Dramatische Entwicklung im Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe im Ahrtal: Ein Polizeihubschrauber drehte offenbar in der Flutnacht im Ahrtal dramatische Videoaufnahmen über die akute Lage, die Aufnahmen zeigen offensichtlich die ganze Dramatik am Abend kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Der Aufklärungsflug wurde vom Mainzer Innenministerium angeregt – doch im Lagezentrum bestreitet man, dass die Videos in der Nacht ins Ministerium gelangt seien. Kurz vor der Vernehmung von Innenminister Roger Lewentz (SPD) im Ausschuss wächst der Druck auf den Minister gewaltig.

Zerstörte Häuser im Ahrtal nach der Flutkatastrophe am 15. Juli 2021. - Foto: Polizei Koblenz
Zerstörte Häuser im Ahrtal nach der Flutkatastrophe am 15. Juli 2021. – Foto: Polizei Koblenz

Paukenschlag am Mittag im Mainzer Landtag: Mitten in der Vernehmung eines Beamten aus dem Lagezentrum des Mainzer Innenministeriums wird die Öffentlichkeit von der Sitzung ausgeschlossen. Hinter verschlossenen Türen werden zwei Videos gezeigt, gedreht am Abend des 14. Juli 2021 im Ahrtal. „Der Ausschuss hat zwei Videos angesehen, gefertigt aus einem Polizeihubschrauber am 14. Juli 2021“, sagte Ausschuss-Vorsitzender Martin Haller (SPD) danach lediglich.

Die Aufnahmen sind hochgradig brisant, sie zeigen offensichtlich das komplett überflutete Ahrtal – und sie zeigen Menschen, die in der Nacht im Ahrtal um ihr Leben kämpfen. Die Videos seien zwischen 22.15 und 22.30 Uhr gedreht worden, gibt Haller bekannt, und begründet, warum die Videos nicht öffentlich gezeigt werden: „Eine Entvertraulichung wurde von der Landesregierung nicht gestattet, weil Personen in Notsituationen identifiziert werden könnten, und das persönliche Interesse einem öffentlichen überwiegt.“

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Die Koordinaten auf den Videos könnten es ermöglichen, konkrete Orte und sogar Häuser zu identifizieren, und damit auch Personen, die darauf zu sehen seien, begründete der Ausschuss-Vorsitzende die Sperrung für die Öffentlichkeit weiter. Das Bekanntwerden der Videos ist aber auch so bemerkenswert: Bisher war zwar bekannt, dass ein Polizeihubschrauber Fotos im Ahrtal in der Flutnacht gemacht hatte – von Videos aber war bisher nichts gekannt.

Videos zeigten dramatische Szenen aus dem Ahrtal

Der verwüstete Ort Schuld kurz nach der Katastrophe. Foto: Doumen
Der verwüstete Ort Schuld kurz nach der Katastrophe. Foto: Doumen

Selbst den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses, die immerhin seit Dezember 2021 die gesamte Sachlage im Ahrtal untersuchen und im Blick haben, waren diese Videos bisher unbekannt. Trotz eines Untersuchungsbeschlusses, nachdem die Landesregierung alle Unterlagen zur Flutnacht vorzulegen habe, darunter explizit auch sämtliche technischen Zeugnisse, lagen diese Videos offenbar bisher nicht vor.

Der Eindruck, den die Videos hinterließen, war dramatisch: Die Ausschuss-Mitglieder zeigten sich geschockt und zutiefst betroffen, Entsetzen stand in den Gesichtern. Die Videos seien „das schlimmste, was ich je gesehen habe“, sagte ein Teilnehmer danach. „Diese Videos gehen ans Herz, ich musste danach tief Luft holen“, sagte der Obmann der Freien Wähler, Stephan Wefelscheid danach gegenüber der Presse, und betonte: „Wer die gesehen hat, erkannte die Dramatik der Lage im Ahrtal.“

 

Nun ist genau das die Frage: Wer hat diese Videos in der Flutnacht gesehen? Schließlich hätten zu dem Zeitpunkt ab 22.15 Uhr noch viele Menschen an der unteren Ahr gewarnt werden können – viele der 134 Tode geschahen in der Nacht. Die zweite Frage: Sind diese auch bis zu Innenminister Roger Lewentz (SPD) vorgedrungen – der doch in der Flutnacht „engmaschig informiert“ werden wollte? Lewentz soll am Abend noch im Untersuchungsausschuss vernommen werden, die Opposition hatte zuvor schon dem Minister schwere Versäumnisse und „Versagen in der Flutnacht“ vorgeworfen, nun wird sich Lewentz noch mehr bohrenden Fragen stellen müssen.

Die Leitstelle im Polizeipräsidium Koblenz: Hier gingen in der Flutnacht mehr als 5000 Notrufe aus dem Ahrtal ein. - Foto: Polizei Koblenz
Die Leitstelle im Polizeipräsidium Koblenz: Hier gingen in der Flutnacht mehr als 5000 Notrufe aus dem Ahrtal ein. – Foto: Polizei Koblenz

Denn Tatsache ist: Der Flug des Polizeihubschraubers wurde ausgerechnet vom Mainzer Innenministerium in Auftrag gegeben. „Wir haben beim Polizeipräsidium Koblenz angeregt, einen Hubschrauber zur Aufklärung im Ahrtal einzusetzen“, sagte Polizeibeamter David Wincek, der in der Flutnacht Einsatz im Lagezentrum des Innenministeriums hatte. Es sei „der Wunsch von uns gewesen, dass der Hubschrauber zur Aufklärung eingesetzt wird.“ Unterstellt gewesen sei der Hubschrauber aber dem Präsidium in Koblenz.

Ob er denn auch über das Ergebnis des Fluges informiert worden sei, wurde der Zeuge dann gefragt. Die Antwort: vage. Ja, er habe mehrere Fotos gesehen, die der Hubschrauber im Ahrtal gemacht habe, sagte Wincek aus – Videos habe er aber keines gesehen, „denn diese Videos lagen dem Lagezentrum nicht vor.“ Warum die Videos das Lagezentrum nicht erreichten, konnte er nicht sagen – auch sämtliche andere Zeugen konnten oder wollten dazu keine Aussage machen.

 

Stattdessen betonten sämtliche Zeugen aus dem Innenministerium, ihnen sei die Dramatik der Lage im Ahrtal an dem Abend des 14. Juli nicht bekannt gewesen und nicht bewusst geworden. Dabei erfuhr das Lagenzentrum des Innenministeriums bereits um 21.22 Uhr, dass in Schuld an der oberen Ahr mehrere Häuser eingestürzt waren. Genau diese Information löste dann auch die Anfrage im Präsidium in Koblenz nach Aufklärung mittels Hubschrauber aus.

Lagezentrum telefonierte mit Hubschrauberpilot

In der Flutnacht machte ein Polizeihubschrauber Videos im Ahrtal - und filmte dramatische Szenen. - Foto; gik
In der Flutnacht machte ein Polizeihubschrauber Videos im Ahrtal – und filmte dramatische Szenen. Dieser Hubschrauber flog bei einer Übung über dem Rhein.- Foto; gik

Dabei erklärte Jörn Grünhagen, ein weiterer leitender Beamter, der ebenfalls in der Flutnacht im Lagezentrum arbeitete, noch ausdrücklich, er habe sogar mit dem Piloten des Polizeihubschraubers persönlich telefoniert. Der Pilot habe ihm „einen Bericht mit den dramatischen Eindrücken übermittelt, wie sich das darstellte“, berichtete Grünhagen, betonte aber zugleich: „Aber ich habe das so aufgefasst, dass das ein Hochwasser ist, mit steigendem Wasser.“ Auch er behauptete, Videos habe er nicht gesehen, ob die von dem Piloten erwähnt worden seien, „daran kann ich mich nicht erinnern.“

Ist es also denkbar, dass brisante und dramatische Videos aus einem Flug, in Auftrag gegeben vom Mainzer Innenministerium, die oberste Lagestelle des Landes nicht erreicht haben? Und was passierte mit den Informationen, die dem Lagezentrum von dem Piloten übermittelt wurden – dem Piloten, der gerade diese dramatischen Szenen im Ahrtal gedreht hatte?

 

Lewentz wollte „niedrigschwellig“ informiert werden

Tatsache ist: Innenminister Lewentz hatte bereits am Mittag sein Ministerium und das Lagezentrum beauftragt, ihn „niedrigschwellig“ über die Entwicklung der Hochwasserlage auf dem Laufenden zu halten. Dieser Auftrag sei den Beamten im Lagezentrum „sehr bewusst gewesen“, sagte Wincek, der für die Informationen an den Minister zuständig war. Das heiße nicht, dass er „jeden umgestürzten Baum“ an das Ministerbüro weitergeben würde – „aber solche Sachverhalte oder gar Personenschäden, das würde ich auf jeden Fall weitergeben“, fügte er hinzu.

Wie wurde Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Flutnacht über die Lage im Ahrtal informiert? - Foto: Innenministerium RLP
Wie wurde Innenminister Roger Lewentz (SPD) in der Flutnacht über die Lage im Ahrtal informiert? – Foto: Innenministerium RLP

Bislang hatte Lewentz lediglich mitgeteilt, er sei um 23.04 Uhr von der Leiterin seines Ministerbüros über eingestürzte Häuser in Schuld informiert worden. Im Lagezentrum wusste man davon aber nachweislich schon seit 21.22 Uhr – zu dieser Uhrzeit ging laut Ereignistagebuch des Lagenzentrums die Information über die eingestürzten Häuser in Schuld ein. Trotzdem soll diese brisante Information erst um kurz vor 23.00 Uhr an das Büro von Innenminister Roger Lewentz, und von dort um 23.04 Uhr an den Minister  weitergegeben worden seien – 1,5 Stunden nach ihrem Eingang im Lagezentrum.

Um 23.46 Uhr erreichten Lewentz dann sogar drei Aufnahmen aus dem Ahrtal, gefertigt von demselben Polizeihubschrauber. „Es gingen mehrere Aufnahmen ein, ich habe dem Ministerbüro zwei Emails mit insgesamt drei Bildern weitergeleitet“, berichtete der zuständige Beamte vor dem Untersuchungsausschuss. Trotzdem behauptete Lewentz bislang stets, er habe die Dramatik der Lage an der Ahr erst am darauffolgenden Morgen des 15. Juli begriffen – ob das nun noch zu halten ist, wird Kern der Befragung von Lewentz am Freitagabend sein.

Info& auf Mainz&: Anmerkung zum Text: Wir haben die Namen der Poliziibeamten aus dem Innenministerium im Nachhinein ergänzt, nachdem sie auch in Agenturmeldungen öffentlich benannt wurden. Mehr zu den bisherigen Aussagen von Innenminister Lewentz zur Flutnacht im Ahrtal lest Ihr hier bei Mainz&:

Was wusste Roger Lewentz in der Flutnacht über die Flutwelle im Ahrtal? – Innenminister muss U-Ausschuss Rede und Antwort stehen