Die Eule ist das Zeichen der Narretei, der Schoppestecher das Symbol für Mainzer Lebensfreude und Genusskultur – zusammen stehen beide für einen der traditionsreichsten Mainzer Fastnachtsvereine: den Mainzer Narren-Club. Der feiert in dieser Kampagne seinen 75. Geburtstag, und tut das mit sehr viel Schwung und einer historischen Premiere: Zum Jubiläum gibt’s vom MNC die erste Mainzer Kinderprinzessin. Es ist nicht der einzige Jungbrunnen: Selbst die Mainzer Hofsänger erleben eine wahre Rebellion der Jugend…

Eule, Schoppestecher, Nachtwächter: Der Mainzer Narren Club feiert in diesem Jahr Jubiläum. - Foto: gik
Eule, Schoppestecher, Nachtwächter: Der Mainzer Narren Club feiert in diesem Jahr Jubiläum. – Foto: gik

Es war im Jahr 1949, der Krieg gerade einmal vier Jahre her, und das einst goldene Mainz lag noch immer in Trümmern. Die Welt bestand aus viel Leid und Not – und mitten in dieser Phase gründete sich ein Club, der sich dem Lachen und dem Frohsinn widmete: Der Mainzer Narren-Club. Sein Symbol ist bis heute die Eule, die seit der Antike für Weisheit und Klugheit steht, weswegen die freie Narrenrede aus einer Bütt in Eulenform kommt.

Der Schoppestecher wiederum steht für bodenständige Weinkultur, beim MNC hat man dafür ein besonderes Herz: Der Verein veranstaltet die Schoppestecher-Herrensitzungen und hat die Patenschaft für das Schoppestecher-Denkmal am Mainzer Proviantamt übernommen – in diesem Jahr stellt der Schoppestecher gar das Mainzer Zugplakettcher.  Bis heute ist der MNC ein bodenständiger Verein geblieben. Man gehört nicht zu den vier „Großen“, und ist doch mit 511 Mitgliedern auch nicht klein.

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Jubiläumssitzung mit viel Schwung, Tanz und Musik

„Familiär“ und „Team“ lauten heute die Stichworte, die man am häufigsten hört, fragt man nach dem Charakter des modernen MNC: Ein junges Team hat vor einigen Jahren die Regie übernommen, und das spürt man auch deutlich bei der Sitzung. Die besteht gefühlt vor allem aus viel Schwung: Gleich zu Beginn wird der traditionelle Einmarsch der Garden von deftig-fetziger Guggemusik flankiert, und danach sorgt gleich die Showtanzformation „Elementrics“ für richtig Stimmung im Saal.

Traumhafte Tanznummer: "Elementrics" mit ihrer Robin Hood-Nummer. - Foto: gik
Traumhafte Tanznummer: „Elementrics“ mit ihrer Robin Hood-Nummer. – Foto: gik

Was früher Ballett hieß, und meist für Andrang auf den Toiletten sorgte, gehört heute zu den Glanznummern der Fastnacht – und das trifft ganz sicher auf die „Elementrics“ zu: Die zaubern die Geschichte um den legendären Robin Hood mit fantastischen Kostümen und großartigem Tanz auf die Bühne, und werden vom Saal begeistert gefeiert. „Must be the reason, why I’m King of the castle“, schallt es aus den Lautsprechern – wie passend: Der Mainzer Narren-Club feiert von alters her in der Meenzer „Gut Stubb“, dem Kurfürstlichen Schloss.

Im Publikum: Eine bunte Mischung aus Alt und Jung, Garden und vielen jungen, kostümierten Besuchern. Auf der Bühne: schon wieder Gesang und mitreißende Laune – die Altrheinstromer sind da. Das Gesangstrio vom KCK Kastel ist in diesem Jahr mit dem Thema Fußball unterwegs, und bringt mit Hymne, Handkäs und „so en Käs“ den Saal so richtig in Bewegung – so viel Stehen, Schunkeln und Mitfeiern, das ist schon echter Sport.

Gänsehaut-Musik, Nachtkappen-Kokolores: Fastnacht „zu 111 Prozent“

So geht’s im Grunde weiter: „Wir schunkeln jetzt einfach durch bis Aschermittwoch“, ruft Julia Döring in den Saal, die Sängerin hat auch noch ihr neues Gardisten-Lied mitgebracht, und verzaubert zum Schluss den Saal noch mit dem Mainzer Klassiker „Im Schatten des Doms“ – das ganze Video seht Ihr hier. Kurz vor der Pause rocken dann noch die junge Kultformation „Handkäs und sei Mussigg“ den Saal – die Jungs hätten mit ihrem jüngsten Hit „Zu 111 Prozent“ fast den SSC Song Contest des Gonsenheimer Carneval Vereins (GCV) gewonnen. Jetzt kennt der Saal kein Halten mehr.

"Nachtkapp" Matthias Bott,. zugleich Sitzungspräsident und Vereinschef beim MNC. - Foto: gik
„Nachtkapp“ Matthias Bott,. zugleich Sitzungspräsident und Vereinschef beim MNC. – Foto: gik

„Wenn ihr nicht bei Mainz bleibt Mainz seid, müssen die Verantwortlichen aber mal schwer überlegen“, sagt Sitzungspräsident Matthias Bott noch. 2023 hatten „Handkäs und sei Mussigg“ ihre Premiere in der großen Fernsehsitzung, der diesjährige Hit würde sich mit Sicherheit noch besser eignen, um die junge, rockige Fastnachtsszene von Mainz in der Sendung zu repräsentieren. Die Zugabe „Am Rosenmontag hab ich dir mein Herz geschenkt“ geht dann genauso noch mal ab.

Auch der Mann an der Sitzungsschelle gehört zum jüngeren Eisen: „Die Nachtkapp‘ wird 40“, sagt der Präsident, und präsentiert gut gelaunten Kokolores im Nachthemd – so etwas wäre bei früheren, ehrwürdigen Fastnachtspräsidenten schlichtweg undenkbar gewesen. Doch Bott gehört zu der Generation, die sich gerne auch selbst zum Narren macht, Präsidentenamt hin oder her. Und wenn er mit nackten Waden eine skurrile Tanzeinlage aufs Parkett legt, dann tobt der Saal und singt den Klassiker „Meenzer Bube, Meenzer Mädchen“ lauthals mit.

Historische Premiere: Erste Kinderprinzessin von Mainz

Apropos Bube und Mädscher: Beim MNC haben sie im Jubiläumsjahr eine historische Premiere hervorgezaubert: Die erste Kinderprinzessin für Mainz. Luise I. kommt aus dem Hause Bott, und hat das Narren-Gen in die Wiege gelegt bekommen: Papa Matthias Bott löste vor einigen Jahren den langjährigen Sitzungspräsidenten Adi Guckelsberger ab und ist auch Präsident des MNC. Tochter Luise schwingt mit ihren acht Jahren bereits ebenso souverän das Szepter als Kinderprinzessin und singt auch noch munter „Ich hab‘ e Krönche!“ – Ein Video dazu findet Ihr hier auf Youtube.

Zauberhafte Prinzessin: Luise I. aus dem Hause Bott ist die erste weibliche Vertreterin in der Rolle der närrischen Kinder-Majestät in Mainz. - Foto: gik
Zauberhafte Prinzessin: Luise I. aus dem Hause Bott ist die erste weibliche Vertreterin in der Rolle der närrischen Kinder-Majestät in Mainz. – Foto: gik

Adi Guckelsberger wiederum ist einer der wenigen Rednerstars, die der MNC hervorgebracht hat. Klar, dass der im Jubiläumsjahr sich auf der närrischen Rostra die Ehre gibt, und natürlich in seiner Paraderolle als „Nachtwächter“ vorbeischaut. Guckelsberger reimt wieder mit Lust und viel schlüpfriger Laune und der Hilfe des Publikums, widmet sich auch divers, klimaneutral und Bio, und setzt so manche unerwartete Pointe – vor allem wenn er sich am Ende vor einer der Größen der Mainzer Fastnacht verneigt: dem „singenden Dachdecker“ Ernst Neger.

Überhaupt hat der Kokolores beim MNC Vorrang vor der Politik: Da bringt Marcus Weber feinsinnige Beobachtungen über die jungen Alten und die alten Jungen auf die närrische Rostra, sein „Fräulein Baumann“ gehört zu den großen Parodien der Narrenkunst. Marcus Schwalbach wiederum erzählt erneut urkomische Narreteien aus dem Leben eines Gardisten, der Sitzungspräsident der Marienborner Brunnebutzer hat mehr denn je Lust an verdrehten Namensspielen und fein beobachtetem Alltags-Irrsinn. Beispiel gefällig? „In Kostheim fühle ich mich immer wie im Olympischen Dorf“, seufzt Schwalbach: „160 Nationen, und alle in Jogginghose.“ Das Publikum feiert ihn mit stehenden Ovationen.

Beißende Polit-Kritik aus der Bütt: „Schwachsinn Konjunktur“

„Nur wer sich manchmal selbst belacht, versteht die Meenzer Fassenacht“, reimt auch der Mann vom Protokoll: Matthias Flach liefert gleich zu Beginn standesgemäß den Rückblick aufs politische Jahr, geißelt Krieg und Not im Gazastreifen ebenso wie Teuerungsrallys bei Strom und Gas, in der Gastronomie  und bei den Krankenkassen. „Die Ampel jetzt den Bürger schröpft“, seufzt der Narr, und findet’s gar nicht lustig.

Furiose Politik-Kritik mit Rap am Schluss: Bernhard Knab ist als "Deutscher Michel" in diesem Jahr in Hochform. - Foto: gik
Furiose Politik-Kritik mit Rap am Schluss: Bernhard Knab ist als „Deutscher Michel“ in diesem Jahr in Hochform. – Foto: gik

Inkompetenz und Haushalts-Gau geißelt der Narren-Chronist, Radwegebau für Millionen in Peru, Bildungsnotstand in Schulen und im Bundestag, derweil deutschen Firmen die Luft ausgeht: „Hier sag ich nur: hier hat der Schwachsinn Konjunktur“, schimpft der Narr – der Saal goutiert es immer wieder mit zustimmendem Zwischenapplaus. Nur ein weiteres Mal greift der MNC an diesem Abend zur Politik-Bütt, das aber wird ein echtes Highlight: Um Mitternacht schafft es Bernhard Knab als „Deutscher Michel“ den Saal mit seinem Blick aufs politische Weltgeschehen zu begeistern.

Der Polit-Rückblick kommt komplett gereimt und zugleich mit furioser Geschwindigkeit daher, und Knab redet schonungslosen Klartext: „Europaweit viel rechte Nulpen, in Holland gibt’s jetzt braune Tulpen“, konstatiert der „Michel“, und prangert Deppen, Trickser und Rückwärtsdenker an – den ganzen Auftritt seht Ihr hier auf Youtube im Video. „Dank Eurer Ampelpolitik, schwebt jetzt die AfD im Glück“, schimpft Knab in Richtung Berlin, und mahnt: „Entfernt die ungelernten Flaschen, macht für den Bürger Politik – dann kehren Tausende zurück.“ Donnernder Applaus zeigt dem Redner, wie sehr er „dem Volk“ aus dem Herzen spricht – mit stehenden Ovationen feiert der Saal den „Michel“.

Atemberaubender Tanz – und Rebellion bei den Hofsängern

Der Rest ist ohnehin schon wieder Musik und atemberaubender Tanz: Die „Rot-Weißen Funken“ aus Frickhofen gehören zum Sensationellsten, was die Fastnachts-Tanzszene zu bieten hat: Die Mädels legen erst einen unglaublichen Gardetanz, und später eine beeindruckende Showtanznummer auf die Bühne – da wird eine komplette Science Fiction Story rund um Zeitarmut und Gesellschafts-Zerrissenheit zwischen Arm und Reiche erzählt, dargeboten mit unglaublicher tänzerischer Perfektion und Synchronität. Kein Wunder: Hier tanzen die amtierenden Hessenmeister im Gardetanz – im März steht die Formation im Halbfinale der Tanzmeisterschaften des BDK. Daumen drücken!

Getanzte Gesellschaftskritik: Die Rot-Weißen Funken aus Frickhofen.- Foto: gik
Getanzte Gesellschaftskritik: Die Rot-Weißen Funken aus Frickhofen.- Foto: gik

Pit Rösch wiederum serviert stimmungsvolle Mainz-Lieder mit Big Band Sound und bringt den Saal gleich nach der Pause wieder auf Temperatur. Die „Kappell Mainzer“ rocken gleich mal weiter, und haben am Ende natürlich auch noch die Schwellköppe dabei – die junge Fastnacht wechselt mühelos zwischen Rockmusik und Traditionsliedern.

Die Modernisierungswelle hat jetzt sogar die Mainzer Hofsänger erreicht: Der altehrwürdige Männerchor kommt doch tatsächlich als Backstreet-Boy-Group daher, und legt eine höchst moderne Nummer rund um Toleranz, Diversität und dem Clash mit dem Ewiggestrigen aufs Parket. So schmissig, pfiffig und bissig war der berühmte Fastnachtschor womöglich noch nie – die Hofsänger machen mit gleich sechs neuen Mitgliedern offenbar gerade eine Frischzellenkur durch.

Modern gegen Alt, Pop gegen Tradition? Bei den Mainzer Hofsängern geht im Jahr 2024 beides - und beides gleich furios. - Foto: gik
Modern gegen Alt, Pop gegen Tradition? Bei den Mainzer Hofsängern geht im Jahr 2024 beides – und beides gleich furios. – Foto: gik

„Das haben wir ja noch nie so gemacht“, klagt der Pierrot. „Eben, deshalb machen wir es ja“, kontert der Street-Boy: „Fastnacht – das ist Rebellion, seit 1838!“ Sogar einen  Hofsänger in Rosa leistet sich der Chor plötzlich, und der zückt das Handy und berichtet: „Sorry, die Hofsänger aus den 1950er Jahren sind am Telefon – und sie wollen ihre Kostüme und ihr Frauenbild zurück.“

„Don’t stopp me now“, singt der Chor, und schiebt gleich ein „Let me innovate you“ hinterher: Neue Töne, tolle Stimmen, die Hofsänger sind kaum wiederzuerkennen. „Die Fastnacht braucht Veränderung, die Fastnacht braucht Innovation“, konstatieren die jungen Sänger, und lassen sich doch auch belehren: „Tradition ist auch Identität“, wendet der Pierrot ein, „und Identität fehlt.“ Wie gut, dass es die Mainzer Fastnacht gibt, denn dort sind alle Narren eins und gleich viel Wert – da ist sie, die Vision vom gemeinsamen, guten und toleranten Leben. Der Rest ist „Sassa“ und „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, kurz: Finale. Mit den Mainzer Hofsängern.

Info& auf Mainz&: Wir haben auch ein paar Videos aus der MNC-Sitzung mitgebracht, sehen könnt Ihr sie hier auf unserem Mainz&-Youtube-Kanal – Musik, Tanz und auch Vorträge aus der Mainzer Fastnacht wie der vom „Deutschen Michel“. Schaut rein! Und unsere Fotogalerie kommt auch gleich…