Mitte Juli schlugen die Krankenkassen in Deutschland einhellig Alarm: Die Krankenstände seien im ersten Halbjahr so hoch wie nie gewesen, die Deutschen sind immer häufiger und immer länger krank. Der Hauptgrund: “Atemwegserkrankungen”. Was niemand dazu sagt: Corona. Gleich mehrfach im Jahr rollen inzwischen Corona-Infektionswellen durch die Republik, aktuell gerade in Mainz – die Folgen werden dramatisch unterschätzt. Auch beim Robert-Koch-Institut heißt es: Derzeit kursiere hauptsächlich SARS-CoV-2, doch die Inzidenzen kann man dort nur schätzen. Durch das “GrippeWeb” kann jeder mithelfen, Infektionswellen nachzuverfolgen.
In der Corona-Pandemie waren sie aus dem Tagesablauf nicht wegzudenken: Der erste Check am Morgen galt der Corona-Inzidenz. Wie hoch ist die Infektionsrate aktuell, wie schlimm die Ansteckungsgefahr? Doch seit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Pandemie im April 2023 für beendet erklärte, wurden Monitoring-Tools und Inzidenz-Rechner praktisch komplett eingestellt, die Überwachung der Corona-Infektionen findet nur noch über Abwassersysteme statt, Tests finden kaum noch statt oder werden nicht mehr systematisch erfasst.
Doch nun schlugen Mitte Juli gleich mehrere Krankenassen Alarm, und berichteten dabei gleichlautend: Die Zahl der Krankheitsfälle in der deutschen Bevölkerung sei im ersten Halbjahr 2024 so hoch gewesen wie nie. “Die Krankschreibungen im Job bewegen sich im ersten Halbjahr 2024 weiterhin auf einem Höchststand”, meldete etwa die KKH: Von Januar bis Ende Juni dieses Jahres habe es bundesweit 210 Krankheitsfälle auf 100 erwerbstätige Mitglieder gegeben, im Vergleich zu 2019 bedeute das einen Anstieg von rund 72 Prozent.
Viele Kranke wegen “Atemwegskrankheiten”: Corona ausgeblendet
Grund dafür sei vor allem “die anhaltend hohe Zahl an Atemwegserkrankungen wie Husten, Schnupfen oder grippale Infekte”, berichtete die KKH weiter: Diese hätten im ersten Halbjahr 2024 bei 70 Fällen je 100 Versicherte gelegen, vor fünf Jahren waren das noch 34 Fälle je 100 Versicherte. “Atemwegsinfekte” hätten in diesem Jahr ein Drittel aller Krankheitsfälle ausgemacht. Ganz Ähnliches berichtete gerade die AOK Rheinland-Pfalz: “Die Fehlzeiten im ersten Halbjahr 2024 legten gegenüber dem bisherigen Höchststand aus 2023 erneut zu”, berichtete AOK-Vorstandsvorsitzende Martina Niemeyer.
So sei der Krankenstand des ersten Halbjahres 2024 auf jetzt 6,7 Prozent gestiegen, und im Februar mit 7,8 Prozent am höchsten gewesen, wobei eine Arbeitsunfähigkeit im Schnitt 10,3 Tage je Fall dauerte. Bemerkenswert dabei sei, dass Arbeitsunfähigkeits(AU)-Fälle seit dem ersten Halbjahr 2021 “um beachtliche 17,2 Prozentpunkte angestiegen” seien, Ursache seien “deutlich mehr Krankschreibungen wegen Atemwegsinfekten und Erkältungskrankheiten” gewesen. “Atemwegserkrankungen verursachen mehr als ein Viertel aller AU-Fälle und haben sich in den vergangenen drei Jahren knapp verdreifacht”, berichtete Niemeyer.
Was in allen diesen Meldungen nicht vorkommt, ist ein bestimmtes Wort: Corona. Corona-Erkrankungen werden inzwischen bei leichten Fällen unter “Atemwegserkrankungen” geführt, bei schwereren Verläufen unter “grippalem Infekt” – Experten sind sich einig: Die stark gestiegene Anzahl von Erkrankungen sowie eine Großzahl der “Atemwegserkrankungen” sind in Wahrheit Coronafälle, ihr Anstieg liegt unter anderem in dem Wegfall jeglicher Schutzmaßnahmen wie Isolation, Masken oder schlichtem Zuhausebleiben, über Corona-Infektionswellen erfährt man zumeist durch Mund-zu-Mund-Propaganda.
Corona-Wellen im Februar, seit Mitte Mai und seit August 2024
Dabei ist Corona beileibe nicht vorbei: Das Virus ist endemisch geworden, doch im Gegensatz zu den bekannten Grippewellen, taucht es nicht nur einmal im Jahr im Winter auf. Sars-CoV-2 verursacht stattdessen gleich mehrmals im Jahr Krankheitswellen: Eine heftige Corona-Welle gab es Ende 2023, es folgte aber eine weitere Infektionswelle im Februar und seit Mitte Mai ein neuerlicher Anstieg der Corona-Inzidenzen, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) berichtet: Demnach stieg die Covid-19-Inzidenz von Mitte Mai 2024 bis Mitte Juli auf rund 900 COVID‑19-Erkrankungen pro 100.000 Einwohner an.
“Seither ist tendenziell weiterhin ein Anstieg sichtbar, jedoch mit geringerer Geschwindigkeit”, berichtet das RKI weiter. Anfang September habe die geschätzte COVID-19-Inzidenz bei rund 1.000 COVID-19-Erkrankungen pro 100.000 Einwohner gelegen, das habe die Zahl der Atemwegserkrankungen in der Bevölkerung hochgetrieben: “Die aktuelle ARE-Aktivität in der Bevölkerung ist hauptsächlich auf die Zirkulation von SARS-CoV-2 und Rhino-/Enteroviren zurückzuführen”, heißt es beim RKI klar – und die Atemwegserkrankungen hätten in den vergangenen Wochen “auf einem höheren Niveau als sonst um diese Jahreszeit” gelegen. Kurz: es ist das Coronavirus, das für die hohen Krankenstände sorgt.
Das Problem des RKI: Es muss die Corona-Inzidenzen inzwischen schätzen, die Zahl der Infektionen wird auf der Grundlage von Abwasser-Untersuchungen kombiniert mit dem “GrippeWeb” des RKI errechnet. Das “GrippeWeb” gibt es bereits seit 2011, 2022 wurde es grundlegend überarbeitet – es verwendet dabei Daten direkt aus der Bevölkerung. Wer sich registriert, bekommt jede Woche eine Emailabfrage über den aktuellen Gesundheitszustand, wer eine Atemwegserkrankung hat wird gebeten, Symptome und Ursache zu melden. Aus den Daten werden aktuelle Wochenberichte erstellt – samt aktueller Corona-Inzidenzen.
Hohe Krankenstände Ursache für Rezession in Deutschland
Dabei sind die Krankheitswellen keineswegs irrelevant, im Gegenteil: “Hoher Krankenstand offenbar Ursache der Rezession”, meldete etwa der Spiegel im Januar 2024 – da steckte Deutschland gerade mitten in den Ausläufern der massiven Corona-Welle aus der Vorweihnachtszeit 2023. Auch die Tagesschau meldete Ende Januar: “Krankenstand drückte Deutschland wohl in Rezession”, erhebliche Arbeitsausfälle hätten “zu beträchtlichen Produktionseinbußen” geführt, zitierte die Tagessschau eine Studie – “ohne die überdurchschnittlichen Krankentage wäre die deutsche Wirtschaft um knapp 0,5 Prozent gewachsen.” Das Wort “Corona” fällt in dem ausführlichen Bericht nicht ein einziges Mal.
Dabei schlagen Datenanalysten und Mediziner bereits seit geraumer Zeit Alarm, denn die Zahl der Infektionskrankheiten hat sich seit der Corona-Pandemie weltweit stark erhöht. Laut einer Datenanalyse des britischen Medizinforschungsunternehmens Airfinity stiegen weltweit die Zahlen bei mindestens 13 Infektionskrankheiten deutlich an – darunter Keuchhusten, Dengue-Fieber, das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) bei Kindern oder auch die normale Virusgrippe.
“Als Grund für die plötzliche Ausbreitung verschiedener Infektionskrankheiten haben Experten Corona und die Nachwirkungen auf unser Immunsystem im Verdacht”, schreibt etwa die Zeitung “Blick” in Österreich. Das Virus könnte die Abwehrkräfte beeinträchtigt haben, dazu kommt noch der Wegfall jeglicher Hygienemaßnahmen: Als hätte es die Pandemie nie gegeben, wird kaum noch auf sorgfältiges Händewaschen geachtet, Masken sind passé, und gerade auch in Deutschland wird vielfach munter trotz Infektion zur Arbeit gegangen.
Coronavirus: Erhebliche Störung des Immunsystems nachgewiesen
Vergleichbare Berichte gibt es in Deutschland so gut wie keine, dabei ist längst bekannt, dass das Coronavirus die Kommunikation mit dem Immunsystem stört, und das Virus eine Multi-Organ-Erkrankung auslöst, die unterschiedlichste Folgeerkrankungen auslösen kann – die meisten werden von Ärzten bis heute nicht erkannt. “Durch COVID-19 werden Viren geweckt, die noch nicht aus dem Körper entfernt wurden”, heißt es etwa bei der amerikanischen Mayo Klinik, und weiter: Die Coronavirus-Infektion könne das Ökosystem des Darms durcheinander bringen oder Hirnfunktionen beeinträchtigen, die automatische Nervenfunktionen im Körper steuern.
Die Folge können Migräne oder Herzprobleme sein, aber auch Stimmungsstörungen oder Angstzustände, schwere Erkrankungen wie das Chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) oder auch Diabetes. Experten schätzen, dass etwa fünf Prozent der Menschen in den USA, die mit Sars-CoV-2 infiziert wurden, heute Long Covid haben – das wären mehrere Millionen. Die Schätzungen decken sich mit der Gutenberg Covid-Studie, die bereits im Dezember 2021 von erschreckenden Folgeschäden nach Corona-Infektionen sprach – und bei rund 40 Prozent aller Infizierten im Nachhinein Long Covid-Symptome diagnostizierte.
Trotz alldem wird das Wort “Corona” in Deutschland nicht mehr in den Mund genommen, dabei könnten Erkenntnisse über Folgeschäden vielen Menschen bei der Behandlungen von Krankheiten helfen. Wie grundlegend das Coronavirus im Körper angreift, zeigte sich gerade in einer Studie in Österreich: Ein Forschungsteam der MedUni Wien berichtete da in einer im renommierten Fachjournal “Allergy” publizierten Studie, COVID-19 führe “selbst bei mildem Verlauf zu beträchtlichen Langzeitveränderungen des Immunsystems.”
Studie Uni Wien: Entzündungszustände im Blut nach Covid
Dabei wurden bei den Genesenen jeweils zehn Wochen und zehn Monate nach deren Erkrankung die Anzahl und Zusammensetzung verschiedener Immunzellen sowie die Wachstumsfaktoren für die Regulation des Zellwachstums analysiert. Die Erkenntnis der Forscher: “Selbst nach milden Krankheitsverläufen stellten wir eine deutliche Verringerung von Immunzellen im Blut fest”, berichtet Winfried Pickl – vor allem aber fanden die Forscher Muster eines akut-entzündlichen Geschehens im Blut.
Das bedeutet: “Für COVID-19-Genesene bedeutet das, dass ihr Immunsystem möglicherweise nicht mehr optimal reagiert”, bilanzieren die Forscher. Diese Erkenntnis könne eine Grundlage für ein besseres Verständnis für Long Covid-Erkrankungen sein – und ganz nebenbei erklären, wieso Menschen seit der Corona-Pandemie tatsächlich häufiger krank werden.
Info& auf Mainz&: Ausführliche Informationen zum “GrippeWeb” des RKI samt aktuellen Wochenberichten findet Ihr hier beim Robert-Koch-Institut im Internet. Neue Teilnehmende sind herzlich willkommen, heißt es dort, eine Registrierung sei jederzeit und in wenigen Schritten möglich. Das aktuelle Dashboard des GrippeWebs gibt es hier im Internet.