Das Mainzer Innenministerium hat den Einsatzbericht des Polizei-Hubschraubers in der Flutnacht im Ahrtal tatsächlich über neun Monate hinweg dem Untersuchungsausschuss vorenthalten. Das Innenministerium in Mainz bestätigte am Sonntag entsprechende Mainz&-Recherchen und betonte zugleich: Innenminister Roger Lewentz (SPD) habe der Einsatzbericht in der Flutnacht nicht vorgelegen. Die CDU spricht von einem „unglaublichen Skandal“, die Freien Wähler von Argwohn: Es stelle sich die Frage, ob noch weitere Unterlagen nicht vorgelegt wurden. Nach Mainz&-Informationen gibt es eine weitere Lücke.

Video aus dem Aufklärungsflug des Polizeihubschraubers am Abend des 14. Juli 2021 über dem Ahrtal. - Foto: gik
Video aus dem Aufklärungsflug des Polizeihubschraubers am Abend des 14. Juli 2021 über dem Ahrtal. – Foto: gik

Am Abend des 14. Juli 2021 war ein Hubschrauber der Polizei Rheinland-Pfalz um 21.47 Uhr zu einem Aufklärungsflug über dem Ahrtal gestartet und dort ab 22.00 Uhr eingetroffen – das geht aus dem schriftlichen Einsatzbericht hervor, der Mainz& exklusiv vorliegt. Der Helikopter war das gesamte Ahrtal von der Mündung an aufwärts abgeflogen und hatte insbesondere zwischen den Orten Mayschoß und Schuld mehrere Videos gedreht. Schon zu diesem Zeitpunkt dokumentierte der Hubschrauber damit umfassend die katastrophale Flut-Lage im Ahrtal zwischen 22.14 Uhr und 22.42 Uhr.

Die Videos waren allerdings in der Flutnacht im Mainzer Innenministerium nicht angekommen, obwohl das dortige Lagezentrum den Aufklärungsflug eigens in Auftrag gegeben hatte. Mehr noch: Die Videos aus der Flutnacht erreichten den Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Flutkatastrophe erst am Abend des 19. September – vier Tage vor der zweiten Vernehmung von Innenminister Roger Lewentz (SPD) vor dem Ausschuss.

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Vergangene Woche teilte dann überraschend der Präsident des Polizeipräsidiums Einsatz, Logistik und Technik (PP ELT), Christoph Semmelrogge, im Rechtsausschuss des Landtags mit: Es gab zu dem Aufklärungsflug auch einen schriftlichen Einsatzbericht – und dieser wurde dem Lagezentrum im Innenministerium um 00.53 Uhr per Email noch in der Flutnacht zugeschickt.

Einsatzbericht: „Stehen Häuser von Dernau bis Schuld unter Wasser“

Christoph Semmelrogge, Präsident des PP ELT, vergangene Woche nach dem Rechtsausschuss des Mainzer Landtags. - Foto: gik
Christoph Semmelrogge, Präsident des PP ELT, vergangene Woche nach dem Rechtsausschuss des Mainzer Landtags. – Foto: gik

Mainz&-Recherchen ergaben daraufhin: Der Einsatzbericht war den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses nicht bekannt – mehr noch: Der Bericht sei dem Ausschuss erst zusammen mit den Polizei-Videos übergeben worden, so berichteten es übereinstimmend, aber unabhängig voneinander gleich mehrere Personen aus dem Umfeld des U-Ausschuss gegenüber Mainz&. In dem Bericht zu „Flugauftrag Nr. 5942“ heißt es wörtlich: „So stehen ab der Ortslage Dernau bis zur Ortslage Schuld, in fast allen Gemeinden entlang der Ahr, zahlreiche Häuser bis zum Dach im Wasser.“ Auch von „starker Strömung“ der Ahr ist die Rede, ebenso von SOS-Signalen vieler Bewohner mittels Taschenlampen aus ihren Häusern.

Die Beamten des Lagezentrums im Mainzer Innenministerium sowie Innenminister Lewentz selbst hatten aber noch am 23. September 2022 vor dem Untersuchungsausschuss behauptet, sie hätten in der Flutnacht keinen Überblick über die gesamte Lage im Ahrtal, sondern nur „punktuelle Informationen“ aus einzelnen Orten gehabt. Der Einsatzbericht belegt: Diese Darstellung ist falsch, dem Innenministerium lagen sehr wohl belastbare Informationen über die Lage an der halben Ahr vor – von Dernau bis Schuld sind es 23 Kilometer. Wurde der Einsatzbericht also von Seiten des Innenministeriums zurückgehalten?

Innenministerium bestätigt: Einsatzbericht wurde nicht übergeben

Am Sonntag bestätigte das Innenministerium gegenüber Mainz&: Der Einsatzbericht sei in der Flutnacht „per Email um 00.53 Uhr im Lagezentrum eingegangen“, wie ein Sprecherin mitteilte, und weiter: „Die Vorlage hätte zum 30.12.2021 erfolgen müssen.“ Damit hätte der Einsatzbericht dem Untersuchungsausschuss des Landtags bis Ende Dezember 2021 von Seiten des Innenministeriums vorgelegt werden müssen, wie es der Aktenbeiziehungsbeschluss des U-Ausschusses gefordert hatte – doch das geschah nicht.

Das Innenministerium am Schillerplatz in Mainz. - Foto: gik
Das Innenministerium am Schillerplatz in Mainz. – Foto: gik

Auch das Polizeipräsidium Logistik (PP ELT) hätte diesen Einsatzbericht mit seinen Unterlagen dem Ausschuss vorlegen müssen – auch das ist offensichtlich nicht geschehen. Nun steht in Mainz sogar der Vorwurf von Vertuschung und Akten-Unterschlagung im Raum. Der Obmann der CDU-Fraktion im Untersuchungsausschuss, Dirk Herber, bestätigte am Sonntag die Einschätzung, nach der der schriftliche Einsatzbericht bereits Ende 2021 hätte vorgelegt werden müssen. Dass dies nicht geschehen sei, sei „ein ungeheuerlicher Skandal“, betonte Herber.

„Die Videos und der schriftliche Einsatzbericht haben eine hohe Relevanz für die Aufklärungsarbeit“, sagte der CDU-Obmann weiter: „Der Bericht wäre für die Zeugenbefragungen der vergangenen Monate entscheidend gewesen.“ Er fordere nun die Landesregierung auf, „lückenlos darzulegen, warum ausgerechnet diese einzelne E-Mail mit dem Einsatzbericht in den Akten des Lagezentrums bis zum 19. September nicht enthalten war.“ Zugleich stelle sich für die CDU „nun die Frage, ob dem Untersuchungsausschuss weitere Akten bis heute vorenthalten wurden.“

Wefelscheid: Womöglich „nicht nur ‚König Zufall‘ im Spiel“

Auch der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid, sagte am Sonntagabend gegenüber Mainz&: „Mir stellt sich die Frage. War das jetzt wirklich alles oder gibt es noch mehr?“ Dass erst 14 Monate nach der Katastrophe und erst auf Druck des U-Ausschusses „dieser wichtige Einsatzbericht vorgelegt wird, schlägt dem Fass den Boden aus“, kritisierte Wefelscheid: „Erst sagt man, man habe nichts, dann legt man – nachdem man nicht mehr anders konnte – die Videos vor, und jetzt taucht der Einsatzbericht auf“, zählte der Obmann auf: „Diese Salamitaktik lässt Argwohn aufkommen, dass hier nicht nur König Zufall im Spiel war.“

Gerät in Sachen Flutnacht im Ahrtal immer weiter unter Druck: Innenminister Roger Lewentz (SPD). - Foto: MdI RP
Gerät in Sachen Flutnacht im Ahrtal immer weiter unter Druck: Innenminister Roger Lewentz (SPD). – Foto: MdI RP

Mainz&-Informationen zufolge war der Einsatzbericht womöglich nicht das einzige Dokument, das dem Ausschuss nicht zugestellt wurde: In der Email-Dokumentation des Lagezentrums im Innenministerium für den U-Ausschuss gibt es möglicherweise eine Lücke – und zwar genau von 23.40 Uhr bis 02.25 Uhr. In dieser Zeit gingen neben dem Einsatzbericht der Hubschrauberstaffel weitere Emails im Lagezentrum ein und wurden auch von dort verschickt – einige dieser Emails wurden dem Ausschuss jetzt offenbar nachgeliefert.

 

Innenministerium: Einsatzbericht „lag dem Minister nicht vor“

Im Innenministerium betonte man am Sonntag, der Einsatzbericht des Hubschraubers habe den Innenminister in der Flutnacht nicht erreicht: „Der in Rede stehende Bericht lag dem Minister in der Nacht nicht vor“, betonte eine Sprecherin. Dabei hatte Lewentz eigens am Mittag des 14. Juli 2021 sein Lagezentrum angewiesen, ihn „niedrigschwellig“ über alle Entwicklungen der Hochwasserlage zu informieren. Der genau für diese Kommunikation zuständige Beamte David Wincek hatte vor dem U-Ausschuss ausgesagt: „‚Niedrigschwellig‘ würde ich so interpretieren, dass das Ministerbüro über jede Kleinigkeit informiert werden möchte.“

Aufnahme des Polizeihubschraubers in der Flutnacht aus dem Ahrtal, angefertigt mit einer Wärmebildkamera. - Foto: gik
Aufnahme des Polizeihubschraubers in der Flutnacht aus dem Ahrtal, angefertigt mit einer Wärmebildkamera. – Foto: gik

Der Minister sei sehr wissbegierig, schilderte Wincek dem Ausschuss noch, er würde deshalb dem Minister „so gut wie jede Information weiterleiten.“ Den schriftlichen Einsatzbericht des Hubschraubers wollte der Beamte aber in der Nacht nicht zur Kenntnis genommen haben – dabei belegte er klar eine großflächige Katastrophenlage nahezu im gesamten Ahrtal. Allerdings hatte Wincek auch wiederholt betont, der Hubschrauberflug sei ja nur „eine Bitte“ des Innenministeriums gewesen. Im Einsatzbericht heißt es nun aber klar: „Anforderer MdI RP“ – das Kürzel steht für „Ministerium des Inneren Rheinland-Pfalz“.

UPDATE&: Das Innenministerium teilte zur Nicht-Vorlage des Einsatzberichtes weiter mit: „Das Vorgehen des Lagezentrums befindet sich natürlich in Aufklärung.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu dem verschollenen Einsatzbericht des Polizei-Hubschraubers lest Ihr hier bei Mainz&, die Geschichte der verschwundenen Polizei-Videos aus der Flutnacht könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen. Was genau die Polizei-Videos aus der Flutnacht zeigen, könnt Ihr Euch hier selbst ansehen – aber Achtung: Die Aufnahmen sind vor allem mit dem Wissen von heute verstörend.