Wer sich mit dem Coronavirus infiziert, leidet nicht unbedingt unter schweren Krankheitssymptomen, doch die Krankheit Covid-19 ist äußerst tückisch: 40 Prozent aller Menschen, die sich mit dem Coronavirus infizieren, leiden hinterher unter Long Covid-Symptomen, das fand nun die Mainzer Gutenberg-Studie zum Coronavirus heraus. Und die Long Covid-Symptome halten monatelang an – ein Drittel der Erkrankten findet nicht wieder zur alten Leistungsfähigkeit zurück. Trotzdem hält man beim Land Rheinland-Pfalz eigene Long Covid-Ambulanzen nicht für nötig – obwohl Betroffene berichten, dass sie bei Hausärzten oft mit ihren Symptomen nicht ernst genommen werden.
Knapp zwei Jahre nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie wird immer deutlicher: Sars-CoV-2 ist eine gefährliche und in Teilen noch völlig unkalkulierbare Multi-System-Erkrankung. Besonders die „Long Covid“-Folgen einer Covid-19-Erkrankung geben den Medizinern Rätsel auf. Forscher der Mainzer Universitätsmedizin haben nun eine Studie zur Erforschung der Langzeitfolgen gestartet, klar ist schon jetzt: Long Covid trifft 40 Prozent der Corona-Infizierten – und ein Drittel hat sich auch ein Jahr danach noch nicht wieder erholt.
„Wir sind seit über 1,5 Jahren konfrontiert mit einer Viruserkrankung, die aggressiver ist, als wir dachten“, sagte Ulrich Förstermann, wissenschaftlicher Vorstand der Universitätsmedizin Mainz, bei der Vorstellung erster Ergebnisse am Montag. Im Oktober 2020 hatte die Mainzer Universitätsmedizin die Gutenberg-Covid-19-Studie gestartet, ein Ableger der großen Gutenberg-Gesundheitsstudie, mit der seit 2007 die Gesundheit der Bevölkerung im Raum in einer Langzeitstudie untersucht wird. Für die Covid-19-Studie wurden 10.250 Menschen im Alter zwischen 25 und 88 Jahren zwischen Oktober 2020 und Juni 2021 wöchentlich auf ihren Gesundheitszustand untersucht und befragt, und zwar über Fragebögen, aber auch eine eigens konzipierte App der Mainzer Unimedizin, dazu kamen mehr als eine Million Blutproben.
Nun stellten die Forscher erste Ergebnisse zu einem besonderen Phänomen der neuen Viruserkrankung vor: zu Long Covid. Wie keine Krankheit zuvor verursacht Covid-19 schwere Folgeerkrankungen, die von Herzproblemen über Lungenschäden bis hin zu schweren neurologischen Schäden bis hin zu Fatigue reichen können – von Long Covid sprechen die Ärzte, wenn solche Folgeerkrankungen länger als sechs Monate nach der Infektion immer noch anhalten. „Dieses Virus ist ein Chamäleon, weil es alles machen kann“, betonte Förstermann: Sars-CoV-2 könne „zu einer starken, tödlichen Infektion“ führen, aber genauso asymptomatisch verlaufen. „Und es kann unabhängig davon, ob man eine starke oder schwache Infektion hatte, zu Dauersymptomen führen, die wir als Long Covid bezeichnen“, sagte er.
40 Prozent aller mit Covid-19-Infizierten berichteten auch sechs Monate nach ihrer Infektion von Symptomen, die Experten zum Katalog der Long Covid-Belastungen rechnen. Dazu gehören vor allem Abgeschlagenheit und Müdigkeit, aber auch Gelenkschmerzen, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen. Kopfschmerzen, Unwohlsein und Übelkeit sind ebenso Teil des Long Covid-Spektrums wie Gehörprobleme, Angstzustände, Haarausfall, Atemnot, Depressionen, Tinnitus und Geschmacksverlust. Vieles seien Beschwerden „bei denen insbesondere das Nervensystem im Vordergrund steht“, sagte Philipp Wild, Leiter der Gutenberg Covid-19-Studie an der Mainzer Universitätsmedizin.
Generell fanden die Forscher durch ihre systematische Untersuchung der Probandengruppe erneut heraus: In der Bevölkerung gibt es eine große Dunkelziffer in Sachen Corona-Infektionen. 4,9 Prozent der Bevölkerung in Mainz und Umgebung waren mit Sars-CoV-2 infiziert, stellten die Forscher anhand von Antikörpernachweisen fest – nur 61,9 Prozent wussten das überhaupt. 35 Prozent machten die Virusinfektion durch, ohne es zu wissen. 90,7 Prozent aller Infizierten, so ein weiteres Ergebnis, hatten keinerlei ärztliche Behandlung während ihrer Infektion, und das, obwohl die Krankheit bei 12,6 Prozent der wissentlich Infizierten schwer verlief, bei weiteren 28,6 Prozent immerhin mittelschwer. 3,5 Prozent der Infizierten in der Gutenbergstudie wurden ambulant behandelt, 5,8 Prozent mussten stationär behandelt werden.
Und egal, ob die Personen Corona mit Symptomen oder auch völlig unbemerkt durchgemacht hatten: 40 Prozent der Corona-Infizierten hatten auch nach sechs Monaten noch Long Covid-Symptome. Dabei war es auch völlig unerheblich, wie schwer die Krankheit vorher ausgefallen war. „Warum das so ist, und wer das bekommt, ist ungeklärt“, räumte Förstermann ein. Betroffen waren zudem alle Altersgruppen gleichermaßen, also auch Jüngere zwischen 24 und 44 Jahren. Frauen waren mit 45,8 Prozent deutlich häufiger betroffen als Männer mit 35 Prozent – Frauen sind allerdings auch eher bereit, auf Krankheitssymptome ihres Körpers zu achten. Kinder werden in der Gutenberg-Studie nicht untersucht.
Der erschreckende Befund zudem: 30 Prozent der Corona Erkrankten erlangten bis heute ihre ursprüngliche Leistungsfähigkeit nicht wieder, knapp 15 Prozent fühlten sich in ihrem Alltag eingeschränkt. „Viele der Beschwerden werden abklingen“, sagte Wild, doch es verbleibe eine Gruppe, die dauerhafte Beschwerden habe und behalte. Das Problem dabei: Die Ärzte haben bis heute kein klares Profil der Krankheit, das Risikoprofil sei nicht erforscht, eine systematische Therapie für Long Covid gibt es bislang nicht, räumte Wild ein. Auch systematische Untersuchungen zu den Spätfolgen stünden noch aus – und genau hier soll die neue Gutenberg Long Covid-Studie nun einen Beitrag leisten
An einer Gruppe von 600 Personen aus der Gutenberg Covid-Studie soll nun das Krankheitsbild von Long Covid evidenzbasiert näher untersucht werden. Man erhoffe sich Erkenntnisse über den Zusammenhang von Infektionsverlauf und Spätfolgen, über die Auswirkungen auf den Alltag und über diagnostische und therapeutische Instrumente, sagte Wild. „Wir wollen auch definieren, in welcher Situation die Betroffenen vom Hausarzt behandelt werden sollten, und in welchen Fälle von Spezialambulanzen“, fügte er hinzu.
Doch Spezialambulanzen gibt es in Rheinland-Pfalz für Long Covid bisher keine – im Gegensatz zu anderen Ländern wie Hessen, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen. Long-Covid-Patienten seien „zunächst am besten bei ihrem Hausarzt aufgehoben“, wehrte der Mainzer Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) ab: „Ich habe ein großes Vertrauen in das System unserer Hausärzte.“
Betroffene berichten hingegen, sie würden mit ihren Symptomen bei Hausärzten nicht ernst genommen, Betroffenenverbände fordern mehr Long Covid-Ambulanzen. Bei bislang rund 6,8 Millionen Corona-Infizierten in Deutschland seit Beginn der Pandemie würden damit schon jetzt rund 2,7 Millionen Menschen in Deutschland unter Long Covid leiden, rund 1,5 Millionen würden schon jetzt dauerhaft durch das Virus eingeschränkt bleiben. Auf Kliniken und Ärzte rollt damit eine erhebliche Welle von Kranken zu, für die es noch keine Therapien und noch kaum Diagnosetools gibt. Viele Ärzte tun sich noch schwer, Long Covid überhaupt zu erkennen, und die Symptome ihrer Patienten der neuen Krankheit richtig zuzuordnen. „Die Gefahr ist, dass man behaupten könnte, das Krankheitsbild gäbe es nicht“, warnte Wild ausdrücklich: „Das ist sicher falsch.“
Die neue Long Covid-Studie will bereits 2022 erste Ergebnisse vorlegen, das Land Rheinland-Pfalz finanziert sie mit 400.000 Euro. Beteiligt sind daran zwölf Einrichtungen und Abteilungen der Mainzer Unimedizin, die Forscher erhoffen sich auch Erkenntnisse, inwiefern die Corona-Impfung vor Long Covid schützt – erste Erkenntnisse deuten darauf hin. „Erst ein tiefergehendes Verständnis der Wirkmechanismen der Erkrankung wird eine effektive Diagnostik und Therapie ermöglichen“, sagte Wild, und ergänzte: „Wir sehen derzeit vielleicht nur die Spitze des Eisbergs.“
Info& auf Mainz&: Mehr zum Long Covid Syndrom lest Ihr auch hier bei Mainz&. Mehr zur Gutenberg-Covid-19-Studie findet Ihr hier bei der Mainzer Universitätsmedizin im Internet, die Ergebnisse werden zudem in einem Dashboard veröffentlicht, das Ihr hier einsehen könnt. Mehr zur Gutenberg-Covid-19-Studie haben wir hier bei Mainz& berichtet,