes vorgestellt“, sagte CDU-Fraktionsvize Markus Reinbold nachdenklich, und dabei sei es nicht darum gegangen, „sich ein Denkmal zu setzen, sondern um die wertvollsten Bücher der Welt endlich angemessen zu präsentieren.“ Im Zuge des Bürgerentscheids sei der Bibelturm irgendwann auch zur Projektionsfläche für viele Dinge gemacht worden, die in den vergangenen Jahren in der Stadtpolitik schief gelaufen seien, mahnte er.
Es sei nicht gelungen, für das Projekt Bibelturm eine Mehrheit unter den Mainzern zu bekommen, sagte die Kulturexpertin der SPD-Fraktion, Martina Kracht: „Wir alle dachten, Plan A geht durch, die Notwendigkeit für Plan B war nicht da.“ Nein, verloren habe man nicht, befand FDP-Mann Harald Strutz, schließlich hätten die Menschen in der Stadt „gezeigt, dass ihnen die Zukunft des Museums sehr am Herzen liegt: Es gibt keinen Mainzer, der sich nicht zum Gutenberg-Museum bekennt“, sagte Strutz. Die Frage müsse doch jetzt sein: „Wie erfüllen wir das Ganze jetzt mit Leben?“
Grüne: Großprojekte brauchen künftig frühzeitige Bürgerbeteiligung
Klartext redete indes der Koalitionspartner Grüne: „Eine Lehre ist auch: Wir brauchen bei solchen Projekten künftig mehr Bürgerbeteiligung, und zwar bevor der Rat entscheidet“, sagte Gunther Heinisch. Es dürfe nicht „der Anspruch sein, solche Projekte möglichst geräuschlos über die Bühne zu bringen“, kritisierte er : „Bei solch großen Projekten muss die ganze Stadt darüber sprechen, bevor der Stadtrat entscheidet.“ Deshalb sei nun dringend geboten, Leitlinien zur Bürgerbeteiligung auf den Weg zu bringen. Das bedeute nämlich nicht, die Bürger möglichst oft abstimmen zu lassen, „sondern gerade solche Entwicklungen zu verhindern und Akzeptanz für Entscheidungen zu finden“, betonte Heinisch, „Oder eben auch entdecken, dass man keine Akzeptanz für ein Projekt findet.“
Auch ÖDP-Chef Claudius Moseler forderte mehr Bürgerbeteiligung als Konsequenz aus dem Ergebnis des ersten Bürgerentscheids der Landeshauptstadt: „Man hat kein Ohr an dem Bürger gehabt, das war eine klare politische Fehlentscheidung“, betonte er. Dazu habe die Politik noch versucht, den Menschen die Kompetenz zur Entscheidung über den Bibelturm abzusprechen, „das darf nicht sein“, kritisierte er. Als Konsequenz brauche es in Zukunft mehr Bürgerbeteiligung, „um die Menschen mit der Politik zu versöhnen“ und für den neuen Museums-Prozess unbedingt Transparenz.
SPD und FDP: „Was wir brauchen, ist ein großer Wurf.“
Denn einig waren sich die Fraktionen vor allem in einem: Es wird einen neuen Anlauf in Sachen Aufwertung Gutenberg-Museum geben, und diese Arbeit hat gerade begonnen. „Die CDU-Fraktion ist bereit, einen solchen gemeinsamen Weg zu finden“, betonte Reinbold, die neue Arbeitswerkstatt solle dafür eine Roadmap entwickeln und realisierbare Ziele entwickeln. Der Bürgerentscheid sei „nicht das Ende des Abendlandes“, sagte auch Kracht – und forderte plötzlich: „Was wir brauchen ist ein großer Wurf.“ Eine neue Konzeption brauche vor allem eins: Platz, sagte Kracht, so wie jetzt könne es mit dem Museum einfach nicht weiter gehen. „Mit 5,5 Millionen Euro kann man kein Museum sanieren“, sagte die SPD-Stadträtin, „ehrlich gesagt brauchen wir 50 Millionen Euro.“
Ein Umdenken forderte auch FDP-Mann Strutz: „Wenn es ein Weltmuseum sein soll, muss man auch ein Konzept entwickeln, dass es ein Weltmuseum sein soll“, sagte Strutz. Dafür aber „brauchen wir große Summen“, die Stadt müsse deshalb dringend Menschen gewinnen, Unternehmen und Investoren einbinden – auch und gerade von außerhalb von Mainz. „Verlage, Verleger, Computerentwickler – ich glaube, das ist die Zukunft für das Museum“, sagte Strutz. Und dann fügte er noch hinzu, der Standort am Markt sei wohl „nicht das richtige für ein Weltmuseum.“
Standortfrage fürs Gutenberg-Museum steht neu im Raum
Damit wäre die Debatte um die künftige Lage des Museums ganz neu eröffnet: plötzlich steht auch die Frage nach einer möglichen Verlagerung im Raum. Der Schellbau hinter dem Römischen Kaiser platzt aus allen Nähten, eine Bebauung des Liebfrauenplatzes aber ist – das zeigte der Bürgerentscheid – den Mainzern nicht zu vermitteln. „Dieser zentrale Platz muss dauerhaft als einer der wichtigsten Begegnungsstätten für Bevölkerung, Besucher und Touristen erhalten bleiben“, fordert denn auch die Bürgerinitiative Gutenberg-Museum: Die besondere urbane Lebensqualität in direkter Nähe zum Dom sei „ein Aushängeschild für Mainz und steht für wichtige Werte: Gemeinschaftsgefühl, Offenheit und Gemütlichkeit.“
Und die BI fordert, bei der Neuplanung für eine Museumserweiterung erst einmal dringend notwendige Fragen zu klären: Wolle das Gutenberg-Museum in eine Größenordnung anderer Museen wie Städel, Schirn oder Senckenberg-Museum aufsteigen, bedeute das auch eine drei- bis vierfache Zahl der heutigen Besucher – sei das am jetzigen Standort überhaupt noch zu bewältigen? „Das neue Ausstellungskonzept des Gutenberg-Museums muss endlich in Verbindung mit einer Raumplanung präsentiert werden“, fordert die BI deshalb. Dazu habe es in den vergangenen Monaten zwar „Andeutungen, aber keinerlei Detailinformationen“ gegeben.
BI lädt für 28. Mai zu Rundem Tisch ein
„Wir begrüßen ausdrücklich die Diskussionen um die Zukunft des Gutenberg-Museums im Mainzer Stadtrat“, sagte BI-Sprecher Nino Haase zudem. Interessant sei aber doch, dass nun Forderungen der BI plötzlich im Stadtrat bei den Parteien wieder auftauchten – etwa die Idee, schon vor Baubeginn höhere Summen zu sammeln und Partner grundlegend in die Planungen einer großen Gesamtlösung einzubinden.
Die BI pocht zudem selbstbewusst darauf, als Ausrichter eines Runden Tischs selbst zu einem ersten Arbeitstreffen einzuladen: Man sehe sich als Vertreter der den Bibelturm in großer Mehrheit abgelehnten Wählerschaft und wolle deshalb nun den ersten Schritt zu einem gemeinsamen Arbeitstreffen tun, sagte BI-Initiator Thomas Mann. Zu einem ersten Termin habe die BI nun für den 28. Mai eingeladen – Teilnehmer seien Oberbürgermeister Michael Ebling und Dezernentin Marianne Grosse (beide SPD), Vertreter aus dem Museum, der Gutenberg-Stiftung und -Gesellschaft sowie aus Kommunal-, Landes- und Bundespolitik.
Dezernentin Grosse hatte hingegen im Stadtrat betont, Gespräche mit allen Akteuren für eine Erneuerung des Museum sei „Aufgabe der Stadt“, es brauche nun Zeit, den neuen Prozess zu gestalten. Grosse dankte zudem dem, Stadtrat für den neuen Antrag, der sei „ein erneutes Bekenntnis zum Gutenberg-Museum“ und „ein überaus wichtiges Zeichen, die Zukunft des Gutenberg-Museums unbedingt sichern zu wollen.“
Info& auf Mainz&: Kommenden Freitag, den 19. Mai, lädt der Rheinische Verein für Denkmalpflege für 18.30 Uhr im Haus am Dom zu einer baugeschichtlichen Spurensuche im Museumsquartier zwischen Seilergasse und Rotekopfgasse, „als Anknüpfungspunkte und Orientierungshilfe für den von allen gewünschten Neustart“ des Gutenberg-Museums wie es heißt. Ex-Stadtdenkmalpfleger Hartmut Fischer wird sich dabei der Baugeschichte von Seilergasse und Rotekopfgasse widmen, der Kunsthistoriker Georg-Peter Karn dem „stadt- und stilgeschichtlichen Stellenwert des Spätrenaissance-Kleinods ‚Römischer Kaiser'“. Mitveranstalter ist die SPD Mainz-Altstadt. Wer noch einmal die Geschichte um den Bibelturm nachlesen möchte – bitteschön: Die Mainzer sagen Nein zum Bibelturm berichtet von dem Ausgang des Bürgerentscheids, Reaktionen und Analyse dazu gibt es hier. Der Ausgang des Bürgerentscheids mit dem neuen Anlauf für ein echtes Weltmuseum der Druckkunst – es könnte auch die Stadtpolitik werden, das kommentieren wir in unserem Leitartikel auf Mainz&.