Das ist ein Einschnitt bei den Grünen in Mainz: Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner hört auf. „Nach reiflicher Überlegung habe ich mich entschieden, bei der nächsten Bundestagswahl nicht erneut zu kandidieren“, teilte Rößner nun ihrer Partei in einem Brief mit – und zog ein durchaus kritisches Fazit ihrer Partei gegenüber. Der Abschied ist denn auch der Schlusspunkt in einer zunehmenden Entfremdung, die Grünen in Rheinland-Pfalz reagierten mit allgemeinen Dankesfloskeln. Die Partei verliert damit eine ihrer profiliertesten Politikerinnen der vergangenen 15 Jahre in Mainz.

Tabea Rößner auf einer Montagsdemo gegen Fluglärm - mit der Handtasche, die später legendär wurde. - Foto: gik
Tabea Rößner auf einer Montagsdemo gegen Fluglärm – mit der Handtasche, die später legendär wurde. – Foto: gik

Damit verlieren die Grünen in Rheinland-Pfalz ein politisches Schwergewicht: Seit 1998 hatte sich Rößner in Mainz in der Politik engagiert, war Stadträtin, Landesvorsitzende der Grünen – und saß seit 2009 für die Grünen und den Wahlkreis Mainz im Bundestag. Bekannt wurde Rößner in Mainz vor allem durch ihr Engagement gegen Fluglärm und den Kampf gegen das geplante Kohlekraftwerk auf der Ingelheimer Aue, das sie mit ihrer fundierten Kritik 2009 maßgeblich mit verhinderte.

Im Bundestag machte sich die gelernte Journalistin schnell als Sprecherin für Medienpolitik und Digitales einen Namen – unter anderem, als sie in der „Causa Brender“ bis vor das Bundesverfassungsgericht zog, und 2014 Änderungen im ZDF-Staatsvertrag durchfocht. In dem Verfahren lernte sie auch ihren heutigen Mann kennen, den Medienrechtler Karl-Eberhard Hain. Ihren größten Erfolg hätte sie schon 2016 erringen können: Rößner sollte Ministerin für Integration in Rheinland-Pfalz werden, sie ließ Anne Spiegel den Vortritt, die nach der Flutkatastrophe im Ahrtal 2022 zurücktreten musste.

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Rößner im Bundestag: Expertin für Medienpolitik und Digitales

Ursprünglich hatte Rößner immer nur für drei Legislaturperioden im Bundestag wirken wollen, doch 2021 trat sie erneut für eine vierte Periode an: Sie habe in der neuen Ampel-Regierung in Berlin „meine Erfahrungen in die Regierungsarbeit einbringen und so die Chance ergreifen wollen, unser Land endlich mit zu gestalten“, begründete Rößner ihren Schritt. Nun aber soll endgültig Schluss sein: Diese Woche kündigte die 57-Jährige in einem Brief an ihre Partei an, sie werde zur Bundestagswahl 2025 nicht mehr antreten.

Will bei der Bundestagswahl 2025 nicht erneut antreten: Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne). - Foto: Rößner
Will bei der Bundestagswahl 2025 nicht erneut antreten: Die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabea Rößner (Grüne). – Foto: Rößner

„Es war und ist für mich eine außerordentliche Ehre, euch seit 2009 im Bundestag vertreten zu dürfen“, schreibt Rößner in dem Brief, der Mainz& vorliegt. Zuerst hatte darüber die Süddeutsche Zeitung berichtet, Mainzer Zeitungen erfuhren erst durch den Bericht von der Entscheidung und Rößners Brief an die Partei – Rößner hatte sich zuletzt immer stärker vom Mainzer Politikbetrieb zurückgezogen, war in Mainz nur noch selten präsent.

Sie habe sich stets „mit Leidenschaft und Engagement meinen Aufgaben gewidmet, stets mit dem Ziel, einen Beitrag zu einer demokratischen, sozialen und nachhaltigen Gesellschaft zu leisten“, heißt es in dem Schreiben. Nun aber „ist Zeit für etwas Neues“, schreibt Rößner weiter: „Unser politisches System lebt davon, dass sich möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen einbringen und Verantwortung übernehmen. Daher möchte ich jetzt Platz machen.“

Zunehmende Entfremdung zwischen Rößner und den Grünen

Die Konsequenz kommt nicht unerwartet, war in den vergangenen Jahren doch eine zunehmende Entfremdung zwischen der Grünen und ihrer Partei zu spüren. In Mainz lag das vor allem an der Oberbürgermeisterwahl 2019: Rößner trat als OB-Kandidatin an, das aber schien nicht jedem in ihrer Partei zu schmecken – zumal Rößner ihre Kandidatur mit „dem Wunsch nach Veränderung“ begründete. Die Grünen regierten da bereits seit zehn Jahren in einer Koalition mit SPD und FDP.

Tabea Rößner bei ihrer offiziellen Kür als OB-Kandidatin in Mainz mit Bürgermeister Günter Beck (rechts) und einem "Game of Thrones"-Plakat. - Foto: gik
Tabea Rößner bei ihrer offiziellen Kür als OB-Kandidatin in Mainz mit Bürgermeister Günter Beck (rechts) und einem „Game of Thrones“-Plakat. – Foto: gik

Rößner scheiterte bei der Wahl im Oktober 2019 überraschend im ersten Wahlgang mit eigentlich guten 22,5 Prozent der Stimmen, obwohl Mainz inzwischen als Hochburg der Grünen galt, reichte das nicht für die Stichwahl. Doch ihre eigene Partei ließ es gerade im Endspurt erheblich an Unterstützung für die eigenen Kandidatin mangeln – das Motto ihrer Kür als Kandidatin hatte der grüner Bürgermeister Günter Beck passenderweise unter das Motto „Game of Thrones“ gestellt.

Auch andere, höhere Weihen blieben Rößner verwehrt: Als im November 2020 eine Nachfolgerin für die zurückgetretenen rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) gesucht wurde, war Rößner erneut im Gespräch – und ging erneut leer aus. Während der Corona-Pandemie engagierte sie sich stark dafür, gebrauchte Laptops für Schüler zu sammeln, und diese wieder aufarbeiten zu lassen – weit über 130 Laptopspenden kamen dabei zusammen.

Verhinderung Kohlekraftwerk in Mainz und ZDF-Staatsvertrag

Im Bundestag wurde Rößner zunächst Sprecherin für Medienpolitik, Kreativwirtschaft und digitale Infrastruktur ihrer Fraktion, dass die Grünen sie in dieser Funktion ablösten, schmerzte sie sehr. Rößner war ab 2017 dann Sprecherin für Netzpolitik und Verbraucherschutz, seit 2021 ist sie Vorsitzende des Ausschusses für Digitales. „Die Medienpolitik war mir immer besonders wichtig, denn sie ist Demokratiepolitik“, schreibt Rößner nun, sie habe sich dabei stets „für eine Gemeinwohl orientierte und nachhaltige Digitalisierung eingesetzt, für digitale Bildung und Teilhabe und für die Regulierung großer Internetkonzerne, damit die Nutzer im ungleichen Macht Verhältnis gegenüber großen Plattformbetreiber nicht ins Hintertreffen geraten.“

Übergabe von Laptopspenden an der BBS3 in Mainz während der Corona-Pandemie. - Foto: Rößner
Übergabe von Laptopspenden an der BBS3 in Mainz während der Corona-Pandemie. – Foto: Rößner

Als ihre größten Erfolge bezeichnete Rößner nun neben der Verhinderung der Kohlekraftwerks und dem ZDF-Prozess, sie habe „entscheidende Akzente“ setzen können, verbindliche Standards für neue Technologien wie den Einsatz von künstlicher Intelligenz zu setzen, und die Rechte der Nutzer zu stärken sowie die Verantwortung der Plattform zu erhöhen. Ihr seit Langem gefordertes Recht auf einen leistungsfähigen Internet-Zugang werde nun endlich als Rechtsanspruch umgesetzt, ebenso auf „ein Recht auf Reparatur“, das mittels einer EU Richtlinie noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werde.

„In der Politik kann man also vieles bewegen und viel lernen, dafür bin ich sehr dankbar“, schreibt Rößner – und spart anschließend in ihrem Schreiben nicht mit deutlicher Kritik an ihrer eigenen Partei sowie dem Politikbetrieb als Ganzes: „Auch Fehleranalysen gehören zum demokratischen Prozess, und es täte allen Beteiligten gut, sie als Grundlage für zukünftig bessere Sache Entscheidungen zu nutzen – anstelle von Skandalisierungen und dem Pflegen politischer Gegnerschaft“, schreibt Rößner: Nicht nur die Medien müssten weniger skandalisieren und mehr die Vielfalt der Meinungen aufzeigen, „wir Politiker haben ebenso Hausaufgaben zu machen.“

Hausaufgaben für Politik: Weniger Sprechblasen, mehr Hinhören

So dürfe sich die Politik „nicht gegenüber den Menschen abschotten, die sie repräsentiert.“, sondern müsse vielmehr „bereit sein, verstärkt den Kontakt zu den Menschen vor Ort zu suchen, gerade auch zu denen, die andere Meinung sind“, mahnt Rößner weiter: Die Politik müsse auch deren Sorgen und Nöte Ernst nehmen, „und nicht mit den eingeübten Sprechblasen reagieren“, kritisiert sie. So wisse sie aus vielen Gesprächen, „dass ein Großteil der Menschen beispielsweise ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, sie sich aber oft überlastet fühlen. Ihn müssen wir unsere Politik erklären, ihre Kritik aufnehmen, und vor allem müssen wir Ihnen gangbarer Lösungen und Anreize bieten.“

Tabea Rößner im Deutschen Bundestag bei ihrer Rede gegen eine Corona-Impfpflicht. - Foto: Rößner
Tabea Rößner im Deutschen Bundestag bei ihrer Rede gegen eine Corona-Impfpflicht. – Foto: Rößner

Das trifft ins Mark der Grünen, die zuletzt gerade mit dem übereilten und realitätsfernen Heizungsgesetz viele Menschen dazu gebracht hatten, sich von den Grünen abzuwenden – das Gesetz wurde als einseitiges Vorschreiben von Heizen via Wärmepumpe empfunden, und führte zu einem massiven Einbau neuer Öl- und vor allem Gasheizungen. In den Passagen wird denn auch eine deutliche Entfremdung von ihrer Partei und ihrem Absolutheitsanspruch spürbar, das gilt noch mehr für die Corona-Politik – Rößner hatte in der Zeit deutlich abweichende Meinungen gerade zu einer Corona-Impfpflicht vertreten, und das auch öffentlich in Reden im Bundestag.

Sie habe sich bei all ihren Positionierungen „stets von meinem inneren Kompass leiten lassen“, betonte Rößner mit Blick auf die Pandemie-Zeit nun, „auch wenn dies bedeutete, nicht immer im Einklang mit der Mehrheitsmeinung auch meiner Fraktion zu stehen.“ Ihr Einsatz habe immer „einer freien demokratischen Diskussionskultur, dem Miteinander und dem Zusammenhalt sowie der freien Entfaltung jedes einzelnen im gegenseitigen Respekt  und in Verantwortung für einander“ gegolten.

Landesverband der Grünen reagiert distanziert

Ihr Mandat werde sie natürlich „bis zum Ende gewissenhaft und engagiert ausüben“, versprach Rößner zudem – und dankt ausdrücklich ihren Wählern für das Vertrauen. „Ich blicke auf eine intensive, ereignisreiche Zeit zurück und bin unendlich dankbar, dass ihr mir all die Jahre euer Vertrauen geschenkt habt“, schreibt Rößner: Ich bin dankbar für die vielen, interessanten Begegnungen, auch in meinem Wahlkreis, in Rheinland-Pfalz, Berlin oder bundesweit und während meiner Delegation, Reisen ins Ausland.“ Gerade dort habe sie erlebt, „wie wichtig Integrität und Haltung gerade für eine Mandatsträgerin sind.“ Was sie nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag plant, sagte die 57-Jährige nicht.

Der Landesvorstand der rheinland-pfälzischen Grünen reagierte distanziert: Man habe „großen Respekt“ vor Rößners Entscheidung und danke „herzlich für ihre engagierte Arbeit“, teilten die Landeschefs Natalie Cramme-Hill und Paul Buntjes mit. Rößner habe in ihrer Zeit im Bundestag „wichtige Akzente“ gesetzt und streite seit Jahrzehnten für den Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie eine nachhaltige Mobilität – Letzteres war allerdings eher kein Schwerpunkt von Rößners Arbeit. Rößner sei „immer ansprechbar gewesen“ für die Bürger in Rheinland-Pfalz und die Grünen in Kreis- und Ortsverbänden – man wünsche ihr alles Gute.

Tabeas Tasche im Museum: Was darf ein Politiker tun?

Bleiben wird in jedem Fall etwas von der streitbaren Grünen: Im Deutschen Ledermuseum in Offenbach steht bis heute ihre Handtasche. Die schwarze Tasche hatte im Januar 2014 zu einem „Taschengate“ geführt: Aus der im Frankfurter Flughafen-Terminal zunächst vergessenen, und dann ins Flugzeug nachgelieferten Tasche machten Berliner Medien die Schlagzeile „Handtasche stoppt Airbus“ – es hagelte Vorwürfe, Verleumdungen, Schelte, es geht um angeblich abgehobene Politiker, um grüne Moral (Fliegen!), um den Kampf gegen Fluglärm und Bahnfahren gegen Fliegen.

Die im Zuge des Handtaschengates berühmt gewordene Ledertasche von Tabea Rößner. - Foto: Rößner
Die im Zuge des Handtaschengates berühmt gewordene Ledertasche von Tabea Rößner. – Foto: Rößner

Das „Handtaschen-Gate“ führt schließlich dazu, dass Rößner die Tasche auf Ebay versteigert, der Erlös geht an die Fluglärm-Messstation auf dem Mainzer Lerchenberg. Die Tasche wird in der Folge von einer Mainzer Fluglärm-Gegnerin mit zu den Montagsdemos  an den Frankfurter Flughafen genommen – im April 2015 landet sie schließlich im Museum.

Die Tasche, sagte Chefkuratorin Rosita Nenno damals, stehe für moralische Erwägungen, um Vorurteile gegenüber Politikern, und für ein Grundmisstrauen ihnen gegenüber: „Es ist die Verquickung eines Alltagsgegenstandes mit der hohen Politik – und noch dazu mit der Fragestellung: was darf ein Politiker tun? Das steckt jetzt alles in diesem einen Stück Tasche drin, das sollte man für die Zukunft aufbewahren.“

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