Machtwechsel in Hessen: Volker Bouffier (CDU) tritt zurück. Der hessische Ministerpräsident kündigte am Freitag seinen Rückzug von allen seinen Ämtern zum 31. Mai an. Sein Nachfolger soll Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) werden. Der kündigte an, er wolle die hessische CDU zu einer „Bürger- und Mitmachpartei“ machen. Der Rückzug Bouffiers ist ein echter Einschnitt für Hessen: Der konservative Politiker war seit 2010 Ministerpräsident, mit 23 Jahren in Regierungsverantwortung ist er der längste amtierende Politiker in Verantwortung in Hessen. Mit Rhein steht nun ein Generationswechsel bevor, die hessische CDU soll liberaler und Großstädtischer werden.

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit seiner Frau am Abend der Landtagswahl 2018 in Wiesbaden. - Foto: gik
Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit seiner Frau am Abend der Landtagswahl 2018 in Wiesbaden. – Foto: gik

Der Rückzug Bouffiers kommt nicht überraschend: Vor allem vor der Landtagswahl 2019 war heftig über einen Rückzug Bouffiers spekuliert worden. Der eigentlich energische Landesvater wirkte damals angeschlagen und krank, erst nach der Wahl offenbarte Bouffier, dass er an einer Krebserkrankung litt. Bouffier war im vergangenen Dezember 70 Jahre alt geworden, auch dadurch wurden die Fragen nach seinem Rückzug und seiner Nachfolge immer drängender.

Nun hat der hessische Ministerpräsident entschieden: Zum 31. Mai wird Schluss sein. Die Entscheidung habe er persönlich für sich im vergangenen Juli gefällt, sagte Bouffier am Freitag nach einer CDU-Klausurtagung in Fulda. Seither habe er einen „sorgfältigen Vorbereitungsprozess“ eingeleitet, „ich habe mir auch Rat geholt“, sagte Bouffier: „Mir war immer klar, ich kann nicht einfach aufstehen und gehen.“ Die Nachfolge sei fraglos „eine Zäsur für die hessische CDU.“

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Bouffier 2014 bei einer Pressereise im Führerstand einer Straßenbahn. - Foto: gik
Bouffier 2014 bei einer Pressereise im Führerstand einer Straßenbahn. – Foto: gik

Damit tritt der dienstälteste deutsche Landespolitiker in Deutschland zurück: Bouffier ist seit 23 Jahren in Regierungsverantwortung in Hessen – mit ihm geht auch der einstige „Schwarze Sheriff“ von Hessen. Der aus Gießen stammende Bouffier gehörte seit 1978 dem Landesvorstand der hessischen CDU an, von April 1999 an war er Innenminister von Hessen und blieb es bis zu seiner Wahl als Ministerpräsident im Jahr 2010. Bouffier war ein getreuer Gefolgsmann von Roland Koch, er führte die Rasterfahndung in Hessen ein und mit harter Hand Abschiebungen durch, er modernisierte die hessische Polizei – gegen rechte Umtriebe in deren Reihen ging er nach außen sichtbar aber nie vor.

 

In Bouffiers Amtszeit fiel auch die Nicht-Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrundes NSU 2.0, bis heute ist Bouffiers Rolle bei der Aufklärung insbesondere des Kasseler Mordes des NSU im April 2006 an Halit Yozgat nicht restlos aufgeklärt. Es war Bouffier, der den rechtsextremen Verfassungsschützer Andreas Temme deckte und seine Vernehmung durch die hessische Polizei nach dem Auffliegen des NSU verhinderte. Auch wegen dieser Sperrerklärung ist bis heute nicht geklärt, welche Rolle Temme bei dem Mord spielte – und wie „zufällig“ seine Anwesenheit in dem Internetcafés von Yozgat just zum Tatzeitpunkt war.

Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im November 2021. - Foto: gik
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im November 2021. – Foto: gik

Im Amt des Ministerpräsidenten ab 2010 wandelte sich Bouffier aber zur Überraschung vieler zum echten Landesvater. Nach der hessischen Landtagswahl im September 2013 schmiedete er ein Bündnis mit den Grünen – es war die erste schwarz-grüne Koalition auf Landesebene in Deutschland und für Bouffier ein echter Coup. Ausgerechnet der konservativste Landesverband der CDU öffnete sich als erstes für ein Bündnis mit der Partei, die Roland Koch und dessen Ausländerpolitik noch vehement bekämpft hatte – Bouffier präsentierte sich als Versöhner und Kompromiss-Schmieder.

Bei der Landtagswahl in Hessen am 28. Oktober 2018 aber mussten Bouffier und seine CDU zweistellige Verluste hinnehmen – minus 11,3 Prozent, so viele wie nie. Trotzdem blieb die CDU mit 27 Prozent stärkste Kraft in Hessen und konnte Dank der deutlichen Zugewinne der Grünen die Koalition mit ihnen fortsetzen. Schon damals war intensiv über einen Abschied des zunehmend als angeschlagen wirkenden Bouffiers spekuliert worden.

Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Freitag bei der Pressekonferenz in Fulda. - Foto: gik
Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) am Freitag bei der Pressekonferenz in Fulda. – Foto: gik

Doch der Machtwechsel verzögerte sich aus mehreren Gründen: Im März 2020 brach die Corona-Pandemie über Deutschland herein – der völlig falsche Zeitpunkt für einen Machtwechsel an der Spitze des Landes. Dann wurde auch noch am 28. März 2020, an einem Samstag, Hessens Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) tot neben der ICE-Bahnstrecke bei Hochheim gefunden. Das war nicht nur ein persönlicher Schlag für Bouffier, Schäfer galt auch als „Kronprinz“, als aussichtsreichster Kandidat für die nachfolge Bouffiers im Amt des Ministerpräsidenten.

Bouffier – sichtlich gealtert, abgemagert und grau -, machte weiter, lenkte Hessen mit Umsicht durch die Corona-Pandemie. Bei der Suche nach dem geeigneten Kanzlerkandidaten der CDU für die Bundestagswahl 2021 mischte der CDU-Senior tatkräftig mit – und drückte gemeinsam mit CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble Armin Laschet als Kandidat gegen Markus Söder durch. Die Wahl wurde ein Fiasko, die CDU verlor das Kanzleramt und die Regierungsbeteiligung – und ließ auch Bouffier schwer angeschlagen zurück.

Ankündigung des Wechsels von Volker Bouffier zu Boris Rhein am Freitag in Fulda. - Foto: gik
Ankündigung des Wechsels von Volker Bouffier zu Boris Rhein am Freitag in Fulda. – Foto: gik

Nun tritt der Senior ab, nach 12 Jahren im Amt des Ministerpräsident – und gut anderthalb Jahre vor der nächsten Wahl in Hessen. Sein Nachfolger soll nun Landtagspräsident Boris Rhein werden – und das ist durchaus eine Überraschung: Rhein hatte Bouffier 2010 im Amt des hessischen Innenministers beerbt, doch der joviale Frankfurter machte an der Spitze der hessischen Polizei und im Zuge mehrere Affären keine glückliche Figur. 2012 verlor Rhein zudem die Wahl zum Frankfurter Oberbürgermeister haushoch gegen den heutigen Amtsinhaber Peter Feldmann (SPD). In Wiesbaden kolportierte man damals, Bouffier sei mit seinem Nachfolger alles andere als glücklich – nach der Landtagswahl 2014 wurde Rhein zum Minister für Wissenschaft und Kultur quasi „degradiert“.

In dem neuen Amt aber wurde Rhein einer der aktivsten Minister in Bouffiers Kabinett, der Jurist bewies, dass er auftreten und reden kann – das verschaffte ihm im Januar 2019 das Amt des Präsidenten des hessischen Landtags. Rhein agierte fortan überparteilich und erwarb sich bei allen Parteien Ansehen – für das Amt des Regierungschefs aber schien er nicht mehr in Frage zu kommen. Als Bouffiers Nachfolger wurden andere gehandelt: Innenminister Peter Beuth etwa oder Finanzminister Michael Boddenberg – doch keiner der CDU-Minister drängte sich auf, der eher zurückhaltende Boddenberg etwa ist in Hessen noch weithin unbekannt.

Boris Rhein im Januar 2019 im Hessischen Landtag mit Grünen-Chef Tarek Al-Wazir. - Foto: gik
Boris Rhein im Januar 2019 im Hessischen Landtag mit Grünen-Chef Tarek Al-Wazir. – Foto: gik

Beuth gilt zudem eher als Hardliner, die Wahl seines Nachfolgers fällte Bouffier denn auch mit Blick auf die Koalition mit den Grünen: Der eher zur liberalen CDU gehörende Rhein gilt als hochgradig kompatibel mit dem Koalitionspartner. „Ich pflege ein sehr enges und vertrauensvolles Verhältnis zu den Grünen“, betonte Rhein denn auch am Freitag, „ich komme aus Frankfurt – das ist die Urzelle von Schwarz-Grün.“ Und auch Bouffier unterstrich, er habe „selbstverständlich die Grünen angemessen unterrichtet“. Ein konservativer Hardliner im Amt des Ministerpräsident wäre für die Koalition eine schwere Belastung gewesen und hätte sie womöglich sogar gefährdet.

Er sei „überzeugt, dass Boris Rhein gemeinsam mit unserem Koalitionspartner die besten Voraussetzungen mitbringt, die Koalitionsarbeit fortzusetzen und ein hervorragender Ministerpräsident für Hessen zu sein“, betonte Bouffier denn auch am Freitag: Rhein werde „ein neues Kapitel der Erfolgsgeschichte der hessischen CDU schreiben.“ Dass die hessische CDU Bouffier dabei einstimmig folgte, ist durchaus bemerkenswert: Der Landesverband gehört noch immer zu den konservativen Bastionen der CDU Deutschland.

Boris Rhein wird Nachfolger von Volker Bouffier im Amt des hessischen Ministerpräsidenten. - Foto: gik
Boris Rhein wird Nachfolger von Volker Bouffier im Amt des hessischen Ministerpräsidenten. – Foto: gik

Mit Rhein setzte die hessische CDU nun auf eine liberale Großstadt-CDU, das ist eine Kampfansage an SPD und Grüne. „Ich bin dankbar für das Votum der hessischen CDU, das tut gut“, unterstrich Rhein denn auch, und betonte: „Wir werden aus dieser Partei eine Bürger- und Mitmachpartei formieren, in der diskutiert und Ideen formuliert werden.“ Die Partei „brennt darauf, die Wahl 2023 zu gewinnen, und heute wissen sie auch, mit wem sie sie gewinnen wollen“, sagte Rhein weiter, der Wechsel sein einer „in Übereinstimmung und Freundschaft und kein Bruch der Generationen.“ Und dann fügte der 50-Jährige noch hinzu: „Das ist heute ein sehr besonderer Tag – ich bin persönlich überwältigt.“ Der hessische Landtag soll Rhein nun am 1. Juli zum neuen Ministerpräsidenten wählen.

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